Alles nur Pillepalle? Wortbildung als Mittel der Wortschatzerweiterung



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Transkript:

1 Alles nur Pillepalle? Wortbildung als Mittel der Wortschatzerweiterung Vorwort Dieser Text ist gedacht als Vorbereitungsmaterial für den sprachwissenschaftlichen Teil der Aufnahmeprüfung für das Fach Deutsche Sprache und Kultur an der Universität Jyväskylä. Es handelt sich um eine gekürzte und ins Deutsche übersetzte Fassung eines Textes, der als Unterrichtsmaterial veröffentlicht wird (Pakkanen-Kilpiä 2013). Der Text beinhaltet nicht nur sprachwissenschaftliche Information, sondern er soll auch ein Bild vom Germanistikstudium an der Universität vermitteln. An der Universtität werden Sprachexperten ausgebildet, die neben guten Sprach- und Kulturkenntnissen auch theoretische Kenntnisse zu sprachlichen Erscheinungen benötigen. Sie sollen über die Fähigkeit verfügen, Sprache zu beschreiben und zu analysieren und ihre Struktur und ihren Gebrauch zu verstehen. Beim Lesen des Textes kann der Studienplatzbewerber abwägen, ob entsprechende Inhalte und Fragestellungen bei ihm Interesse hervorrufen. Im Text wird der Wortschatz des Deutschen behandelt, die Erweiterung des Wortschatzes und insbesondere die Wortbildung als Mittel der Wortschatzerweiterung.

Inhaltsverzeichnis Vorwort... 1 Inhaltsverzeichnis... 2 1. Der Wortschatz lebt und verändert sich... 3 2. Erweiterung des Wortschatzes... 3 2.1. Gründe für die Erweiterung des Wortschatzes... 5 2.2. Mittel der Wortschatzerweiterung... 6 3. Wortbildung... 7 3.1. Morphemtypen... 7 3.1.1. Affixe... 7 3.1.2. Konfixe... 8 3.2. Wortbildungsmittel... 9 3.2.1. Komposition... 10 3.2.1.1. Allgemeines zur Komposition... 10 3.2.1.2. Determinativkompositum... 10 3.2.1.2.1. Die Bedeutung von Determinativkomposita... 12 3.2.1.2.2. Die Struktur der Determinativkomposita... 12 3.2.1.3. Kopulativkompositum... 13 3.2.2. Derivation... 13 3.2.3. Konversion... 14 3.2.4. Kurzwörter... 17 3.2.4.1. Unisegmental gekürzte Kurzwörter... 17 3.2.4.2. Multisegmental gekürzte Kurzwörter... 18 3.2.4.3. Partiell gekürzte Kurzwörter... 19 3.2.4.4. Abkürzungen... 19 3.2.5. Kontamination... 19 3.2.6. Reduplikation... 20 3.2.7. Rückbildung... 20 4. Schlussbemerkungen... 21 Quellen... 23 2

3 1. Der Wortschatz lebt und verändert sich Der Wortschatz lebt und verändert sich durch die Veränderungen in der Welt. Alte Wörter verschwinden, und neue entstehen nach Bedarf. Auch die Bedeutungen der Wörter können sich im Laufe der Zeit verändern. So gibt es Wörter aus dem Bereich des Telefonwesens, die durch die immer größere Verbreitung der Handys aus dem täglichen Gebrauch verschwinden, wie z.b. die Telefonzelle und die Wählscheibe, deren Bedeutung im Duden Deutsches Universalwörterbuch folgendermaßen definiert wird: über kreisförmig angeordneten Zahlen des Telefonapparates angebrachte drehbare, runde Scheibe mit Löchern, mit deren Hilfe die Telefonnummer eines Teilnehmers gewählt wird (DUW 2006). Keiner dieser Begriffe Telefonzelle und Wählscheibe sind durch einen anderen ersetzt worden, sondern sie verschwinden aus dem Wortschatz, weil der Begriff, auf den sie verweisen, aus der Welt verschwindet. Diese Erscheinung nennt man Historismus. Dazu gehören auch viele alte Berufsbezeichnungen, wie z.b. Knecht und Dienstmagd. In anderen Fällen veralten und verschwinden Wörter, ob wohl der Begriff, auf den sie verweisen, bestehen bleibt. Sie werden durch andere Wörter ersetzt, bei den veralteten Wörtern spricht man von Anarchismen. Z.B. ist der Anarchismus Oheim durch Onkel ersetzt worden und Barbier durch Frisör. Bei Frisör hat sich auch der Inhalt des Begriffs etwas geändert, was möglicherweise der Grund für die Ingebrauchnahme des neuen Wortes war. Der Wortschatz verändert sich mit den Veränderungen in der Welt. Alte Wörter verschwinden zwar, aber die Entstehung neuer Wörter ist wesentlich häufiger. Das Hauptaugenmerk der Wortschatzveränderungsforschung liegt daher auf der Erweiterung des Wortschatzes, worauf der nächste Abschnitt näher eingeht. 2. Erweiterung des Wortschatzes Die Erweiterung des Wortschatzes kann man unterschiedlich verstehen. Die typischste Art ist die lexematische Erweiterung, deren Resultate neue Lexeme 1 sind. Typische Beispiele für in den in den letzten Jahrzehnten entstandene neue Wörter sind Hüpfburg, Poolnudel und Rollator. Hier sind gleichzeitig neue Begriffe und dazu neue Wörter entstanden. Solche Wörter werden als Neulexeme bezeichnet, einer Untergruppe der Neologismen. 1 Ein Lexem ist eine abstrakte Grundeinheit des Wortschatzes, die sich in der Sprache in unterschiedlichen Formen realisieren kann. Z.B. die Wortformen Mann, Mannes, Männer, Männern sind alle Realisierungen des Lexems Mann.

Im Wortschatz finden aber auch andere Veränderungen und Erneuerungen statt. Ein schon bestehendes Lexem kann neue Bedeutungen bekommen, so wie z.b. im Bereich der Computerlinguistik Maus und Virus. Solche Neologismen gehören in den Bereich Neubedeutung. Dadurch wächst zwar der Lexembestand einer Sprache nicht, aber der Wortschatz wird trotzdem erweitert, indem neuen Begriffen Lexeme zugeordnet werden. Ein entgegengesetztes Phänomen ist zu beobachten, wenn einem Begriff neben einem schon existierenden Lexem ein neues Lexem mit derselben Bedeutung zugeordnet wird. So ist z.b. neben dem Wort Schaffner der Ausdruck Zugbegleiter entstanden. Diese Art von Neologismus nennt man Neubezeichnung. Vollständige Synonymie ist allerdings selten. In unserem Beispiel ist anzunehmen, dass das Wort Zugbegleiter Veränderungen in der Arbeitsumgebung und in den Aufgaben widerspiegeln. Dadurch unterscheidet sich die Bedeutung von Zugbegleiter etwas von der seines veraltenden Vorgängers Schaffner. Stärker ist die Synonymie, wenn ein bestehendes Wort verkürzt wird, z.b. als partiell gekürztes Kurzwort O-Saft neben dem ursprünglichen Orangensaft oder als Silbenkurzwort Fuzo als Alternative zum längeren Wort Fußgängerzone. Als Parallelform zu Fremdwörtern, deren Ursprung in fremden Sprachen sind, haben sich Wörter aus deutschen Bestandteilen entwickelt: z.b. Stewardess vs. Flugbegleiterin; Newsletter vs. Infobrief; Screensaver vs. Bildschirmschoner und downloaden vs. herunterladen. Neue Wörter vom Typ Neubezeichnung erweitern den Formenbestand des Wortschatz zumindest für eine Weile. Für natürliche Sprachen ist vollständige Synonymie fremd, daher entsteht eine Konkurrenzsituation zwischen den Wörtern mit gleicher Bedeutung, die häufig die Aufhebung der Synonymie zur Folge hat. Das neue Wort kann im Laufe der Zeit das alte verdrängen, weswegen sich der Wortschatz nicht erweitert hat, sondern nur ein Wort durch ein anderes ersetzt wurde. Es ist auch möglich, dass das neue Wort sich nur eine Weile hält und sich auf Dauer das alte durchsetzt und das neue wieder aus dem Gebrauch verschwindet. Die Bedeutungen oder Verwendungsweise der beiden Wörter können sich voneinander entfernen, wonach beide Wörter ihren eigenen Platz im Wortschatz der Sprache bekommen. Erweiterung des Wortschatzes findet also statt, indem sich der Formenbestand erweitert (Neubezeichnung), indem sich der Bedeutungsbestand erweitert (Neubedeutung) und dadurch, dass sich beide erweitern (Neulexem). Wie verhält es sich z.b. bei dem Wort unterirdisch? Das angesehene Duden Universalwörterbuch (2006) kennt dieses Lexem ausschließlich in der Bedeutung unter dem Erdboden (liegend), dazu ein Beispiel (1): 1) Westliche Forscher fürchten, dass durch das Eindringen eines kontaminierten Bohrers das Ökosystem des größten unterirdischen Sees der Antarktis verschmutzt werden könnte. (Hannoversche Allgemeine, 09.02.2012.) 4

Das Wort unterirdisch ist in letzter Zeit aber auch in der Bedeutung sehr (2) oder sehr schlecht (3) verwendet worden: 2) Der Rest der Mannschaft war einfach nur unterirdisch schwach. (Hamburger Morgenpost, 29.11.2008.) 3) Was der Sender an den beiden Weihnachtstagen abends über den Schirm schickte, war schlicht unterirdisch. (Berliner Zeitung, 29.12.1998.) Die Entscheidung, ob es sich hier um einen Neologismus handelt, wird dadurch erschwert, dass durch die Veränderung weder der Formenbestand noch der Bedeutungsbestand erweitert wird. Somit gehört die Entwicklung des Wortes unterirdisch in keine der bisher behandelten Neologismus-Kategorien. Lediglich die Zuordnung eines Wortes zu einer Bedeutung hat sich verändert. Zum Schluss sei hervorgehoben, dass der Status als Neologismus einen gewissen Grad von Verankerung im Wortschatz einer Sprache voraussetzt und das Wort nicht nur vorübergehend verwendet wird. Jede neue Form taucht auf, indem ein Mitglied der Sprachgemeinschaft ein neues Wort bildet, um etwas Bestimmtes auszudrücken (Okkasionalismus, Gelegenheitsbildung, Ad-hoc-Bildung) Nur ein kleiner Teil aller Okkasionalismen wird in den festen Wortschatz einer Sprache übernommen. Manchmal verbreitet sich ein Wort, das ursprünglich okkasionell, idiolektal oder dialektal ist, so dass es dann in der Allgmeinsprache verwendet werden kann. Das gleiche kann mit Wörtern aus der Arbeits- oder Sportwelt geschehen. Ein Wort ist erst dann lexikalisiert, wenn es dauerhaft zum Wortschatz einer Sprache gehört. 5 2.1. Gründe für die Erweiterung des Wortschatzes Die Gründe für die Erweiterung des Wortschatzes können in objektive und subjektive Gründe eingeteilt werden (u.a. Erben 2006, 22-24). Um objektive Gründe handelt es sich, wenn ein neuer Gegenstand, ein Tatbestand, ein Gedanke, eine Erscheinung o.ä. eine Bezeichnung verlangt, wie z.b: Smartphone, Suchmaschine, Wissensgesellschaft, Pop-up-Fenster, Reality-TV. Aus subjektiven Gründen entstehen Wörter, wenn z.b. mit vorhandenen Wörtern negative Assoziationen verbunden sind, die mit den neuen Wörtern vermieden werden sollen. Beispiele hierfür sind Seniorenheim (statt Altenheim, Altersheim); Raumpflegerin (statt Putzfrau); Entsorgungspark (statt Müllkippe). Neue Ausdrucksweisen entstehen auch aus dem Bedarf, von den alten Bezeichnungen Abstand zu nehmen und sich durch den Wortschatz von anderen zu unterscheiden. Aus diesem Grund entstehen Modewörter, z.b. in der

Jungendsprache, wie down, cool, chillen. Neubezeichnungen entstehen häufig aus dem subjektiven Bedarf, den Wortschatz zu erweitern. 6 2.2. Mittel der Wortschatzerweiterung Nur selten entstehen völlig neue Wörter durch neue Kombinationen von Lauten und Buchstaben. So ist vermutlich allerdings der Grundwortschatz aller Sprachen entstanden, diesen Vorgang nennt man Urschöfpung. Trotz der Seltenheit der Urschöpfung in der Gegenwartssprache werden aber Produktnamen häufig in dieser Art gebildet, z.b. Kodak, Teflon (Aitchison 1997, 206), und die Produktnamen können neue Bedeutungen bekommen. Wesentlich häufiger ist die Entlehnung von Wörtern aus anderen Sprachen: trolli, parkour, latte, sudoku usw. Ins Deutsche werden zur Zeit vor allem Wörter aus dem Englischen entlehnt: Homepage, Airbag, cool, taff, chillen, chatten, flirten, E-Mail, Online-Service, Halfpipe, Hotdog, Toast, T-Shirt, Leggings, Piercing, Portfolio, Interview, Quiz, Sitcom, Talkshow, Thriller, Firstlady, Gangster, Stuntman, Sixpack, Smalltalk, Software, Toolbar usw. Aus dem Englischen entlehnte Wörter nennt man Anglizismen. Der Ausdruck Denglisch dagegen verweist auf Wörter, in denen ein aus dem Englischen entlehnter Wortstamm mit deutschen Wortbildungs- und Flexionsmorphemen verbunden wird, z.b. einloggen, anklicken, recyclen, einchecken. Den Terminus Denglisch verwendet man auch, um sein Missfallen an zu starkem Gebrauch von Anglizismen zum Ausdruck zu bringen. Die Besorgnis der Sprachbenutzer über die zunehmende Entlehnung von Wörtern kommt dadurch zum Ausdruck, dass für Entlehnungen Entsprechungen gebildet werden, die aus deutschen Elementen bestehen. Diese Vorschläge für Ersatzbezeichnungen deutschen Ursprungs werden allerdings von der Sprachgemeinschaft oft nicht aufgenommen, z.b. haben sich Prallkissen (Airbag), Schnellkost (Fastfood) tai Denkrunde (Brainstorming) nicht durchgesetzt. Ein Wort, das wie eine Entlehnung aussieht, ist nicht immer unbedingt eine. Z.B. sieht das deutsche Wort Handy auf den ersten Blick wie ein Anglizismus aus, aber bei näherer Betrachtung stellt sich heraus, dass es sich um einen Pseudoanglizismus handelt. Er ahmt die Morphologie eines englischen Wortes nach, aber im Englischen gibt es kein entsprechendes Wort mit dieser Bedeutung, denn im Englischen benutzt man dafür die Wörter mobile oder cell phone. Im Englischen gibt es auch das Wort handy, aber mit einer anderen Bedeutung. Andere Mittel der Wortschatzerweiterung sind die Bedeutungsveränderung und die Wortbildung, auf die im nächsten Abschnitt eingegangen wird.

7 3. Wortbildung Durch die Wortbildung werden aus vorhandenen bedeutungstragenden Elementen (Morphemen) neue Lexeme gebildet. Diese Elemente sind Wortstämme, Wortgruppen, Affixe und Konfixe. Die ersten beiden sind freie Morpheme, die letzten beiden gebundene Morpheme. 3.1. Morphemtypen Wörter, die aus nur einem Morphem bestehen, nenn man Basiswörter. Häufig besteht ein Wort allerdings aus mehreren Morphemen: Haus tür, Schön heit, bald ig, un über seh bar. Solche Wörter nennt man komplexe Wörter. Es gibt zwei Arten von Morphemen: freie und gebundene. Ein freies Morphem ist ein Morphem, das alleine ein Wort bilden kann, z.b. Haus, schön, ja bald. Auch Verbstämme gelten als freie Morpheme: fahr-, steh-, frag-, les-, seh- usw. Ein gebundenes Morphem kann nur zusammen mit anderen Morphemen ein Wort bilden: -heit, -lich, -ig, un-, ver- usw. Die gebundenen Morpheme werden nach ihrer Verwendung in Wortbildungsmorpheme und Flexionsmorpheme eingeteilt. Die oben erwähnten Beispiele -heit, -lich, -ig, un-, ver- sind Wortbildungsmorpheme. Sie ermöglichen es, aus bestehenden Wortstämmen neue Wörter zu bilden: schön Schönheit, Freund freundlich, bald baldig, klar unklar, kauf(en) verkauf(en). Die Flexionslexeme haben eine grammatische Funktion, dazu gehören z.b. die Infinitivendung -en, die Personalendungen (z.b. zweite Person Singular st), die Kasusendungen (z.b. die Dativendung em in dem Wort schönem) sowie das Pluralmorphem, das sich in unterschiedlicher Weise realisieren lässt. Mithilfe der Flexionsmorpheme werden verschiedene Flexionsformen eines Lexems gebildet, die Wortbildungsmorpheme dagegen dienen dazu, neue Lexeme zu bilden. Die gebundenen Wortbildungsmorpheme können in Affixe und Konfixe eingeteilt werden. 3.1.1. Affixe Affixe sind Ableitungsmorpheme. Das Ableitungsmorphem kann vor dem Stamm stehen, dann spricht man von Präfixen (uralt, bekämpfen, verlaufen, entscheiden, gestehen, unsicher) oder nach dem Stamm, was man mit Suffixen bezeichnet (freundlich, Achtung, Kindheit, neidisch). Außer den Präfixen und den Suffixen gehören zu den Ableitungsmorphemen auch

zweiteilige Affixe, sogenannte Zirkumfixe, die auf beiden Seiten des Stammes auftreten, z.b:. Ge e in von Verben abgeleiteten Substantiven: Gerede ( reden), Gewebe ( weben), Gehege ( hegen). 2 8 3.1.2. Konfixe Konfixe sind, wie Affixe, gebundene Morpheme, d.h. sie können nicht alleine auftreten sondern nur in Verbindung mit einem anderen Wortbildungsmorphem oder einem freien Morphem. Von den Affixen unterscheiden sich die Konfixe dadurch, dass sie auch miteinander Wörter bilden können: Astro naut, Chrono meter, Bio graf, Dia log. Bei Affixen ist das nicht möglich, denn Affixe verlangen immer entweder ein freies Morphem oder ein Konfix, um Teil eines Wortes sein zu können. Ein Konfix kann alleine der Stamm für eine Ableitung mit einem Affix sein (ident isch, fanat isch, invest ieren) oder zusammen mit einem anderen Konfix (Geo log ie, Geo log e, geo log isch). Ein Affix dagegen kann nicht Stamm einer Wortbildung sein. (Donalies 2007, 12-14.) Wenn Konfixe sich untereinander verbinden (Astronaut) oder mit freien Morphemen (Biogas, Geophysik, Ökotourismus) entstehen Komposita, wenn sie sich mit Affixen verbinden, entstehen Ableitungen (fanatisch, investieren). Zwischen den Konfixen bestehen Unterschiede darin, an welcher Stelle im Kompositum sie auftreten. Die Meisten Konfixe fungieren im Kompositum als Bestimmungswort, z.b. bio-: Biomasse, Biotop, Biogas, Biochemie, Biomüll, Biotonne, Biomilch, Bioladen usw. Als Grundwort tritt dagegen z.b. skop auf: Teleskop, Mikroskop, Kaleidoskop, Periskop, Stetoskop usw. Es gibt auch Konfixe, die beide Stellen einnehmen können, z.b. -phil/phil-: Philosoph, bibliophil. (Donalies 2007, 12-14.) Konfixe stammen zum größten Teil aus dem Lateinischen und dem Griechischen und gehören im Allgemeinen zur wissenschaftssprachlichen Terminologie. Konfixe deutscher Herkunft sind dagegen z.b. Stief-, Schwieger-, Sams- ja Him- (Stiefmutter, Schwiegertochter, 2 Auch die Partizip-II-Formen der Verben wie geliebt, gekauft, gelaufen, gelesen werden mit Zirkumfixen gebildet, aber diese Erscheinung gehört zur Flexionsmorphologie: es werden keine neuen Lexeme gebildet, sondern Flexionsform schon vorhandener Lexeme (lieben, kaufen, laufen, lesen). Auch bei Substantiven wie Zerstörung und Verhältnis handelt es sich nicht um Zirkumfixbildungen, obwohl sowohl vor als auch nach dem Wortstamm Affixe stehen. Es handelt sich hier um eine Ableitungskette, die aus mehreren Phasen besteht. Zuerst wurden aus den Verbstämmen durch Präfigierung (ver-, zer-) neue Verben gebildet und dann von diesen Verben durch Suffigierung Substantive: stören zerstören Zerstörung; halten verhalten Verhältnis. Im Deutschen sind solche Ableitungsketten relativ häufig, Zirkumfixe dagegen wesentlich seltener.

Samstag, Himbeere). Die letzten beiden erscheinen nur in diesen Wörtern und sind damit unikale Morpheme. Konfixe weisen also Ähnlichkeiten zu freien Morphemen auf, weil sie als Stamm einer Ableitung und als Bestimmungs- oder Grundwort eines Kompositums auftreten können. Im Gegensatz zu freien Morphemen können sie allerdings nur in gebundener Form auftreten, nicht als selbständiges Lexem. 9 3.2. Wortbildungsmittel Im Rahmen der Wortbildung werden auf drei Arten neue Wörter gebildet: durch Verbindung, durch Konvertierung und durch Verkürzung. Durch Verbindung entstehen Komposita, Ableitungen und Reduplikationen, das Ergebnis einer Verbindung ist immer ein komplexeres Wort als das Ausgangswort. Bei der Konversion bleibt die Morphemstruktur des Wortes erhalten, es wird nichts weggelassen und nichts hinzugefügt. Ein Wort, das durch eine Konversion entsteht, kann also je nach Morphem des Ausgangswortes ein Grundwort oder ein komplexes Wort sein. Durch Verkürzung entstehen verschiedene Typen von Kurzwörtern: unisegmental gekürzte Kurzwörter, die aus einem Morphem bestehen, sowie durch die Auflösung der Morphemstruktur entstandene Buchstabenwörter, Akronyme, mustisegmental gekürzte und partiell gekürzte Kurzwörter. Zu den Verkürzungserscheinungen gehört auch die Rückbildung, bei der die Morphemstruktur des Ausganswortes vereinfacht wird. Komplexe Wörter sind also immer das Resultat einer Wortbildung 3. Sie können in mehrere Morpheme aufgegliedert werden und ihre Bedeutung ist im Allgemeinen aus den Bedeutungen der Einzelteile zu erschließen. Wortbildungsprozesse führen allerdings nicht immer zu komplexen Wörtern. In manchen Fällen geht die Entwicklung vom Komplexen zum Einfachen. Im folgenden Abschnitt werden verschiedene Wortbildungsmittel und daraus entstandene Wortbildungstypen behandelt. Wir beginnen mit der Kompositabildung. 3 Manche komplexe Wörter sind als Ganzheit aus den Ausgangssprachen entlehnt worden, so dass sie ein Produkt eines Wortbildungsprozesses der Ausgangssprache sind. Unabhängig von ihrer Morphemstruktur sind sie aus der Perspektive der Empfängersprache Lehnwörter. Das Entlehnen ist ein Mittel der Wortschatzerweiterung, aber kein Phänomen der Wortbildung.

10 3.2.1. Komposition Die Bildung von Komposita (Komposition) gehört zu den produktivsten Wortbildungsmitteln im Deutschen. Sie hat nahezu unbegrenzte Möglichkeiten, wie das folgende Textbeispiel zeigt: Ich habe von einer Frau gehört. Die hieß Barbara und war weit über die Grenzen ihres Dorfes für ihren Rhabarberkuchen bekannt. Deshalb wurde sie überall nur Rhabarberbarbara genannt. Rhabarberbarbara verkaufte den Rhabarberkuchen in ihrer Rhabarberbarbarabar. Dort gingen drei Barbaren aus und ein. Die Rhabarberbarbarabarbarbaren hatten, wie sich das für Barbaren gehört, ellenlange dichte Bärte. Um ihre Rhabarberbarbarabarbarbarenbärte stutzen zu lassen, gingen die Rhabarberbarbarabarbarbaren zum Barbier. Der Rhabarberbarbarabarbarbarenbartbarbier mochte übrigens Barbaras Rhabarberkuchen auch ganz gerne. (Donalies 2002, 43.) Im Folgenden wird genauer betrachtet, wie Komposita in Untergruppen eingeteilt werden können. 3.2.1.1. Allgemeines zur Komposition Ein zusammengesetztes Wort (Kompositum) besteht typischer Weise aus einer Verbindung zweier Wörter: Hochhaus, Rathaus, Krankenhaus, Haustür, Hausfrau, Haustier usw. Ein Kompositum kann allerdings auch aus Konfixen bestehen (Thermostat) oder aus einer Verbindung von einem Konfix und einem Wort (Biojoghurt). Wörter wie Dickhäuter, Tausendfüßer und Linkshänder sind allerdings keine Komposita, denn es gibt keine Lexeme oder Konfixe *Häuter, *Füßer oder *Händer. 4 Komposita werden in zwei Hauptgruppen unterteilt: Determinativkomposita und Kopulativkomposita. 3.2.1.2. Determinativkompositum Ein Determinativkompositum besteht aus einem Bestimmungswort (Determinans) und einem Grundwort (Determinatum). Zwischen den beiden Teilen besteht ein asymmetrisches Verhältnis, wobei das Grundwort dominant ist. Das Grundwort bestimmt die Wortart, das Genus und es kann Flexionsmorpheme enthalten. Das Bestimmungswort hat eine kleinere Rolle, sein Funktion ist es, die Bedeutung des Grundwortes näher zu umgrenzen: Kleingarten, Gemüsegarten, Wintergarten usw. 4 Dickhäuter, Tausendfüßer und Linkshänder sind Ableitungen. Ihre Basis ist eine Wortgruppe und die Endung ist das Suffix -er.

Determinativkomposita sind typischerweise endozentrisch. Endozentrizität verweist auf die Beziehung zwischen seiner Bedeutung und der Bedeutung des Grundwortes. So handelt es sich bei einem Reihenhaus um eine besondere Art von Haus, bei Weizenmehl um Mehl, bei einem Säugetier um ein Tier, bei einem Feiertag um einen Tag, bei einer Hausaufgabe um eine Aufgabe, bei einem Badestrand um einen Strand usw. Ein endozentrisches Kompositum ist somit immer ein Unterbegriff seines Grundwortes Ein Sonderfall der Determinativkomposita sind die exozentrischen Komposita. Durch sie wird auf etwas verwiesen, was in den Einzelteilen des Kompositums nicht erwähnt ist. Z.B. verweist das Wort Nashorn nicht auf ein Horn sonder auf ein Tier, auf dessen Nase ein Horn sitzt. Und ein Rotschopf ist kein roter Schopf, sondern eine Person mit roten Haaren. Wie bei anderen Determinativkomposita wird auch bei exozentrischen Komposita das Grundwort (Horn, Schopf) durch das Bestimmungswort (Nase, rot) näher definiert, aber die gesamte Bedeutung des Wortes verweist auf eine Einheit, in diesen Fällen ein Tier oder eine Person, die die im Kompositum dargestellte Eigenschaft hat oder auf einen Teil von ihr. Wenn das Wort auf einen Teil der Einheit verweist, wird das mit dem lateinischen pars pro toto bezeichnet. Exozentrische Pars-pro-toto-Determinativkomposita nennt man Bahuvrihi. In der Beschreibungstradition der deutschen Sprache werden sie auch Possessivkomposita genannt. Dieser Begriff weist auf die Bedeutungsstruktur des Wortes hin, die man auflösen kann in den Ausdruck: jemand/etwas mit X. Das Grundwort eines Bahuvrihi ist typischerweise ein Körperteil oder Kleidungsstück: Graukopf, Rotkäppchen, Lästerzunge, Löwenzahn, Grünschnabel, Geizhals, Langfinger, Trotzkopf. Die Bedeutung des Bahuvrihi ist im Allgemeinen ein Mensch oder ein anderes Lebewesen oder ein Pflanze. Manche Komposita haben sowohl eine endozentrische als auch eine exozentrische Bedeutung. So verweist z.b. Graukopf sowohl auf einen grauen Kopf als auch auf eine Person mit grauem Kopf. Ebenso verhält es sich bei dem Wort Spitzbauch. Neben den eigentlichen Bahuvrihi (possessiven exozentrischen Pars-pro-toto-Komposita) gibt es auch andere Typen von exozentrischen Komposita. Ihnen liegt häufig eine Metapher zugrunde, und die Bedeutung der Komposita ist nach folgenden Konstruktionen auflösbar: 11 X ist wie / erinnert an bei X denkt man an X hat eine Eigenschaft oder Eigenheit, an die das Kompositum hinweist Solche exozentrischen Komposita sind z.b. Leseratte, Bücherwurm, Mauerblümchen, Goldstück, Angsthase, Heulsuse. Ihnen ist gemeinsam, dass sie auf einen Menschen verweisen. Von den

eigentlichen Bahuvrihi unterscheiden sie sich dadurch, dass das Grundwort kein Körperteil oder Kleidungsstück ist. 12 3.2.1.2.1. Die Bedeutung von Determinativkomposita Auch wenn die Rolle des Grundwortes für die Bedeutung des Kompositums primär ist, darf die Rolle des Bestimmungsworts nichts unterschätzt werden. Wie vielfältig der Einfluss des Bestimmungswortes auf die Bedeutung des Kompositums sein kann, zeigen Komposita mit demselben Grundwort und verschiedenen Bestimmungswörtern. Das zeigt der folgende Exkurs in die Pizza-Welt. Das Bestimmungswort von Salamipizza gibt an, womit die Pizza belegt ist. Eine Familienpizza ist dagegen nicht mit einer Familie belegt, sondern das Bestimmungswort weist auf die Größe der Pizza hin. Eine Pfannenpizza wird auf einer Pfanne gebacken und möglicherweise auch serviert und hat einen dickeren Boden als eine normale Pizza. Das Bestimmungswort verweist also sowohl auf die Backart als auch auf die Art der Pizza. Eine Steinofenpizza verweist darauf, in welcher Art von Ofen die Pizza gebacken worden ist. Eine Tiefkühlpizza verweist darauf, dass die Pizza eingefroren verkauft wird und vor dem Essen aufgetaut werden muss. Eine Hauspizza wird nach Hause geliefert, eine Abholpizza muss vor dem Essen irgendwo abgeholt werden. Eine Billigpizza ist billiger als Pizzen normalerweise, und eine Edelpizza wird in einem besonders vornehmen Restaurant serviert. Diese Beispiele zeigen, dass durch die Bildung eines Kompositums unterschiedlichste Bedeutungen ausgedrückt werden können und dass das Bestimmungswort unterschiedliche Aspekte der durch das Grundwort bezeichneten Einheit hervorhebt. 3.2.1.2.2. Die Struktur der Determinativkomposita Nach der Wortart des Grundwortes können die Komposita in substantivischen Komposita (z.b. Magerquark), adjektivische Komposita (nachtblind) und verbale Komposita (fremdgehen) eingeteilt werden. In den anderen Wortarten ist die Kompositabildung weniger produktiv. Auch als Bestimmungswörter treten verschiedene Wortarten auf. Substantivische Komposita können z.b. auf folgende Arten zusammengesetzt sein: Substantiv + Substantiv: Bürgermeister, Kartoffelsalat Adjektiv + Substantiv: Kleinstadt, Rohstoff, Neubau Verb + Substantiv: Bratkartoffeln, Rasierwasser Konfix + Substantiv: Biojoghurt, Stiefkind Konfix + Konfix: Biograph, Philosoph

13 Satz + Substantiv: Das-machen-wir-locker-Einstellung, Ich-komme-nicht-aus-dem-Bett-Syndrom Mehrwortausdruck + Substantiv: Immer-noch-Kanzler, Auf-in-den-Kampf-Stimmung Adverb + Substantiv: Innenminister, Außenpolitik, Abwärtstrend Präposition + Substantiv: Beiprogramm, Nebenwirkung Partikel + Substantiv: Vielzahl, Alleingang Pronomen + Substantiv: Wir-Gefühl, Ich-Erzähler Konjunktion + Substantiv: Aberglaube, Dass-Satz Interjektion + Substantiv: Aha-Erlebnis, Buh-Rufe Buchstabe + Substantiv: O-Beine, X-Chromosom Bei der Kompositabildung werden manchmal Fugenelemente verwendet. Sie haben verschiedene Formen und sie haben keine eigene Bedeutung. Man rechnet sie weder zu den Flexions- noch zu den Wortbildungsmorphemen: Komposita ohne Fugenelement: Hochhaus, Ehering, hellblau, schlafwandeln Komposita mit Fugenelement: Bad e hose, Tag es licht, Bauer n hof, Kind s kopf, Kind er garten, Student en café, Herz ens lust, Therm o meter 3.2.1.3. Kopulativkompositum Die Teile eines Kopulativkompositums sind gleichberechtigt, seine Bedeutung ist die Summe der Bedeutungen seiner Bestandteile: rotgrün rot UND grün; Schokolade-Vanille Schokolade UND Vanille ; Café-Restaurant Café UND Restaurant. Im Gegensatz zu einem Determinativkompositum kann ein Kopulativkompositum aus mehr als zwei Komponenten bestehen (z.b. eine deutsch-französisch-italienische Filmproduktion). Alle Teile müssen aber derselben Wortklasse angehören und zur selben Bedeutungskategorie gehören. Die Reihenfolge der Teile hat prinzipiell keinen Einfluss auf die Bedeutung und ist in diesem Sinne frei. Meist ist aber eine bestimmte Reihenfolge die allgemein gebräuchliche, z.b. taubstumm, nasskalt, Schoko-Vanille, Wodka-Martini. 3.2.2. Derivation Derivation (Ableitung) ist die Bildung von Lexemen mithilfe von Ableitungsmorphemen (Derivationsaffixen). Das Ableitungsmorphem wird dem Stamm hinzugefügt. Dieser Wortstamm kann entweder aus einem Morphem (schön + -heit Schönheit) oder aus mehreren Morphemen bestehen (auf fäll ig + un- unauffällig). Die Ableitung ist sowohl im Finnischen als auch im Deutschen eine sehr produktive Art der Wortbildung.

Wortbildungsmorpheme sind z.b. un-, be-, ver-, -chen, -isch-, -lein, -ik, -er, -ung, -heit, -in, -tum, - lich, ent-, zer-, -ier-, ge--e. Je nach Wortbildungsmorphemtyp können die Ableitungen in folgende Gruppen eingeteilt werden: Suffixableitungen: Ordn-ung, fröh-lich, Reich-tum, Fahr-er, Freund-in Präfixableitungen: Un-glück, ur-alt, ver-blühen, be-suchen, ent-erben. Zirkumfixableitungen: Ge-red-e, be-schön-ig(en), be-sänft-ig(en). 5 Nach der Wortart des Stammes können die Ableitungen folgendermaßen eingeteilt werden: Ableitungen von Verben (deverbale Ableitungen): Lehrer, denkbar, fraglich, Lösung, Lehre Ableitungen von Adjektiven (deadjektivale Ableitungen): Krankheit, Genauigkeit, Geheimnis, Reichtum Ableitungen von Substantiven (desubstantivische Ableitungen): freundlich, golden, fehlerhaft, buchstabieren Ableitungen von Konfixen (dekonfixale Ableitungen): politisch, Politik, fanatisch, Fanatismus Andere Wortarten kommen als Stamm von Ableitungen sehr selten vor. Manchmal dient ein Mehrwortausdruck als Stamm einer Ableitung: in Betrieb setzen Inbetriebsetzung; breite Schultern breitschultrig; dicke Haut Dickhäuter; tausend Füße Tausendfüßer. 14 3.2.3. Konversion Die Konversion ist eine Wortbildungsart, bei der ein Wort ohne Ableitungsmorpheme oder andere Wortbildungsmittel in eine andere Wortart überführt wird. So entstehen aus Verben Substantive (Verbstammkonversion V N): blicken Blick besuchen Besuch schlagen Schlag verkaufen Verkauf 5 Wie schon weiter oben erwähnt, gehört die Invinitivendung nicht zu den Ableitunssuffixen, sondern zu den Flexionsmorphemen. Daher wird sie hier in Klammern angegeben.

15 oder aus Substantiven Verben (desubstantivische Konversion N V): Fisch fischen Frühstück frühstücken Salz salzen Film filmen oder aus Substantiven Adjektive (desubstantivische Konversion N A): Vanille vanille; Koralle koralle (Die aktuellen Farben sind vanille, koralle, und zimt.) Klasse klasse (Das Niveau ist einfach klasse.) Spitze spitze (Das Essen war echt spitze.) oder aus Adjektiven Verben (deadjektivische Konversion A V) lahm lahmen gleich gleichen grün grünen kühl kühlen. Um syntaktische Konversion handelt es sich, wenn ein Wort in seiner flektierten Form in eine andere Wortklasse überführt wird: (Infinitivkonversion V N) essen Essen lachen Lachen treffen Treffen vertrauen Vertrauen (Personalformkonversion V N) muss Muss: Nach der Rasur ist Pflege ein Muss. bedarf Bedarf: Der Bedarf an Fachleuten nimmt zu. soll Soll: Sein Soll an ehrenamtlichem Engagement hat er erfüllt.

16 (deadjektivische Konversion A N) neues Neues schöne der/das/die Schöne alte der Alte prominenter Prominenter sterblicher Sterblicher Achtung! Bei der Konversion werden keine Wortbildungsmorpheme verwendet, daher handelt es sich bei der Bildung von z.b. Suche oder Gebet nicht um eine Konversion, sondern sie sind deverbale Ableitungen (Verbalstamm such + Ableitungsmorphem -e ; Verbalstamm bet + Ableitungsmorphem ge-). Auch aus einer Mehrwortverbindung kann durch eine Konversion ein Substantiv entstehen (Wortgruppenkonversion, Zusammenrückung WG N) Dreikäsehoch Tunichtgut Gernegroß Taugenichts Solche Wörter sind keine Komposita, weil die Wortart ihres letzten Teils (Adjektive hoch, gut, groß; Partikel nichts) nicht der Wortart des gesamten Worts entspricht (Substantive). Der letzte Teil bestimmt auch nicht das Genus des gesamten Wortes. Von der Bedeutung her stehen sie den exozentrischen Komposita nahe: Sie nennen eine Eigenschaft, mit der auf die ganze Einheit verwiesen wird. Damit sind die üblichsten Konversionstypen vorgestellt. Die folgenden Beispielsätze zeigen, dass auch andere Wortarten zu Substantiven konvertiert werden können: Die Vergangenheit ist vorüber, und die Zukunft kennen wir noch nicht. Alles, was wir kennen, ist das Jetzt. (Nürnberger Nachrichten, 31.12.1990.) Auf das Warum seines Tuns angesprochen, antwortete der Übeltäter:»Ich hatte Langeweile.«(Nürnberger Zeitung, 08.02.2005.) Jeder hat seine Ängste, aber auch seine Alltagsmaske verloren und sein wahres Ich gezeigt. (Nürnberger Nachrichten, 15.03.2005.)

17 3.2.4. Kurzwörter Ein Kurzwort entsteht durch Verkürzung des ursprünglichen Wortes (Vollwort, Langform), wobei die Bedeutung beibehalten wird. Es gibt unisegmental gekürzte Kurzwörter, multisegmental gekürzte Kurzwörter und partiell gekürzte Kurzwörter. 3.2.4.1. Unisegmental gekürzte Kurzwörter Ein unisegmental gekürztes Kurzwort ein Wort, dessen Ende weggekürzt worden ist ( Kopfwort): Universität Uni Fotografie Foto Diskothek Disko Abitur Abi Kriminalroman/-film Krimi dessen Anfang weggekürzt worden ist ( Schwanzwort): Fahrrad Rad Eisenbahn Bahn Telefax Fax dessen Anfang und Ende weggekürzt worden ist ( Rumpfwort): Elisabeth Lisa Sebastian Basti oder dessen Mittelteil weggekürzt worden ist ( Klammerwort): Bierglasdeckel Bierdeckel Betriebswirtschaftslehre Betriebslehre Fernsprechamt Fernamt

18 3.2.4.2. Multisegmental gekürzte Kurzwörter Ein multisegmental gekürztes Kurzwort ist ein Wort, das aus mehreren gekürzten Segmenten besteht. Dazu gehören z.b. die Buchstabenwörter, deren Buchstaben einzeln ausgesprochen werden: EDV [e:de fau] elektronische Datenverarbeitung Lkw Lastkraftwagen UB Universitätsbibliothek BH Büstenhalter SMS engl. short message service DVD engl. digital versatile disc Ein ähnliches Wort ist ein Akronym, das auch aus den Anfangsbuchstaben seiner Komponenten entstanden ist, die aber wie ein normales Wort ausgesprochen werden: DaF Deutsch als Fremdsprache TÜV technischer Überwachungsverein Ufo unidentified flying object Aids acquired immunity deficiency syndrom Ein multisegmental gekürztes Kurzwort kann auch aus Silben bestehen (Silbenkurzwort), z.b. Kripo (Kriminalpolizei) Soko (Sonderkomission) Kita (Kindertagesstätte) Gestapo (Geheime Staatspolizei) Fuzo (Fußgängerzone) Schiri (Schiedsrichter) Azubi (Auszubildender) Ein Teil der erwähnten Buchstabenwörter und Akronyme sind als ganze aus anderen Sprachen entlehnt, so dass es sich eigentlich um Entlehnungen aus der Ausgangssprache handelt. Hier wurden sie aber entsprechend der Forschungstradition den Buchstabenwörtern und Akronymen zugeordnet.

19 3.2.4.3. Partiell gekürzte Kurzwörter Ein partiell gekürztes Kurzwort entsteht, indem der erste Teil eines Kompositums gekürzt wird und der zweite Teil ungekürzt bleibt. O-Saft Orangensaft U-Bahn Untergrundbahn U-Boot Unterseeboot 3.2.4.4. Abkürzungen Nicht jede Abkürzung führt zur Entstehung von Kurzwörtern. Z.B. Abkürzungen wie usw., vgl. oder bzw. sind keine Wörter, sondern nur in der geschriebenen Sprache vorkommende orthographischen Konventionen. Auch aus Verkürzungen entstandene Produktnamen sind keine Kurzwörter, da ihre Bedeutung von der Bedeutung der ungekürzten Wörter abweicht, aus denen sie entstanden sind: Onko ohne Koffein Adidas Adi Dassler Haribo Hans Riegel, Bonn Für solche Wörter verwendet man auch den Begriff Kunstwörter. Ähnlich wie Kurzwörter sehen Wörter aus, die neben starker Verkürzung das Suffix -ienthalten: Ösi ( Österreicher), Ossi ( Ostdeutscher), Wessi ( Westdeutscher). Hier handelt es sich nicht um reine Ableitung, aber auch nicht um eine reine Kurzwortbildung, sondern um eine hybride Wortbildung, die beide Elemente enthält. 3.2.5. Kontamination Kontamination bedeutet das Verschmelzen zweier Wörter, indem Elemente aus beiden Wörtern übernommen werden und ein Wort entsteht, das die Bedeutung beider Wörter in sich vereinigt. Man verwendet dafür auch die Begriffe Wortkreuzung, Wortmischung, Kontraktion und Blending. Hier dazu einige Beispiele:

20 Kur + Urlaub Kurlaub Deutsch + Englisch Denglisch Tomate + Kartoffel Tomoffel Johannisbeere + Stachelbeere Jochelbeere "Herr Tuomioja, Sie haben Merkozy, die enge Zusammenarbeit zwischen Merkel und Sarkozy, immer wieder kritisiert." (http://www.zeit.de/wirtschaft/2012-06/finnland-euro-krise-griechenland) 3.2.6. Reduplikation Unter Reduplikation versteht man Wörter, die durch Wiederholung des Stamms gebildet werden. Das Ausgangswort ist der erste Teil des Wortes, im zweiten Teile der Reduplikation werden häufig der Stammvokal oder der Anfangskonsonant verändert: Wenn eine Wohnung saniert ist, sollte sie tipptopp in Ordnung sein. Das neue Album ist ein bunter Mischmasch aus fast allen Genres der Musik. Die Sporthalle verwandelte sich in ein Wirrwarr aus Notenständern und Instrumenten. Kein Schickimicki, sondern "Futtern wie bei Muttern" zu anständigen Preisen. 3.2.7. Rückbildung Rückbildung bedeutet, dass aus einem Wort, das die Form einer Ableitung hat, ein Wort ohne Wortbildungsmorphem gebildet wird. Es handelt sich also um eine Verkürzungserscheinung. Für das Deutsche typische Beispiele sind: notlanden Notlandung uraufführen Uraufführung staubsaugen Staubsauger Sanftmut sanftmütig Meist handelt es sich bei Rückbildungen um ein Verb, das aus einem Determinativkompositum entstanden ist, dessen Grundwort ein deverbales Substantiv ist. Die Entwicklung kann in Form folgender Kette dargestellt werden: landen (Verb) Landung (Deverbales Substantiv) Bauchlandung (Determinativkompositum) bauchlanden (Rückbildung); impfen (Verb) Impfung (Deverbales Substantiv) Schutzimpfung (Determinativkompositum) schutzimpfen (Rückbildung). Aus der Sicht der Gegenwartssprache sehen die durch Rückbildung entstandenen Wörter wie Komposita aus, denn sie können in zwei freie Morpheme zerlegt werden (Not + landen, Staub