NEWSBOX Wirtschafts- und Steuerrecht Ausgabe 091, Datum
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- Gitta Biermann
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1 Schadensersatz wegen Benachteiligung wegen der (Schwer-) Behinderung unterbliebene Erhöhung der Wochenarbeitszeit Verfasser Prof. Dr. Tim Jesgarzewski FOM Hochschule für Oekonomie & Management Bremen KCW KompetenzCentrum für Wirtschaftsrecht Hamburg Prof. Dr. Jesgarzewski & Kollegen Rechtsanwälte Lange Str. 3, Osterholz-Scharmbeck Tel Fax Klassifizierung Rechtsprechung; Arbeitsrecht Stichworte Arbeitsrecht; Benachteiligung wegen Schwerbehinderung; Schadensersatzanspruch Abstrakt Bei einem Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot ist der Arbeitgeber verpflichtet, den hierdurch entstandenen Schaden zu ersetzen. Das Benachteiligungsverbot bezieht sich auf die Merkmale des 1 AGG (Allgemeines Gleichbahandlungsgesetz). Danach ist u.a. eine Benachteiligung wegen der Behinderung zu verhindern oder zu beseitigen. Der Arbeitnehmer hat es in der Praxis schwer, eine solche Benachteiligung zu beweisen. Deshalb schafft 22 AGG eine Beweiserleichterung. Danach muss der Arbeitnehmer nur Indizien beweisen, die eine Benachteiligung wegen eines in 1 genannten Grundes vermuten lassen. Das ist der Fall, wenn Indizien vorliegen, die mit überwiegender Wahrscheinlichkeit darauf schließen lassen, dass ein in 1 AGG genannter Grund ursächlich für die Benachteiligung war. Den Arbeitgeber trifft dann der Entlastungsbeweis. 091/2017 Schadensersatz wegen Benachteiligung wegen der (Schwer-) Behinderung Seite 1
2 I. Einleitung Durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) hat der Gesetzgeber eine spezialgesetzliche Ausprägung des allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatzes des Art. 3 Grundgesetz (GG) vorgenommen. Hintergrund des gesetzgeberischen Handels war die Umsetzung der sog. Antirassismusrichtlinie (2000/43/EG), der Rahmenrichtlinie Beschäftigung (2000/78/EG), der Gender-Richtlinie (2002/73EG) und der Richtlinie zur Gleichstellung der Geschlechter auch außerhalb der Arbeitswelt (2004/113/EG). Der Zweck des AGG zielt darauf, seine Wertentscheidungen in alle Bereiche des (Arbeits-) Rechts einfließen zu lassen. Das AGG statuiert ein Allgemeines Benachteiligungsverbot, das in alle Bereiche des Zivilrechts ausstrahlt. Schutzobjekt des Gesetzes ist dabei kein konkreter Personenkreis. Abgestellt wird auf gesetzlich normierte Merkmale, die den Schutzbereich eröffnen. Für das Arbeitsrecht wurde dabei ein eigenes Anwendungsfeld geschaffen, das durch eigens für das Arbeitsrecht formulierte Einzelnormen abgegrenzt wird. Hieraus resultieren wiederum bestimmte arbeitsrechtliche Teilbereiche, die jeweils für sich betrachtet konkrete Rechtsfolgen nach sich ziehen. Ein wesentliches Instrument ist der Schadensersatz wegen einer Benachteiligung nach 15 I AGG. II. Sachstand Will der Arbeitnehmer Schadensersatz wegen einer Benachteiligung wegen einer Schwerbehinderung geltend machen, muss er im Rahmen der Beweisverteilung nach 22 AGG einen Indizienbeweis führen. 22 AGG lautet im Wortlaut: Wenn im Streitfall die eine Partei Indizien beweist, die eine Benachteiligung wegen eines in 1 genannten Grundes vermuten lassen, trägt die andere Partei die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat. Ist der Indizienbeweis erbracht, muss der Arbeitgeber den Gegenbeweis führen, sich also entlasten. Eine Beweislastumkehr liegt darin folglich nicht. Der Arbeitnehmer erhält nur eine Beweiserleichterung. Der Arbeitnehmer hat zu beweisen, dass er vergleichsweise schlechter behandelt wurde als eine andere Person, die nicht das gegenständliche Merkmal nach 1 AGG aufweist. Darauf bezieht sich wiederum die Beweiserleichterung. Der Arbeitnehmer muss das Vorliegen einer Maßnahme und Schlechterbehandlung beweisen. Die Ungleichbehandlung muss dagegen nur durch Indizien insoweit bewiesen werden, als sie danach zu vermuten ist. 091/2017 Schadensersatz wegen Benachteiligung wegen der (Schwer-) Behinderung Seite 2
3 III. Entscheidung des Gerichts Das Bundesarbeitsgericht (Urteil vom 26. Januar AZR 736/15) hatte vor diesem Hintergrund über den folgenden Sachverhalt zu entscheiden. Der Kläger arbeitet mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 27,5 Stunden. als Kurier bei der Beklagten. Er ist mit einem GdB von 50 als schwerbehinderter Mensch anerkannt. Die Beklagte betreibt einen Express- Versand und Transport-Service. Später hat die Beklagte ein Stundenvolumen von insg. 66,5 Stunden an die Belegschaft unbefristet verteilt. Die Stunden wurden an 14 teilzeitbeschäftigte Kuriere aufgeteilt. Mit diesen sind sodann entsprechende Änderungsverträge abgeschlossen worden. Der Kläger begehrte auch eine Erhöhung seiner Wochenstundenzahl, wurde jedoch nicht berücksichtigt. Ein Kollege des Klägers, der in derselben Station wie der Kläger eingesetzt war, hat gleichfalls keine Stundenerhöhung erhalten. Alle anderen Teilzeitmitarbeiter mit einem Wunsch nach einer Stundenerhöhung wurden dagegen berücksichtigt. Der Kläger macht eine Erhöhung seiner wöchentlichen Arbeitszeit geltend. Zusätzlich hilfsweise begehrt er einen Schadensersatzanspruch nach 15 Abs. 1 AGG in Höhe der ihm entgangenen Vergütung, da die Beklagte ihn bei der Vergabe der Stundenerhöhungen wegen seiner Schwerbehinderung benachteiligt habe. Die Vorinstanz hat dem Kläger Schadensersatz in Höhe des ihm entgangenen Verdienstes zugesprochen (Hessisches Landesarbeitsgericht, Urteil vom 25. September Sa 520/14). Das Bundesarbeitsgericht hat das Berufungsurteil aufgehoben. Die Sache wurde zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen. Das Landesarbeitsgericht habe den Inhalt der Beweislastregel des 22 AGG verkannt. Die Berufungsinstanz sei davon ausgegangen, dass von der Beklagten nicht widerlegte Indizien vorgelegen hätten, die eine Benachteiligung des Klägers wegen seiner Schwerbehinderung vermuten ließen. Dies sei rechtsfehlerhaft. Die Vermutung einer Benachteiligung wegen eines in 1 AGG genannten Grundes bestehe nur, wenn Indizien vorliegen, die mit überwiegender Wahrscheinlichkeit darauf schließen lassen, dass ein in 1 AGG genannter Grund ursächlich für die Benachteiligung war. Die reine Möglichkeit einer Ursächlichkeit reiche dafür nicht aus. Da die durch das Landesarbeitsgericht bisher getroffenen Feststellungen für eine Entscheidung in der Sache nicht ausreichend waren, konnte der Senat den Rechtsstreit nicht abschließend entscheiden, so dass er zur weiteren Sachaufklärung zurück gewiesen wurde. 091/2017 Schadensersatz wegen Benachteiligung wegen der (Schwer-) Behinderung Seite 3
4 IV. Fazit Beansprucht ein Arbeitnehmer Schadensersatz nach 15 I AGG, muss er im Rahmen des 22 AGG Beweis führen. Die Beweisführung für eine Benachteiligung wegen eines Merkmals nach 1 AGG wird zwar durch 22 AGG erleichtert, ist praktisch aber gleichwohl noch mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden. Das verdeutlicht die vorliegende Entscheidung. Nach der Beweiserleichterung des 22 AGG muss der Anspruchsteller zwar nur noch das Vorliegen von Indizien beweisen, für diese ist jedoch der Vollbeweis zu erbringen. Erst nach der Erbringung des Vollbeweises über solche Indizien hat der Arbeitgeber den Entlastungsbeweis zu führen. Nach dem Wortlaut des 22 AGG müssen die Indizien eine Benachteiligung wegen eines in 1 AGG genannten Grundes vermuten lassen. Diese Vermutungsregel ist auslegungsbedürftig. Die Auslegungsspielräume werden durch das BAG in ständiger Rechtsprechung dahingehend konkretisiert, dass die Indizien den Rückschluss auf eine Benachteiligung mit einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit feststellen lassen müssen (siehe etwa BAG, Urteil vom AZR 355/10 mwn). Das hier vorliegende Urteil bestätigt diese Linie. Es ist Sache der Tatsachengerichte, ihre Urteilsfindung anhand des vorgenannten Maßstabes zu begründen. Dafür sind die Umstände des Einzelfalls unter Würdigung der bewiesenen und unstreitigen Tatsachen zu betrachten. Danach müssen die Indizien den logischen Rückschluss auf eine Benachteiligung nach sich ziehen. Daraus folgt, dass der Arbeitnehmer darlegen und beweisen muss, dass hinreichende Indizien vorliegen, die mit einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit den Rückschluss auf eine Benachteiligung nach sich ziehen. Hat ein Arbeitgeber keine dahingehenden Anknüpfungstatsachen gesetzt, dürfte dies in der Praxis kaum möglich sein. Wie schwierig die Beweisführung selbst noch für die erforderlichen Indizien ist, zeigt sich etwa an der inzwischen ausdifferenzierten Rechtsprechung zu Benachteiligungen wegen einer Behinderung im Rahmen von Einstellungsverfahren. 091/2017 Schadensersatz wegen Benachteiligung wegen der (Schwer-) Behinderung Seite 4
5 Dort gilt hinsichtlich einer nicht erfolgten Einladung eines schwerbehinderten Bewerbers zum Vorstellungsgespräch das Folgende: Bei öffentlichen Arbeitgebern ist eine Benachteiligung wegen der gesetzlichen Verpflichtung zur Einladung nach 82 I S. 2 SGB IX indiziert (BAG, Urteil vom AZR 375/15). Bei privaten Arbeitgebern gilt diese Indizwirkung zwar nicht, kann sich jedoch aus der entgegen 81 I SGB IX nicht erfolgten Einschaltung der Bundesagentur für Arbeit ergeben (BAG, Urteil vom AZR 839/08). Für öffentliche wie private Arbeitgeber gilt: Das Fehlen einer Begründung im Ablehnungsschreiben indiziert eine Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung für sich genommen nicht (BAG, Urteil vom AZR 180/12). Arbeitnehmer haben daher bereits bei der Erbringung des Beweises für Indizien eine hohe Hürde zu nehmen. Arbeitgeber sollten selbstredend jedoch gleichwohl jeden Anschein von Diskriminierungen von vorn herein vermeiden. Alleine der (unberechtigte) Vorwurf eines diskriminierenden Verhaltens kann zu Reputationsschäden führen, die materielle Schäden in Form von Schadensersatzansprüchen überwiegen dürften. 091/2017 Schadensersatz wegen Benachteiligung wegen der (Schwer-) Behinderung Seite 5
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