P R E S S E I N F O R M A T I O N. Gießener Milchforscher auf der Spur des Säuglingskillers
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- Reiner Waltz
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1 P R E S S E I N F O R M A T I O N Gießener Milchforscher auf der Spur des Säuglingskillers Vier Wissenschaftler erhalten den Stockmeyer Wissenschaftspreis 2017 für Untersuchungen zur Verbreitung von Cronobacter in Säuglingsnahrung und dessen Identifizierung Der Titan Kronos frisst in der griechischen Mythologie seine Kinder und wurde so zum Taufpaten der Bakteriengattung Cronobacter. Diese Erreger erlangten in den letzten Jahren traurige Berühmtheit als Auslöser oft tödlicher Infektionen bei Säuglingen. Gerade die besonders empfindlichen Früh- und Neugeborenen erkrankten an Blutvergiftung, Darmentzündung und Gehirnhautentzündung. Ursache war in der Regel mangelnde Hygiene, sodass die allgegenwärtigen Keime insbesondere über Trockenmilch ihre Opfer fanden: Das Pulver muss jedes Mal neu mit frisch abgekochtem Wasser zubereitet und sofort gefüttert werden, abgestandene Reste dürfen nicht mehr verwendet werden. Vier Forscher an der Professur für Milchwissenschaften im Fachbereich Veterinärmedizin der Justus-Liebig-Universität Gießen widmeten sich intensiv den als Säuglingskiller in Verruf geratenen Bakterien. Für diese Forschungsarbeit erhalten die Autoren den Stockmeyer Wissenschaftspreis Cronobacter ist überall er wurde sogar schon in frisch gespülten Krügen im Biergarten nachgewiesen. Ein gesunder erwachsener Organismus hat keine Probleme mit dem Keim. Und vermutlich sind nicht alle der sieben bekannten Arten gefährlich, fanden die Gießener Forscher heraus. Ömer Akineden, Vanessa Heinrich, Madeleine Groß und Ewald Usleber publizierten unlängst das Ergebnis umfangreicher Untersuchungen an einer Vielzahl von Säuglingsnahrungsmitteln. Sie fanden unter anderem, dass die Kontamination weder vom Hersteller noch von der Zusammensetzung der Produkte abhing. Der Stockmeyer Wissenschaftspreis wird im Rahmen der 58. Arbeitstagung Lebensmittelhygiene am 28. September 2017 in Garmisch-Partenkirchen durch den Vorsitzenden des Stiftungskuratoriums, Prof. Dr. Manfred Gareis verliehen. Der Preis ist mit Euro dotiert. Mit der Auszeichnung will die gemeinnützige Heinrich-Stockmeyer-Stiftung Arbeiten mit besonderem Praxisbezug und anwendungsorientierte Forschung zur Erzielung von mehr Lebensmittelsicherheit fördern und damit zur Stärkung des Verbrauchervertrauens in die Qualität von Lebensmitteln beitragen.
2 Die Preisträger und ihre Arbeit: Dr. Ömer Akineden Tierarzt, Justus-Liebig-Universität Gießen, Professur für Milchwissenschaften, Dr. Vanessa Heinrich Tierärztin, Kleintierpraxis Dr. Anita K. Seide, Weyhe Prof. Dr. Madeleine Groß Tierärztin, Justus-Liebig-Universität Gießen, Juniorprofessur für Veterinärmedizinische Lebensmitteldiagnostik, Univ.-Prof. Dr. Ewald Usleber Tierarzt, Justus-Liebig-Universität Gießen, Professur für Milchwissenschaften, Identifizierung und Bewertung von Cronobacter spp. in Lebensmittelproben, insbesondere in Säuglingsnahrung Der Keim hieß einst Enterobacter sakazakii. Schon als solcher war er ein Meister des Überlebens und suchte sich überall seine Nischen viele Stämme widerstehen Hitze und Trockenheit, so können die Bakterien auch in Milchpulver jahrelang überleben, wenn sie nach der an sich wirksamen Pasteurisie-
3 rung aus der Umwelt wieder in das Nahrungsmittel gelangen. Besondere wissenschaftliche und öffentliche Aufmerksamkeit erlangten die Keime um die Jahrtausendwende, als sich innerhalb relativ kurzer Zeit in mehreren Ländern Berichte über Todesfälle bei Neugeborenen häuften. In all diesen Fällen wurde "Enterobacter sakazakii" jeweils als wahrscheinlichste Ursache identifiziert. Es erkrankten vor allem Babys in Krankenhäusern, auf Entbindungs- und Neugeborenenstationen die empfindlichsten der kleinen Patienten, über Magensonden ernährte Frühgeborene oder Neugeborene mit pränatalen Vorschäden, waren entsprechend besonders betroffen. Bemerkenswert an dieser Infektion: Die Erkrankung verlief meist dramatisch und fulminant, in mehr als der Hälfte der Fälle tödlich. Blutvergiftung, heftige Darmentzündungen oder die gefürchtete Hirnhautentzündung schnell hatte Enterobacter sakazakii daher seinen Ruf als Säuglingskiller weg. Der seit 2007 etablierte Gattungsname Cronobacter ist der griechischen Mythologie entlehnt und erinnert an den Titan Kronos, der seine eigenen Kinder auffraß. Erst zweifelsfrei identifizierte Spezies lassen sich auch verfolgen Mehrere wissenschaftliche Arbeitsgruppen sowie Vertreter des öffentlichen Gesundheitswesens beschäftigten sich seitdem intensiv mit Cronobacter spp., trotzdem blieben noch zahlreiche Fragen offen, insbesondere bei der wissenschaftlichen Bewertung positiver Befunde in Säuglingsnahrung. Es gilt inzwischen als sicher, dass Hygienefehler bei Zubereitung oder beim Warmhalten von kommerzieller Säuglingsnahrung Ursache der meisten Erkrankungsfälle gewesen sein dürften. Aber welche Spezies? Vermutlich sind nicht alle der bekannten sieben Arten gleichermaßen gefährlich. Will man allerdings die Ausbreitung des Erregers verfolgen oder mögliche Kontaminationswege im Herstellerbetrieb verfolgen, ist eine möglichst genaue Identifizierung wichtig, da sich nur so Kausalzusammenhänge zweifelsfrei ermitteln lassen. Die Forscher an der Professur für Milchwissenschaften isolierten im Rahmen der Untersuchung von Säuglingsnahrungsmitteln und anderen Lebensmitteln seit dem Jahre 2003 mehrere hundert Stämme. Allerdings trugen fast alle lsolate noch den alten Namen Enterobacter sakazakii bzw. Cronobacter spp.. Für die jetzt ausgezeichnete Arbeit wählten die Gießener Forscher zunächst 80 lsolate aus Säuglingsnahrungsmitteln der Jahre 2003 bis 2006 aus und charakterisierten sie genauer. Alle lsolate wurden zunächst erneut systematisch gescreent, dann mit dem gesamten Spektrum der heute verfügbaren Methoden untersucht und neu hinsichtlich der in Frage kommenden Spezies eingestuft. Zusätzlich wurden weitere genetische Merkmale erfasst. Das wohl wichtigste Ergebnis der Untersuchungen war, dass alle 80 lsolate lediglich zwei Spezies angehören, allen voran C. sakazakii mit 73 lsolaten, und lediglich sieben lsolate gehörten zur Spezies C. malonaticus. Das zeigte, dass die Zusammensetzung der Säuglingsnahrung offensichtlich nicht ent-
4 scheidend ist, also auch in Folgenahrung mit zum Teil etwas komplexerer Zusammensetzung kein Vertreter der fünf anderen Spezies zu finden war. Dies ist insofern bemerkenswert, sagt Ewald Usleber, als nach unseren Untersuchungen Zutaten wie Getreide oder Früchte häufiger mit Spezies wie C. turicensis belastet sind. Dies zeige aber auch, dass die Zutaten in Folgenahrung nicht unbedingt eine relevante oder gar die dominierende Quelle für Cronobacter sind. Auch wenn ähnliche Untersuchungen auf die Dominanz dieser Spezies hindeuteten, so war das bisher in dieser Deutlichkeit unseres Wissens nicht beschrieben, erklärt Usleber. Ein einziges Gen erlaubt es, die wichtigsten Cronobacter zu unterscheiden Wer ist der Täter? Eine sichere Identifizierung der Spezies kann gegebenenfalls auch juristisch entscheidend sein. Die Gießener Veterinärmediziner zeigten, dass die Mehrzahl der bisher beschriebenen Systeme gerade zwischen C. sakazakii und C. malonaticus nicht sicher unterscheiden kann. Dies betrifft insbesondere die sogenannten speziesspezifischen PCR-Systeme. Lediglich unter Verwendung eines ganz bestimmten Gens konnten hier die Bakterien eindeutig identifiziert werden. Diese Methode kann damit als Mittel der Wahl bei Cronobacter-positiven Befunden in Säuglingsnahrung empfohlen werden, vor allem da nach Überzeugung der Forscher mit hoher Wahrscheinlichkeit nur die sichere Unterscheidung zwischen den beiden wichtigsten Vertretern relevant sein dürfte.
5 Ömer Akineden studierte bis 1993 Veterinärmedizin an der Universität Istanbul und promovierte 2006 im Fachbereich Veterinärmedizin der Justus-Liebig-Universität Gießen. Seit 2013 ist er Akademischer Rat an der dortigen Professur für Milchwissenschaften. Im selben Jahr erlangte er den Titel Doçent (Habilitation) im Bereich der Lebensmittelhygiene und technologie am Council of Higher Education (YÖK) in der Türkei. Sein Arbeitsschwerpunkt ist die Entwicklung und Anwendung mikrobiologischer, molekularbiologischer und immunchemischer Methoden zum Nachweis lebensmittelhygienisch relevanter Mikroorganismen und Toxine. Vanessa Heinrich studierte bis 2012 Veterinärmedizin und begann nach der tierärztlichen Approbation ein Promotionsstudium an der Justus-Liebig-Universität Gießen. Die Vergleichenden Untersuchungen zur Speziesdifferenzierung und -identifizierung von Cronobacter-Isolaten verschiedener Herkunft schloss sie Mitte des Jahres ab. Seit April 2017 arbeitet sie als Assistenzärztin in einer Kleintierpraxis in Weyhe. Madeleine Groß schloss das Studium der Tiermedizin, ebenfalls an der Justus-Liebig-Universität Gießen, im Jahr 2008 mit der tierärztlichen Approbation ab und promovierte dort im Jahr Seit 2016 ist sie W1-Professorin für Veterinärmedizinische Lebensmitteldiagnostik. Zu ihren Arbeitsschwerpunkten zählen die immunchemische Schnelldiagnostik in der Lebensmittelhygiene und Untersuchungen zu Medikamentenrückständen in Lebensmitteln tierischen Ursprungs. Ewald Usleber studierte Tiermedizin an der Ludwig-Maximilians-Universität München und promovierte dort Er habilitierte sich 1997 für die Fachgebiete Lebensmittelhygiene und Milchygiene an der tierärztlichen Fakultät der LMU München und wurde im Jahr darauf zum Privatdozenten für das Fach Milchhygiene ernannt. Im Jahr 2000 wurde er zum C4-Professor für Milchwissenschaften am Institut für Tierärztliche Nahrungsmittelkunde im Fachbereich Veterinärmedizin der Justus-Liebig-Universität Gießen ernannt. Forschungsschwerpunkte dort sind die Entwicklung und Anwendung von Testverfahren für lebensmittelhygienisch relevante schädliche Stoffe und Verunreinigungen. Die ausgezeichnete Arbeit Reassessment of Cronobacter spp. originally isolated as Enterobacter sakazakii from infant food erschien 2017 in der Fachzeitschrift Food Microbiology (Food Microbiology 65, 44 50; Heinrich-Stockmeyer-Stiftung Parkstraße Bad Rothenfelde Telefon: +49-(0)5424/ Telefax: +49-(0)5424/ Homepage:
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