www.brandeins.de brand eins 11. Jahrgang Heft 01 Januar 2009 7,60 Euro C 50777 brandhundert Wirtschaftsmagazin 01 4 195069 807601 Wirtschaft neu
EDITORIAL Weiter denken Herbst 1999. Nach zähem Anlauf neigt sich das Wirtschaftsjahr einem guten Ende zu, der Dax schwingt sich zu neuen Höhen auf, und der gerade erst eröffnete Neue Markt wird zum Hoffnungsträger für künftige Prosperität. Ein Jahr später ist alles wieder vorbei. Die Dotcom- Blase ist geplatzt, und die Zukunftsprognosen für Wirtschaft und Medien färben sich im Wochentakt dunkler ein. Da ist brand eins gerade mal ein Jahr alt. An eine 100. Ausgabe hat damals niemand geglaubt. Vielleicht liegt es an dieser Gründungsphase, dass uns schlechte Nachrichten bis heute nicht so leicht aus der Ruhe bringen. Und vielleicht hat uns die Erfahrung, dass in den folgenden zunächst mutlosen, dann gierigen Jahren selbst ein unternehmerisches Projekt wie brand eins möglich war, zu so kritischen wie überzeugten Befürwortern eines Systems gemacht, in dem die Initiative eine Chance hat. Und in dem gestalten kann, wer gestalten will. Da ist es fast schon ein Treppenwitz der Geschichte, dass just zur 100. Ausgabe wieder einmal alles zusammenbricht. Und dass nun allerorten genau jene das Ende des Systems beschwören, die nie versucht waren, es zu nutzen. Was alles möglich wäre das ist das Thema von brand hundert, nämlich Wirtschaft und Gesellschaft neu zu denken. Dazu ist es erst einmal nützlich, sich zu vergegenwärtigen, wo wir stehen. Wir haben eine Krise, die auch kerngesunde Regionen wie Reutlingen erreicht, aber sicher nicht ruiniert (S. 34). Das Finanzsystem ist erodiert, was zu einem Umdenken führen kann, aber nicht muss (S. 42). Die Preise für Lebensmittel sind Spekulationsobjekte geworden (S. 70), die Globalisierung muss als Begründung für alles herhalten, was schlecht ist in der Welt (S. 60). Und dass die Arbeitswelt nicht mehr ist, was sie war, das lässt sich beschreiben, nicht immer sehen (S. 78). Herausforderungen genug also, aber längst auch Ideen, wie ihnen zu begegnen wäre. Jost Stollmann hatte die schon vor zehn Jahren, möglicherweise ein Grund, warum er als Wirtschaftsminister nicht infrage kam (S. 24). Denn wer aus dem scheinbar bewährten Denkgebäude ausbricht, macht sich nicht unbedingt Freunde, wie auch Götz Werner (S. 116), Edgar Feige (S. 138) oder Bernard Lietaer (S. 154) wissen. Sie alle haben den Stein weit geworfen, nutzen, was da ist, aber denken es neu. Fast ist man versucht, bei den Utopien über Grundeinkommen oder ein neues Steuer- und Finanzsystem ins Träumen zu geraten Aber Träume sind nicht mehrheitsfähig, Absagen an die Marktwirtschaft schon. Bleibt also nur die Politik der kleinen Schritte? Immerhin sind auch da schon einige Kilometer zurückgelegt. Ob Sozialunternehmen, neue Schulmodelle oder Experimente zur Demokratie in Unternehmen und Staat (S.52, 108, 144, 130): Es tut sich was. Oder besser: Menschen, die sich nicht abfinden, sondern etwas unternehmen, tun was. Damals, als wir gestartet sind, erblickte auch Zec das Licht der Welt, der Sohn unseres Art Directors Mike Meiré. Der wollte kürzlich seinen Vater von einer mobilen Spielkonsole überzeugen. Und als er auf Widerstand stieß, stöhnte er: Papa, die Zukunft kommt näher! Das wünschen wir ihm. Und uns. - Gabriele Fischer, Chefredakteurin, gabriele_fischer@brandeins.de Redaktion brand eins, Schauenburgerstraße 21, 20095 Hamburg Foto: Heji Shin 4 BRAND EINS 01/09
INHALT Inhalt 12 14 16 18 20 24 30 Mikroökonomie: Eine Richterin in Sambia Die Welt in Zahlen Wirtschaftswörterbuch: Russland Markenkolumne: Die Elastische Wolford Das geht: Einfach schrauben Wirtschaft neu Stand der Dinge DIE ZIELE SIND GLEICH GEBLIEBEN Jost Stollmann war eine Leitfigur der neuen Wirtschaft, verließ das Land und sieht es noch immer mit scharfem Blick. Ein Interview mit Gabriele Fischer DESIGN FÜR DIE ANDEREN 90 PROZENT Gestalter können Leben retten. Wie, erzählt die Kunstkuratorin Cynthia Smith Thomas Ramge 66 69 70 78 GUTENBERGS ERBE Bleisatz und Drucken das galt als ausgestorben. Der Berliner Martin Schröder beweist das Gegenteil Von Holger Schnitgerhans BESSER GING S UNS OHNE SIE Eine Sammlung des Überflüssigen MÜNDER UND MÄRKTE Alle schauen auf die taumelnden Banken, kaum einer auf die schwankenden Kurse der Lebensmittel. Eine Analyse von Carolyn Braun und Marcus Pfeil VOM WERT UND SINN / DIE FREIHEIT UND IHR PREIS In der Arbeitswelt ist die Zukunft schon angekommen. Eine Momentaufnahme von Michael Hudler (Foto) und Peter Laudenbach (Text) 34 42 REZESSIÖNLE Wenn die Krise ein schwäbisches Wohlstandsidyll erreicht. Eine Reportage aus Reutlingen von Andreas Molitor DER ENTENTANZ Die Finanzbranche braucht die Hilfe des Staates und neue Spielregeln Von Ingo Malcher 96 Wirtschaft neu Perspektive 28 FRAGEN ZUR FINANZKRISE Zum Bankendebakel ist schon alles gesagt? Nein, da sind noch einige Fragen offen, findet Birger Priddat 50 52 60 STILLSTAND IN DER BEWEGUNG Der Innenarchitekt Gerold Peham hat das Haus für den Nomaden des 21. Jahrhunderts gebaut. Es ist wie seine Bewohner beweglich Von Holger Schnitgerhans SOZIALE MARKTWIRTSCHAFT PSI ist ein Unternehmen, das den Ärmsten hilft. Und dabei die betriebswirtschaftliche Logik wahrt. Ein Lehrstück von Susan Müller VÖLKER, HÖRT DIE SIGNALE! Die Globalisierung ist eine Erfolgsgeschichte und gilt doch vielen als Ursache aller Übel. Eine Mythenlese von Jens Bergmann Den Schwerpunkt gibt es als Hörversion bei www.brandeins.de/hoeren 98 108 116 DAS ZEITALTER DER LICHTER Wer etwas verändern will, muss wissen wollen. Ein Plädoyer für die Aufklärung von Wolf Lotter OPTIMAL ENTFALTET Privatschulen wie das Internat Torgelow liegen im Trend und sind heftig umstritten. Ein Unterrichtsbesuch von Matthias Hannemann DER WIND MUSS AUS DER GESELLSCHAFT KOMMEN Götz Werner streitet für die Utopie eines bedingungslosen Grundeinkommens. Warum es gerade jetzt aktuell ist, erklärt er im Gespräch mit Gabriele Fischer BRAND EINS 01/09 7
INHALT Wer zu brand eins beiträgt 122 130 KLEIN, ABER FEIN David schlägt immer öfter Goliath jedenfalls im Wirtschaftsleben. Warum, erklärt Thomas Ramge DEN GORDISCHEN KNOTEN LÖSEN Genehmigungsverfahren enden meist im Zwist zwischen Planern und Bürgern. Hans-Liudger Dienel sucht nach einem Ausweg Von Dirk Böttcher Vor Grundsatzdiskussionen über Steuerfragen schreckt unser USA-Korrespondent Steffan Heuer normalerweise zurück. Aber von dem Ökonomen Edgar Feige ließ er sich eines Besseren belehren. Dessen vor langer Zeit entwickelte Idee einer minimalen Abgabe auf Finanztransaktionen bietet erstaunlich aktuelle Ansatzpunkte um künftige Krisen zu vermeiden. 138 144 153 154 164 172 174 176 178 WENIGER BRINGT MEHR Der US-Ökonom Edgar Feige kämpft für ein Steuerkonzept, das diejenigen belastet, die Geld bewegen. Warum seine Utopie ein Albtraum für Spekulanten ist, erzählt er Steffan Heuer DIE IDEALE WELT Die Demokratie hört am Firmentor auf, heißt es. In den Niederlanden zeigen einige Unternehmen, dass das ein Vorurteil ist Von Gerhard Waldherr WIRTSCHAFTLICHE ALPHABETISIERUNG Das Gute an der Krise: Sie regt zum Denken an. Ein Gespräch über Eigenverantwortung mit dem Soziologen Dirk Baecker Von Christiane Sommer ERHÖHTE UNFALLGEFAHR Was wir von der Natur lernen können, um die Finanzmärkte zu bändigen, schildert der Ökonom Bernard Lietaer Elisabeth C. Gründler DIE MACHT DER LIEBE Der irische Priester Kieran Creagh riskiert in Südafrika für Aids-Kranke sein Leben. Ein Porträt Von Johannes Dieterich Kleinanzeigen Leserbriefe Impressum Letzte Seite: Wer hat s gesagt? Das brand eins-gewinnspiel Bei seiner Fotoreportage aus der Welt der Arbeit sah und erfuhr Michael Hudler viel Faszinierendes. Zum Beispiel vielversprechende Experimente im Teilchenbeschleuniger GSI in Darmstadt. Dort werden Kohlenstoff-Atome auf Tumore von Patienten geschossen, um den Krebs zu zerstören. Angenehm überrascht war Hudler, der bei seinen Recherchen von Astrid Deichmann unterstützt wurde, dass viele Firmen ihm sehr kurzfristig ihre Türen öffneten. Ihnen allen vielen Dank! Den Hinweis auf den irischen Priester Kieran Creagh erhielt unser Afrika- Korrespondent Johannes Dieterich von einem brand eins-leser. Für Dietrich selbst ausgebildeter Theologe und seit mehr als zehn Jahren Bewohner des vom Verbrechen gebeutelten Staates am Kap der Guten Hoffnung begann damit eine Reise in die Abgründe der eigenen Ängste, geplatzten Träume und Abwehrmechanismen: Fast too close to the bone, wie die Südafrikaner sagen. Beim siebten Interview begrüßte Father Kieran den Journalisten mit den Worten: I knew you would come back und auch nach der fertigen Geschichte bleiben sie in Kontakt. 8 BRAND EINS 01/09