Neptunisten gegen Plutonisten Der wissenschaftliche Streit um die Entstehung der Erde

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Transkript:

Agricola Informationsblätter zur Kultur- und Naturgeschichte Arbeitsgemeinschaft für Kultur- und Naturgeschichte Region Schwarze Laber - Tangrintel e.v. Neptunisten gegen Plutonisten Der wissenschaftliche Streit um die Entstehung der Erde Wasser oder Feuer? Welches Element ist für die Entstehung der Erde mit ihren Kontinenten und Gebirgen verantwortlich? Wie alt ist die Erde überhaupt? Diese Fragen beschäftigten die Menschen seit jeher. Zwischen 1780 und 1820 führte die Diskussion darüber zu einer erbitterten Auseinandersetzung der Wissenschaftler. Dieser so genannte Streit um den Basalt wurde zu einem Meilenstein in der Wissenschaftsgeschichte der damals noch jungen Fachdisziplin der Geologie. In einem kurzen Rückblick wollen wir hier diesen Disput skizzieren, der nicht nur in Kreisen der Wissenschaft Aufmerksamkeit erregte. So wurde ein berühmter deutscher Dichter ebenfalls in diese Konfrontation hineingezogen. Einführung Seit der Antike ist die Frage nach der Entstehung der Erde und ihrem Alter immer wieder diskutiert worden. Einflüsse philosophischen Denkens, aber vor allem auch der Religion haben lange Zeit dominiert bevor die naturwissenschaftliche Methodik mehr und mehr verbessert wurde und damit naturkundliche Beobachtungen und Erkenntnisse die spekulativen Überlegungen überwinden konnten. Auf THALES VON MILET (ca. 624-546 v. Chr.) geht die Vorstellung zurück, dass alles aus dem Wasser entstanden sei 1. Er hat diese Theorie vermutlich aus Beobachtungen der Sedimentationsprozesse in flachen Fluss- und Meeresbereichen entwickelt. Georg AGRICOLA (Georg Bauer, 1494 1555) erkannte die Wirkung von Wind und Wasser als Ursache der Entstehung der Berge und vor allem ihrer Zerstörung. Der Vesuv aus Kirchers Mundus Subterraneus 2 Es gab aber auch Forscher, die auf die Wirkung des Feuers, des Vulkanismus, bei der Entstehung der festen Erde aufmerksam machten. So ließ sich der Jesuitenpater Anasthasius KIRCHER (1602-1680) nur wenige Jahre nach einem Ausbruch des Vesuvs in dessen Krater abseilen, um das Innere des Vulkans zu erforschen. Der italienische Geistliche Anton Lazarro MORO (1687-1764) wies auf die Entstehung der Sedimente und Gesteine durch vulkanische Hebung aus dem Meer hin und fand dadurch eine Erklärung für das Vorkommen von Fossilien auf den Bergen. 1 Hubmann, B. (2009): Die großen Geologen. Marix-Verlag, Wiesbaden. S. 12 2 Glassi, J. (2015²); Der letzte Mann, der alles wusste. Das Leben des exzentrischen Genies Athanasius Kircher. Berlin- Verlag; Berlin. S. 116

R. Glassl (2017): Neptunisten gegen Plutonisten 2 Neptunismus und Plutonismus Für den Neptunismus 3 (auch Diluvialismus = Überschwemmung, Wasserflut) kennzeichnend ist die Entstehung der Erde aus einem wässrigen Chaos. Fast alle Gesteine sind im Wasser ausgefällt oder darin abgesetzt worden. Der Plutonismus 4 hielt dagegen ein glühendes Fluidum als Voraussetzung für die Entstehung der Erde und vieler ihrer Gesteine für notwendig. Während die Neptunisten ihre Theorie in die biblische Schöpfungsgeschichte einbinden konnten (Sintflut) stieß der bibelferne Ansatz der Plutonisten zunächst auf Ablehnung. Der führende Vertreter des Neptunismus war Abraham Gottlob WERNER (1749-1817), Leiter der berühmten Bergakademie in Freiberg, Sachsen, und einer der bedeutendsten Mineralogen und Geologen seiner Zeit. Er baute die frühen Ansätze zu einer umfassenden Theorie aus und entwickelte die Lehre, dass sämtliche Gesteine der Erdrinde aus dem Wasser abgesetzt worden sind. Granite waren nach Werners Lehrmeinung die ersten Ablagerungen, die frühesten und ursprünglichsten Bildungen auf der Erde, die sich aus einem, die gesamte Erde bedeckenden, Urozean niedergeschlagen haben, d.h. sie kristallisierten durch chemische Ausfällungen zuerst aus. Mit dem stetig sinkenden Meeresspiegel des Urozeans wurden diese uranfänglichen Gebirgsarten Festland. Seitdem unterliegen sie den Kräften der Erosion. Sie werden durch diese allmählich abgetragen. Diese Urgebirge entstanden zu einer Zeit als es noch kein Leben auf der Erde gab. Deshalb sind in ihnen auch keine Fossilien enthalten. Später, bei weiter abnehmender Wassertemperatur und Kristallisationskraft, wurden die geringer kristallinen Gesteine (z.b. Gneis, Glimmerschiefer, Quarz; bis 1788 zählte er auch den Basalt hierzu) und schließlich die nichtkristallinen Schichtgesteine (Sandstein, Grauwacke, Kreide, Steinsalz; ab 1788 Basalt) ausgefällt. Sie können fast ganz aus den, durch die Erosion aufbereiteten und abgetragenen Materialien der uranfänglichen Gebirgsarten bestehen. Sie sind also geologisch jünger als diese. Gewaltige Fluten führten zur Bildung von aufgeschwemmten Gebirgsarten (Lockergestein, Sand, Kies, aber auch Gold- oder Zinnseifen). Diese Fluten räumten schließlich tiefe Täler aus und schufen die heutigen Landschaftsformen. So entwickelte A. G. Werner ein geschlossenes System: Alle Bildungen der Erdrinde sind auf das Wasser zurückzuführen, in dem sich die Gesteine durch Niederschlag und Ausfällungen bilden. Wasser ist es auch, dass diese Bildungen schließlich wieder ausräumt und einebnet. Die Entwicklung der Erde folgt demnach einem vorgezeichneten Weg mit definiertem Anfang (Urozean) und Ende (Abtragung). Als Auslöser und Antrieb des fortwährenden Rückgangs des Meeresspiegels sind insbesondere Verdunstungsprozesse anzusehen. Die Entstehung der vulkanischen Gebirgsarten sah Werner als Brände unterirdischer Kohleflöze an, die lediglich lokale Bedeutung besitzen. Er wies dem Vulkanismus nur eine örtliche und unbedeutende Rolle zu. 3 Nach dem römischen Wassergott Neptun 4 Nach dem griechischen Gott der Unterwelt Pluton

R. Glassl (2017): Neptunisten gegen Plutonisten 3 Der bedeutendste Vertreter des Plutonismus war James HUTTON (1726-1797). Der Naturphilosoph, Mediziner, Chemieunternehmer und Landwirt gehört zu den Begründern der wissenschaftlichen Geologie. Aufschmelzung von Gestein und deren Metamorphose waren Werner unbekannt. Hutton aber hatte sie bei der Granitbildung in ihrer Wirkungsweise schon vermutet als er die These formulierte, dass die wesentlichen Gestaltungskräfte der Erde (Härtung und Verfestigung des Gesteins, ihre Faltung und Zerbrechung, die Bildung der Gebirge und Kontinente und das Aufsteigen von Magma) von einem tief in der Erde sitzenden Zentralfeuer ausgehen 5. Mit der von diesem Zentralfeuer aus der Tiefe ausstrahlenden Hitze würden die Sedimente und Lockergesteine gehärtet und verfestigt, schließlich zu Gebirgen verfaltet und diese zu Festländern verschweißt. Hutton erkannte somit das Aufdringen glutflüssiger Schmelzen aus dem Erdinneren. Er leitete daraus bereits die Entstehung der magmatischen Gesteine im heutigen Sinne ab. 6 Hutton erkannte auch, dass durch die Verwitterung aus dem festen Gestein allmählich Boden gebildet wird. Dieser wird aber auch wieder abgetragen, fruchtbares Land weggeschwemmt. Das konnte aber nur dann einen Sinn geben, wenn das abgetragene und schließlich ins Meer transportierte Material in einem Kreislauf erneut der Bodenbildung zugeführt wird. Voraussetzung dafür war zunächst die Verfestigung des abgetragenen und ins Meer eingetragenen Materials zu festem Gestein, dann aber auch die Hebung des Meeresbodens, das Auftauchen von Land, die Bildung von Gebirgen und schließlich dessen erneute Verwitterung und Abtragung. Hutton stellte somit Werners geschlossenem System ein offenes System gegenüber, indem er ein ständiges, zyklisches Wechselspiel erdinnerer und erdäußerer Kräfte postulierte. Und er verstand ebenso, dass die Grundlage geologischen Denkens die Betrachtung endloser Zeiträume sein muss. Auch damit entfernte er sich von den Neptunisten, die, in Anlehnung an die biblische Schöpfungsgeschichte, der Erde ein Alter von nur wenigen Jahrtausenden zugestanden. Aus Huttons zur damaligen Zeit radikalen Überlegungen entwickelten die Plutonisten heiße Schmelzherde unter der Erdoberfläche. Aus ihnen können Magmen aufsteigen, die entweder an die Erdoberfläche gelangen und dort austreten, oder aber in der Tiefe abkühlen und auf diese Weise grobkörnige Gesteine wie den Granit bilden. Der Streit um den Basalt An der Frage Wie ist der Basalt entstanden entzündete sich der Streit zwischen den Denkrichtungen des Neptunismus und Plutonismus. Er sollte zu einer der größten Debatten in der Geschichte der Geologie werden. Diese Diskussion, in der es letztlich um die Entstehung der Erde ging, war eine Auseinandersetzung um Weltanschauungen, Weltbilder und Welterklärungsmodelle. 5 Behringer, W. (2015): Tambora und das Jahr ohne Sommer. C.H. Beck-Verlag, München. S. 275 6 www.geodz.com/deu/d/plutonisten

R. Glassl (2017): Neptunisten gegen Plutonisten 4 Ihren Höhepunkt erreichte die oft erbittert geführte Auseinandersetzung in den Jahren 1787/88 als die Entstehung des aus Basaltsäulen aufgebauten Scheibenbergs im Erzgebirge geklärt werden sollte. Vertreter beider Denkrichtungen diskutierten vor Ort, kamen aber zu keiner übereinstimmenden Ansicht. Beide Parteien vertraten Argumentationen, die von der jeweils anderen Partei nicht vollständig wiederlegt werden konnten. Die Protagonisten dieses Disputs waren auf der Seite der Neptunisten A.G. Werner, der angesichts der Basaltkuppe auf dem Scheibenberg zu der Auffassung gelangt war, dass hier Sand eingeschwemmt worden war, auf dem sich später Ton absetzte, der sich allmählich zu Basalt umformte. Die Seite der Plutonisten vertrat Johann Carl Wilhelm VOIGT (1752-1821), Bergrat und ein ehemaliger Schüler Werners! Er hatte durch seine geologischen Arbeiten erkannt, dass Basalte vulkanischen Ursprungs sind und sich in, aus der Tiefe aufgestiegenen, Schmelzen auskristallisierten. Und nun trat jemand auf, den wir im Allgemeinen nur als Dichter kennen: Johann Wolfgang GOETHE (1749-1832). Durch seine Reisen, durch seine vielfältigen Bekanntschaften und sein lebhaftes weitgespanntes Interesse, vor allem aber durch sein Amt als Vorsitzender der Bergkommission der Silber- und Kupferwerke von Ilmenau begann er mit mineralogischen und geologischen Studien, entwickelte sich zu einem sehr fachkundigen Laien. Seine naturwissenschaftlichen Neigungen (er beschäftigte sich auch mit Chemie, Biologie, Anatomie, Botanik und Optik) fanden Ausdruck in vielen seiner Werke. Häufig besuchte er den Kammerbühl und Eisenbühl, beide in der Nähe von Eger gelegen. Und er kannte sowohl Werner als auch Voigt persönlich. 1789 formulierte er seine Vergleichs Vorschläge die Vulkanier und Neptunier über die Entstehung des Basalts zu vereinigen. Viel half sein Vermittlungsversuch allerdings nicht. Dennoch verfolgte Goethe den Neptunisten-Plutonisten-Streit weiterhin mit großem Interesse. Er mokierte sich über die Fruchtlosigkeit der Debatten und die erbitterte Gegnerschaft der Gelehrten. Ursprünglich überzeugter Neptunist, schwankte er mehrmals in seiner Überzeugung. Und so fand das Thema auch Einzug in Goethes literarisches Schaffen. Im Faust II lässt er die griechischen Naturphilosophen Thales von Milet und Anaxagoras über die kühle Ruhe der aus dem Wasser und die Gewaltsamkeit der aus dem Feuer geborenen Naturkräfte diskutieren. Unsicher wurde Goethe unter dem Einfluss der 1823 erschienenen Arbeit Über den Bau und die Wirkungsart der Vulkane in verschiedenen Erdstrichen von Alexander von Humboldt, auch dieser ein ehemaliger Werner Schüler. So klingt es fast wie ein Stossseufzer, wenn er dichtet: Amerika du hast es besser - Als unser Continent der alte, - Hast keine verfallenen Schlösser - Und keine Basalte. 7 - Dich stört nicht im Innern, - Zu lebendiger Zeit, - Unnützes Erinnern - Und vergeblicher Streit. 8 Fazit Die Plutonisten hatten recht. Doch der Weg zu dieser Erkenntnis war mühsam und langwierig. Er führte schließlich zur Plattentektonik, dieser umfassenden Theorie, die die Spreizung des Meeresbodens, den Vulkanismus und die Gebirgsbildung erklärt. Der Streit zwischen Neptunisten und Plutonisten aber hatte einen wichtigen Anteil daran, ebenso Alfred Wegeners Theorie von der Drift der Kontinente 9 wesentliche Erkenntnisse dazu beitrug. AGRICOLA Informationsblätter zur Kultur- und Naturgeschichte, Blatt 55/2017: Robert Glassl: Neptunisten gegen Plutonisten. Der wissenschaftliche Streit um die Entstehung der Erde. Herausgeber: AGRICOLA Arbeitsgemeinschaft für Kultur- und Naturgeschichte Region Schwarze Laber-Tangrintel e.v. Geschäftsstelle: Sonnenstraße 1, 92331 Parsberg 7 Damit allerdings irrte er, finden sich doch auf der alten Festlandsmasse des amerikanischen Kontinents riesige Basaltergüsse. 8 Goethe, J.W. von (1998, 2006): Sämtliche Werke Münchner Ausgabe. - Zahme Xenien IX 9 Siehe dazu AGRICOLA-Informationsblatt 39/2012