Diabetes Mellitus 1. Biologische Grundlagen Gliederung 2. Klassifikation, Ätiologie, Epidemiologie, Folgeerkrankungen, Behandlung Folgeerkrankungen, Behandlung 3. Verhaltensmedizinische inische Implikationen 4. Exkurs: Pränatale Einflussfaktoren 1
1. Biologische Grundlagen Einleitung und Geschichte Blutzucker, Hormone und Funktion Was ist beim Diabetes-Patienten anders? Einleitung und Geschichte Diabetes mellitus = honigsüßer Durchfluss schon im Mittelalter bekannt 1923 Nobelpreis Banting und Best für die Entdeckung des Insulins erste industrielle Insulinherstellung 1965 trotz Entdeckung verschiedener Tests zur Selbstmessung des Blutzuckers: Empfehlung der Ärzte Kein Selbstmanagement <=>Heute: Selbstmanagement als Behandlungs- grundlage 2
Blutzucker, Hormone und Funktionen Glucose: Wichtigster Energieträger im menschlichen Organismus Regulation der Glukose- Konzentration durch: -Insulin(Reduktion des Blutzuckerspiegels) -Glucagon(Erhöhung des Blutzuckerspiegels) Blutzucker, Hormone und Funktionen Glykolyse: l Abbau von Glukose zur Energiegewinnung Glykogenese: Bildung von Glykogen aus Glukose; dient der Speicherung von Glukose und der Konstanthaltung des Blutzuckerspiegels Glykogenolyse: Abbau von Glykogen zu Glukose (v.a. in Leber und Muskel); Freisetzung von Glukose ins Blut Glukoneogenese: Neubildung von Glukose aus Nicht-Zuckern (z.b. Aminosäuren, Laktat) in Leber und Niere 3
Blutzucker, Hormone und Funktionen Insulin: Bildung in den β-zellen (Langerhanssche-Inselzellen) des Pankreas Dient der Aufrechterhaltung eines normales Blutzuckerspiegels Abbau von Glukose zu Glykogen (Glykogenese) Neubildung von Glukose in der Leber (Glukoneogenese) Reduktion des Blutglukosespiegels, Speicherung von Energie Sekretion von Insulin wird gefördert durch: Anstieg des Blutzuckerspiegels Verdauungstrakthormone (Sekretin, Gastrin) & Glucagon Gegenspieler von Insulin: Glucagon Adrenalin Cortisol Blutzucker, Hormone und Funktionen Glucagon: Bildung in den α-zellen (Langerhanssche-Inselzellen) des Pankreas Dient ebenfalls der Aufrechterhaltung eines normales Blutzuckerspiegels (Insulinantagonistische Wirkung) Abbau von Glykogen zu Glukose (Glykogenolyse) Neubildung von Glukose (Glukoneogenese) Abbau von Glukose (Glykolyse) Erhöhte Verfügbarkeit von Glukose Sekretion von Glucagon wird gefördert durch: Hypoglykämie Erregung des sympathischen Nervensystems (Adrenalin) 4
Blutzucker, Hormone und Funktionen Was ist beim Diabetes-Patienten anders? Die Regelung des Blutzuckerspiegels l durch Insulin ist gestört Blutzucker ist erhöht Typ 1 Diabetes: es ist kein Insulin vorhanden (Defekt der Langerhansschen Inseln es kann kein Insulin synthetisiert werden) Typ 2 Diabetes: Insulinresistenz (Insulin ist zwar grundsätzlich vorhanden, aber Wirkungseinschränkung auf Seiten des Rezeptors oder des Insulins) 5
Blutzuckermessung 2. Klassifikation, Ätiologie, Epidemiologie, Folgeerkrankungen, Behandlung Klassifikation und Ätiologie (Typ1 vs. Typ 2) Epidemiologie Folgeerkrankungen Behandlung 6
Klassifikation und Ätiologie (Typ1 vs. Typ 2) Typ 1- Diabetes: manifestiert sich in meist plötzlich auftretenden Symptomen: Starker Durst, vermehrtes Trinken und dwasserlassen, Abgeschlagenheit, h Gewichtsabnahme und Heißhunger ist gekennzeichnet durch: Insulinmangel, extrem hohe Glukosewerte mit Ketoseneigung, lebenslange Abhängigkeit von täglichen Insulininjektionen Die heutige Klassifikation: anhand der Ätiologie, nicht mehr am Manifestationsalter oder der Insulinbedürftigkeit Klassifikation und Ätiologie (Typ1 vs. Typ 2) Typ 1- Diabetes, Ätiologie: i Genetisch determinierte Autoimmunerkrankung exogene Faktoren lösen autoimmunologischen Prozess aus zum Zeitpunkt der Manifestation besteht bei ausbleibender Behandlung Lebensbedrohung: ca. 80-90% der B- Zell- Masse des Pankreas zerstört Nach Restsekretion: lebenslange Insulinzufuhr Hauptkonsequenz des Insulinmangels: Hyperglykämie Wichtigstes Therapieziel: weitgehende Normalisierung des Blutglukosespiegels: Werte zwischen 80 und 120 mg/dl (siehe HbA1c Wert) 7
Klassifikation und Ätiologie (Typ1 vs. Typ 2) Typ 2- Diabetes: Es besteht Insulinresistenz: Der Glucosespiegel steigt (Hyperglykämie): vorhandenes Insulin wird an seiner Wirkung gehindert Folge: Hyperinsulinismus Zunächst keine akuten Beschwerden, Blutglukosespiegel kann Jahre zu hoch liegen Klassifikation und Ätiologie (Typ1 vs. Typ 2) Typ 2 Diabetes, Ätiologie: Klare genetische Komponente: Begünstigung durch Übergewicht und andere Prädiktoren Wichtigstes Therapieziel: primäre und sekundäre Prävention = Vermeidung und Verzögerung von Folgeerkrankungen 8
Epidemiologie Epidemiologie Typ 2-Diabetes: Von allen Diabetes- Erkrankungen fallen ca. 90% auf Typ-2 Diabetes Weltweit sind zu Beginn des neuen Jahrtausends ca. 150 Millionen Menschen betroffen Innerhalb von 10 Jahren wird mit einer Zunahme von 46% auf 220 Millionen gerechnet Hintergrund für die erwartete explosive Zunahme: Die zunehmende Lebenserwartung wachsende Weltbevölkerung weltweit festzustellender Trend in Richtung eines westlichen Lebensstils 9
Folgeerkrankungen Bei Menschen mit Diabetes finden sich verglichen zu Nicht- Diabetikern: Tod durch Herz- und Kreislauferkrankungen 3-4-mal häufiger 22 000 bis 28 000 Amputationen (Zehen, Füße, Beine)= 70% aller nicht durch Unfälle bedingten A. 50% aller neu dialysepflichtigen Patienten pro Jahr Häufigste Ursache für Erblindung bei unter 60- Jährigen Diabetes- Behandlung belastet das gesamte Gesundheitsbudget mit 9% Folgeerkrankungen 10
Behandlung Typ- 1- Diabetes: Behandlung Typ- 1- Diabetes Therapie: Ersetzen des fehlenden körpereigenen Insulins= Insulinsubstitution Früher ärztliche Behandlung, heute Selbstbehandlung regelmäßige Selbstmessungen der Glukose Heute favorisiert: intensivierte Insulintherapie 4- maliges Spritzen von Insulinen unterschiedlicher Wirkdauer DCCT- Studie und andere zeigten: Prävention von Langzeitkomplikationen durch intensivierte Insulintherapie möglich 11
Behandlung Typ-2- Diabetes: Primär der Rat des Arztes abzunehmen, Sport zu betreiben und andere Verhaltenweisen zu ändern Wenige können solch komplexe Anweisungen in die Tat umsetzen Zentral sind jedoch: - Strikte Kontrolle von Blutglukose - Kontrolle des Blutdrucks - Kontrolle von Blutfetten - Kann Diabetes Komplikationen eindeutig reduzieren Problematisch: immer jünger werdende Patienten und für diese keine zugelassenen Medikamente außer Insulin 3. Verhaltensmedizinische Implikationen Selbstmanagement Diabetes Psychosoziale Belastungen: Statistik Interventionsmöglichkeiten Patientenschulung t und dempowerment Verhaltensmodifikation Wahrnehmungstraining g Komorbidität Essstörungen Depressionen Angststörungen 12
Selbstmanagement Diabetes Verhaltensanforderungen stellen den Kern der Diabetes-Behandlung dar: Glukose testen Mehrmals täglich Insulin spritzen Diät halten Sport treiben Tabletten einnehmen Selbstmanagement Diabetes Bedingungen für erfolgreiches Selbstmanagement bei Diabetes: Persönliche Fähigkeiten Gute Arzt-Patienten-Kommunikation Diabetesspezifisches Wissen Einstellungen und persönliche Haltungen zum Diabetes Emotionales Wohlbefinden und Motivation zur Selbstfürsorge Soziale Gegebenheiten 13
Psychosoziale Belastungen: Statistik In Deutschland sind ca. 16% der Diabetiker ik extrem belastet 53% der Typ 2 und 65% der Typ1 Diabetiker haben starke Angst vor Folgeerkrankungen k Angst besteht besonders vor Amputation und Blindheit 25% haben starke Angst vor der Zukunft 60% haben mindestens ein starkes Problem mit dem Diabetes Häufig und stark belasten Diät und Insulinselbstbehandlung Interventionsmöglichkeiten Verhaltensmedizinische i i h Ansätze gehen von aktuellen biologischen Grundkenntnissen aus stellen die Optimierung der Behandlung durch Verhaltenssteuerung in den Mittelpunkt Umgang mit dem Diabetes als einer chronischen Erkrankung und verschiedenen speziell entwickelten Interventionsmöglichkeiten 14
Patientenschulung und Empowerment Rolle des Patienten und seine Verantwortlichkeit von Compliance zu Adherence Empowerment-Ansatz: Stärkung des Selbstwirksamkeitsgefühls Zusatzqualifikation für Ärzte: Diabetologe DDG von der deutschen Diabetes Gesellschaft erhält man nur nach Besuch von Fortbildungskursen in Kommunikation und patientenorientierter Gesprächsführung Patientenschulung und Empowerment Ziele der Patientenschulung der DDG: Patientenzentrierte Beratung in Kleingruppen Empowerment-Ansatz statt Compliance-Förderung Berücksichtigung psychosozial lbegründeter Schwierigkeiten i it die Patienten bei der Umsetzung der Therapie haben Frühzeitige Diagnose und Therapie diabetesspezifischer psychosozialer Probleme Konkrete Hilfestellung zur Verhaltensänderung geben Transfer der Inhalte in den Lebensalltag 15
Patientenschulung und Empowerment Merkmale guter Diabetiker-Schulung ik Shl Patienten kommen freiwillig Zu Beginn Zeit für Vorstellung und Zielformulierung Informieren statt tt Belehren Lerninhalte vereinbaren statt bestimmen Ergebnisoffene Prozesse fördern statt Ergebnisse unbedingt erreichen zu müssen Emotionen einbeziehen statt als Störung zu bewerten oder zu ignorieren Verhaltensmodifikation Lebensstilfaktoren: Übergewicht Essverhalten Körperliche Aktivität Lebenswandel (Alkohol, Nikotin...) Leitfaden für den Alltag 16
Verhaltensmodifikation Ansatzpunkte zur primären Prävention werden dringend benötigt Rolle von Umgebungsfaktoren Langfristige Verhaltensänderungen ngen Entwicklungsverlauf langfristigen Ess- und Bewegungsverhaltens Integration der erforderlichen multiplen Verhaltensänderungen Verhaltensmodifikation Rolle von Umgebungsfaktoren Soziokultureller Einfluss (Public-Health) Modifikation der Umgebung oft hilfreicher als Modifikation des Verhaltens Modifikation des Verhaltens belegte Beispiele: Bessere Bewegungsmöglichkeiten in Nachbarschaft körperliche Aktivität Fettarme Lebensmittel im lokalen Lebensmittelladen fettreduzierte Ernährung Preis und Verfügbarkeit von Lebensmitteln beeinflussen das Kaufverhalten a 17
Verhaltensmodifikation Problematik langfristiger i und stabiler Verhaltensänderungen Jojo-Effekt Entwicklungsbedingungen für Ess- und Bewegungsverhalten Eltern-Kind-Interaktion Geschmackspräferenzen Verhaltensmodifikation Integration ti der erforderlichen multiplen l Verhaltensänderungen Bemühung integrative und multimodale fachübergreifende Angebote zu erarbeiten Studienergebnisse: Körperliche Aktivität hat Katalysator -Funktion Verfolgen zweier Verhaltensänderungen problematisch Veränderung des Lebensstils reduzierte Diabetesrisiko um 58% (doppelt so wirksam wie eine medikamentöse Behandlung) 18
Wahrnehmungstraining Typische Symptome einer Hypokglykämie: kä Schweißausbrüche Magenverstimmung Schnelles Atmen Nervosität Herzrasen Langsames, unscharfes Denken Leichte Verwirrung Probleme beim Sprechen Schlechte Koordination Sehprobleme Wahrnehmungstraining Auftreten einer Wahrnehmungsstörung h (Symptome werden nicht mehr oder zu spät wahrgenommen) Gehäuft nach jahrzehntelanger Diabetes-Dauer Bei Patienten mit Neuropathie Bei Besonders niedriger Diabetes-Langzeiteinstellung Adaptation des Gehirns an sehr niedrige Glucoseversorgung außerhalb von Wahrnehmungsstörung: interozeptive Wahrnehmung des Blutzuckers Einfluss von Gedanken, Gefühlen, Gedächtnisinhalten und Einstellungen 19
Wahrnehmungstraining Blood Glucose Awareness Training i strukturiertes intensives Trainingsprogramm 8 Doppelstunden, in wöchentlichem Abstand Gruppenkurs (6-8 Teilnehmer) oder Einzelpersonen Bei einem Treffen werden wichtige Bezugspersonen miteinbezogen Verbessert Hypoglykämie-Wahrnehmung y g der Patienten Wahrnehmungstraining Blood Glucose Awareness Training i Lerneffekte des BGAT: Persönliche Hypoglykämie-Warnzeichen früher erkennen Hypoglykämien vermeiden Richtige Behandlungsentscheidungen treffen Zuverlässige und unzuverlässige Symptome unterscheiden Wirkung von Stimmungen und Gefühlen auf die Blutglucose einschätzen Beobachtungen des Zusammenwirkens von Insulin, Nahrung und Sport Persönliche Schlussf0lgerungen ziehen 20
Wahrnehmungstraining Blood Glucose Awareness Training i Wirksamkeit: Weniger Ketoazidosen Seltener Hypoglykämien Seltener Autounfälle Weniger Angst Verbesserte Lebensqualität Verbesserte hormonelle Gegenregulation in einer experimentell erzeugten Hypoglykämie durch Verhaltensintervention erzeugte Veränderung physiologischer Prozesse Komorbidität: Essstörungen Essstörungen Anorexia nervosa und Bulimia nervosa nehmen beachtliche Rolle als Komorbide Störung ein Es besteht ein erhöhtes Risiko für beide Störungen, häufig: die Insulindosierung i wird stark reduziert oder Insulin weggelassen, um an Gewicht zu verlieren Auffälligstes Merkmal der Patientinnen mit A.n.: gravierender Gewichtsverlust t bis zu lebensbedrohlicher b h Unterernährung Mittel um abzunehmen: Stark reduzierte Kalorienaufnahme Absichtlich induziertes Erbrechen Abführmittelmissbrauch Hyperaktivität B.n. ist gekennzeichnet durch wiederholtes Auftreten von Essanfällen Wegen Kontrollverlust werden in sehr kurzer Zeit große Nahrungsmengen verschlungen 21
Komorbidität: Depressionen Prävalenz: 30% der Patienten mit Typ-1- oder Typ-2- Diabetes Für beide Formen gibt es signifikanten Zusammenhang zwischen Depression und Hyperglykämie- je depressiver jemand war, umso höher die Blutglukose Allgemein: je stärker depressive Symptome ausgeprägt sind, umso mehr steigt die Zahl oder Schwere von Diabetes Komplikationen steigt die Zahl oder Schwere von Diabetes Komplikationen Die Depressiven Symptome werden i.d.r. nach dem ICD- 10 diagnostiziert Komorbidität: Depressionen Neuroendokrinologen vermuten: Hyperaktivität der Hypothalamus- Hypophysen- Nebennierenrinden- Achse Es kann weder die Depression als eine Folge biochemischer i h Prozesse allein erklärt werden auch die psychosozialen Anforderungen durch die chronische Erkrankung reichen nicht als Erklärung Depression = multifaktorielles Phänomen: biologisch und psychosozial Für die Behandlung haben sich sowohl Pharmakotherapie als auch kognitive Verhaltenstherapie bewährt 22
Komorbidität: Angststörungen 3 Angstformen (vor allem bei Typ-1- Diabetikern): ik Panikstörung: wird oft mit einer Hypoglykämie verwechselt Die Symptome einer Hypoglykämie: ähnlich zu Symptomen der Panikstörung (Angst und Hypoglykämie rufen unspezifische Stressreaktion hervor) Für die Differenzialdiagnostik entscheidend: wie angemessen /realistisch sind die Ängste? Hat ein Diabetiker tatsächlich häufig Hypoglykämien? Oder muss er verhaltenstherapeutisch geschult werden um die Ängste zu bekämpfen? Komorbidität: Angststörungen Hypoglykämie- Angst= Angst tin einen Schockzustand zu geraten Manifestiert sich sowohl auf gedanklicher als auch auf Verhaltensebene für die Diagnostik gibt es: Hypoglycemia Fear Scale Hypoglykämie- Angst: Senkung durch Trainingsprogramm (zur Verbesserung der Wahrnehmung nachgewiesen) g g g Angst vor Folgeerkrankungen: In Schulungen: Abschreckung durch Folgeerkrankungen Mögliche Folge: Überzogene Angst= Ignorieren der tatsächlichen Risiken 23
4. Exkurs: Pränatale Einflussfaktoren Epidemiologische i i Studien zeigen: Niedriges Geburtsgewicht steht im Zusammenhang mit dem Risiko, Typ-2- Diabetes zu entwickeln Studien mit monozygotischen Zwillingen belegten: genetische Einflüsse können diesen Zusammenhang nicht vollständig erklären Es besteht also ein enger Zusammenhang zwischen pränataler Nahrungsversorgung und Diabetes im Erwachsenenalter Bekannte Studie hierzu: Nurses Health Study, 1976 121 701 Krankenschwestern wurden untersucht der Zusammenhang zwischen Geburtsgewicht und dem Risiko für Diabetes war am stärksten bei Frauen deren Mütter kein Diabetes hatten! 24
Blutzuckermessung 25