Vorläufige Neutralität, Heft 134, S. 14-19 Die ersten Markenausgaben der Republik China aus dem Jahr 1912, Mi. Nr. 82-93 XIAN SU Hintergrund Am 10. Oktober 1911 kommt es nach einem Garnisonsputsch in Wuchang zur Revolution gegen die kaiserliche Regierung. Im Dezember 1911 erklärt der Kaiser die Waffenruhe und ist bereit, über einen Rücktrittsvertrag in Peking zu sprechen. Am 1.1.1912 wird die neue vorläufige republikanische Regierung in Nanking installiert. DR. SUN YAT-SEN wird zum provisorischen Präsidenten proklamiert. Historie Nach dem Einsetzen der neuen Regierung hatte das Verkehrsministerium in Nanking den ehemaligen Verantwortlichen der kaiserlichen Post, den Franzosen THEOPHILE PIRY, beauftragt, vorhandene Frei- und Portomarken aus der Zeit der Qing-Dynastie (ex Mi. Nr. 59-78 ohne WZ und ex P 7-14, gedruckt bei Waterlow & Sons, London) mit den chinesischen Zeichen für Republik China überdrucken und ausgeben zu lassen, um die Briefmarken den neuen Verhältnissen anzupassen. THEOPHILE PIRY lebte seit 1869 in China und arbeitete immer als ausländischer Angestellter für die jeweiligen Regierungen. Er unterstützte den politischen Standpunkt der ausländischen Gesandtengemeinschaft in Peking und hatte vor dem offiziellen Rücktritt des Kaisers am 23. Februar 1912 die Briefmarken entgegen der Weisung aus Nanking mit dem Aufdruck Vorläufige Neutralität (mit horizontalen vier chinesische Zeichen) versehen und ausgeben lasen. Diese Aufdrucke wurden sofort von der vorläufigen Regierung in Nanking reklamiert. Das Ministerium des Äußeren und das Verkehrsministerium in Nanking schickten ein Telegramm nach Peking und ordneten einen sofortigen Ausgabestopp an und forderten, die Briefmarken von den Postschaltern zurück zu ziehen. Aber vier Werte waren schon in Fochoow (Fu-Zhou) in kleiner Menge verkauft worden. Gleichzeitig waren auch sechs Portomarken mit dem Aufdruck Vorläufige Neutralität (mit horizontalen vier chinesische Zeichen) ausgegeben worden. Diese Briefmarken waren nur drei Tage an dem Postschalter erhältlich.
Trotz der Weisung des Verkehrsministeriums in Nanking (Telegramm vom 24.2.1912) über den neuen Aufdruck, der eindeutig nur Republik China vorgab, hatte PIRY auf den zurückgezogenen Marken Vorläufige Neutralität zusätzlich einen senkrechten Aufdruck Republik China bestehend aus vier chinesischen Zeichen anbringen lassen. PIRY erklärte seine Vorgehensweise mit den Worten...nur um das Geld zu sparen.... Ab 20.3.1912, wurden die acht Marken (Mi. Nr. 86-93) mit dem kreuzweisen Aufdruck in den Städten Hankow, Nanking und Changsha an einigen Postschaltern verkauft. Am 21.3.1912 schickte der provisorische Präsident DR. SUN YAT-SEN ein persönliches Telegramm an YUAN SHI-KAI in Peking, um die Angelegenheit ernsthaft zu reklamieren. PIRY zog daraufhin alle noch nicht verkauften Briefmarken zurück. Der Verkauf dauerte wieder nur drei Tage. Ab Ende März 1912 gab es dann nur noch die Briefmarken mit dem Aufdruck Republik China (mit vier senkrechten chinesische Zeichen, Mi. Nr. 94-108 und 109-123) an den Postschaltern zu kaufen. Aufdruck, Ausgabe und Auflagen: 1. Vorläufige Neutralität Die Briefmarken mit dem Aufdruck Vorläufige Neutralität mit den vier horizontalen chinesischen Zeichen, Mi. Nr. 82-85 und P18-23 wurden von der Shanghai Postversorgungs-Druckerei, andere Quellen nennen die Zolldruckerei (es ist auch möglich, dass es dieselbe Druckerei nur mit unterschiedlichen Namen ist) überdruckt. Ursprünglich waren 15 Werte der Qing-Briefmarken (ex Mi. Nr. 59-78), in zwei Farben überdruckt, vorgesehen (Abb. 1): - mit Rotaufdruck: 3C, 1C, 2C, 5C, 10C, 16C, und 50C. - mit Schwarzaufdruck: 1$, 2$, 5$, 1/2C, 4C, 7C, 20C und 30C.
Abb. 1: Die vorgesehenen Aufdruckmarken Vorläufige Neutralität, in der ersten Reihe die dann tatsächlich zur Ausgabe gelangten Marken In Fochoow wurden aber nur vier Briefmarken mit den Werten zu 3C, 1$, 2$ und 5$ ab dem 30. Januar 1912 in drei Tagen verkauft (Abb. 1, obere Reihe, Mi. Nr. 82-85). Verkaufsmengen: - Wert zu 3C (mit Rotaufdruck): 6000 Stück - Wert zu 1$ (mit Schwarzaufdruck): 96 Stück - Wert zu 2$ (mit Schwarzaufdruck): 96 Stück - Wert zu 5$ (mit Schwarzaufdruck): 280 Stück Gleichzeitig wurden auch acht Portomarken (Mi. Nr. P7, P10-14, P15-16) in rot von oben genannter Druckerei bzw. Druckereien überdruckt, Abb. 2:
Abb. 2 Die vorgesehenen Portomarken Vorläufige Neutralität, in der ersten Reihe die dann tatsächlich zur Ausgabe gelangten Marken Wiederum wurden nur in Fochoow sechs blaue Portomarken mit den Werten zu 1/2C, 4C, 5C, 10C, 20C und 30C in drei Tagen verkauft (Abb. 2, obere Reihe, Mi. Nr. P18-23). Verkaufsmengen: - Werte zu 1/2C, 4C, 5C und 10C: - Werte zu 20C und 30C: je 100 Stück je 25 Stück 2. Vorläufige Neutralität-Republik China Die Briefmarken mit dem kreuzweisen Aufdruck Republik China (senkrecht) und Vorläufige Neutralität (waagerecht) wurden ebenfalls von der Shanghai Postversorgungs-Druckerei auf 15 Werten der QingBriefmarken (ex Mi. Nr. 59-78) hergestellt. Der senkrechte Aufdruck Republik China wurde in den gleichen Farben, also rot und schwarz, zusätzlich auf die vorhandenen Marken mit dem Aufdruck Vorläufige Neutralität ausgeführt (Abb. 3): - mit Rotaufdruck: 3C, 1C, 2C, 5C, 10C, 16C, und 50C. - mit Schwarzaufdruck: 1$, 2$, 5$, 1/2C, 4C, 7C, 20C und 30C.
Abb. 3: Die vorgesehenen Aufdruckmarken Vorläufige Neutralität-Republik China, in der ersten und zweiten Reihe die dann tatsächlich zur Ausgabe gelangten Marken Aber nur acht Werte wurden am 20.3.1912 in Hankow, Nanking und Changsha an einigen Postschalter verkauft. Verkaufsmengen: - Wert zu 1C (mit Rotaufdruck, MiNr 86): 2339 Stück - Wert zu 3C (mit Rotaufdruck, MiNr 87): 2818 Stück - Wert zu 7C (mit Rotaufdruck, MiNr 88): 492 Stück - Wert zu 16C (mit Rotaufdruck, MiNr 89): 200 Stück - Wert zu 50C (mit Rotaufdruck, MiNr 90): 87 Stück - Wert zu 1$ (mit Schwarzaufdruck, MiNr 91): 156 Stück - Wert zu 2$ (mit Schwarzaufdruck, MiNr 92): 93 Stück - Wert zu 5$ (mit Schwarzaufdruck, MiNr 93): 52 Stück Gleichzeitig wurden von der selben Druckerei auch die acht Portomarken aus der Serie Vorläufige Neutralität rotfarben auf die selbe Art und Weise wie die Freimarken überdruckt. Aber keine dieser Portomarken gelangten zur Ausgabe an die Postschalter, Abb. 4:
Abb. 4: Die nicht zur Ausgabe gelangten Portomarken mit dem Aufdruck Vorläufige Neutralität-Republik China 3. Nach-Aufdrucke Vorläufige Neutralität-Republik China Aus alten Dokumenten entnehmen wir:...sollen alle noch nicht verkauften Briefmarken mit dem Aufdruck >Vorläufige Neutralität-Republik China< zurückgerufen und dann vernichtet werden. Wie obige Tabellen zeigen, gibt es einige Werte mit sehr geringer Auflage. So stellt sich die Frage, woher kommen die kostbaren postfrischen großen Sätze mit den kompletten 46 Werten der Aufdrucksmarken, die sogar mehrmals als Geschenk an hohe ausländische Persönlichkeiten gingen? In zahlreichen chinesischen Publikationen wird berichtet, dass es von dem Briefmarkensatz mit dem Aufdruck Vorläufige Neutralität- Republik China und auch von den nicht ausgegebene Portomarken zwei Auflagen gibt: - Erste Auflage für den Postzweck - Zweite Auflage als Geschenkzweck für aus- und auch inländischen Bedarf 3.1 Unterscheidung Ausgehend von den damaligen technischen Möglichkeiten, kann die Position des senkrechten Aufdruckes gegen den 1. Aufdruck Vorläufige Neutralität immer etwas verschoben sein. Außerdem sollte zwischen dem zweiten und dritten chinesischen Zeichen Republik China ausreichend Abstand sein, damit nicht über den ersten Aufdruck gedruckt werden konnte. Mit Hilfe von Abb. 3 kann man unterscheiden, dass bei einigen Marken nicht genau symmetrisch überdruckt wurde, bei anderen die acht chinesischen Zeichen exakt symmetrisch angeordnet sind. So kann man
annehmen, dass die Marken mit den exakten symmetrischen Aufdrucken die sogenannten Nach- Aufdrucke sind, während die verschobenen Aufdrucke auf die erste Auflage hinweisen. 3.2 Gibt es bei den Marken mit dem waagerechten Aufdruck Vorläufige Neutralität auch Nachdrucke? Aus der Verkaufstatistik entnehmen wir, dass es nicht viele Marken mit dem Aufdruck Vorläufige Neutralität gibt. Leider kann man allein auf den Briefmarken keine Unterscheidung finden. Es bleibt eine offenen Frage, die nur durch neue Erkenntnisse zu beantworten wäre. 3.3 Die in Auktionen aufgetauchten großen Sätze In der Literatur findet man drei Auktionen, auf denen die kompletten 46 Werte Vorläufige Neutralität und Vorläufige Neutralität-Republik China versteigert wurden: - April 1946, Auktion in den USA: Briefmarkensammlung von Ex Präsident Roosevelt. Präsident Roosevelt (ebenso einige andere Persönlichkeiten aus den USA) hatte die Marken 1942 als Geschenk von der chinesischen Regierung bekommen. Über die Höhe des Zuschlags ist leider in der Literatur nichts berichtet. - Mai 1989, Auktion in Schweiz der britischen Firma Robson Lowe Ltd.: ein großer Satz für über 100.000 Schweizfranken ausgerufen (umgerechnet ca. 115.000 DM). - 17.9.1995, Peking, während der internationale Briefmarken- und Münzen-Ausstellung wurde in einer Auktion der große Satz für RMB 1,6 Mio. Yuan ausgerufen (umgerechnet ca. 348.000 DM in Jahr 1995). Literatur: 1. Michel-Katalog Mittel- und Ostasien, Band 9, München 2003 2. Qing Shi Gao (Geschichte der Qing- Dynastie), Zhong Hua Verlag, Peking 1972 3. Die Briefmarkensätze am Anfang der Republik berichten über den Wechsel in der Politik, Zhuang Wen-Jing, China Briefmarken Museum, 2003 4. The Postage Stamp Catalogue Of The Republic Of China (Revised Edition) 1912-1949, China Volkspost Verlag, 1998 5. Die Chinesische Briefmarken, Taschenbuchserie Unseren Vaterland, Beijing 1985 6. Reden über `Republik China Vorläufige Neutralität, erster und zweiter Aufdruck, Li Rui-Ming, 2004 7. Chinesische Zeitschrift China Philatelie November 1984 8. Chinesischer Briefmarken-Bild-Katalog, Chen Chao-Han, Hong Kong 1992 9. Rücktrittsschreiben des letzten Kaisers von China, Internet