Forschung, Lehre und Studium zwischen Campus, Industrie und Militär

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Claudia Holzner und Julian Firges Forschung, Lehre und Studium zwischen Campus, Industrie und Militär Allem Anschein nach ist der Mensch hinsichtlich globaler Konfliktlösungsstrategien nicht erfolgreicher geworden. Offensichtlich ist technische Weiterentwicklung kein Garant für mehr Frieden und Freiheit. Und unverkennbar lässt sich die Öffentlichkeit allzu schnell darauf ein, die humanitäre Rolle des aggressiven Weltbeschützers zu übernehmen, wobei all die störenden Erkenntnisse über hintergründige und verschleierte wirtschaftliche Motive verdrängt oder akzeptiert werden. Die Bundesrepublik Deutschland gehört weltweit zu den größten Herstellern von Kleinwaffen, Sturmgewehren, Pistolen und Revolvern. Kleinwaffen sind somit die Massenvernichtungswaffen des 21. Jahrhunderts Made in Germany. Wer leidet unter diesen Rüstungsexporten? In erster Linie ist es die Zivilbevölkerung in Krisenländern. Wir Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik sind also direkt verantwortlich für das Schüren der Konflikte dieser Welt. Jede Waffe, die produziert werden kann, muss ihren Abnehmer finden und sie tut dies auch im Rahmen des internationalen Waffenhandels. 1

Immer wieder gelingt es den Befürwortern der Waffenexporte, mit Slogans wie humanitäre Intervention oder Responsibility to protect Akzeptanz in der Bevölkerung zu erhaschen und in gewisser Weise ist das Verhalten der Bevölkerung sogar verständlich: Da wird gebetsmühlenartig gemahnt, Deutschland müsse Verantwortung übernehmen, doch werden keine alternativen Optionen diskutiert. Die einzige Möglichkeit, Verantwortung zu übernehmen, so scheint es, sei die militärische Intervention bzw. das Versenden von Kriegswaffen. Und so wird zugestimmt manchmal leise, manchmal laut, um nicht der vermeintlich schlechteren Wahl bezichtigt zu werden, der des Nicht-Handelns. Ist es unter diesen Umständen aber wirklich die schlechtere Wahl, sich gegen die weitere Militarisierung der Welt auszusprechen? Wäre das nicht sogar deutlich verantwortungsbewusster? Hierzulande schüttelt man den Kopf, wenn nach einem erneuten Schul-Amoklauf in den USA dort einmal mehr beschlossen wird, in solchen Schulen als Konsequenz die Anzahl der Waffen zu erhöhen. Nicht nur Lehrer sollten sich verteidigen dürfen, sondern auch Schüler sollen an der Waffe ausgebildet werden, um im Ernstfall aggressive Problemschüler zur Strecke zu bringen. Bei uns nach einer Lösung des Problems gefragt, würden die meisten Menschen antworten: Entwaffnen! Das ist die einzige Möglichkeit, das Morden zu stoppen. 2

Angesichts fast aller Konflikte des täglichen Lebens und auch bei vielen sonstigen Konflikten auf anderen Ebenen nur nicht in der bundesdeutschen Außenpolitik ist es den Menschen klar, dass Prävention im Sinne nicht produzierter bzw. ausgegebener Waffen die effektivste Methode ist, um Gewalt zu vermeiden. Was aber bedeutet diese Erkenntnis für öffentlich finanzierte Bildungseinrichtungen wie Schulen und Hochschulen? Sie begründet die Forderung nach der Zivilklausel, der freiwilligen Selbstverpflichtung zu ausschließlich ziviler Forschung und Lehre. In Bildungseinrichtungen soll nicht für die Rüstung geforscht werden. Zusammen mit anderen Studierenden an der Universität Kassel fragten wir uns im Jahr 2012: Auf welchen Ebenen können wir friedenspolitisch wirken? Neben Protesten vor Rüstungsstandorten sowie auf bundespolitischer Ebene dem Engagement für Transparenz und internationale Beschränkungen des Waffentransfers liegt eines nahe: die Positionierung innerhalb der Universitäten. Diese haben als über Steuergelder finanzierte Bildungseinrichtungen eine Rechenschaftspflicht gegenüber der Öffentlichkeit. Jedoch, an der Universität Kassel und an fast allen anderen Hochschulen in der Bundesrepublik gibt es noch nicht einmal für die Hochschulangehörigen eine Möglichkeit, sich zu Fragen der Militärforschung zu informieren. Transparenz hinsichtlich der Rüstungsforschung gibt es an den Hochschulen und Universitäten nicht. Oft stehen Projekte mit dem Bundesministerium der Verteidigung (BMVg) unter Ge- 3

heimschutz. Wie soll die Gesellschaft entscheiden, welche Forschung sie unterstützt, wenn sie deren Inhalte nicht kennt? Im folgenden Beitrag werden wir unsere Herangehensweise als Studierende der Universität Kassel vorstellen und aufzeigen, was wir unternommen haben, um Transparenz und eine ausschließlich friedliche und zivile Forschung zu erreichen. Aktueller Stand an deutschen Hochschulen Im November 2013 lösten die NDR-Enthüllungen, die eine millionenschwere Finanzierung der Hochschulen seitens des US-Pentagon aufdeckten, eine Welle der Empörung aus. In zahlreichen Reden auf bundes- und landespolitischer Ebene wurde wirksame Transparenz gefordert. So auch vom Abgeordneten Dr. Seidel in Nordrhein-Westfalen: Flankiert werden soll diese Selbstverpflichtung [gemeint ist die Zivilklausel] mit einer strikten Transparenzpflicht, auch für Drittmittelströme. [ ] Forschungsthema, Fördervolumen und Geldgeber von Drittmittelprojekten müssen öffentlich gemacht werden. [ ] Die Öffentlichkeit und der Gesetzgeber haben ein Recht darauf zu erfahren, auf welchen Gebieten die öffentlich finanzierten Hochschulen tätig sind, auch bei Drittmittelprojekten. 1 1 http://gruene-fraktion-nrw.de/parlament/parlamentarische s/reden/redendetail/nachricht/dr-ruth-seidl-mdl-vor-diesem -hintergrund-kann-die-wissenschaftslandschaft-in-nrw-auf -das-geld-des.html Abruf: 07.02.2015 4

Auch auf Bundesebene fand diese Forderung Zuspruch. So berichtete der NDR am 24.11.2013: Politiker von SPD, Grünen und der Linken aus dem Bundestag fordern von allen betroffenen Hochschulen, dass sie jetzt alle fraglichen Verträge offenlegen. 2 Ein Teil der US-Rüstungskooperationen fand auch an Universitäten mit einer Zivilklausel statt. 3 Dies zeigt, dass die reine Installation einer Zivilklausel noch keine Wirksamkeit garantiert. Warum Zivil- und Transparenz-Klauseln? Die Zivil- und Transparenz-Klausel etabliert einen Wert, für den eine Universität einsteht. Als solcher sollte die im Grundgesetz verankerte Friedensfinalität Eingang in die konstitutiven Rechtsquellen der 2 www.ndr.de/geheimer_krieg/geheimerkrieg247.html Abruf: 04.12.2014 3 Folgende Universitäten und Hochschulen haben sich durch eine Zivilklausel zur ausschließlich zivilen Forschung und Lehre verpflichtet (Stand: Januar 2015): Technische Universität Berlin; Universität Bremen; Hochschule Bremen; Hochschule Bremerhaven; Technische Universität Darmstadt; Technische Universität Dortmund; Goethe-Universität Frankfurt am Main; Georg-August-Universität Göttingen; Universität Ilmenau; Universität Konstanz; Universität Kassel; Eberhard Karls Universität Tübingen; Technische Universität Ilmenau; Carl von Ossietzky Universität Oldenburg; Universität Rostock; Westfälische Wilhelms-Universität Münster 5

Universität finden neben anderen Zielvorstellungen wie etwa: Freiheit von Forschung und Lehre, Einheit von Forschung und Lehre, gesellschaftliche Verantwortung der Universität. Da die staatliche Grundfinanzierung der Universitäten seit Jahren stagniert oder sogar rückläufig ist, sind sie mehr und mehr auf die Finanzierung durch Drittmittel angewiesen. Daher besteht grundsätzlich die Gefahr zunehmender Finanzierung aus Quellen, die explizit militärischen Organisationen zugeordnet werden können. Eine klare Vorgabe, die auf einem breiten Konsens in der Universität beruht, schafft hier verbindliche Regelungen, die dazu beitragen, die Finanzierung durch Militärforschung zu vermeiden oder transparent zur Diskussion zu stellen. Eine solche Regelung kann als positives Argument die Position der Universitäten gegenüber anderen Geldgebern und Partnern stärken. Im Januar 2013 hat sich mit 72,39% eine eindeutige Mehrheit der Kasseler Studierenden für die Einführung einer verbindlichen Zivil- und Transparenzklausel ausgesprochen. Um eine verbindliche, zeitnahe Regelung für alle Fachbereiche festzuschreiben, war es erforderlich, die Zivil- und Transparenz-Klausel in die übergeordnete Grundordnung einzufügen. Schon am 11. Juli 2012 hatte der Senat der Universität Kassel eine übergeordnete Neufassung der Orientierung für Professorinnen und Professoren verabschiedet. Diese gilt zwar für alle 6

Fachbereiche, ist aber nicht bindend. In dem Dokument heißt es: Es gehört zur Verantwortung von Wissenschaft sich mit möglichen Anwendungen und Folgen ihrer Ergebnisse zu befassen, auf Risiken aufmerksam zu machen und ihnen entgegenzuwirken. Gefragt sind deshalb Transparenz und Diskurs von unterschiedlichen Fachkulturen. Es gehört zum gesellschaftlichen Auftrag der Universität, Frieden und internationale Verständigung zu fördern. Deshalb sollen Forschung, Lehre und Studium an der Universität Kassel ausschließlich zivilen und friedlichen Zwecken dienen. Diskussionen über Ziele und Risiken wissenschaftlicher Aktivitäten müssen offen geführt werden. [...]. Solche Aussagen in einem Regelwerk der übergeordneten Grundordnung verbindlich festzuschreiben, ist nötig, damit die Verabschiedung einer Zivilund Transparenz-Klausel sich nicht als wirkungslose Symbol-Politik erweist, sondern einen ersten Schritt darstellt, um das Friedengebot zu einem ernsten Bestandteil der Ziele der Universität zu machen. Der Senat der Universität Kassel hat deshalb am 4.12.2013 folgenden Beschluss gefasst: Forschung und Entwicklung, Lehre und Studium an der Universität Kassel sind ausschließlich friedlichen Zielen verpflichtet und sollen zivile Zwecke erfüllen; die Forschung, insbesondere die Entwicklung und Optimierung technischer Systeme, sowie Studium und Lehre sind auf eine zivile Verwendung ausgerichtet. Bei der Kasseler Zivilklausel in der zitierten Fassung gibt es an einer Reihe von Punkten Kritik, weil 7

die Soll-Bestimmung ein Schlupfloch darstellt für militärische Zwecke; die Transparenzklausel (hochschulweite Drittmitteltransparenz) keine Berücksichtigung findet; die Verankerung einer Ethik-Kommission in der Grundordnung abgelehnt wird; die Einhaltung der Zivilklausel keiner Überprüfung unterliegt. Zur Freiheit von Wissenschaft und Forschung Ein oft erhobener Einwand gegen eine Zivil- und Transparenz-Klausel ist der Vorwurf, sie verstoße gegen die im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland festgeschriebene Wissenschaftsfreiheit. Eine Zivil- und Transparenz-Klausel sei allein aus rechtlichen Gründen nicht möglich, so die Kritiker. Dieses Argument ist Gegenstand mehrerer wissenschaftlichen Arbeiten. Dr. Dr. h.c. Erhard Denninger, emeritierter Professor für Öffentliches Recht und Rechtsphilosophie an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main kommt in einem 2009 veröffentlichten Rechtsgutachten Zur Zulässigkeit einer so genannten Zivilklausel im Errichtungsgesetz für das geplante Karlsruher Institut für Technologie (KIT) zu folgendem, auch auf die Universität Kassel anwendbaren Ergebnis: 8

Der Landesgesetzgeber ist aus verfassungsrechlichen Gründen, insbesondere aus Art. 5 Abs. 3 GG, nicht daran gehindert, [ ] die Friedens-Finalität der geplanten Forschung durch eine Zivilklausel von der Art Die Körperschaft verfolgt nur friedliche Zwecke zum Ausdruck zu bringen. [ ] Vielmehr ist eine solche Friedens-Finalität ein zentral wichtiges und normativ hochrangiges Element der Organisation und Funktionen staatlicher Institutionen der Bundesrepublik Deutschland. Der Kasseler Rechtsanwalt Dr. Bernd Hoppe kommt in einem im Dezember 2012 erschienenen Gutachten zur Vereinbarkeit einer verbindlichen Zivilklausel mit der Wissenschaftsfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG ebenfalls zu dem Ergebnis, dass einer Zivilklausel aus rechtlichen Gründen nichts entgegensteht: Insgesamt lässt sich feststellen, dass die [ ] angestrebte verbindliche Zivilklausel verfassungsrechtlich zulässig ist. Die im Grundgesetz festgeschriebene Friedensfinalität überwiege. Zudem würden Bund und Ländern es den Universitäten eigenverantwortlich überlassen, sich eigene bindende Vorschriften wie beispielsweise eine Zivil- und Transparenz-Klausel zu geben. Weiterhin darf nicht außer Acht gelassen werden, dass Wissenschaft und Forschung an Universitäten aufgrund zunehmender Drittmittelabhängigkeiten auf jetzigem Stand auch ohne Zivilklausel keineswegs völlig frei sind. Wegen des Einflusses von Drittmittelpartnern auf Forschungs- und Lehrinhalte ist dagegen eine freiwillige Selbstverpflichtung zu ausschließlich ziviler Forschung und Lehre 9

Ausdruck universitärer Freiheit der Freiheit zu einer demokratisch legitimierten Wertsetzung, die wiederum die Möglichkeit zu neuen, rein zivilen Kooperationen eröffnet. Wie Militärisches und Ziviles zu unterscheiden ist Neben dem Kriterium des Forschungsinhalts existieren vier klare Fragen, deren Beantwortung es zulässt, Militärforschung zu erkennen und von einer Forschung zu friedlichen und zivilen Zwecken zu unterschieden 4 : 1. Wer finanziert die Forschung? 2. Wer bestimmt über die Fragestellung? 3. Wer kontrolliert die Ergebnisse? 4. Wer entscheidet über die Veröffentlichung? Sobald auch nur eine dieser Fragen mit ein Rüstungsunternehmen beantwortet wird, handelt es sich nicht mehr um ausschließlich zivile und friedliche Zwecke. Eine Zivilklausel schließt folglich derartige Kooperationen aus. Als langfristiges Ziel muss also angestrebt werden, dass universitäre Forschungsprojekte ausschließlich mit zivilen Kooperationspartnern durchgeführt werden, um auch die indirekte Stützung von Rüstungsprojekten zu vermeiden. Transparenz als unabdingbare Voraussetzung für eine effektive Zivilklausel ermöglicht folglich den klaren Ausschluss explizit militärischer Forschung und Lehre. Neben der eindeutig deklarierbaren Rüs- 4 Siehe in diesem Zusammenhang und zu Dual-Use den Sammelband-Beitrag von Hans-Jörg Kreowski. 10

tungsforschung ist auch auf den Graubereich Dual- Use zu verweisen. Unter die Dual-Use-Problematik fällt Forschung, deren Ergebnisse sowohl zivil als auch militärisch verwendet werden können. Wissenschaftler/innen müssen sich daher die Einsatzmöglichkeiten ihrer Forschung bewusst machen, um eine problematische militärische Anwendung ausschließen zu können. Dies betrifft insbesondere Technologien, die eindeutig für aggressive Interventionen ausgelegt oder geeignet sind, Aggressionspotentiale zu erhöhen, die bei ihrem Einsatz die Genfer Konventionen verletzen und/oder die durch UN-Konventionen geächtet sind. Forschung, Lehre und Studium sind gemäß der Zivilklausel auf eine zivile Verwendung ausgerichtet. Für die Natur- und Ingenieurswissenschaften sind die entsprechenden Optimierungsstrategien durchgehend für alle Prozesse im Anschluss an die Grundlagenforschung selbst abzuwägen. Entsprechend haben sich die Humanwissenschaften an Zielen der Konfliktvermeidung sowie eines gewaltfreien Konfliktmanagement zu orientieren. Dual-Use lässt sich innerhalb der universitären Landschaft nicht komplett ausschließen. Auf die Grundlagenforschung bezogen hat das zur Folge, dass mit der Zivilklausel keineswegs intendiert ist, Forschungsbereiche einzuschränken, die per definitionem offen für unterschiedlichste Anwendungen sind. Forschung und Lehre sollen vielmehr darauf 11

ausgelegt sein, dass ihre Inhalte und Kooperationen ziviler Natur sind, indem jegliche Form expliziter (!) Rüstungsforschung und -zusammenarbeit (W-Fragen s. o.) im Vorhinein unterbunden bzw. durch zivile Kooperationen und Projekte ersetzt wird. Die Einhaltung der Zivilklausel als Prozess Die Einführung einer Zivilklausel soll kein einmaliger Akt einer Regeländerung sein. Die gemeinsame Vorstellung der Verpflichtung auf friedliche Ziele ist etwas, das nur durch kontinuierliche Befassung mit dem Thema volle Wirkkraft entfalten kann. Es ist wie ausgeführt nicht immer einfach, eine sachgemäße Abgrenzung zwischen zivil und militärisch zu ziehen. Die Gefahr von Dual-Use besteht bei vielen Forschungsobjekten. Daher soll die Tätigkeit einschlägiger Entscheidungsgremien auf dem Hintergrund prozesshafter Aktivitäten sich auf folgende vier Bereiche erstrecken: auf Diskussions-, Lern-, Erfahrungs- und Lehrprozesse. Diskussionsprozesse: Diese sind für eine Zivilklausel von besonderer Wichtigkeit. Sie kommen auch in den anderen drei genannten Prozessen vor. Trotz gutem Verständnis der Zusammenhänge und angesammelter Erfahrung im Forschungs- und Lehrbereich kann es trotzdem immer wieder dazu kommen, dass eine Entscheidung über militärisch oder zivil bzw. friedlich/nicht friedlich nur schwer oder möglicherweise gar nicht zu treffen ist. 12

Lernprozesse: Was bedeutet die Verpflichtung auf friedliche Ziele? Was müsste bei neuen Projekten beachtet werden? Dies sind Fragen, die im Laufe des Lernprozesses zu beantworten sind. Hier bietet die Universität ihren Mitgliedern Raum und Unterstützung, damit die Ideen des Leitbildes fachübergreifend und fächerspezifisch von allen verstanden werden können. Erfahrungsprozesse und Monitoring: Mit zunehmender Zeit wird es unterschiedlichste Erfahrungen mit der Zivilklausel geben. Es ist geboten, diese in der Universität weiterzugeben und in Lernprozesse einzuspeisen. Gewonnene Erfahrungen halten Grundsätze und Leitlinien aktuell. Lehrprozesse: Die Universität dient der Forschung und der Bildung. Die Vermittlung von Fähigkeiten zur Entscheidung zwischen friedlichen und kriegerischen Zielen und das Bewusstsein für die Dual-Use-Problematik haben Eingang zu finden in Lehrveranstaltungen und Studienpläne. Spezielle Lehrveranstaltungen können sich exemplarisch mit der Rolle von Wissenschaft bei Konflikten und in Kriegen beschäftigen, aber auch bei der Friedensschaffung. 13

Für das Lehrpersonal ergeben sich daraus spezifische Handlungsmöglichkeiten wie z. B.: die Kooperation mit bestehenden studentischen Arbeitskreisen; das Thematisieren der Zivil- und Transparenzklausel in Vorlesungen; eine hochschul- und bundesweite Vernetzung. Plädoyer für Hochschul-Friedensverpflichtung Hochschulen als Teil der Gesellschaft sollten die Möglichkeit wahrnehmen, sich nach demokratischen Prinzipien zu positionieren, um mit dem Ziel gesamtgesellschaftlichen Nutzens auf die Gesellschaft zurückzuwirken. V. a. wegen bestehender Drittmittelabhängigkeit ist es für die Freiheit von Wissenschaft und Forschung essentiell, eben jene Kooperationen kritisch zu hinterfragen. Ein struktureller Ausschluss militärischer Forschung und Lehre durch Verankerung einer Zivilklausel in der universitären Grundordnung ist ein wichtiger Schritt innerhalb eines langfristigen Prozesses mit dem Ziel ausschließlich ziviler Hochschulforschung und -lehre. Die verfassungsmäßige Zulässigkeit von Zivilklauseln in der Landes-Hochschulgesetzgebung wurde durch mehrere Rechtsgutachten bestätigt. Durch Anwendung der Transparenzklausel können Verflechtungen mit militärisch ausgerichteten Drittmittelpartnern offen gelegt bzw. widerlegt werden. Basierend auf einer Transparenz- und Zivilklausel sollen sich die Universitäten in einem kontinuierlichen Prozess ihrer gesamtgesellschaftlichen Ver- 14

antwortung bewusst werden. Die Zivilklausel stellt eine Möglichkeit zur Weiterentwicklung und Umsetzung eines universitären Profils dar, das auf weltoffenem und fortschrittlichem Denken, Internationalität und gelebter Friedensfinalität gründet. Unser Fazit: Zivil- und Transparenzklauseln müssen gelebt werden! Unser Dank gilt Dr. Peter Strutynski (AG Friedensforschung Kassel) und Dietrich Schulze für die unermüdliche Unterstützung der bundesweiten Zivilklausel-Bewegung und deren Dokumentation: http://stattweb.de/files/dokukitcivil.pdf **************************************** Beitrag in der Antikriegskonferenz am 3.-5. Oktober 2014 in Berlin Erschienen im Buch "Kriege im 21. Jahrhundert. Neue Herausforderungen der Friedensbewegung", Sonnenberg Verlag 2015 (Friedenspolitische Reihe: Bd. 01) ISBN 978-3-933264-77-0 mit freundlicher Genehmigung der beiden AutorInnen zur Online-Stellung in der Zivilklausel-WebDoku http://www.stattweb.de/files/dokukitcivil.pdf URL http://www.stattweb.de/files/civil/doku20150726hf.pdf 15