Hand Präzisionswerkzeug zum Greifen und Fühlen

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1 KOMPAKT Die Hand Präzisionswerkzeug zum Greifen und Fühlen Neuroprothesen Smarter Handersatz Händigkeit Geht doch mit links YANYONG / GETTY IMAGES / ISTOCK (AUSSCHNITT) Therapie Gibt es heilende Hände?

2 EDITORIAL IMPRESSUM Folgen Sie uns: Michaela Maya-Mrschtik Liebe Leserin, lieber Leser, Hand aufs Herz: Haben Sie heute schon einmal über Ihre Hände nachgedacht? Wahrscheinlich nicht, dabei sind sie doch ein faszinierendes Präzisionswerkzeug. Wir greifen, deuten, berühren, schreiben und arbeiten, alles mit Hilfe unserer Hände. Manche machen das, so wie ich, lieber mit links die meisten Menschen sind allerdings Rechtshänder. Warum, und was das mit unserem Gehirn zu tun hat, behandeln wir in diesem Kompakt ebenso wie neuartige Handpro thesen, die es ihren Trägern ermöglichen, wieder mit beiden Händen zuzupacken. Eine spannende Lektüre wünscht Ihnen Erscheinungsdatum dieser Ausgabe: Chefredakteure: Prof. Dr. Carsten Könneker (v.i.s.d.p.), Dr. Uwe Reichert Redaktionsleiter: Dr. Hartwig Hanser, Dr. Daniel Lingenhöhl Art Director Digital: Marc Grove Layout: Oliver Gabriel Schlussredaktion: Christina Meyberg (Ltg.), Sigrid Spies, Katharina Werle Bildredaktion: Alice Krüßmann (Ltg.), Anke Lingg, Gabriela Rabe Produktmanagerin Digital: Antje Findeklee Verlag: Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbh, Tiergartenstr , Heidelberg, Tel , Fax ; Amtsgericht Mannheim, HRB , UStd-Id-Nr. DE Geschäftsleitung: Markus Bossle, Thomas Bleck Marketing und Vertrieb: Annette Baumbusch (Ltg.) Leser- und Bestellservice: Helga Emmerich, Sabine Häusser, Ute Park, Tel , Die Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbh ist Kooperationspartner der Nationales Institut für Wissenschaftskommunikation ggmbh (NaWik). Bezugspreis: Einzelausgabe 4,99 inkl. Umsatzsteuer Anzeigen: Wenn Sie an Anzeigen in unseren Digitalpublikationen interessiert sind, schreiben Sie bitte eine an Sämtliche Nutzungsrechte an dem vorliegenden Werk liegen bei der Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbh. Jegliche Nutzung des Werks, insbesondere die Vervielfältigung, Verbreitung, öffentliche Wiedergabe oder öffentliche Zugänglichmachung, ist ohne die vorherige schriftliche Einwilligung des Verlags unzulässig. Jegliche unautorisierte Nutzung des Werks berechtigt den Verlag zum Schadensersatz gegen den oder die jeweiligen Nutzer. Bei jeder autorisierten (oder gesetzlich gestatteten) Nutzung des Werks ist die folgende Quellenangabe an branchenüblicher Stelle vorzunehmen: 2017 (Autor), Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbh, Heidelberg. Jegliche Nutzung ohne die Quellenangabe in der vorstehenden Form berechtigt die Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbh zum Schadensersatz gegen den oder die jeweiligen Nutzer. Bildnachweise: Wir haben uns bemüht, sämtliche Rechteinhaber von Abbildungen zu ermitteln. Sollte dem Verlag gegenüber der Nachweis der Rechtsinhaberschaft geführt werden, wird das branchenübliche Honorar nachträglich gezahlt. Für unaufgefordert eingesandte Manuskripte und Bücher übernimmt die Redaktion keine Haftung; sie behält sich vor, Leserbriefe zu kürzen. 2

3 INHALT 04 WAHRNEHMUNG Verzerrtes Selbstbild 04 WAHRNEHMUNG Verzerrtes Selbstbild 10 HÄNDIGKEIT Geht doch mit links! 17 MOTORIK Schnelle Anpassung 19 SCHRIFTARTEN Von Hand gelernt 24 KÖRPERILLUSIONEN Heilsame Reflexionen KANGAH / GETTY IMAGES / ISTOCK 29 SCHRUMPELEFFEKT Sicher zupacken 34 NEUROPROTHESEN Noch einmal mit Gefühl! 41 KÜNSTLICHE GLIEDMASSEN 10 HÄNDIGKEIT Geht doch mit links! KOMPLEMENTÄRMEDIZIN Können Hände heilen? 48 Alles im Griff 48 KOMPLEMENTÄRMEDIZIN WEBPHOTOGRAPHEER / GETTY IMAGES / ISTOCK DIEGO_CERVO / GETTY IMAGES / ISTOCK ROBERTPRZYBYSZ / GETTY IMAGES / ISTOCK BEGRÜSSUNGSRITUALE Warum wir die Hände schütteln 56 Können Hände heilen? 56 BEGRÜSSUNGSRITUALE Warum wir die Hände schütteln 3

4 WAHRNEHMUNG Verzerrtes Selbstbild von Sylvia Hach GOLERO / GETTY IMAGES / ISTOCK 4

5 Rechtshändern erscheint ihre rechte Körperhälfte oft größer als die linke. Wie kommt das? Laut Studien an Schlaganfallpatienten gründet die asymmetrische Eigenwahrnehmung darauf, wie das Gehirn unser Körperbild erschafft. Gedränge auf den Gehwegen, überfüllte Geschäfte ein Samstag in der Innenstadt kann anstrengend sein. Während wir in Gedanken die Liste der Erledigungen durchgehen, schlängeln wir uns durch die Menschenmassen. Und wir müssen dabei nur selten bewusst über eine brisante Frage nachdenken: Wie vermeiden wir es eigentlich, mit anderen Passanten zusammenzustoßen? Ganz automatisch analysiert unser Gehirn permanent die Position unseres Körpers relativ zum entgegenkommenden Menschenstrom. Sich ohne Rempler durch ihn hindurchzumanövrieren, klappt allerdings nur, wenn wir unsere Körperdimensionen, etwa Schulter- und Hüftbreite, stets vor dem inneren Auge präsent haben. Manchmal verschätzen wir uns und schon kommt es beim Zickzackkurs zu Kollisionen. In einer Reihe von Untersuchungen am Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig stellte ich gemeinsam mit meinen Kollegen fest, dass vor allem Rechtshänder Probleme mit der Wahrnehmung ihres Körpers haben. Das sorgte für einige Überraschungen.»Verrückt, wo kommen denn auf einmal diese Knöpfe her?«, wunderte sich einer unserer Probanden, als er die Augenmaske abnahm. Im»Fluff Test«hatte er einen von uns entworfenen Anzug, den er trug, blind nach den darauf angebrachten Knöpfen abgetastet. Dabei hatte er zahlreiche Stellen ausgespart, vor allem auf der linken Körperseite. Im Verlauf unserer Untersuchung stellten wir fest, dass dieses Problem bei Rechtshändern systematisch auftrat, während Linkshänder die Knopfsuche vergleichsweise erfolgreich bewältigten. Doch nicht nur das: Verdeckten wir bei einem anderen Test, der so genannten»zeigeaufgabe«, den Körper unserer Probanden mit einer Wand, so dass sie ihre Taille und Hüfte nicht sehen AUF EINEN BLICK Sc hieflage 1 Rechtshänder überschätzen häufig ihre rechte Körperhälfte im Vergleich zur linken. Bei Linkshändern tritt dieser Effekt dagegen nicht auf. 2 An Gesunden erprobte Tests könnten helfen, bei Schlaganfallpatienten Störungen der Eigenwahrnehmung zu diagnostizieren. 3 Studien deuten darauf hin, dass der rechte Temporallappen für ein intaktes Körperbild wichtig ist. 5

6 konnten, schätzten sie ihre rechte Körperseite augenscheinlich zu breit ein. Die Mehrheit der Bevölkerung geht offenbar mit einem verzerrten Selbstbild durchs Leben! Allerdings erscheint nur die selbstbezogene Wahrnehmung von Rechtshändern asymmetrisch. Betrachten sie ihren Körper allozentrisch, also quasi»von außen«, erscheint ihnen die Ausdehnung der linken und der rechten Seite gleich. So sollten sich unsere Probanden in einem weiteren Experiment vorstellen, sie stünden 40 Zentimeter vor ihrer eigentlichen Position. Daraufhin galt es, die eigene Taille und Hüfte geistig auf eine in dieser Entfernung platzierte Wand zu projizieren, indem die Teilnehmer auf die jeweilige Stelle zeigten. Ein spezielles Computerprogramm wertete die Genauigkeit der Bewegungen aus. In dieser abgewandelten Form des Wahrnehmungstests trat die Verzerrung nicht auf. Wenn wir ein Foto von uns betrachten, scheint also alles wieder im Lot zu sein. Dieser Befund deutet darauf hin, dass zwei verschiedene Formen der Körperrepräsentation existieren. Bei der egozentrischen Wahrnehmung handelt es sich um die momentane Empfindung, die gefragt ist, wenn wir uns einen Weg durch die überfüllte Innenstadt bahnen oder per Augenmaß zu beurteilen versuchen, ob uns eine Hose passen könnte. Hingegen kommt die allozentrische Außenbetrachtung zum Tragen, wenn wir uns selbst aus anderer Perspektive sehen und unseren Körperbau etwa mit dem anderer Menschen vergleichen. Bei Rechtshändern ist offenbar nur die erste Wahrnehmungsform asymmetrisch. Die merkwürdigen Symmetrieprobleme der Rechtshänder beschränken sich nicht auf den eigenen Körper. Sie nehmen auch ihre Umgebung verzerrt wahr. So zeigten frühere Studien, dass sie die Mitte einer Linie, die durch einen simplen Strich in zwei gleich lange Hälften geteilt werden soll, im Schnitt zu weit links ansetzen. Dies erinnert an eine Wahrnehmungsstörung mancher Schlaganfallpatienten: Sind bei GEWUSST WO? In der»zeigeaufgabe«stehen die Probanden hinter einer Wand, die ihren Körper komplett verdeckt. Sollen sie nun von vorn mit einem Laserpointer die Position ihrer rechten und linken Hüfte sowie ihrer Taille angeben, schätzen sie ihre rechte Körperhälfte im Schnitt zu breit ein. SPEKTRUM DER WISSENSCHAFT / EMDE-GRAFIK 6

7 ihnen Regionen im Parietal- oder Scheitellappen des Gehirns beschädigt, so scheinen die Patienten eine Seite der Welt zu vernachlässigen. Bei dem als Neglect bezeichneten Phänomen werden Reize aus jener Seite der Umwelt, die der verletzten Hemisphäre gegenüberliegt, systematisch übersehen. Gekreuzte Sinnespfade So ignorieren manche Personen mit einer rechtsseitigen Läsion Hindernisse und Personen, die sich auf ihrer linken Seite befinden, oder bitten beim Essen um Nachschlag, obwohl die linke Hälfte ihres Tellers noch voll ist. Bei der Linienhalbierung machen sie den umgekehrten Fehler wie Rechtshänder und setzen die Mitte viel zu weit rechts an. Offenbar haben sie die linke Hälfte der Linie komplett»vergessen«. Diese Beobachtungen nahmen wir zum Anlass, den eingangs beschriebenen»fluff Test«und die»zeigeaufgabe«auch bei Schlaganfallpatienten anzuwenden. Patientenberichte wiesen nämlich darauf hin, dass die Eigenwahrnehmung auch nach Hirnschädigungen oft verzerrt ist.»eine Art Befremden«spüre sie manchmal, erzählte eine Frau,»als ob meine linke Körperhälfte weit entfernt wäre oder nicht mir gehöre.«bei einem Schlaganfall drei Jahre zuvor hatte ein Blutgerinnsel einen Teil ihrer rechten Hirnhälfte geschädigt. Tatsächlich schnitten unsere 18 Schlaganfallpatienten im»fluff Test«schlechter ab als Gesunde. Sie fanden insgesamt weniger Knöpfe vor allem auf jener Körperseite, die der beschädigten Hirnhälfte gegenüberlag. Dieses Ergebnis passt ins Bild der gekreuzten Wahrnehmung. Vereinfacht gesagt ist die rechte Hirnhälfte nämlich für Signale zuständig, die von links eintreffen, während die linke Hemisphäre Reize von rechts weiterleitet. Ein rechtsseitiger Infarkt führt also dazu, dass die Betroffenen ihre linke Körperseite vernachlässigen. Auch bei der»zeigeaufgabe«schnitten die Patienten schlechter ab. Allerdings waren die Ergebnisse hier weniger eindeutig: Bei einer rechtsseitigen Läsion etwa war bei manchen Menschen vor allem die rechte Körperhälfte vom verminderten Urteilsvermögen betroffen, bei anderen die linke. Um herauszufinden, welche Hirnareale die Probleme verursachten, verwendeten wir ein spezielles bildgebendes Verfahren, die symptomorientierte voxelbasierte Läsionsanalyse. Überraschenderweise schie- Wie Forscher neurologische Ausfälle orten BILDGEBENDE VERFAHREN MACHEN ES MÖGLICH: Die»symptomorientierte voxelbasierte Läsionsanalyse«zerlegt zum Beispiel das Gehirn von Schlaganfallpatienten im Scanner virtuell in viele kleine Würfel. Für jeden dieser dreidimensionalen Voxel ermitteln Forscher, ob eine Gewebeschädigung vorliegt oder nicht. SO ERGEBEN SICH PRO VOXEL JE- WEILS ZWEI PATIENTENGRUPPEN: eine mit Läsion und eine ohne. Zwischen diesen wird nun statistisch geprüft, ob die interessierende Variable zum Beispiel eine Störung in der Körperwahrnehmung unterschiedlich ausfällt. Das ermöglicht die Ortung geistiger Funktionen im Gehirn. (Bates, E. et al.: Voxel-Based Lesion-Symptom Mapping. In: Nature Neuroscience 6, S , 2003) 7