Depression Ausdrucksformen & Abgrenzungen Gerontologisches Forum, 8. Oktober 2012 Frau Dr. Gerthild Stiens Frau Birgitta Lengsholz Fachärztinnen für Psychiatrie und Psychotherapie Gerontopsychiatrisches Zentrum LVR-Klinik Bonn
Depression Ausdrucksformen und Abgrenzungen Überblick Was heißt eigentlich depressiv? Symptome Besonderheiten einer Altersdepression Unterformen Abgrenzung zu anderen Erkrankungen Abgrenzung / Überlappung zur Demenz Ursachen Therapie Prophylaxe Folie 2
Was heißt eigentlich depressiv? Blaue Tage / Schwarze Tage arm dran sein nichts geht mehr müde, abgeschlafft Ich hab heute meine Depression Besuch vom schwarzen Hund ich habe auch mal einen schlechten Tag Folie 3
Was heißt eigentlich depressiv? Offizielle Diagnoseeinteilung nach ICD 10 F3 F32 Affektive Störungen Stimmung und Gefühlserleben sind beeinträchtigt, Mitschwingen fällt schwer Depressive Episode.0 leichte.1 mittelgradige.2 schwere Episode Schuldgefühle, Körpermißempfinden, Wahnerleben F33 Rezidivierende depressive Störung Folie 4
Was heißt eigentlich depressiv? Verlust von Lebensqualität und Lebensfreude antriebslos freudlos lustlos appetitlos schlaflos mutlos KraftLOS tränenlos hoffnungslos interesselos wertlos gefühllos Es kommt zu einer Einengung der Gedanken auf die eigene sich NIE mehr ändernde Situation anderes kann nicht mehr wahrgenommen werden. Alltägliche Tätigkeiten sind nicht mehr zu bewältigen. Folie 5
Was heißt eigentlich depressiv? Zahlen und Fakten 4,3% aller Kosten für Erkrankungen, somit Platz 3 gleich nach den Atemwegs- und den Durchfallerkrankungen 11-30% der älteren Bevölkerung sind betroffen 2030: Geschätzt auf Rang 1 mit 6,2% aller Kosten 340 Millionen Menschen erkranken weltweit an einer Depression, das Risiko im Leben daran zu erkranken beträgt ca. 20%. Frauen erkranken zwei- bis dreimal so häufig an einer Depression Erkrankungsgipfel ist ca. das 40. Lebensjahr 5 15% aller Depressiven begehen einen Suizid Folie 6
Depression - Symptome Niedergeschlagenheit; deprimierte Stimmung Interessenverlust Schlafstörungen, ständige Müdigkeit Ruhelosigkeit Antriebslosigkeit Somatische Symptome Gefühl der Wertlosigkeit Schuldgefühle Verlangsamter Gedankengang Konzentrationsstörung Entscheidungsschwäche Suizidalität Affektivität Antrieb Denken
Depression - Somatische Symptome Interessenverlust/Freudverlust Früherwachen Morgentief Agitiertheit oder psychomotorische Hemmung Appetitmangel Gewichtsverlust Libidoverlust kognitive Störungen ( Pseudodemenz ) Folie 8
Depression Psychotische Symptome Wahnthemen: Verarmung Nihilismus Schuld Folie 9
Besonderheiten einer Altersdepression Symptome oft weniger deutlich ausgeprägt Depressive Stimmungslage oft weniger deutlich geschildert Häufiger Zusammenhänge mit Schmerzen, Schlafstörungen Häufiger körperliche Beschwerden Häufiger kognitive Störungen (oder auch Klagen darüber) Folie 10
Typische körperliche (Begleit-) Beschwerden Konzentrationsschwäche Schwindel Schwächegefühl Magenschmerzen/ Übelkeit Herzrasen Engegefühl Rückenschmerzen Kopfschmerzen.
Welche Unterformen gibt es? Somatisierte ( larvierte ) Depression Agitierte Depression Gehemmte Depression Wahnhafte Depression Folie 12
Verlaufsformen Einmalige Episode Rezidivierende Depression Bipolare Störung Chronische Depression
Verlauf von Depressionen 45% 40% 35% 30% 25% 20% 15% 10% 5% 0% nach 2 J. nach längerer Dauer Remission Rückfall und Remission keine Remission keine Information Cole 1990
Abgrenzung von anderen Erkrankungen Trauer Zeit vergeht im Alter anders. Verluste häufen sich. Auch bei anderen. Im Leid verbunden sein. Schrittweise zurück zum Alltagsleben, Das Leben geht weiter Keine depressiven Symptome. Normale Trauer versus pathologische Trauer. Folie 15
Abgrenzung von anderen Erkrankungen Chronische Schmerzen Schmerz ist im Alter ständig präsent Chronische Schmerzen verselbständigen sich, die Gedanken sind ausgefüllt, es gibt keine anderen Gesprächsthemen mehr Die Umgebung wird gelangweilt, bestenfalls mitleidig Hilfeversprechen erweisen sich als nutzlos, man kann niemand trauen Man fühlt sich ausgegrenzt von allen anderen, grenzt sich dann selbst aus Folie 16
Abgrenzung von anderen Erkrankungen Verbitterungssyndrom Alte Hexe - Knurrhahn Niemand kümmert sich Haus und Hof sind weg Vereinsamung / Vernachlässigung Immer ist schon alles schlecht gewesen Circulus vitiosus Folie 17
Abgrenzung / Überlappung zur Demenz Depression als Frühsymptom einer Demenz Erschrecken über eigene Defizite Erschöpfung von der Anstrengung den Anschein der Normalität zu wahren Nachlassen der geistigen Flexibilität Sozialer Rückzug Demenz als Folge einer chronischen Depression Wer rastet der rostet Aktivitäts- und Ernährungsdefizite Hippocampusvolumen Sozialer Rückzug Folie 18
Abgrenzung / Überlappung zur Demenz Demenz Depression Folie 19
Abgrenzung / Überlappung zur Demenz Verlauf Klinisches Bild Depressive Symptome Leit-Symptome Demenz allmählich progredient bagatellisierend kaum Klagen Alltagsfehler unpräzise Lösungsversuche im Verlauf bei 40 50 % Neugedächtnis- und Werkzeugstörungen Pseudodemenz bei Depression akut, subakut, fluktuierend Betroffenheit klagen/leiden gute Orientierung detailliert frühes Aufgeben depressiver Affekt, Schlafstörungen, Grübeln Antriebsmangel, subjektives Versagen Folie 20
Ursachen Depression als Frühsymptom einer Demenz Erschrecken über eigene Defizite Erschöpfung von der Anstrengung den Anschein der Normalität zu wahren Nachlassen der geistigen Flexibilität Sozialer Rückzug Demenz als Folge einer chronischen Depression Wer rastet der rostet Aktivitäts- und Ernährungsdefizite Hippocampusvolumen Sozialer Rückzug Folie 21
Was heißt eigentlich depressiv? Offizielle Diagnoseeinteilung nach ICD 10 F3 F32 Affektive Störungen Depressive Episode.0 leichte.1 mittelgradige.2 schwere Episode F33 Rezidivierende depressive Störung Folie 22
Ursachen Endogen Exogen? Aus heiterem Himmel? Schwelleneffekt von Risikofaktoren? schon immer alles schwarz gesehen? im Alter ganz normal?
Ursachen? Frau A., 76 J., erkrankt wiederholt an depressiven Episoden, wenn es der krebskranken Tochter schlechter geht. Herr B., 69 J., hat in der Vorgeschichte eine Sozialphobie und eine mittelschwere depressive Episode nach der Berentung erlitten. Er erkrankt schwer und dauerhaft depressiv. Kann der unterdrückte Konflikt mit seiner Ehefrau die Ursache sein? Frau C., 79 J., ist nach dem To des Ehemanns in die Nähe der Tochter gezogen und erkrankt erstmals depressiv. Frau D., 84 J., hat schon ihr Leben lang mit depressiven Verstimmungen zu tun gehabt. Seit zwei Jahren nehmen körperliche Missempfindungen und gedrückte Stimmung ohne Anlass langsam zu.
Modell der Depression
Altersspezifische Ursachen Verlust von Angehörigen /Freunden Krankheiten / Schmerzen Nachlassen der körperlichen Kräfte Rollenverlust Isolation /Nachlassen der Selbständigkeit Autonomie-/Abhängigkeitskonflikte (Reaktivierung alter Konflikte)
Altersspezifische Ursachen Verlust von Selbstbewusstsein Bisherige Bewältigungsmechanismen nicht mehr wirksam, da Anpassungsanforderungen zu groß bzw. die Reaktion nicht mehr flexibel genug sein kann (Kipp, Jüngling) (unbewusster) Versuch, Verluste nicht annehmen zu müssen
Modell der Depression aus verhaltenstherapeutischer Sicht
Modell der Depression aus verhaltenstherapeutischer Sicht
Therapie Medikamente statt dessen: Gesprächstherapie Gruppe oder Einzeltherapie Aktivitäten Soziale Kontakte, Sport, Ergotherapie Lichttherapie Elektrokrampftherapie u.v.a.m. Folie 30
Therapie Medikamente Entwicklung von Antidepressiva 1950er 1960er 1970er 1980er 1990er 2000er (Phenelzin) (Isocarboxazid) Tranylcypromin Imipramin Clomipramin Nortriptylin Amitriptylin Desipramin Maprotilin (Amoxapin) Unselektive, weniger gut verträgliche Antidepressiva dirty (rich) drugs Fluoxetin Sertralin Paroxetin Fluvoxamin Citalopram Bupropion Mirtazapin Venlafaxin Escitalopram Duloxetin Agomelatin Bupropion Selektive, besser verträgliche Antidepressiva Niedrigere Toxizität bei Überdosierung Weltweit sind etwa 35 verschiedene Antidepressiva auf dem Markt Folie 31
Therapie Medikamente Monotherapie Wechsel der Antidepressiva Kombinationstherapie ad on von Nicht-Antidepressiva z.b. von Schilddrüsenhormonen Immer wichtig: Kombination mit NICHT-medikamentösen Therapien Folie 32
Therapie Gesprächstherapie Gruppe oder Einzeltherapie Aktivitäten Soziale Kontakte, Sport, Ergotherapie Lichttherapie Elektrokrampftherapie u.v.a.m. MENSCHEN Begegnungsstätten, APP etc. Folie 33
Therapie Die Therapieentscheidung ist abhängig von: Schwere der Depression Erst- oder Wiederholungserkrankung Lebenssituation Geschlecht Alter Ort Risiken und Nebenwirkungen Behandlungsbereitschaft Vorhandensein von Therapieangeboten Finanzen Folie 34
Prophylaxe Verhindern von Wiedererkrankungen Frühwarnzeichen identifizieren und beachten Sozial und körperlich aktiv bleiben KEINE Geheimnisse Unterstützung suchen Behandlungen fortsetzen MENSCHEN!!! Folie 35
Take Home Message Depressionen sind im Alter häufig, aber nicht normal! Depressionen im Alter verlaufen oft anders: unspezifische, körperliche Symptome öfter Übergang in Chronizität / Demenz Je früher die Behandlung beginnt, umso größer sind die Erfolgsaussichten! Sozial eingebunden sein und Frühwarnzeichen erkennen sind die besten Gegenmittel. Folie 36