Manuskript Beitrag: Trügerische Sicherheit Kontrollmängel am Flughafen Sendung vom 12. Januar 2010 Von Ulrich Stoll und Lars Winkelsdorf Anmoderation: Wir geben viel über uns preis, seit Jahren. Wir präsentieren fremden Leuten vom Flughafen-Sicherheitsdienst unsere Mundwasser, Deos, Faltencremes: Im geschlossenen Plastikbeutel. Nur je hundert Milliliter lassen sie durch. Das soll der Terrorabwehr dienen. Bald zeigen Passagiere auch noch jede Menge Haut - wenn sie tatsächlich durch den Körperscanner müssen. Seit dem vereitelten Flugzeug-Attentat von Detroit sehnen sich mal wieder viele nach dem trügerischen Sicherheitsgefühl durch Technik. Dabei verkaufen die Duty-Free- Shops - gleich hinter der Sicherheitskontrolle - noch immer so einiges, was gefährlich werden könnte. Über das sinnlose technische Wettrüsten mit Selbstmordattentätern Lars Winkelsdorff und Ulrich Stoll. Text: Passagiere müssen ihre Wasserflaschen wegwerfen. Das soll angeblich das Fliegen sicherer machen. Seit drei Jahren ist das so: Kosmetika und Flüssigkeiten dürfen nur noch im Klarsichtbeutel mitgenommen werden abgefüllt in kleine 100- Milliliter-Flaschen. Viele Reisende bezweifeln den Sinn solcher Maßnahmen. O-Ton Saskia von Hoegen, Fluggast: Es gibt so viele Möglichkeiten, wenn man möchte, einen Flug zu stören oder doch noch was mitzunehmen, dass ich denke, dass das eher so eine beruhigende Maßnahme es wird etwas getan. Aber ansonsten ist es relativ lästig. Saskia von Hoegen muss bei der Kontrolle ihren Klarsichtbeutel vorzeigen. Aber niemand interessiert sich für den tatsächlichen Inhalt der kleinen Fläschchen. Im Duty-Free-Shop hinter den Kontrollen drehen wir an diesem Tag mit versteckter Kamera. Wir entdecken brennbare Parfums und hochprozentige Alkoholika. Die kann jeder Passagier literweise ins Flugzeug mitnehmen.
O-Ton Saskia von Hoegen, Fluggast: Das sehe ich natürlich auch kritisch, denn dann kann man im Duty-Free-Shop immer noch sich das kaufen, was man braucht, um einen Brand auszulösen im Flugzeug zum Beispiel. Insofern: das spricht für den beruhigenden Charakter der Maßnahme und nicht für die Effizienz. Rafi Ron war Sicherheitschef des Flughafens Tel Aviv. Dort in Israel ist täglich mit Terroranschlägen zu rechnen. Der Sicherheitsexperte hält wenig vom Flüssigkeitsverbot und den Duty-Free-Bestimmungen an europäischen Flughäfen. O-Ton Rafi Ron, ehem. Sicherheitschef Flughafen Tel Aviv: Auf der einen Seite nehmen wir den Passagieren bei den Kontrollen kleine Messer ab und erlauben ihn auf der anderen Seite, Alkoholika in Glasflaschen an Bord zu bringen. Sowohl die Glasflaschen als auch der Inhalt dieser Flaschen können im Flugzeug als Waffen verwendet werden. Eine solche Regelung macht überhaupt keinen Sinn. Wie wenig das Flüssigkeitsverbot für die Flugsicherheit bringt, zeigte Frontal21 schon vor Jahren. Damals konnten wir im Duty-Free-Shop gefährliche Haarspraydosen kaufen. Im Flugzeug hätten sie eine verheerende Wirkung gehabt. Es gelang uns, ein Kilo Pflanzendünger unbemerkt durch die Sicherheitskontrollen zu bringen. Zusammen mit Duty-Free- Artikeln ließ sich daraus Sprengstoff zusammenmischen. Wir testeten die Bombe aus dem Duty-Free-Shop. O-Ton: Drei, zwei, eins. Eine Sicherheitslücke, die noch heute besteht. Nach dem Frontal21-Beitrag sah die damalige Bundesregierung keinen Handlungsbedarf. Das Innenministerium erklärte: O-Ton: Die Beschränkung der Flüssigkeitsmenge reduziert das Risiko eines terroristischen Angriffs mittels Flüssigsprengstoffs. Der genannte Fernsehbeitrag veranlasst keine Änderungen der Regelung. Weihnachten 2009. Ein Nigerianer versucht, ein Flugzeug beim Anflug auf Detroit zu sprengen. Er wird überwältigt. Den Sprengstoff und eine Flüssigkeit als Zünder konnte der 23-jährige in seiner Unterhose an Bord schmuggeln. Jetzt soll moderne Technik das Problem lösen. Zur Erhöhung der
Flugsicherheit fordern Politiker den Einsatz von Körperscannern an Flughäfen. Doch die können längst nicht alles erkennen. O-Ton Prof. Wolfgang Spyra, Kampfmittelexperte, Universität Cottbus: Die Informationen des Bodyscanners enden dort, wo die Haut beginnt. Das ist die Flüssigkeitsschicht des menschlichen Körpers. Das heißt, alles was im Körper ist, wird mit großer Wahrscheinlichkeit nicht entdeckt werden, aber alles was davor ist, das Messer, die Waffe, die wird man erkennen können. Experten warnen davor, allein auf Technik zu setzen. Wichtiger sei die Qualität des Personals, das die Passagiere kontrolliert. O-Ton Konrad Freiberg, Gewerkschaft der Polizei: Der Bodyscanner kann nicht qualifiziertes Personal ersetzen, das ist die entscheidende Sicherheitslücke, die wir an den Flughäfen haben. Qualifiziertes Personal brauchen wir dort, das auch motiviert ist und dementsprechend auch entlohnt wird. In Israel hat man das längst erkannt, verzichtet auf Körperscanner und fragwürdige Flüssigkeitsverbote. Stattdessen befragen psychologisch geschulte Experten die Passagiere vor dem Start, suchen gezielt nach Verdächtigen, beobachten genau. O-Ton Rafi Ron, ehem. Sicherheitschef Flughafen Tel Aviv: Eine Person, die sich und viele andere Menschen in wenigen Stunden in die Luft sprengen will, ist in einer völlig anderen psychischen Verfassung als die übrigen Passagiere. Diese Person verhält sich anders. Die Körpersprache einer Person, die eine Bombe am Körper trägt, ist anders, und das kann man erkennen, wenn man weiß, wonach man zu suchen hat. Doch die deutschen Flughafenbetreiber ignorieren diese Erfahrungen bislang. Hier sollen die Kontrollen vor allem schnell gehen das spart Personal und Geld. O-Ton Carsten Tiebe, Ausbilder für Sicherheitskräfte: In der Ausbildung gibt es die Vorgaben durch die Bundespolizei, dass eine Überprüfung so um die eine Minute dauern soll, maximal eine Minute zwanzig Sekunden, das ist auch definitiv zu schaffen. Die Flughäfen allerdings und die Fluglinien möchten gerne eine zügige Überprüfung der Personen haben, so dass diese Zeiten also nicht mehr eingehalten werden, sondern dass die Fluggäste ziemlich schnell abgefertigt werden und auch nicht mehr in der Präzision, wie sie eigentlich gefordert ist, um halt eine Sicherheit zu gewährleisten. Nicht mal eine Minute für die Sicherheit. Zu einem Interview
waren die Flughafenbetreiber nicht bereit. Obendrein bezahlen sie ihre Sicherheitskräfte schlecht: Neun Euro sechs Cent brutto ist der Stundenlohn an ostdeutschen Flughäfen. Experten ziehen eine bittere Bilanz. O-Ton Konrad Freiberg, Gewerkschaft der Polizei: Das Geld zählt, der Gewinn zählt. Das merkt man überall. Man spart bei der Sicherheit, bei den Kontrollen spart man mit Dumpinglöhnen. Hinterher möchte man aber das Geschäft mit den Duty-Free-Shops machen. Das ist widersprüchlich, ganz ausdrücklich, und deswegen muss man deutlich sagen: man muss in Sicherheit investieren, in die Menschen investieren, die dort arbeiten, und nicht daran denken, dass man nur Geld verdient beziehungsweise beim Personal Geld einspart. Die Widersprüche bleiben. Stattdessen diskutiert man in Deutschland über Körperscanner. Es geht offenbar mehr um das Gefühl der Passagiere, sicher zu fliegen - nicht um wirkliche Sicherheit. Abmoderation: Die Pilotenvereinigung Cockpit kritisiert heute, die Sicherheitskontrollen seien nicht wirksam genug, zu lückenhaft. Auch Körperscanner könnten das nicht ändern. Zur Beachtung: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der vorliegende Abdruck ist nur zum privaten Gebrauch des Empfängers hergestellt. Jede andere Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtgesetzes ist ohne Zustimmung des Urheberberechtigten unzulässig und strafbar. Insbesondere darf er weder vervielfältigt, verarbeitet oder zu öffentlichen Wiedergaben benutzt werden. Die in den Beiträgen dargestellten Sachverhalte entsprechen dem Stand des jeweiligen Sendetermins.