Verwaltungsgerichtshof 1014 Wien, Judenplatz 11 Zl. A 2011/ (VH 2011/13/0030-5)
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1 Verwaltungsgerichtshof 1014 Wien, Judenplatz 11 Zl. A 2011/ (VH 2011/13/0030-5) Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den zur Entscheidung über einen Antrag auf Bewilligung einer Verfahrenshilfe zuständigen Berichter ( 14 Abs. 2 VwGG) in der Verfahrenshilfesache der F GmbH in W, zur Erhebung einer Beschwerde gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Wien, vom 27. Juni 2011, GZ. RV/1859-W/05, miterledigt RV/1860-W/05, RV/2227-W/07, den B e s c h l u s s gefasst: Der Verwaltungsgerichtshof stellt gemäß Art. 140 Abs. 1 B-VG an den Verfassungsgerichtshof den A n t r a g, Art. 15 Z 3 des Budgetbegleitgesetzes 2009, BGBl. I Nr. 52/2009; in eventu 63 ZPO in der Fassung des Budgetbegleitgesetzes 2009, BGBl. I Nr. 52/2009; in eventu die in 63 ZPO in der Fassung des Budgetbegleitgesetzes 2009, BGBl. I Nr. 52/2009, enthaltenen Wortfolgen "wenn diese eine natürliche Person ist", "ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts" und "Als notwendiger Unterhalt ist derjenige Unterhalt anzusehen, den die Partei für sich und ihre Familie, für deren Unterhalt sie zu sorgen hat, zu einer einfachen Lebensführung benötigt."; als verfassungswidrig aufzuheben.
2 - 2 - B e g r ü n d u n g : 1. Zum Sachverhalt: Beim Verwaltungsgerichtshof ist zur Zl. VH 2011/13/0030 ein am 4. August 2011 eingelangter Antrag der F GmbH auf Gewährung der Verfahrenshilfe zur Erhebung einer Bescheidbeschwerde nach Art. 130 B-VG anhängig. In einem ergänzenden Schriftsatz vom 9. August 2011 wies die antragstellende Partei darauf hin, dass in einer von ihr beim Oberlandesgericht Wien geführten Rechtssache mit Beschluss dieses Gerichtes vom 26. Juli 2011, 1 R 63/11h, an den Verfassungsgerichtshof der Antrag gestellt worden sei, 63 ZPO in der Fassung BGBl. I Nr. 52/2009, in eventu Art. 15 Z 3 des Budgetbegleitgesetzes 2009, BGBl. I Nr. 52/2009, in eventu nur näher bezeichnete Wortfolgen des 63 ZPO in der Fassung BGBl. I Nr. 52/2009, als verfassungswidrig aufzuheben. Das antragstellende Gericht hege formale Bedenken und beantrage die Aufhebung des Art. 15 Z 3 des Budgetbegleitgesetzes 2009, womit die Möglichkeit der Gewährung der Verfahrenshilfe auf natürliche Personen beschränkt worden sei. Dieser Aufhebungsantrag ist beim Verfassungsgerichthof am 1. August 2011 eingelangt und unter der Geschäftszahl G 90/11 anhängig. 2. Zur Präjudizialität der angefochtenen Bestimmung: 63 ZPO regelt die Voraussetzungen, unter denen den Parteien Verfahrenshilfe zu bewilligen ist. 63 ZPO bezieht sich nur auf natürliche Personen. Nach der bis zum 30. Juni 2009 geltenden Rechtslage war gemäß 63Abs. 2 ZPO af das Institut der Verfahrenshilfe grundsätzlich auch juristischen Personen und sonstigen parteifähigen Gebilden und Vermögensmassen zugänglich, wenn die zur Führung des Verfahrens erforderlichen Mittel weder von ihnen noch von den an der Führung des Verfahrens wirtschaftlich Beteiligten aufgebracht werden konnten und die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht als offenbar mutwillig oder aussichtslos erschien. Mit 1. Juli 2009 erfuhr die Bestimmung des 63 ZPO durch Art. 15 Z 3 des Budgetbegleitgesetzes 2009, BGBl. I Nr. 52/2009,
3 - 3 - eine tiefgreifende Änderung, indem der bisherige Abs. 2 aufgehoben und in Abs. 1 im ersten Satz die Wortfolge "wenn diese eine natürliche Person ist" eingefügt wurde. Damit hat der Gesetzgeber klargestellt, dass die Verfahrenshilfe ausnahmslos nur mehr natürlichen Personen gewährt werden kann. Der antragstellenden Partei als juristischen Person, auf deren Antrag bereits die neue Rechtslage anzuwenden ist, kann somit nach der geltenden gesetzlichen Regelung die Verfahrenshilfe schon grundsätzlich und ohne nähere Prüfung der individuellen Voraussetzungen nicht gewährt werden. 63 ZPO ist im vorliegenden Verfahrenshilfeverfahren präjudiziell, weil im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nach 61 Abs. 1 erster Satz VwGG für die Voraussetzungen und die Wirkungen der Bewilligung der Verfahrenshilfe die Vorschriften über das zivilgerichtliche Verfahren sinngemäß anzuwenden sind. 3. Zu den verfassungsrechtlichen Bedenken: 3.1. Um die gerichtliche Verfolgung ihrer Rechte allen Rechtssuchenden ohne Rücksicht auf die Vermögenslage zu ermöglichen und damit einer rechtsstaatlichen Grundforderung zu entsprechen, enthielt bereits die Zivilprozessordnung in ihrer ursprünglichen Fassung umfassende Vorschriften über das Armenrecht, die im Laufe der Zeit weiter ausgebildet wurden. Eine immer konsequentere Bemühung, die durch die wirtschaftliche Stellung und soziale Stellung der Menschen bedingten Unterschiede auszuschalten, und die verfassungsrechtliche Verankerung nicht nur des Gleichheitsgrundsatzes, sondern auch des Rechts auf freien und ungehinderten Zugang zum Gericht führten zu einer Neufassung der Vorschriften über die Verfahrenshilfe an finanziell minderbemittelte Personen mit dem Verfahrenshilfegesetz, BGBl. Nr. 569/1973 (Bydlinski in Fasching/Konecny² II/1 Vor 63 ff ZPO Rz 1). Die mit jeder Prozessführung verbundenen finanziellen Lasten, vor allem die mit der Einleitung, aber auch mit dem Fortgang und dem Abschluss eines Rechtsstreits verbundenen Kosten, dürfen kein Hindernis für die Durchsetzung
4 - 4 - begründeter Rechtsansprüche oder für die Verteidigung einer im guten Glauben vertretenen Rechtsposition sein. Es gehört zum Wesen des Rechtsstaates, jedem die Durchsetzung seiner Rechtsansprüche ohne Rücksicht auf seine wirtschaftlichen Verhältnisse zu ermöglichen; der Mangel an finanziellen Mitteln darf kein Hindernis sein, im Bedarfsfall die staatliche Rechtspflege in Anspruch zu nehmen. Dies war die Intention des Gesetzgebers bei Erlassung des Verfahrenshilfegesetzes (vgl. Bydlinski, aao, Vor 63 ff ZPO Rz 2 mit Nachweisen aus den ErläutRV). Das VerfahrenshilfeG, das der Bestimmung des 63 ZPO in der bis zum 30. Juni 2009 anzuwendenden Fassung zugrunde lag, zielte mit der Ermöglichung der Gewährung der Verfahrenshilfe für juristische Personen, parteifähige Gebilde und Vermögensmassen also gerade darauf ab, unter dem Blickwinkel des Gleichheitsgrundsatzes und des Grundrechts auf den ungehinderten Zugang zum Gericht die im früheren Armenrecht vorgesehene Beschränkung auf natürliche Personen zu beseitigen. Schon daraus erhellt, dass die durch Art. 15 Z 3 des Budgetbegleitgesetzes 2009, BGBl. 2009/52, angeordnete Wiedereinführung dieser Beschränkung Bedenken hinsichtlich eines unverhältnismäßigen Eingriffs in verfassungsgesetzlich gewährleistete Grundrechte begegnen muss Der Gleichheitsgrundsatz bindet auch den Gesetzgeber (VfSlg /1993, /2001). Er setzt ihm insofern inhaltliche Schranken, als er verbietet, sachlich nicht begründbare Regelungen zu treffen (VfSlg /1995, /2001). Nur innerhalb dieser Schranken ist es dem Gesetzgeber von Verfassungs wegen nicht verwehrt, seine politischen Zielvorstellungen auf die ihm geeignet erscheinende Art zu verfolgen (VfSlg /2001, /2002). Diese verfassungsgesetzlichen Schranken dürften mit der generellen Schlechterstellung jeder Art von nicht natürlichen Personen im vorliegenden Fall überschritten worden sein. Nach den Erläuternden Bemerkungen zum Budgetbegleitgesetz 2009 (ErläutRV 113 BlgNR 24. GP 32) lag das Motiv des Gesetzgebers für die Beschränkung der Verfahrenshilfe auf natürliche Personen darin, dass im
5 - 5 - volkswirtschaftlichen Interesse eine Konkursverschleppung unterbunden und der Verfahrensgegner vor Schäden durch die Prozessführung einer bereits zahlungsunfähigen juristischen Person bewahrt werden sollte. Mit diesen Argumenten lässt sich aber eine Differenzierung zwischen natürlichen und juristischen Personen (parteifähigen Gebilden, Vermögensmassen) nicht rechtfertigen: Die Bewilligung der Verfahrenshilfe hat keinen Einfluss auf die Voraussetzungen für die Konkurseröffnung (Überschuldung bzw. Zahlungsunfähigkeit) bzw. auf die Pflicht zur Beantragung des Insolvenzverfahrens bei Vorliegen dieser Voraussetzungen. Sie steht daher einer Konkurseröffnung weder im Weg noch ist sie geeignet, eine solche hinauszögern. Insbesondere ändert sie nichts an der Schutzvorschrift des 69 Abs. 3 IO. In diesem Zusammenhang ist auch darauf zu verweisen, dass nicht im Abwicklungs- oder Insolvenzstadium befindlichen juristischen Personen auch nach der Judikatur zur alten Rechtslage die Verfahrenshilfe nur in Ausnahmefällen zu bewilligen war (s. Klauser/Kodek, JN-ZPO 63 ZPO, E 11). Das Problem der drohenden Uneinbringlichkeit von Prozesskosten für den obsiegenden Prozessgegner stellt sich bei natürlichen Personen grundsätzlich in gleicher Weise wie bei juristischen Personen. Der Schutz des Prozessgegners kann also eine elementare Ungleichbehandlung der natürlichen und der juristischen Person in Bezug auf die Verfahrenshilfe nicht rechtfertigen Ein weiteres Argument für die Novellierung des 63 ZPO durch das Budgetbegleitgesetz 2009 war die Entlastung der Justiz. Dieses Argument ist aus verwaltungspolitischer und ressourcenökonomischer Sicht verständlich. Dem gerade bei Kapitalgesellschaften oft - etwa bei Vorliegen von "Beteiligungsketten" - sehr hohen Verfahrensaufwand zur Feststellung, ob die Kriterien für die Gewährung von Verfahrenshilfe vorliegen, stand (nicht zuletzt auf Grund der strengen Judikatur) schon nach der alten Rechtslage eine relativ geringe Anzahl von bewilligten Anträgen gegenüber. Es ist aber zu bezweifeln, dass dies einen Eingriff in
6 - 6 - verfassungsrechtlich gewährleistete Grundrechte in der Form rechtfertigt, juristische Personen in allen Fällen und ausnahmslos von der Möglichkeit der Erlangung der Verfahrenshilfe auszuschließen Auch der EuGH leitete in seiner Entscheidung vom 22. Dezember 2010, Rs C-279/09, aus Art. 47 der Grundrechtscharta einen auch für juristische Personen zu gewährenden effektiven Zugang zu Gerichten ab. Dabei sprach er aus, dass die Kriterien dem nationalen Gesetzgeber überlassen bleiben, wobei grundsätzlich (wie in 63 ZPO af vorgesehen) auch die Berücksichtigung von Gesellschaftern und Anteilseignern von juristischen Personen mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar ist. Die Versagung von Prozesskostenhilfe durch die Mitgliedstaaten darf aber nicht den Zugang zum Recht in seinem Wesensgehalt verletzen. 3.5 Auf Grund dieser Erwägungen (vgl. dazu auch die Ausführungen in dem oben erwähnten, dem Schriftsatz vom 9. August 2011 angeschlossenen Anfechtungsbeschluss des Oberlandesgerichtes Wien) bestehen Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der Bestimmung des 63 ZPO in der Fassung des Budgetbegleitgesetzes 2009, BGBl. Nr. 52/2009. Es wird demnach die Aufhebung des Art. 15 Z 3 des Budgetbegleitgesetzes 2009, BGBl. I Nr. 52/2009, beantragt, womit die Möglichkeit zur Gewährung der Verfahrenshilfe auf natürliche Personen beschränkt wurde. Für den Fall, dass dieser Antrag als formal unzulässig erachtet werden sollte, wird aus Vorsichtsgründen in eventu die Aufhebung der Bestimmung des 63 ZPO in der Fassung des Budgetbegleitgesetzes 2009, BGBl. I Nr. 52/2009, beantragt. Für den Fall, dass sowohl der Hauptantrag als auch der erste Eventualantrag als formal unzulässig erachtet werden sollten, wird weiters der Eventualantrag auf Aufhebung jener Wortfolgen in der aktuellen Fassung des 63 Abs. 1 ZPO gestellt, die eine ausdrückliche oder schlüssige Bezugnahme auf natürliche Personen bzw. deren notwendigen Unterhalt erkennen lassen. In diesem Zusammenhang wird auf den Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 10. Juni 2010, G 43/10 und
7 - 7 - G 46/10, verwiesen, wonach die Aufhebung allein der Wortfolge "wenn diese eine natürliche Person ist" nicht die Gewährung der Verfahrenshilfe für juristische Personen und Vermögensmassen ermöglichen würde, weil nicht nur diese durch das Budgetbegleitgesetz 2009, BGBl. I Nr. 52/2009, eingefügte Wortfolge, sondern auch die bereits durch Art. II Z 2 des Verfahrenshilfegesetzes 1973, BGBl. Nr. 569/1973, normierten Wortfolgen "ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts" und "Als notwendiger Unterhalt ist derjenige Unterhalt anzusehen, den die Partei für sich und ihre Familie, für deren Unterhalt sie zu sorgen hat, zu einer einfachen Lebensführung benötigt." nur auf natürliche Personen bezogen werden können. W i e n, am 22. September 2011
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