Rechtstaatlichkeit das erste Gebot einer EU- Sanktionspolitik

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Transkript:

Rechtstaatlichkeit das erste Gebot einer EU- Sanktionspolitik Pressegespräch zur Entscheidung des Gerichts der Europäischen Union zu den EU-Sanktionen gegen Mykola Azarov 29. Jänner 2016

Das Urteil des Gerichts der Europäischen Union

Das Gericht der Europäischen Union erklärt das Einfrieren sämtlicher wirtschaftlicher Ressourcen von Mykola Azarov während des Zeitraums vom 6. März 2014 bis zum 5. März 2015 für nichtig

Mit seinem gestrigen Urteil gibt das Gericht der Klage Azarovs statt und erklärt das Einfrieren seiner Vermögenswerte während des Zeitraums vom 6. März 2014 bis zum 5. März 2015 für nichtig

Das Gericht stellt fest, dass der Rat Mykola Azarov allein aufgrund eines Schreibens der ukrainischen Generalstaatsanwaltschaft vom 3. März 2014, wonach im Zuge der Ermittlungen gegen ihn die Veruntreuung öffentlicher Gelder in erheblichem Umfang und ihr späterer illegaler Transfer aus dem Hoheitsgebiet der Ukraine festgestellt worden seien, als für die Veruntreuung von Geldern verantwortlich identifiziert hat. Nach Auffassung des Gerichts enthält dieses Schreiben weder zu den Tatsachen, die Azarov speziell vorgeworfen werden, noch zu deren Verantwortlichkeit genaue Angaben.

Im vorliegenden Fall Azarov ist festzustellen, dass der Umstand, dass er öffentlich als Person bezeichnet wird, die in der Ukraine Gegenstand strafrechtlicher Verfolgung im Zusammenhang mit der Veruntreuung öffentlicher Gelder ist, geeignet ist, u. a. seinen Ruf als Politiker und Geschäftsmann zu schädigen.

Die restriktiven Maßnahmen in Form der Sanktionen sind erlassen worden, ohne dass es hierfür eine hinreichend gesicherte tatsächliche Grundlage gegeben hat Die Sanktionen enthielten nur sehr lapidare Begründungen für die Aufnahme Azarovs in die Liste und beschränkten sich auf die Angabe, dass er in der Ukraine Gegenstand von Ermittlungen war

Der EU-Rat hat mit der offensichtlichen Heranziehung der Tatsache, dass Azarov in der Ukraine ein politisches Amt innegehabt hat, als einzige Begründung für diese Aufnahme einen offensichtlichen Beurteilungsfehler begangen, da er nicht einmal Gegenstand von Ermittlungen wegen Beteiligung an diesen Straftaten gewesen war

Artikel 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union erfordert, dass die EU, wenn sie die Rechtmäßigkeit der Begründung prüft, sich vergewissert, dass diese Entscheidung, die eine individuelle Betroffenheit dieser Person begründet, auf einer hinreichend gesicherten tatsächlichen Grundlage beruht. Diese Gründe müssen hinreichend genau und konkret belegt sein

Daher war zu prüfen, ob das Schreiben der Generalstaatsanwaltschaft der Ukraine vom 3. März 2014 einen hinreichenden Beweis dafür darstellt, dass Azarov im Sinne von Art. 1 Abs. 1 des Beschlusses 2014/119 als für die Veruntreuung staatlicher Vermögenswerte der Ukraine verantwortlich identifiziert worden war Dieses enthielt aber keine genauen Angaben hinsichtlich der Feststellung dieser Tatsachen und erst recht keine Angaben zu einer zumindest mutmaßlichen entsprechenden individuellen Verantwortlichkeit Azarov

Daher stellte das Gericht fest, dass der EU-Rat zum einen nicht über Informationen zu den Tatsachen oder zu den Handlungen verfügte, die die ukrainischen Behörden Azarov konkret zur Last gelegt hatten und dass zum anderen das Schreiben, auf das sich der Rat beruft, keine Grundlage im Sinne der Rechtsprechung dafür darstellen kann, Mykola Azarov mit der Begründung in die Liste aufzunehmen, dass er als verantwortlich für die Veruntreuung öffentlicher Gelder identifiziert wurde

Der EU-Rat durfte daher, ohne von den als Veruntreuung staatlicher Mittel gewerteten Tatsachen Kenntnis zu haben, die die ukrainischen Behörden speziell Azarov zur Last gelegt hatten, keine restriktiven Maßnahmen gegen ihn erlassen. Zusammengefasst erfüllte die Aufnahme Mykola Azarovs in die Liste nicht die Kriterien für die Benennung von Personen, die von den in Rede stehenden, im Beschluss 2014/119 festgelegten restriktiven Maßnahmen erfasst werden durften; aus den gleichen Gründen ist auch die Verordnung Nr. 208/2014 für nichtig zu erklären, soweit sie sich auf Azarov bezieht

Juristische Eckpunkte

Rechtsmittel Frist: Zwei Monate ab Zustellung Legitimation der Berufung durch EU-Rat oder Streithelfer Ergebnis Bestätigung Aufhebung und Entscheidung in der Sache/Zurückweisung

keinerlei Einreisebeschränkungen in die EU Erwogen wird noch Schadenersatzklage durch Mykola Azarov

Der politische Rahmen

Rechtsstaatlichkeit ist in der Ukraine nicht gegeben, politische Beeinflussung der Justiz: in der Regierung Poroshenko mussten bereits mehrere Generalstaatsanwälte wegen krimineller Machenschaften zurücktreten internationale Kritik am aktuellen GenSt Viktor Shokin, er wird durch Präsidenten geschützt Rücktritte von über 230 Richtern aus Protest über politische Justiz im Land

Der Rat steht nach dem EuG-Urteil nun vor der politischen Entscheidung, ob die Sanktionen wieder verlängert werden sollen im März diesen Jahres Weder rechtliche, noch faktische Gründe liegen vor für eine Verlängerung

Beschlagnahmungen in der Ukraine gegen Azarov liegen vor, für ihn besteht dort kein Rechtschutz: Verstoß gegen Menschenrechtskonvention UND Assoziierungsabkommen EU-UA eine erneute Sanktion gegen Azarov wäre politisch wie juristisch unvertretbar Neuerliche Sanktionen wären ein Perpetuum Mobile: bei gleicher Sachverhaltsgrundlage darf das Mittel der EU-Sanktionspolitik nicht nochmals für politische Zwecke missbraucht werden

Frage nach der demokratischen Legitimation dieser Sanktionspolitik: kein Kontrollorgan, wie z.b. das EU- Parlament, hat die Möglichkeit der Mitsprache, alles läuft über Institutionen wie EAD oder Kommission Auch eine Entscheidung des Rates wird nicht durch die Mitgliedsparlamente bestätigt

Internationale Think-Tanks und politische Analysten beobachten seit langem eine inflationäre Nutzung von Sanktionen (USA/EU, sogar RUS im Fall Türkei) Dadurch wird der eigentliche Sinn von Sanktionen (positive Beispiele Südafrika/ Iran) als ultima ratio der internationalen Politik ad absurdum geführt und damit um seine Kraft gebracht, wenn diese nicht mit Rechtsstaatlichkeit einhergeht