Marginalsiedlungen und deren Gefährdung durch Rutschungen.
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- Robert Ackermann
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1 Marginalsiedlungen und deren Gefährdung durch Rutschungen. Weltweit erhöht sich die Gefährdung von Marginalsiedlungen in Hanglagen oder am Hangfuß durch Rutschungen. Die Frequenz und das Ausmaß, der dadurch verursachten Katastrophen nimmt dramatisch zu. Durch die wachsende Vulnerabilität der Menschheit bzw. ihrer Einrichtungen und durch zunehmende Eingriffe in die Natur entwickelt sich die Menschheit zu einer "Naturkatastrophengesellschaft". Es gilt daher Strategien zu entwickeln, diesem Trend entgegenzuwirken. Rutschungen sind die Folge verschiedener und komplexer Prozesse, auf die der Mensch unbeabsichtigt einen immer größeren Einfluß ausübt. Die Sachschäden durch Rutschungen in Siedlungsgebieten und ihren Infrastrukturen belaufen sich weltweit jährlich auf mehrere Zehner Milliarden US-Dollar. Die Zahl der stattfindenden und stattgefundenen Rutschungen wird allein auf dem Territorium der USA insgesamt auf 20 Millionen geschätzt, ausgelöst durch Niederschläge, Erdbeben, Vulkanausbrüche und menschliche Aktivitäten (Brabb 1989). Was sind Rutschungen Rutschungen sind nach der Definition der UNESCO-Working Party for World Landslide Inventory der internationalen geotechnischen Gesellschaften, hangabwärts gerichtete Bewegungen von Boden- und Felsmassen, die nach ihrer Kinematik in 5 verschiedene Bewegungstypen eingeteilt werden (Abb.2). Begriffe wie Schlamm- und Schuttstrom (Mure), Steinschlag, Felssturz oder Bergsturz bezeichnen das bewegte Material näher oder geben die Größenordnung des Ereignisses wieder. Der Oberbegriff Rutschungen umfaßt somit alle Massenschwerebewegungen und den linienhaften Massentransport durch Wasser in Hanglagen. Rutschungsursachen und -gefahren Die Ursachen von Rutschungen sind Veränderungen des Gleichgewichtes zwischen rückhaltenden Kräften, also die Festigkeitseigenschaften des Bodens oder Fels, und den angreifenden Kräften im Hang, zum Beispiel Schwerkraft und Wasserdruck, durch permanent und episodisch wirkende Faktoren (Tab.1 und 2). Die Versagensbedingung ist rückhaltende Kräfte 1. angreifende Kräfte Es wirken immer mehrere Faktoren gleichzeitig, die sich gegenseitig beeinflussen und so Beschleunigungen oder Verzögerungen der Hangbewegungen hervorrufen. Der anthropogene Faktor ist indirekt und ungewollt, das heißt, er ist ein Nebenergebnis anderer Zielsetzung, und führt zu immer häufiger werdenden Katastrophen in Siedlungsgebieten. Ein Beispiel dafür ist die katastrophale Felsrutschung im Piave-Tal Seite 1
2 (Italien) am 09. Oktober 1963 vom Monte Toc in den Vajont-Stausee (Abb.4). Es lösten sich 250 Mio. m3 Felsmassen, die in den Stausee rutschten und eine Flutwelle erzeugten, die über die Bogenstaumauer hinweg durch die Vajont-Schlucht in das angrenzende Piave-Tal schoß und 1900 Menschen tötete. Der geologische Aufbau ist sozusagen die Primärursache oder Ur-Ursache (Heim 1932) der Hang- und Böschungsbewegungen. In vielen Fällen sind Rutschungen durch tektonisch entstandene Schwächezonen oder Zonen verstärkter Wasserführung vorgezeichnet (Häfner et al. 1980). Ein Beispiel dafür ist das riesige Rutschareal im Bereich der San Andreas Störung auf der Halbinsel San Francisco (Abb.3), in dem zahlreiche Häuser in den letzten 3 Dekaden zerstört wurden (Brown 1989). Außergewöhnliche klimatische Ereignisse, wie über dem langjährigen Mittel liegende Niederschläge, können zu einer Häufung von Rutschungsereignissen führen. Beispiele dafür sind eine Vielzahl von Rutschungen im Dezember 1993 in Rheinland-Pfalz oder im Januar 1982, wo es innerhalb von 3 Tagen zu rund 200 Rutschungen allein in Rheinhessen kam, bei denen 9 Millionen m3 Erdmassen in Bewegungen gerieten. Solche Klimaereignisse in Verbindung mit einer außergewöhnlich hohen Zahl an Rutschungen sind in Rheinhessen aus den Jahren 1880/81 und 1940/41/42 sowie 1981/82 belegt. In der ehemaligen Tschechoslowakei traten in den letzten hundert Jahren katastrophenartige Rutschungen durch klimatische Anomalien gehäuft in den Jahren 1900/1921, 1939/40/41 und 1981/82 auf (Krauter 1992). Diesen Rutschungsjahren gingen 1 bis 2 Jahre mit weit über dem langjährigen Mittel liegenden Niederschlägen voraus. Im alpinen Raum traten zuletzt im Herbst 1987 nach langanhaltenden Niederschlägen gehäuft katastrophale Rutschungen auf. Das heißt, eine Häufung von Rutschungen ist kein einmaliges Ereignis, sondern ist auch in Zukunft zu erwarten. Die Eiszeiten (Pleistozän) wirken noch indirekt auf die Stabilität heutiger Hänge nach. Das Durchtränken toniger Schichten beim Auftauen in Periglazialzeiten und nach dem Ende der letzten Eiszeit vor etwa Jahren führte zu Solifluktion und Rutschungen. Geringe stabilitätsmindernde Eingriffe in das labile Hanggleichgewicht, zum Beispiel Rodung, können die zur Ruhe gekommenen Hangbewegungen reaktivieren. Das Wasser in Form von Niederschlägen, Schmelzwasser und Bergwasser ist meist das auslösende Moment von Rutschungen und steuert ihre Geschwindigkeit (Abb.4). Erdbeben ab der Intensität VII (MSK-Skala) bzw. der Magnitude 5 (Richter-Skala) können Rutschungen auslösen. Die Reaktion der Hänge auf Erschütterungen ist jedoch von ihrem Spannungszustand abhängig, der von Region zu Region und von Hang zu Hang verschieden ist. In Ecuador, nördlich von Quito, hat ein Erdbeben der Intensität Seite 2
3 VII bzw. Magnitude 5.0 an der Panamericana-Norte auf einer Länge von 12 km 118 Rutschungen ausgelöst (Hall 1991), was auf die Instabilität der beim Bau der Panamericana-Norte nahezu senkrecht hergestellten hohen Böschungen zurückzuführen ist. Das Udayapur Erdbeben 1988 in Nepal löste bei einer Intensität VIII im Epizentrum mehrere hundert Rutschungen aller Art aus (Dixit 1989). Erschütterungen durch Vulkanausbrüche können ebenfalls Rutschungen auslösen, oder es können im Zusammenhang mit Regenfällen an den Bergflanken Schlammströme (Lahars) entstehen. Die Rutschungen durch Erdbeben und Vulkanausbrüche stellen die größte Gefahr für Siedlungen dar, weil die zeitliche Vorhersage des auslösenden Faktors und die Lokalisierung der entstehenden Rutschungen nur selten möglich ist. Die Thixotropieeigenschaft von Böden führte vor allem in Canada, Japan, Norwegen und Schweden zur Zerstörung ganzer Ortschaften. Durch chemische und/oder physikalische Prozesse, die durch starke Niederschläge, Erschütterungen oder Auflast in Gang gesetzt werden können, verliert der Boden schlagartig seine Festigkeit und geht in einen flüssigen Zustand über. Häuser sinken in den Boden ein oder "schwimmen" mit dem Boden weg, wie im Dezember 1977 im schwedischen Hissingen-Tuve, einem Göteborger Vorort (Abb.1). 50 Häuser wurden zerstört und 8 Menschen getötet. Auch Haldenmaterial kann sich nach extremen Niederschlägen verflüssigen, wie dies im Oktober 1966 in Aberfan in Wales (England) geschah. Zahlreiche Häuser und eine Schule wurden durch einen so entstandenen Schlammstrom zerstört. 144 Menschen verloren dadurch ihr Leben. Rutschmassen können Flüsse aufstauen und zu Überflutungen flußaufwärts und zu Flutwellen nach dem Durchbruch flußabwärts führen, wie im Veltlintal (Norditalien) im Juli 1987, wo nach außergewöhnlich starken Niederschlägen sich aus der Zandila- Bergflanke etwa 40 Millionen m 3 Fels lösten, die in das Adda-Tal stürzten und es bis hundert Meter hoch überschütteten. Der Ort Morignone wurde von den Bergsturzmassen begraben. 32 Menschen kamen durch dieses Ereignis ums Leben. Über Einwohner in den talwärts gelegenen Ortschaften mußten vor der drohenden Flutwelle evakuiert werden (Govi 1989) In stehende oder fließende Gewässer schnell gleitende oder stürzende Gesteinsmassen erzeugen Schwallwellen, die den gegenüberliegenden Uferbereich überfluten können. So erreichte die durch eine Rutschung mit einer Kubatur von 1 Million m 3 ausgelöste Schwallwelle in Ravnefjell, Leon im Nordfjord (Norwegen), 1936 eine maximale Höhe von ca. 74 m. Die Schwallwelle überspülte eine am Hang stehende Siedlung auf der gegenüberliegenden Seeseite. 73 Menschen wurden dadurch getötet (Holmson 1936). Seite 3
4 Was Schwallwellen angeht, so ist eine Vorhersage ihrer Amplitude und Reichweite trotz bekannter Sturzmasse und -höhe sowie Wassertiefe heute noch nicht möglich. Im Prinzip gilt dies auch für die Reichweite von Bergstürzen. Alte Rutschhänge sind oft nur scheinbar zur Ruhe gekommen und können durch bestimmte Faktoren (Tab.1 und 2) reaktiviert werden, wie die Rutschung 1985 am Nordufer des Yangtze in der Provinz Hubei (China), welche die Stadt Xintan zerstörte (Abb.5 und 6). Etwa 30 Millionen m3 Erd- und Felsmassen bewegten sich mit einer Geschwindigkeit von 10 m/sec (max. 31m/sec) talwärts. Die Rutschung erzeugte Erschütterungen, die einem Erdbeben mit der Magnitude 1 entsprachen. 2,6 Millionen m3 glitten in den an dieser Stelle 90 m tiefen Yangtze, wodurch sich die Durchflußkapazität auf ein Drittel verringerte. Die erzeugte Schwallwelle im Yangtze war zwischen 33 und 39 m hoch und versenkte Boote und Schiffe; 10 Bootsmänner ertranken. Die Schiffahrt war eine Zeitlang nur stark eingeschränkt möglich. Die Bevölkerung konnte rechtzeitig dank einer exakten Vorhersage evakuiert werden Häuser wurden zerstört. An der gleichen Stelle ereigneten sich seit der Song Dynastie (960 bis 1279 v. Chr.) im Abstand von ca. 500 Jahren 3 Großrutschungen. Bei einer dieser Rutschungen war der Yangtze 90 Jahre lang nicht mehr schiffbar. Die Ursache der Reaktivierung des alten Rutschareals 1985 wird auf den untertägigen Kohleabbau oberhalb des alten Hauptabrisses zurückgeführt. Zwischen den Jahren 1923 und 1982 wurden etwa 1,6 Milliarden (!) m3 Abraum-Massen auf den oberen Teil des alten Rutschhanges abgelagert. Diese Auflast wird als Ursache der katastrophalen Rutschung von 1985 angesehen (Ministry of Geology & Mineral Resourses, P.R.C und State Commission of Science and Technology P.R.C. 1988). Die Wechselwirkung zwischen menschlichen Aktivitäten und Massenbewegungen an Hängen zeigt insbesondere das Beispiel aus der San Francisco Bay-Region (Nordkalifornien). In den Jahren 1955 bis 1982 hat sich die Bevölkerungszahl verdoppelt. Entsprechend ausgeweitet haben sich damit auch die Infrastrukturen mit ihren Eingriffen in das Hanggelände waren erst Rutschungen bekannt; 1980 schon Durch die ab den 70er Jahren intensiv durchgeführten Rutschungskartierungen wurden allerdings auch ältere bis dahin nicht bekannte Rutschungsareale erfaßt wurden durch ein Unwetter allein Rutschungen ausgelöst (Brabb 1989). Addiert man die Zahl der Rutschungsereignisse weltweit, so ist die Zunahme offensichtlich. Dies zeigt sich auch schon regional (Abb.7). Sicherlich ist bei der Aufstellung solcher Statistiken zu berücksichtigen, daß die Informationen immer spärlich werden, je weiter die Ereignisse zeitlich zurückliegen. Zunehmende Bedrohung von Marginalsiedlungen Seite 4
5 Die Ursachen der dramatisch zunehmenden Bedrohung von Marginalsiedlungen durch Rutschungen sind mehrschichtig und miteinander verknüpft. Die Landflucht, besonders in den Entwicklungsländern, führt zur Ausdehnung von Siedlungen in Hanglagen, wie in Rio de Janeiro oder Sao Paulo. Dies ist vor allem eine Folge der Industrialisierung und der Konzentration politischer, administrativer, wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Funktionen in den Metropolen Südost- Brasiliens. Die Favelas (Armutsviertel) breiten sich immer mehr randlich auf den Hängen der Städte aus (Abb.8). Bereits 1993 lebten in Rio de Janeiro 35 % der Bevölkerung in den Hanglagen; das sind rund 2,5 Millionen Einwohner (Amaral et al. 1994). Die Katastrophen durch Rutschungen sind dort durch die zunehmende, häufig unkontrollierte oder nicht mehr kontrollierbare Besiedlung vorgezeichnet. So ereignete sich in der Nacht vom eine 200 m lange Rutschung im oberen Westteil der Favela da Vidigal (Abb.9). Es kamen in den 11 zerstörten Häusern und Gebäudeteilen 3 Menschen ums Leben. Ein Hauptverkehrsweg, die Avenida Niemeyer, war 14 Tage lang gesperrt. Die Ursache war, daß durch die Bebauung ein Großteil der Geländeoberfläche versiegelt wurde. Niederschlagswässer und Abwässer drangen am Fuß der Bebauung konzentriert in den Hang ein. Die Folge war eine starke Durchfeuchtung der Deckschichten, die ins Fließen kamen und dabei Felsblöcke mitrissen. Ähnliche Ereignisse können sich überall in diesen Randsiedlungen auf den Hängen ereignen. Der Mensch ist hierbei der entscheidende Ursachenfaktor. Das auslösende Moment sind allerdings starke Niederschläge. Außer den Rutschungen aus "natürlichem Material" (Boden und Fels) treten in solchen Randsiedlungen auch immer öfter Rutschungen aus "künstlichem Material" (wild deponierter Hausmüll in Hanglagen) auf. Ein Beispiel ist die Müllrutschung am in der Favela de Sao Carlos in Rio de Janeiro, die 3 Häuser zerstörte und 6 Menschen tötete. Die Auswertung von 500 Rutschungen in Rio de Janeiro (Amaral et al. 1994) aus den Jahren 1966 bis 1970 und 1986 bis 1991 ergab, daß in der Zeitspanne von 1966 bis 1970 natürliche Faktoren, wie der geologische Aufbau und die morphologische Situation, die eigentlichen Ursachen waren. Dagegen überwiegt in der Zeitspanne von 1986 bis 1991 eindeutig der Ursachenfaktor Mensch. Die stabilitätsmindernden anthropogenen Eingriffe zeigen sich auch dadurch, daß die Rutschungen jetzt nicht mehr wie früher hauptsächlich in der Regenzeit im Sommer geschehen, sondern über das ganze Jahr verteilt vorkommen. Zu den Ländern, in denen die Rutschungen unter den Naturkatastrophen an erster Stelle stehen, gehört Nepal (Abb.10). An einem einzigen Monsuntag ereigneten sich beispielsweise Rutschungen (Lean 1993). Natürliche Faktoren sind die Seite 5
6 tektonische Heraushebung des Himalaja im cm-bereich je Jahr, die eine Verstärkung des Reliefs bewirkt, sowie Erdbeben und starke Regenfälle in der Monsunzeit. Der entscheidende anthropogene Faktor (Tab.3) für die Zunahme der Rutschungen und der dadurch verursachten Katastrophen speziell in Randsiedlungen ist die Entwaldung. Etwa 70 % der gesamten Waldfläche in der Himalaja-Region sind in den letzten 4 Dekaden abgeholzt worden (Pudasain 1992). Die Hangstabilität betreffend, bedeutet dies ein verstärktes und schnelleres Eindringen des Wassers in die Hänge, was eine rasche Erhöhung des Bergwasserspiegels und des Kluftwasser- bzw. Strömungsdruckes bedeutet, da die Vegetationspumpe und das Rückhaltevermögen des Waldes fehlt. Bei dem starken Relief setzen dann vor allem linienhafte Abtragung mit Grabenbildung sowie großflächige und tiefgreifende Rutschungen ein. So gibt es im Mittleren Nepal Regionen, in denen etwa 40 % der Gesamtfläche Rutschungsareale sind. Diese Schäden sind nicht mehr reparabel. Die Areale sind für landwirtschaftliche Nutzung verloren. Auch Aufforstungen sind praktisch nicht mehr durchführbar. Gleichzeitig erhöht sich durch den Abtrag die Sedimentationsfracht der Flüsse, die sie in flacheren Regionen, im Terail, wieder abladen, was zu Überschwemmungen und Überlagerung des fruchtbaren Bodens führt. Es stellt sich die Frage, warum die Entwaldung dieses Ausmaß erreicht hat. Die Ursache ist die Bevölkerungsexplosion (Abb.11). Die Bevölkerung hat sich in den letzten 30 Jahren von 9 auf 18 Millionen erhöht, also verdoppelt. Entsprechend stieg der Bedarf an Siedlungsraum, landwirtschaftlichen Nutzungsflächen, Infrastrukturen, Baumaterialien, Holz für die Feuerung und Energie. Zum Bau von Häusern und zur Feuerung wird heute noch größtenteils Holz verwendet; den Export von edlen Hölzern nicht zu vergessen. Die Urbanisierung erreicht immer höher gelegene und meist auch steilere Regionen. Siedlungen und ihre Infrastrukturen werden auf instabilen Hanglagen oder Schuttfächern alter Murengänge ausgedehnt, was die Gefährdung erhöht. Die Überweidung wirkt sich nicht nur in Entwicklungsländern sondern auch in Europa, speziell im alpinen Raum, auf die Rutschungsanfälligkeit der Hänge aus. Die schützende Vegetationsdecke wird zerstört; das Wasser dringt unmittelbar in den Boden ein und bei Wasserübersättigung entstehen Muren, die jetzt Schäden in früher sicher angelegten Siedlungen anrichten. Die in den letzten 2 bis 3 Jahrzehnten hinzugekommenen Randsiedlungen sind besonders gefährdet, da sie vom Gelände her meist mehr exponiert sind. Aber auch die Unterweidung kann zu verstärkter Murenbildung und Rutschungen führen. Bei Starkregen legen sich die Grashalme um, und das Niederschlagswasser fließt ähnlich wie bei einem Schilfdach ohne Versickerung rasch ab. Das konzentriert in Gräben und Mulden anfallende Niederschlagswasser löst vor allem Schlamm- und Schuttströme aber auch Rutschungen Seite 6
7 im engeren Sinne aus, die Areale bestreichen, welche zur Zeit der Beweidung nicht davon betroffen wurden. Zerstörungen von Siedlungen in Flußtälern geschehen auch durch das Ausbrechen von Gletscherseen, Jokulhlaup genannt. In der Himalaja Region wird solch ein Ereignis als Glacier Lake Outburst Flood (GLOF) bezeichnet. Ein verheerendes GLOF-Ereignis war in Nepal am 04. August 1985 (Ives 1986). Vermutlich durch einen Felssturz oder einen Eissturz im Bereich des Langmoche Gletschers wurde eine Schwallwelle erzeugt, die den Endmoränenwall, der als Damm fungierte, an einer Stelle durchbrach. Etwa 1 Million m3 Wasser vermischt mit Schlamm und Geröll wälzte sich als ein m hoher Wasser-Schlamm-Schuttstrom durch die Flüsse Bhote Koshi und Dudh Koshi und zerstörte auf 90 km Länge Brücken und randlich liegende Siedlungen sowie ein gerade fertiggestelltes Wasserkraftwerk. Durch den Rückgang der Gletscher im Himalaja bis zu mehreren hundert Meter in den letzten 20 Jahren haben sich die Wassermassen der Gletscherseen vervielfacht was einen beträchtlichen Anstieg der Seespiegel mit sich brachte. Bei zunehmender Erwärmung und dem damit verbundenen Schmelzen des Gletschereises und/oder durch extreme Niederschläge oder in den See stürzende Fels- oder Eismassen sind die Gefahren weiterer Ausbrüche von Gletscherseen in solchen Regionen programmiert. Schadensbilanzierung Die weltweit durch Rutschungen entstandenen Schäden lassen sich heute nur schwer abschätzen, da die Daten einzelner Ereignisse nach unterschiedlichen Kriterien zusammengestellt werden. Die Zahlenangaben einiger Länder vermitteln jedoch das Ausmaß (Tab.4). Die Verluste an Menschenleben durch Erdbeben, Tsumanis, Rutschungen und Lawinen für den Zeitraum 1973 bis 1979 hat die IAEG-Commission on Landslides mit angeben (Krauter 1992). In Europa sind bei 58 katastrophalen Rutschungen in den Jahren 1970 bis Menschen umgekommen (Spurek 1989). Drei Rutschungsereignisse haben in diesem Jahrhundert eine besonders hohe Zahl an Menschenleben gefordert. Die 1920 durch ein Erdbeben ausgelöste Rutschungen in einem Areal von 160 x 480 km in der Kansu- Provinz (China) töteten Menschen (Close 1922) kamen in Peru durch einen Wasser-, Eis-, Schlamm- und Schuttstrom, der durch einen Eis- und Felssturz vom Mt. Huascaran nach Erdbeben der Magnitude 5,0 bis 7,5 ausgelöst wurde, Menschen ums Leben. Die Stadt Yangay wurde völlig zerstört (Reynolds 1990). In Kolumbien verloren 1980 durch einen Schlammstrom (Lahar) Menschen ihr Leben. Seite 7
8 Die Stabilität bzw. Standsicherheit der Hänge wird hauptsächlich von externen Faktoren gesteuert, so daß es Phasen geringerer und höherer Standsicherheiten ein und desselben Hanges gibt (Abb.12). Der Einfluß der Schwerkraft bewirkt, daß die Massenverteilung annähernd eine Niveaufläche anstrebt, also der Standsicherheitsquotient im Laufe der Zeit gegen η=1 geht. In langen Zeiträumen gesehen, gibt es daher keine stabilen Hänge (Krauter 1990). Der weltweite Anstieg der Oberflächentemperatur (Abb.13) hat wahrscheinlich eine Beschleunigung dieses Trends der Hänge zur Instabilität zur Folge. Bei der Fragestellung nach der Hangstabilität, müßte daher die Frage lauten "Wie schnell bewegt sich ein Hang?" und nicht "Wie hoch ist seine Standsicherheit?"- Im Alpenraum herrscht in Höhen über 3000 m Permafrost. Ein Temperaturanstieg um 1 bis 2 C würde bis zu drei Viertel der heutigen Gletscherfläche abschmelzen und die Dauerfrostgrenzen um 200 bis 700 m ansteigen lassen. Aufgetaute Permafrostflächen und Felszonen sowie freigelegte Schuttgebiete erhöhen die Gefahr von Rutschungen (NFP 31). Die Häufigkeit von Felsstürzen in Hochgebirgsregionen hat bereits zugenommen. Legt man die Modelle über die Entwicklung des globalen Klimas zugrunde (Jaeger 1988), so wird infolge des Temperaturanstieges mit einer Zunahme der Niederschlagsmengen in gleichen Zeiträumen in bestimmten Regionen gerechnet. Aufgrund der Verknüpfung zwischen Niederschlägen und Rutschungsereignissen ist daher auch mit einer Zunahme von Rutschungen und einer dadurch wachsenden Gefährdung von Siedlungen in diesen Gebieten zu rechnen. Ausblick und Gefahrenminderung. Durch das Ausdehnen von Siedlungs-, Verkehrs- und Wirtschaftsinfrastrukturen werden die Eingriffe des Menschen in die Natur immer intensiver und räumlich weitreichender. Der Mensch ist deswegen im Begriff, durch seine so wachsende Vulnerabilität gegenüber Naturereignissen, eine "Gefahrenkultur" aufzubauen (Krauter 1992). In vielen Teilen der Welt ist das Hanggleichgewicht durch den Menschen schon so gravierend gestört, daß dies nicht mehr rückgängig zu machen ist. Siedlungen müßten dort aufgrund ihrer Gefährdung aufgegeben werden. Es ist zwar nicht möglich das Naturereignis Rutschung, das es auch schon in vorhistorischer Zeit gegeben hat, zu verhindern, vor allem, wenn es durch Erdbeben oder Vulkanausbrüche ausgelöst wird, aber die Katastrophen die Rutschungen anrichten, können reduziert werden. Eine Minderung dieser Katastrophen ist möglich durch: Dokumentation historischer Ereignisse als Grundlage für Aussagen künftiger Entwicklungen, Entwicklung dynamischer Modelle, Gefahren- und Risikokarten (Brabb 1993) mit an den Bedarf anzupassenden Maßstäben, Überwachungs- und Warnsysteme in Bereichen potentiell gefährdeter Areale. Seite 8
9 Voraussetzung für die Minderung der Katastrophen ist jedoch die Weitergabe und die Anwendung aus interdisziplinärer Forschung erhaltenen Kenntnisse (Tab.5). Zu diesen Kenntnissen gehört auch die Erfahrung aus der direkten Konfrontation mit Rutschungsereignissen. In den Industrieländern sollte es durch legislative Maßnahmen möglich sein, die Ausdehnung von Siedlungen und Infrastrukturen auch für den Tourismus zu unterbinden. In Entwicklungsländern sind derzeit solche Maßnahmen oft nicht praktikabel. Literatur Amaral, C., und E. Krauter: Rutschungen in Rio de Janeiro. Rio de Janreiro 1994 (in Vorbereitung) Brabb, E. E.: Landslides - Extent and economic significance in the United States. In: Brabb, E. E. und Harrod, B. L. (eds.): Landslides - Extent and Economic Significance. Rotterdam 1989, Brabb, E. E.: Priorities for landslides mapping during the International Decade of Hazard Reduction. Landslides - Seventh International Conference & Field Workshop. Edited by S. Novosad und P. Wagner. Balkema/Rotterdam/Brookfield Brown, W. M.: IGC field trip T381 Landslides in Central California. 28th International Geological Congress. Washington D.C Close, U., und E. Mc. Cormick: Where the mountains walked. Nat. Geogr. Magazin 41 (1922) Dixit, A.: Landslide Hazards in Nepal - Causes and Assessment. Kathmandu 1990 (Water Nepal Vol. 2. No 1) Govi, M.: The 1987 Landslide on Mount Zandila in the Valtellina, Northern Italy. Landslide News. Kyoto 1989 (No. 3) Hall, M.: Escuela Politecnica National (EPN). Instituto Geofisico: Informe de Actividades Quito 1991 Häfner, F., und E. Krauter: Die Bedeutung der Luftbildanalyse für die Baugrunderkundung. In: Deutsche Gesellschaft für Erd- und Grundbau (Hrsg.): Vorträge der Baugrundtagung 1980 in Mainz. Essen 1980 Heim, A.: Bergsturz und Menschenleben. Zürich 1932 Holmson, G.: De siste bergskred i Tafjord og Loen, Norge. Geografiska Institutionen Meddlelande 1936 (Svensk geografisk årsbok, Lunds universitet, H. 124) Ives, J. D.: Glacial Lake Outburst Flood and Risk Engineering in the Himalaya. Kathmandu 1986 (ICIMOD Occassional Paper, No. 5) Jones, P., und D. Parker: Global warming continues in Science 1990 (247) Seite 9
10 Jaeger, J.: The changing atmosphere. Proc. Conference on the Changing Atmosphere: Implication for Global Security, World Meteorological Organization 1988 Krauter, E.: Phänomenologie natürlicher Böschungen (Hänge) und ihrer Massenbewegungen. In: U. Smoltczyk (Hrsg.): Grundbau-Taschenbuch, Teil 1. Berlin 1990 Krauter, E.: Hangrutschungen - ein Umweltproblem. In: H. J. Matthias und A. Grün (Hrsg.): Ingenieurvermessung 92 - Beiträge zum XI. Internationaler Kurs für Ingenieurvermessung in Zürich , Bonn 1992 Krauter, E., und H.-J. Matthesius: Holocene and recent landslides in Germany in relationship to changing climate. Workshop on Rapid Mass Movement and Climatic Variation During the Holocene October Mainz 1994 (in Vorbereitung) Lean, G.: Himalayas Are Being Washed Away. New Delhi 1983 (Times of India New Delhi 11. Juni 1983) Ministry of Geology and Mineral Resoures. State Science & Technology Commission, State Planing Commission, PRC: Geological Hazards of China und their Prevention and Control. Beijing 1990 Nationales Forschungsprogramm NFP 31: Klimaänderungen und Naturkatastrophen. Bern Nonveiler, E.: Zur Frage der Felsrutschung im Vajont-Tal. Felsmechanik und Ingenieurgeologie (1967) H.5 Pudaisin, S. P.: Environment Crisis Integrated Action Required. (Independent Newspaper) Kathmandu ( ) Reuter, F., K. J. Klengel, und J. Pasek: Ingenieurgeologie. Leipzig - Stuttgart 1992 Reynolds, J.: Geological hazards in the Cordillera Blanca, Peru. News, official newsletter of the Association of Geoscientists for International Development No. 61/62, Bangkok 1990 State Commission of Science and Technology and Ministry of Geology and Mineral Resources, P.R.C.: Landslides and Rockfalls of Yangtze Gorges. Song Jian 1988 Therzagi, K.: Mechanics of Landslides. Geol. Soc. of Am. New York 1950 UNESCO-Working Party for World Landslide Inventory der internationalen geotechnischen Gesellschaften: Multilingual Glossary for Landslides. Kanada 1994 Seite 10
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