Dr. Dietrich Engels ISG Institut für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik Zusammenhang von sozialer Lage und Teilnahme an Kultur-, Bildungs- und Freizeitangeboten für Kinder und Jugendliche Gliederung: 1. Konzeptioneller Ansatz 2. Armut und Teilhabe von Jugendlichen in Deutschland 3. Lebenslagen und Sichtweisen von Schülern am Beispiel des Saarlands 4. Schlussfolgerungen Vortrag am 10. November 2011 in Mainz Seite 1
1. Konzeptioneller Ansatz Lebenslagen von Kindern und Jugendlichen 1. Zentraler Stellenwert von schulischer und vorschulischer Bildung als Zugangsvoraussetzung zu späterer Erwerbstätigkeit 2. Einflussfaktoren: Gesundheit/ physische und kognitive Leistungsfähigkeit Familiäres und soziales Netzwerk hinreichender materieller Lebensstandard förderliches Wohnumfeld 3. Im außerschulischen Bereich: Teilhabe an Freizeitaktivitäten, Sport, Kultur etc. Seite 2
Armut von Kindern und Jugendlichen im Saarland I. Konzeptioneller Ansatz und Fragestellungen Bereiche der Lebenslage in Kindheit und Jugend Soziale Netzwerke Familie, Freunde Gesundheit physische und psychische Leistungsfähigkeit Vorschulische Bildung Sprachkompetenz, Sozialkompetenz Materielle Ressourcen Qualifikation Schul- und Berufsausbildung Partizipation Teilhabe an Kultur, Freizeit, Politik Einstieg in Erwerbsarbeit Wohnen Qualität der Wohnung, attraktive Wohnlage ISG 2010 Seite 3
1. Konzeptioneller Ansatz Belastete Lebenslagen: Einschränkungen in den Teilbereichen der Lebenslage 1. Bildungsdefizite und (z.t. migrationsbedingte) Sprachdefizite 2. Gesundheitliche Einschränkungen oder Behinderungen 3. Störfaktoren im familiären und sozialen Umfeld 4. unzureichende materielle Mittel 5. problematisches Wohnumfeld 6. Unzureichende Teilhabe an Freizeitaktivitäten, Sport, Kultur etc. Kumulierte Belastungen: mehrere Probleme kommen zusammen und verstärken sich wechselseitig Seite 4
2. Armut und Teilhabe von Jugendlichen in Deutschland Statistisches Armutsrisiko Armutsrisiko von Jugendlichen Deutschland (SOEP 2009) Insgesamt 20,2% männlich 18,2% weiblich 22,3% Leistungsbezug Mindestsicherung 7,4% Wohngeld 7,9% ISG 2011 Seite 5
2. Armut und Teilhabe von Jugendlichen in Deutschland Regelmäßiges Taschengeld Jugendliche in Deutschland (SOEP 2009) EUR pro Woche Insgesamt 80,4% 16,21 mit Armutsrisiko 69,8% 12,55 ohne Armutsrisiko 83,1% 17,43 ISG 2011 Seite 6
2. Armut und Teilhabe von Jugendlichen in Deutschland Schulische Unterstützung Schulisches Lernen und Armutsrisiko Jugendliche in Deutschland (SOEP 2009) Besuch Privatschule 6,2% 4,1% 6,8% insgesamt mit Armutsrisiko ohne Armutsrisiko bezahlte Nachhilfe 20,6% 31,1% 33,7% Unterstützung durch Eltern geringes Interesse an Leistungen keine Hilfe beim Lernen 25,4% 28,4% 24,6% 24,6% 26,8% 24,1% ISG 2011 Seite 7
2. Armut und Teilhabe von Jugendlichen in Deutschland Engagement in der Schule und Armutsrisiko Jugendliche in Deutschland (SOEP 2009) Klassensprecher Schülerzeitung Theater-, Tanzgruppe Chor, Musikgruppe freiwillige Sport-AG freiwillige sonstige AG 8% 11% 12% 15% 17% 14% 10% 34% 32% 35% insgesamt mit Armutsrisiko ohne Armutsrisiko 23% 27% 24% 32% 22% 27% 22% 29% keins dieser Engagements ISG 2011 31% 30% 35% Seite 8
2. Armut und Teilhabe von Jugendlichen in Deutschland Musikalische und sportliche Aktivitäten und Armutsrisiko Jugendliche in Deutschland (SOEP 2009) aktive Musiker 14% 25% darunter: mit kostenpfl. Unterricht 5% 18% mit Armutsrisiko ohne Armutsrisiko aktive Sportler 62% 70% darunter: im Verein kommerzieller Anb. Schule priv. Gruppe allein ISG 2011 11% 7% 15% 10% 17% 15% 11% 10% 46% 57% Seite 9
2. Armut und Teilhabe von Jugendlichen in Deutschland Zwischenfazit: Unterschiedliche Teilhabe je nach Armutsrisiko Jugendliche aus Familien mit Armutsrisiko nehmen in geringerem Maße an Kultur- und Sportangeboten, an Freizeit- und Bildungsangeboten teil als Jugendliche aus anderen Familien. Dies zeigt sich in der schulischen Bildung, in der Inanspruchnahme von Nachhilfeunterricht und im schulischen Engagement. Dies setzt sich im außerschulischen Bereich fort: Jugendliche aus armutsgefährdeten Familien machen zu geringeren Anteilen selbst Musik (und wenn, seltener mit Musikunterricht) und sind weniger sportlich aktiv (und wenn, seltener in Sportvereinen). Der Grundgedanke des Bildungs- und Teilhabepakets, an diesen Defiziten anzusetzen, ist daher einleuchtend. Seite 10
3. Lebenslagen und Sichtweisen von Schülern im Saarland 3. Lebenslagen und Sichtweisen von Kindern und Jugendlichen im Saarland Ergebnisse einer schriftlichen Schülerbefragung Teilnehmende Schulen: 1 Gymnasium 2 Gesamtschulen 2 Erweiterte Realschulen 1 Förderschule für Soziale Entwicklung 534 teilnehmende Schüler von der 6. bis zur 9. Klasse: 268 Jungen und 263 Mädchen Deutsche Staatsbürgerschaft: 472 Andere Staatsbürgerschaft: 50 Seite 11
3. Lebenslagen und Sichtweisen von Schülern im Saarland Kriterien zur Einordnung in die Gruppe der Kinder und Jugendlichen in belasteten Lebenssituationen Mit Belastung: Arbeitslosigkeit mindestens eines Elternteils Migrationshintergrund alleinerziehendes Elternteil Aufwachsen in betreuter Wohnform Seite 12
3. Lebenslagen und Sichtweisen von Schülern im Saarland Schule Schulleistungen Mit Belastung 54% 46% Ohne Belastung 65% 35% 0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100% Mathe, Deutsch und Englisch: sehr gut bis befriedigend Mathe, Deutsch oder Englisch: ausreichend und schlechter Seite 13
3. Lebenslagen und Sichtweisen von Schülern im Saarland Schule Nachhilfeunterricht (Filter: Note in Mathematik, Deutsch oder Englisch ausreichend oder schlechter) Mit Belastung 80% 20% nein ja Ohne Belastung 62% 38% 0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100% Seite 14
3. Lebenslagen und Sichtweisen von Schülern im Saarland Freizeit Freizeitaktivitäten (mehr als 2 Std. täglich) Fernsehen 37 36 im Internet surfen 23 35 Computerspiele/Playstation 12 17 Ohne Belastung Bücher lesen 8 12 Mit Belastung Freizeitsport 26 27 etwas mit der Familie unternehmen 7 13 0 5 10 15 20 25 30 35 40 Prozent Seite 15
3. Lebenslagen und Sichtweisen von Schülern im Saarland Lebenszufriedenheit (Angaben in %) Mit Belastung Ohne Belastung 45 35 10 5 5 56 35 4 23 Sehr zufrieden Eher zufrieden Eher unzufrieden Sehr unzufrieden Weiß nicht 0% 20% 40% 60% 80% 100% Seite 16
Armut von Kindern und Jugendlichen im Saarland Probleme nach Geschlecht (Angaben in %) an Selbstmord denken traurig sein selbst verletzen zu viel essen zu wenig essen Drogen männlich weiblich männlich weiblich männlich weiblich männlich weiblich männlich weiblich männlich weiblich 0% 20% 40% 60% 80% 100% gar nicht selten manchmal oft Seite 17
Armut von Kindern und Jugendlichen im Saarland Probleme der Schülerinnen und Schüler Rauchen Mit Belastung Ohne Belastung zu wenig essen selbst verletzen Mit Belastung Ohne Belastung Mit Belastung Ohne Belastung oft manchmal selten gar nicht traurig sein / einsam fühlen Mit Belastung Ohne Belastung an Selbstmord denken Mit Belastung Ohne Belastung 0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100% Seite 18
3. Lebenslagen und Sichtweisen von Schülern im Saarland Mit wem kannst Du am besten über Deine Sorgen reden Mutter 53% 61% Vater 27% 38% Freunden Lehrern 4% 5% 66% 63% Ohne Belastung Mit Belastung Psychologen / Sozialarbeiter 3% 7% keinem 3% 6% 0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% Seite 19
3. Schlussfolgerungen Zentrale Ergebnisse der Untersuchungen sind: Armutsgefährdung und anderweitig belastete Lebenslagen Schwierigkeiten in allen gesellschaftlichen Bereichen Belastete Kinder und Jugendliche werden mit größeren Herausforderungen konfrontiert und haben geringere Ressourcen, darauf zu reagieren (auch im sozialen Umfeld) Ihre Möglichkeiten der Teilhabe an Sport-, Kultur- und Freizeitangeboten sind in vielen Bereichen eingeschränkt. Seite 20
3. Schlussfolgerungen Daraus sind folgende Konsequenzen zu ziehen: Um Belastungen zu vermeiden, ist auf eine Präventionskette hinzuwirken, die Netzwerke für Förderung, Unterstützung, Bildung, Partizipation und Schutz für jedes Alter verknüpft. Um Armutsgefährdung zu vermeiden, muss bei den Familien angesetzt werden: Erwerbstätigkeit der Eltern ermöglichen bzw. ausweiten, Einkommensstruktur tragfähig gestalten Teilhabe von Kindern und Jugendlichen bedarf im schulischen und außerschulischen Bereich der Förderung. Daran müssen alle gesellschaftlichen Gruppen mitwirken (Vereine, Freizeitanbieter..). Das Bildungs- und Teilhabepaket setzt an relevanten Stellen an. Wichtig sind persönliche Ansprechpartner, um psychische und emotionale Belastungen aufzufangen. Dafür sind die Kapazitäten der Sozialarbeit (innerhalb und außerhalb der Schule) zu stärken. Seite 21
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Rückfragen und Anregungen an: Dr. Dietrich Engels und Christine Thielebein ISG Institut für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik e.v. Barbarossaplatz 2, 50674 Köln Tel. 0221 23 54 73 E-Mail: engels@isg-institut.de oder thielebein@isg-institut.de Seite 22