Predigt am 12.8.2018, zu Lukas 19,9-14 9 Einigen, die von ihrer eigenen Gerechtigkeit überzeugt waren und die anderen verachteten, erzählte Jesus dieses Gleichnis: 10 Zwei Männer gingen zum Tempel hinauf, um zu beten; der eine war ein Pharisäer, der andere ein Zöllner. 11 Der Pharisäer stellte sich hin und sprach leise dieses Gebet: Gott, ich danke dir, dass ich nicht wie die anderen Menschen bin, die Räuber, Betrüger, Ehebrecher oder auch wie dieser Zöllner dort. 12 Ich faste zweimal in der woche und gebe dem Tempel den zehnten Teil meines ganzen Einkommens. 13 Der Zöllner aber blieb ganz hinten stehen und wagte nicht einmal, seine Augen zum Himmel zu erheben, sondern schlug sich an die Brust und betete: Gott, sei mir Sünder gnädig! 14 Ich sage euch: Dieser kehrte als Gerechter nach Hause zurück, der andere nicht. Liebe Gemeinde, Jesus stellt in diesem Gleichnis anhand von zwei fiktiven Personen zwei bestimmte Lebenseinstellungen und Glaubensweisen gegenüber, damit der Hörer der einen folgt und die andere lässt. Jesus geht es also um Reaktion bzw. Aktion der Hörer als Folge des Verstehens des Gleichnissinnes. Jesus erzählt ein Gleichnis. 1
Es kommt also auf den in der Geschichte verborgenen Sinn an, auf den Wink mit dem Zaunpfahl sozusagen, der in der Erzählung steckt. Die landläufige Auffassung vom Pharisäer ist die von einem heuchlerischen Menschen, der etwas anderes ist, als er zu sein scheint, der sein wahres schlechtes Wesen hinter einer Fassade des schönen Scheins verbirgt. An diesem Bild entspricht nichts und zwar gar nichts dem realen Pharisäer zur Zeit Jesu. Die Gruppierung der Pharisäer war eine religiöse Laienbewegung, die die heiligen Schriften sehr ernst nahmen. Auch Jesus wird von Fachleuten dieser Bewegung zugeordnet. Wenn er sie kritisiert, dann damit seinen eigenen Stand aus intimster Kenntnis heraus. Im breiten Volk waren die Pharisäer hoch verehrt. Sie praktizierten die Tora bis hinein in die letzte Alltäglichkeit. Damit galten sie als die Bewahrer des Glaubens in seiner Ursprünglichkeit und legten sich wenn es sich um die Fragen des Toraverständnisses handelte sogar mit den Priestern an. Die Pharisäer schossen jedoch an der Stelle über das Ziel hinaus, wo sie meinten durch das vollständige und 2
ganzheitliche halten der Gebote seien sie nicht mehr auf die Liebe, Gnade und Barmherzigkeit Gottes angewiesen. Durch ihre Perfektion im vollständigen halten aller Gebote haben sie sich Gott gebrauchsfähig gemacht. Das ist es, was Jesus kritisiert. Sie haben ihr Toraverständnis über den Glauben gesetzt, der in Jesu Verständnis im vollkommenen Angewiesensein auf Gott besteht. Anstößig ist deshalb für Jesus, dass es der Pharisäer an jeglicher Barmherzigkeit gegenüber dem Zöllner-Sünder völlig mangeln lässt. Jesus stößt allerdings mit seiner Barmherzigkeit gegenüber den Sündern und sogar den Zöllnern auf absolutes Unverständnis in seinem Umfeld. Wie kann man solchen Leuten gegenüber barmherzig und solidarisch sein? Das geht doch nicht! Mit dem Beispiel des Pharisäers in seinem Gleichnis wirbt Jesus um Verständnis für sein eigenes von Vielen kritisch gesehenes Verhalten gegenüber den Außenseitern der Gesellschaft. Der Zöllner ein schwieriger Zeitgenosse. Die Zöllner der römischen Provinz Judäa waren Kollaborateure. 3
Die Kollaborateure des 2. Weltkrieges in Russland oder in Holland und Frankreich oder wo auch immer wurden nach dem Krieg meist einfach umgebracht, mit oder ohne Prozess. So wurden sie gehasst. Diesen Hintergrund sollte man vor Augen haben beim Hören dieses bekannten Gleichnisses. Die Zöllner zur Zeit Jesu waren Juden, die sich mit den verhassten römischen Besatzern einließen. Es gab kaum jemanden in ganz Judäa, der einem Zöllner gegenüber freundliche Gedanken gehegt hätte. Natürlich musste den Job irgendjemand machen. Und besser ein Zöllner sein, als Arbeitslos oder Tagelöhner. Doch indem Jesus den Zöllner im Gleichnis dem Pharisäer als Vorbild hinstellt, provoziert er ausnahmslos alle. Die Pharisäer waren doch eigentlich die Vorbilder und die Zöllner die Übeltäter! Mit dem Gleichnis will Jesus ja eine Glaubenswahrheit darlegen, die offensichtlich in der grenzenlosen liebe und Barmherzigkeit Gottes besteht. Derjenige, der sich bewusst ist, dass er selbst nichts zu seinem Heilwerden vor Gott beitragen kann, der ist Gott näher, als derjenige, der meint, sein Leben schon gut selber in den Griff zu bekommen. 4
Welche fiktiven Personen würde Jesus wohl heute in diesem Gleichnis gegenüberstellen? Wer ist denn heute nicht der Meinung, dass er sein Leben schon selbst bewältigen kann. Wer fühlt sich denn in seinem Alltag auf Gott und seine Barmherzigkeit angewiesen? Mal abgesehen vielleicht von den paar Leuten, die am Sonntag in die Kirche gehen. Welche Folgen es für den Zöllner hatte, sich Gott in die Arme geworfen zu haben, wird nicht berichtet. Es ist ja eben nur ein Gleichnis. Auf keinen Fall kann man sich vorstellen, dass ein solcher so weitergelebt haben, wie bisher. Eigentlich müsste er den Beruf wechseln und eben Tagelöhner (Hartz IV gabs noch nicht) oder ein ehrlicher und seinem Volk gegenüber loyaler Zöllner werden. Von einem anderen Zöllner, nicht aus einem Gleichnis, sondern aus einem Bericht über eine Begegnung Jesu mit ihm, wissen wir, was es bedeutete für einen Zöllner vor Gott Gerechtigkeit zu erlangen: Zachäus aber trat vor den Herrn und sprach: Siehe, Herr, die Hälfte von meinem Besitz gebe ich den Armen, und wenn ich jemanden betrogen habe, so gebe ich es vierfach zurück. Nach seiner lebensverändernden Begegnung mit Jesus macht Zachäus viel mehr gut, als er nach dem Gesetz tun müsste. Diese gewaltige verändernde Kraft der Versöhnung erlebt jeder, dem Gott in sein Leben tritt. 5
Der Pharisäer im Gleichnis tritt nicht in Beziehung zu Gott. Er betet zwar, aber eigentlich nur, um sich selber toll zu finden. Er geht in den Tempel, wie manch einer in die Kirche geht, eben weil man das so macht. Der Zöllner dagegen tritt mit Gott in Beziehung, weil er selber gar nichts vorweisen kann und auf Gott angewiesen ist. Jesus sagt mit dem Gleichnis: Macht euch bewusst, vergesst nie, auch wenn ihr noch so gute Menschen seid, ihr bleibt immer auf die Gnade Gottes angewiesen. Und mit dem Schluss des Gleichnisses: Ich sage euch: dieser kehrte als Gerechter nach Hause zurück, der andere nicht, macht Jesus deutlich, dem, der sich in die offenen Arme Gottes fallen lässt im Leben und im Sterben, fällt nicht ins Leere, sei er auch so ein übler Typ. Die Barmherzigkeit Gottes geht über jedes menschliche Verständnis hinaus. 6