Predigt Stiftskirche Stuttgart 9. Sonntag nach Trinitatis 29. Juli 2018 Text: Jeremia 1, 1-10 Stiftspfarrer Matthias Vosseler 1,1 Dies sind die Worte Jeremias, des Sohnes Hilkijas, aus dem Priestergeschlecht zu Anatot im Lande Benjamin. 2 Zu ihm geschah das Wort des HERRN zur Zeit Josias, des Sohnes Amons, des Königs von Juda, im dreizehnten Jahr seiner Herrschaft 3 und hernach zur Zeit Jojakims, des Sohnes Josias, des Königs von Juda, bis ans Ende des elften Jahres Zedekias, des Sohnes Josias, des Königs von Juda, bis Jerusalem weggeführt wurde im fünften Monat. Jeremias Berufung 4 Und des HERRN Wort geschah zu mir: 5 Ich kannte dich, ehe ich dich im Mutterleibe bereitete, und sonderte dich aus, ehe du von der Mutter geboren wurdest, und bestellte dich zum Propheten für die Völker. 6 Ich aber sprach: Ach, Herr HERR, ich tauge nicht zu predigen; denn ich bin zu jung. 1
7 Der HERR sprach aber zu mir: Sage nicht:»ich bin zu jung«, sondern du sollst gehen, wohin ich dich sende, und predigen alles, was ich dir gebiete. 8 Fürchte dich nicht vor ihnen; denn ich bin bei dir und will dich erretten, spricht der HERR. 9 Und der HERR streckte seine Hand aus und rührte meinen Mund an und sprach zu mir: Siehe, ich lege meine Worte in deinen Mund. 10 Siehe, ich setze dich heute über Völker und Königreiche, dass du ausreißen und einreißen, zerstören und verderben sollst und bauen und pflanzen. Sonntag für Sonntag blicke ich ihm ins Gesicht. Egal, wer alles zum Gottesdienst kommt, er ist immer da. Immer an der gleichen Stelle. Die Rede ist von Jeremia, einer der beiden Propheten, die am Ausgang dargestellt sind. Jeremia, der mit dem langen Bart. Jeremia: Jung berufen, lang im Dienst: Mitte 20 wahrscheinlich und mindestens 45 Berufsjahre als Prophet: von 628 vor Christus bis zum 2
Ende des Südreichs, des Königreichs Juda im Jahr 587 und noch etwas darüber hinaus. Von Franz Werfel gibt es einen Roman über Jeremia ( Höret die Stimme 1937) mit vielen Zeitbezügen geschrieben und auf die damalige Zeit bezogen; etwa ein König Nebukadnezar, der deutlich Züge von Adolf Hitler trägt. Franz Werfel schildert ein berührerndes Schlußbild. Der alte Jeremia irrt durch das zerstörte Jerusalem, schließlich gelangt er zum Tempel. Er geht hinein in das jetzt offene Allerheiligste. Dort findet Jeremia im Schutt eine Scherbe, entdeckt Schriftzeichen darauf und kann sie entziffern damit du lebest Es ist ein Bruchstück von den Tafeln der zehn Gebote. Das muß und wird genügen als Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Dass du lebst.. Jeremia hinten bei uns in der Kirche, am Eingang/ bzw. Ausgang. Dass du lebst. Wort aus den zehn Geboten 1. Der Auftakt: Die Berufung Diese Worte im Predigttext: wie ein Filmvorspann, alles enthalten doch wird noch nichts verraten. Es wird nicht gesagt: wann und wo Jeremia berufen wurde, wer seine Gegner sind, vor denen er sich nicht fürchten soll 3
Das ist der Auftakt des Buches Jeremia. Mit der Berufung fängt alles an: 45 Jahre Prophetenleben, immer wieder unterbrochen auch, weil Jeremia mundtot gemacht wurde oder untertauchen musste. Ein Auftrag für ein ganzes Leben. Nun bin ich kein Prophet. Sie, Ihr seid es auch nicht. Muss aber auch nicht sein, wenn jede und jeder seine Talente hat. Was Gott in diesem Gespräch zu Jeremia sagt, kann er ebenso gut uns sagen mit unseren Aufträgen. Und wer kann schon sagen, dass die klein sind Jede Menge von dem, was Gott, aber auch von dem, was Jeremia hier sagt, kann ich mit unseren Aufträgen verbinden. Wo fange ich an? Am besten am Anfang Aufträge bekommen wir. 2. Bei Jeremia war von Anfang an, ja vor aller Anfang schon alles klar Aufträge sind keine selbstgewählten Aufgaben. Manchmal werden sie uns vor die Füße gelegt, manchmal stolpern wir darüber, manchmal sträuben wir uns auch. Zu Jeremia sagt Gott: Nicht nur vom Mutterleibe an, vorher schon war dein Auftrag klar. Was du tun sollst, steht schon fest. Dann ergibt sich ein Problem: Ich kann das nicht beweisen oder erklären. Ich war nicht dabei, als Gott sich dieses eine Leben ausgedacht hat. Das Drehbuch hat er mir auch nicht mitgegeben. So weit der Blick zurück. Vorausgeblickt wäre ein Leben mit Drehbuch langweilig: Ich müsste meinen Auftrag nicht suchen und würde auch keine 4
Überraschungen erleben. Unabhängig davon, was schon gesetzt ist: Wir Menschen sind gefühlt alles andere als fremdgesteuert, wir sind suchend und fragend unterwegs. So kann es auch passieren, dass ein unerwarteter Auftrag wichtiger und prägender wird als jedes zuvor selbst gesteckte Ziel. (Passiert mir immer wieder ) Deshalb bin ich auch der Meinung: Es ist Unsinn, dass heute alles irgendwie Sinn machen muss. Denn Sinn machen wir Menschen nicht. Wir finden ihn. Oft erst dann, wenn wir zurückblicken und gar nichts mehr machen können. Der Auftrag: 3mal zwei Verben Ausreißen und einreißen Zerstören und verderben Bauen und pflanzen Eine liste von Verben, die das ganze Buch durchziehen, immer wieder das gleiche. Immer wieder bauen und einreißen, pflanzen und ausreißen Das ist seine Aufgabe Und das erste Wort Jeremias: Ach Aha im hebräischen, Ach So eine Mischung aus Erschrecken über Gottes Auftrag und auch etwas Erstaunen. 5
Ach Herr, ein Seufzer Ach Herr, grad ich muß die schweren Botschaften dem Volk sagen: Beliebtheitsfaktor gleich Null. Wenn es ein Bühnenstück wäre: Jeremia immer wieder backstage im Gespräch mit Gott und dann kommt er wieder nach vorne, um wieder etwas zu sagen, was Gott ihm aufgetragen hat. Diese besonderen Aufträge, backstage, die gibt es nicht laufend, dieses besondere Reden Gottes im Leben. Bei Jeremia waren es drei Phasen, so schildert es uns das Buch. Dazwischen immer wieder Pause, normales Leben sozusagen, Pause auch mal zehn oder fünfzehn Jahre. Besondere Aufträge werden nicht täglich per Twitter Tweet mitgeteilt. Gott greift einzelne Situationen heraus. Der Auftrag Gottes Aufträge nehmen uns manchmal den Mut. Warum soll ausgerechnet ich das machen? Wahrscheinlich hat sich jeder von uns schon mal diese Frage gestellt. Wahrscheinlich hat jeder schon mal angesichts einer großen Aufgabe geschluckt, seine eigenen Fähigkeiten und Erfahrungen überschlagen und dann gedacht oder gesagt: Sorry da bin ich der Falsche! 6
Jeremia sagt: Ich tauge nicht. Und: Ich bin zu jung. Da ist er Mitte zwanzig eigentlich alt genug. Doch jung bedeutet hier auch so viel wie ohne das nötige Ansehen, ohne Autorität. Jeremia kommt aus einer Priesterfamilie vom Lande. Wahrscheinlich ahnt er es: Das Landei aus Anatot wird in Jerusalem niemand ernst nehmen bei denen, die die Nase etwas höher tragen. Mich nimmt doch wahrscheinlich niemand ernst, wird er sich gedacht haben. Ich schaffe das nicht. Ich tauge nicht. Wie viele denken das in ihrem Leben immer wieder? Ducken sich weg? Machen sich klein? Da gibt es jede Menge verborgener Talente. Gott ist da anders als all die Skeptiker, die mit ernsten Mienen fragen, ob da jemand seiner Aufgabe gewachsen ist. Gott ist erst recht anders als die Spötter, die den Daumen senken. Gott sagt: Nur Mut! Trau dich! Lass dich nicht einschüchtern von dem, was andere denken und sagen. Gott sagt auch dir und mir bei den Aufträgen unseres Leben: Fürchte dich nicht vor ihnen, denn ich bin bei dir! Aufträge fordern Stehvermögen. Jeremia hatte diesen Zuspruch Gottes nötig. 45 Jahre hat er in Gottes Auftrag gesprochen. Immer wieder vergebens. Wenn man das Buch Jeremia einmal am Stück, denkt man manches Mal. Der arme Kerl, dem blieb aber auch nichts erspart: er wurde verlacht, bedroht, verhaftet, in 7
eine stinkende Zisterne geworfen und schließlich außer Landes gebracht, einfach mitgenommen nach Ägypten. Späteren Überlieferungen zufolge wurde er dort im Exil in Ägypten dann sogar gesteinigt. Immer wieder beklagt er sich bei Gott über seinen Auftrag. Immer wieder möchte er ihm diesen Auftrag vor die Füße werfen, aber kommt doch nicht von ihm los. Keine andere Prophetengestalt im Alten Testament wird so eindrücklich beschrieben mit ihren inneren Kämpfen, den Niederlagen, dem Frust. Das ist eine Besonderheit bei Jeremia, dass sein Leben so deutlich hervortritt. Ich wünsche uns allen, dass uns diese Erfahrungen Jeremias, 45 Jahre Frust und Anfeindungen, erspart bleiben. Trotzdem können sich vermutlich viele auch darin wiederfinden: Manchmal ist unser Stehvermögen gefordert: nicht aufgeben, nicht locker lassen. Und manchmal spüren wir: Wenn du jetzt einbrichst, dann verrätst du alles, wofür du stehst. Das ist dann alles andere als bequem, aber gehört dazu, wenn wir unseren Aufträgen nicht ausweichen. Zuletzt: Aufträge sind nicht unsere Privatsache. Meistens sind wir in unserer kleinen Welt unterwegs: Familie, Schule oder Beruf. All das füllt uns aus so sehr, dass wir oft nicht wissen, wo uns der Kopf steht. Manchmal fühlen wir uns auch klein, wenn wir die Probleme dieser Welt sehen. Was können wir schon tun? 8
Jeremia wird zum Propheten für die Völker berufen. Größer, globaler geht es nicht. Manche Ausleger stoßen sich an diesem übersteigerten Selbstbewusstsein. Geht es nicht eine Nummer kleiner? Und einige alten Handschriften lesen nicht: Zum Propheten für die Völker habe ich dich bestimmt, sondern zum Propheten für mein Volk habe ich dich bestimmt. Es ist aber so gedacht, wie es da steht: Jeremias Auftrag steht in einem weiten Horizont. Für unsere Aufträge bedeutet das: Denk nicht zu klein! Auch wenn die Welt um uns herum verrückt spielt, gib die Hoffnung nicht auf! Auch wenn jetzt die Grenzen dicht gemacht werden, und Menschen auf ihrer Flucht ertrinken, dann setz dich weiter für einen menschenfreundlichen Gott ein. Und wenn jetzt wieder über Integration in unserem Land gestritten wird, dann überlass denen nicht das Feld, die alles nur schwarz-weiß malen und uns in der gesellschaftlichen Diskussion um Jahrzehnte zurück katapultieren. Und wenn du siehst, wie gerade der Rasen im Garten verwelkt, dann denkt über deinen Lebensstil nach. Dann frag: Was kann ich tun, damit diese schöne Welt nicht vor die Hunde geht? Der Auftrag Gottes in meinem Leben? Haben sie das schon einmal gefragt: Dem Auftrag nicht ausweichen. Das Gegenbild zu Jeremia ist der Beginn der Geschichte des Propheten Jona: Der will erst einmal in die entgegengesetzte Richtung fahren als Gott ihm einen Auftrag gibt. 9
Ihr Auftrag, mein Auftrag: immer wieder fragen: bei mir, wo es jetzt im nächsten Monat 10 Jahre sind, in denen ich hier bin: Herr, was ist der Auftrag für die kommenden Jahre. Was hast du mit deiner Gemeinde vor? Was ist dran hier vor Ort? Rechnen wir mit einem Gott, der das weiß, der das schon vorbereitet hat. Und rechnen wir damit auch in unserem Leben? Dass er uns immer wieder ruft, herausruft aus dem Alltag, nicht immer, aber immer wieder besonders. Was hast du mit mir vor? Gerade an Übergängen des Lebens? Wenn es etwa um eine neue Arbeitsstellte geht, oder wenn es in die Rente geht, und die Übergänge schwierig sind und man sich alt und vielleicht wertlos vorkommt. Was hast du mit mir vor, Herr? Wofür möchtest Du mich gebrauchen? Wo möchtest du, dass ich meine Kraft und meine Gaben einsetze? Dass du lebest der alte Jeremia in den Trümmern Jerusalems mit einer Scherbe der zehn Gebote. Dass du lebest. Auch Du und ich. Amen 10