Predigt über 2. Mose 3,1-14 am letzten Sonntag nach Epiphanias (13.2.2011) in der Auferstehungskirche Großhansdorf-Schmalenbeck. Von Pastor Dr. Christoph Schroeder Liebe Gemeinde, es gibt Sprachbilder, die sind so im kollektiven Gedächtnis verankert, dass sie schon gar keine Wirkkraft mehr haben. Erst eine unerwartete geschichtliche Entwicklung spült sie wieder hoch und verschafft ihnen eine ungeahnte Schärfe. Ganz neu entwickeln sie dann eine funkelnde Strahlkraft. Solch ein Sprachbild ist das vom Sklavenhaus Ägypten. Seit dem Exodus des Volkes Israel ist das Sklavenhaus Ägypten zum Inbegriff unterdrückerischer Strukturen geworden. Der Auszug Israels aus der ägyptischen Sklaverei in das Gelobte Land war die Vision, die im 18. Jahrhundert die aus Europa fliehenden religiösen Minderheiten, im 20. Jahrhundert die Schwarzen in den USA und in Südafrika, die Basisgemeinden in Südamerika und ungezählte Freiheitsbewegungen anderswo beflügelt hat. Und nun öffnen uns die Demonstranten auf dem Tahrir-Platz in Kairo die Augen dafür, dass die heutigen Ägypter selbst in einem Sklavenhaus leben. Die Regierung von Hosni Mubarak hat aus dem Land nicht für andere, sondern für seine eigenen Bewohner ein Sklavenhaus gemacht, in dem sie seit über dreißig Jahren leben und aus dem sie sich nun endlich befreien wollen. Vor dem Hintergrund der aktuellen Ereignisse gewinnt der Predigttext für den heutigen Sonntag, einer der wirkmächtigsten der ganzen Bibel, neue Prägnanz. Er steht im Buch Exodus im 3. Kapitel: Mose aber hütete die Schafe Jitros, seines Schwiegervaters, des Priesters in Midian, und trieb die Schafe über die Steppe hinaus und kam an den Berg Gottes, den Horeb. Und der Engel des Herrn erschien ihm in einer feurigen Flamme aus dem Dornbusch. und er sah, dass der Busch im Feuer brannte und doch nicht verzehrt wurde. Da sprach er: Ich will hingehen und die wundersame Erscheinung besehen, warum der Busch nicht verbrennt. Als aber der Herr sah, dass er hinging, um zu sehen, rief Gott ihn aus dem Busch und sprach: Mose, Mose! Er antwortete: Hier bin ich. Gott sprach: Tritt nicht herzu, zieh deine Schuhe von deinen Füßen, denn der Ort, darauf du stehst, ist heiliges Land! Und er sprach weiter: Ich bin der Gott deines Vaters, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs. Und Mose verhüllte sein Angesicht; denn er fürchtete sich, Gott anzuschauen. Und der Herr sprach: ich habe das Elend meines Volks in Ägypten gesehen und ihr Geschrei über ihre Bedränger gehört; ich habe ihre Leiden erkannt. Und ich bin herniedergefahren, dass ich sie errette aus der Ägypter Hand und sie herausführe aus diesem Land in ein gutes und weites Land, in ein Land, darin Milch und Honig fließt, in das Gebiet der Kanaaniter, Hetiter, Amoriter, Perisiter, Hiwiter und Jebusiter. Weil denn nun das Geschrei der Israeliten vor mich gekommen ist und ich dazu ihre Not gesehen habe, wie die Ägypter sie bedrängen, so geh nun hin, ich will dich zum Pharao senden, damit du mein Volk, die Israeliten, aus Ägypten führst. 1
Mose sprach zu Gott: Wer bin ich, dass ich zum Pharao gehe und führe die Israeliten aus Ägypten? Er sprach: Ich will mit dir sein. Und das soll dir das Zeichen sein, dass ich dich gesandt habe: Wenn du mein Volk aus Ägypten geführt hast, werdet ihr Gott opfern auf diesem Berge. Mose sprach zu Gott: Siehe, wenn ich zu den Israeliten komme und spreche zu ihnen: der Gott eurer Väter hat mich zu euch gesandt! Und sie mir sagen werden: Wie ist sein Name?, was sol ich ihnen sagen? Gott sprach zu Mose: Ich werde sein, der ich sein werde.und sprach: So sollst du zu den Isareliten sagen: Ich werde sein, der hat mich zu euch gesandt. Ich will hingehen und die wundersame Erscheinung besehen, warum der Busch nicht verbrennt. Eine fast kindliche Neugier führt Mose zu dem brennenden Dornbusch. Das will ich mir doch einmal näher ansehen. Zeit hat Mose ja sowieso genug beim Schafehüten. Viel passieren tut in der Steppe nicht. Jahre zuvor hatte er aus Ägypten fliehen müssen. Er hatte damals beobachtet, wie ein ägyptischer Aufseher einen der iraelitischen Sklaven schlug. Mose hatte sich das nicht einfach angeschaut. Er hatte eingegriffen, Partei für den Schwachen genommen und dabei den Aufseher erschlagen. Das Land hatte er danach verlassen müssen. Mose reagiert ziemlich entschieden auf Dinge, die in seinem Umfeld passieren. Der jetzige Aufstand in Ägypten begann... eher zufällig.... Ein paar dutzend junge Ägypter, die sich in Mubaraks Polizeistaat über das Internet verständigt hatten, auf dem Tahrir-Platz an einen der Ihren zu erinnern: Wir sind alle Khaled Said. Der Blogger Said war vor einem halben Jahr von Polizisten zu Tiode geprügelt worden. Einer von vielen. Tödliche Polizeigewalt ist Alltag in Ägypten. (SZ, S.3, 12.2.2011) Mose war, nachdem er seinen geprügelten Bruder verteidigt hatte, nach Midian geflohen. Hier hatte er eine Frau gefunden und war in die Familie seines Schwiegervaters aufgenommen worden. Seine Frau hatte ihm Kinder geschenkt. Ein berufliches Auskommen hatte er als Schafhirt. Seine Vergangenheit schien er abgestreift zu haben. Bis, ja bis er eines Tages die Schafe über die Steppe hinaustrieb und an den Berg Gottes, den Horeb kam. Etwas ab vom Normalen, nur wenig außerhalb der gewohnten Zusammenhänge. Einmal die ausgetretenen Pfade, die gewohnten Geleise verlassen, über den Tellerrand hinausgucken, etwas Neues wagen und ausprobieren. Oder hat Mose sich ganz bewusst dem Gottesberg genähert, einer unergründlichen Neugier folgend? Vielleicht ist das auch heute noch so, wenn Gott einem im Alltag begegnet. Neugier gehört dazu, die Bereitschaft, sich überraschen zu lassen, ein wacher Blick für das, was um einen herum passiert. Der Drang, den Dingen auf den Grund zu gehen. Das Gegenteil von Gleichgültigkeit. 2
Vielleicht hätte sich nicht jeder den Dornbusch näher angesehen. Konzentriert nur auf seine Schafe, auf das alltäglich Wiederkehrende, ohne Interesse für das, was links und rechts vom Weg sich abspielt, hätte ein anderer ihn achtlos links liegen gelassen. Mose aber nähert sich dem Busch. Was mag ihn angezogen haben? Wenn in der Steppe ein Busch brennt, dann ist das von kurzer Dauer. Ein Strohfeuer, so kochentrocken sind die dürren Zweige. Aber hier verbrennen die Zweige nicht. Das Feuer kommt ohne Nahrung aus. Ein Feuer, das brennt, ohne zu zerstören, ein Feuer, das nichts frisst und trotzdem Flammen schlägt. Eine Kraft, eine Dynamik, aus unsichtbarer Quelle gespeist. Woher kommt diese Kraft? Was ist das für eine Kraft, die so lebendig ist und doch nichts zerstört? Dieses Geheimnis zieht Mose an. Kaum kommt er dem, was ihn so anzieht, näher, da spricht ihn aus der Flamme eine Stimme an. Die zieht ihn in einen Dialog, an dessen Ende sein ganzes Leben auf dem Kopf steht. Oder ordnet es sich neu? Kommt es erst wieder vom Kopf auf die Füße? Ich bin der Gott deines Vaters, der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs. Diese Stimme aus dem brennenden Busch ruft ihm seine Herkunft in Erinnerung. Ich habe das Elend meines Volkes in Ägypten gesehen und ihr Geschrei über ihre Bedränger gehört; ich habe ihre Leiden erkannt. Kein Vorwurf: Du hast damals einen Menschen umgebracht. Stell dich deiner Vergangenheit. Lauf nicht länger vor ihr davon. Nein, davon ist mit keinem Wort die Rede. In bezug darauf macht ihm Gott am Ende sogar Mut: Geh hin, zieh wieder nach Ägypten, denn die Leute sind tot, die dir nach dem Leben trachteten. Wael Ghonim ist Marketing-Manager bei Google, zuständig für den Nahen Osten und Nordafrika. Er hatte die Facebook-Gruppe Wir sidn alle Khaled Said ins Leben gerufen. Ein junger Mann, Familienvater, erfolgreich. Er war vorher so politisch oder unpolitisch wie die meisten Ägypter: Alle haben geklagt, keiner hat was getan. Nun hat der 30-Jährige den Anstoß gegeben für eine Revolte, die das wichtigste Land der arabischenwelt auf den Kopf stellt und den Nahen Osten veränden wird. (SZ, S.3, 12.2.2011) Mose soll zu seinen Angehörigen zurückkehren, ihr Sprecher werden, mit dem Pharao verhandeln und sein Volk aus Ägypten herausführen. Was für eine Lebenswende! Raus aus dem beschaulichen Leben als Schafhirt im abgelegenen Midian zurück ins gefährliche Getümmel. Nicht mehr abseits stehen, sondern Verantwortung übernehmen. Die damalige Tat nicht nur vergeben, sondern von Gott ganz anders gesehen als von denen, die ihn dafür verfolgten. Für Mose gibt es kein Zurück mehr, ob er will oder nicht. So tun, als hätte diese Begegnung nicht stattgefunden und wieder zur Tagesordnung übergehen das geht nicht. 3
Das Feuer im Dornbusch brennt im Herzen und verzehrt es doch nicht, es ist die Kraft, die einen erfüllt und in Bewegung setzt, eine unerschöpfliche Kraft, die dem eigenen Leben eine neue Richtung gibt. Ein pfingstliches Feuer. Ein heller Schein, den Gott in euer Herz gegeben hat, dass durch euch entstünde die Erleuchtung zur Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes. Kein zerstörerisches, ein schöpferisches Feuer. Der Prophet Jeremia hat später, nach einer ähnlichen Begegnung, einmal versucht, den Ruf Gottes zu unterdrücken: Ich dachte: Ich will nicht mehr an ihn denken und nicht mehr in seinem Namen predigen. Es gelang ihm nicht. Es ward in meinem Herzen wie ein brennendes Feuer, in meinen Gebeinen verschlossen, dass ich s nicht ertragen konnte; ich wäre schier vergangen. Mose macht sich auf den Weg. Frau und Kinder nimmt er mit. Und er hat einen verständnisvollen Schwiergervater. Als Mose ihm sagt: Lass mich doch gehen, dass ich wieder zu meinen Brüdern komme, die in Ägypten sind, und sehe, ob sie noch leben, da fragt Jitro nicht nach, verlangt keine Erklärungen, legt ihm keine Steine in den Weg. Als habe er es seit langem geahnt, fast wissend und in unausgesprochenem Einverständnis, sagt er einfach nur: Geh hin mit Frieden. Nur diese paar Worte: Geh hin mit Frieden. Wieviel Menschenkenntnis, Wachheit und Weisheit steht unausgesprochen zwischen diesen Worten. Später, nach der Befreiung, als Mose mit dem Volk wieder an den Gottesberg kommt, wird Jitro, der weise Schwiegervater, ihn bei seiner schweren Führungsaufgabe mit Rat und Tat zur Seite stehen. Freiheitskämpfe haben etwas Ehrfurcht Erregendes. Es ist von elementarer Schönheit, zu sehen, wie Menschen aufstehen, sich gerade machen, auf einmal die Kraft haben, das Joch abzuschütteln, das sie jahrzehntelang getragen haben. Mutig, unerschrocken, voller Würde ist das. Aber schnell kann die errungene Freiheit in erneute Unterdrückung umschlagen. Die Unterdrückten werden dann auf einmal selbst zu den grausamsten Tyrannen.Ganz schnell haben sie ihre hehren Grundsätze vergessen. Was wird den christlichen Kopten in Ägypten geschehen, wenn die Muslimbruderschaft an die Macht geraten sollte? Wird das Land dann für sie erneut zum Sklavenhaus, aus dem dann wieder nur der Exodus, der Auszug, Befreiung verspricht? Der brennende Dornbusch auch ein Bild dafür, dass der Gott der Befreiung sich nicht vereinnahmen lässt. Das göttliche Feuer der Gerechtigkeit brennt für alle Menschen. Für das Volk Israel begann der wirklich harte Weg erst nach der geschehenen Befreiung. Gott ging zwar in der Feuersäule vor ihnen her. Aber 40 Jahre lang mussten sie in der Wüste erst täglich 4
mühsam lernen und einüben, wie das geht: in Freiheit miteinander leben, die eigene Freiheit und die der anderen nicht zu missbrauchen, die Würde der anderen zu respektieren. Am Ende wird selbst Mose das Gelobte Land nur aus der Ferne sehen dürfen, betreten darf er es nicht mehr. Dieses Feuer in ihrer Mitte zu haben, ist für eine Gesellschaft gefährlich und heilsam zugleich. Das haben die Propheten dem Volk Israel später, als es in die Gefahr geriet, selbst unterdrückerisch zu werden, immer wieder ins Gedächtnis gerufen: Wer ist unter uns, der bei verzehrendem Feuer wohnen kann? Wer ist unter uns, der bei ewiger Glut wohnen kann? Und Jesajas Antwort: Wer in Gerechtigkeit wandelt und redet, was recht ist; wer schändlichen Gewinn hasst und seine Hände bewahrt, dass er nicht Geschenke nehme... der wird in der Höhe wohnen und Felsen werden seine Feste und Schutz sein. Sein Brot wird ihm gegeben, sein Wasser hat er gewiß. Der brennende Dornbusch, dieses Feuer brennt weiter. Ohne dieses Feuer zerfällt eine Gesellschaft, fehlt ihr die Lebensenergie. Dieses Feuer ist lebendig und kraftvoll, unerschöpflich und unauslöschlich. Nur eine Gemeinschaft, die Recht und Gerechtigkeit übt, wird dieses Feuer in ihrer Mitte bewahren und ertragen können. Als die Menschen zu Johannes dem Täufer kommen, da kündigt er ihnen an: Es wird einer kommen, der wird mit dem heiligen Geist und mit Feuer taufen. Jesu pfingstliches Feuer, der Heilige Geist, geht in der Taufe auf uns über. Dieser Geist, dieses Feuer, dieser helle Schein will in unseren Herzen wohnen, uns lebendig erhalten und uns auf den Weg des Rechts und der Gerechtigkeit leiten. Das ist die Verheißung dieses Sonntags für alle Getauften: Über dir geht auf der Herr, und seine Herrlichkeit erscheint über dir. Amen. 5