Pressekonferenz am 9. Juni 2011 AK Nachhilfebarometer: Noch immer starker Lern- und Kostendruck Alte Schule kostet die Familien heuer 127 Millionen Euro für Nachhilfe Belastung unverändert hoch ein Lichtblick: mehr ganztägige Schulen helfen 127 Millionen Euro für private Nachhilfe und die Arbeit von in etwa 47.000 Vollzeitbeschäftigten beim unfreiwilligen Lernen zu Hause mit den Kindern: Das alte Schulsystem fordert die Eltern heuer genauso stark wie im Vorjahr. Die AK fordert eine einheitliche Mittelstufe, unfassende Ganztagsbetreuung und mehr individuelle Förderung für die Kinder. Nie mehr zu Hause mit den Kindern lernen müssen und nie mehr private Nachhilfe: Das will ich für alle Eltern mit Schulkindern, und dafür muss rasch Ernst gemacht werden mit der versprochenen Schulreform, sagt AK Präsident Herbert Tumpel: Das ist auch eine Frage der sozialen Gerechtigkeit. Noch ergibt eine österreichweite Ifes-Befragung von 2.760 Familien: Nur in ganztägigen Schulen ist die private Lernbelastung der Eltern und ihrer Kinder geringer als insgesamt. Sonst bleibt die Belastung gleich hoch wie 2010 mit leicht steigender Tendenz. + Der Anteil der Eltern, die nach Dienstschluss unfreiwillige Hilfslehrer sind, beträgt heuer 77 Prozent nach 75 Prozent im Jahr 2010. Sie leisten gratis die Arbeit von 47.000 Vollzeitbeschäftigten. + Für private Nachhilfe zahlen die Eltern heuer mit 127 Millionen Euro (2010: 126 Millionen Euro). + Der Anteil der Kinder, die private Nachhilfe brauchen, beträgt 27 Prozent (2010: 26 Prozent). Noch immer ungerecht: 270.000 Kinder brauchen Nachhilfe, aber 70.000 von ihnen bekommen keine etwa weil es sich die Eltern nicht leisten können. Hinter dieser Belastung steckt das alte Halbtagsschulsystem, sagt Tumpel, es übernimmt zu wenig Verantwortung für den Lernerfolg. Die überwältigende Mehrheit der von Nachhilfe betroffenen Eltern wünscht sich mehr Förderunterricht, schulische Nachmittagsbetreuung oder gleich Ganztagsschulen. Die AK-Vorschläge: + individuelle Unterstützung, wenn in der Schule das Scheitern droht; + Förderung statt Sitzenbleiben; + und keine Verzögerung mehr beim Ausbau der ganztägigen Schulen, wobei eine gute Qualität gesichert sein muss. Es informieren Sie: AK Präsident Herbert Tumpel
Lern- und Kostendruck auf die Familien unverändert hoch Mehr als drei Viertel der Eltern kontrollieren nach Dienstschluss die Hausübungen ihrer Kinder und lernen mit ihnen für Prüfungen und Schularbeiten. Dieser Druck bleibt im Jahresvergleich gleich mit steigender Tendenz: Mittlerweile lernen 77 Prozent mit ihren Kindern regelmäßig am Nachmittag und helfen bei den Hausübungen. Eine gleichartige Ifes-Umfrage im Vorjahr ergab 75 Prozent. Am häufigsten lernen die Eltern am Nachmittag nach wie vor mit Volksschulkindern (87 Prozent), aber auch noch in der Oberstufe (bis zu 42 Prozent im Gymnasium). So oft lernen Eltern mit den Kindern am Nachmittag (in %; inkl Mehrfachnennungen bei mehreren Kindern in der Familie) gesamt 32 26 15 18 VS HS AHS-US AHS-O BMS 5 4 27 23 11 10 52 28 28 10 17 12 11 21 14 16 8 20 18 8 tgl 2-3x/Woche 1x/Woche seltener BHS 3 6 9 13 0 20 40 60 80 100 Hinweis: Werte für den Schulversuch Neue Mittelschule nicht angegeben, weil nicht signifikant wegen zu geringer Fallzahl Die Eltern und ihre Kinder kostet das gemeinsame Lernen nach Dienstschluss in etwa 80 Millionen Stunden Freizeit im Jahr das entspricht der Arbeit von 47.000 Vollzeitbeschäftigten. 127 Millionen Euro für private Nachhilfe Zusätzlich zum Lernen mit den Kindern haben die Familien einen weiterhin hohen Aufwand für private Nachhilfe: In Summe zahlen die Elternn heuer 127 Millionen Euro für Nachhilfe. Bemerkenswert: Der persönliche Lernaufwand der Eltern mit den Kindern sinkt nicht, wenn sie zusätzlich für Nachhilfe zahlen. Die private Nachhilfe ersetzt das Lernen mit den Kindern nicht. Sie ist eine Ergänzung. Wobei nur Volksschulkinder heuer weniger Nachhilfe in Anspruch nehmen als voriges Jahr. Seite 2 / 6
Hinweis: Werte für den Schulversuch Neue Mittelschule nicht angegeben, weil nicht signifikant wegen zu geringer Fallzahl; berufsbildende mittlere Schulen: keine Vergleichszahlen aus 2010 verfügbar Für die private Nachhilfe geben die Familien in Wien am meisten aus: pro Kind und Jahr 866 Euro (2010: 911 Euro). Die niedrigsten Nachhilfeausgaben leisten die Familien im Bundesland Salzburg aber auch hier zahlen sie 566 Euro pro Kind und Jahr (2010: 577 Euro). Hinter dem leichten Rückgang der Ausgaben pro Kind steckt ein Wechsel des Anbieters privater Nachhilfe: Der Marktanteil der Nachhilfeinstitute am Gesamtumsatz sinkt, zulegen konnten LehrerInnenn und StudentInnen. Dass in Wien die durchschnittlichen Nachhilfe-Jahresausgaben pro Kind am höchsten sind, liegt am hier vergleichsweise hohen Marktanteil der Nachhilfeinstitute und daran, dass in Wien doppelt so viele Kinder ins Gymnasium gehen wie in ländlichen Regionen. Summa summarum bleiben die Belastungen durch Ausgaben für private Nachhilfe unzumutbar hoch, so AK Präsident Herbert Tumpel: Vor allem ist die Notwendigkeit privater Nachhilfe ungerecht gegenüber Familien, die sich das nur schwer oder gar nicht leisten können. Das Problem ist die alte Halbtagsschule Ganztagsschule hilft In Österreich sind außerhalb von Wien echte Ganztagsschulen nach wie vor selten. Statt kindgerechter Aufteilung von Lernen, Üben und Freizeit über einen Schultag von acht Uhr Früh bis vier Uhr Nachmittag dominiert die Halbtagsschule, zum Teil ergänzt durch wahlweise Nachmittagsbetreuung. Die Kinder werden am Vormittag mit Fakten konfrontiert, am Nachmittag sollen sie die Hausübungen allein bewältigen auch in der wahlweisen Nachmittagsbetreuung oder im Hort kann nicht immer kontrolliert werden, ob sie ihre Aufgaben richtig lösen können. Danach liegt die Verantwortung für die Lernprobleme bei den Eltern. Dass mehr ganztägige Schulen die Belastung verringern, zeigt das Beispiel Wien. Hier gibt es das österreichweit beste ganztägige Betreuungsangebot für Schulkinder. Der Anteil der Sechs- bis Vierzehnjährigen mit einem Platz in einer Ganztagsschule, einer schulischen Nachmittagsbetreuung oder im Hort hat sich im Jahresvergleich leicht auf 31 Prozent erhöht. Im Bundesschnitt blieb der Anteil der Schul- Seite 3 / 6
kinder in ganztägiger Betreuung mit 20 Prozent gleich. In der Volksschule führt das zu zunehmender Entlastung der Eltern: Mit Kindern in den Wiener Volksschulen brauchen 18 Prozent der Eltern nie nach Dienstschluss lernen im Österreich- Schnitt haben diesen Vorteil nur 13 Prozent der Familien mit Volksschulkindern. Sozial ungerecht: WenigverdienerInnen im Nachteil Dass die alte Schule in Österreich ohne Eltern als unfreiwillige Nachhilfelehrer und ohne teure private Nachhilfe nicht funktioniert, bedeutet schlechte Chancen für Kinder, deren Eltern ihnen selber nur schwer beim Lernen helfen können und Nachhilfe nur schwer finanzieren können. + Nicht alle Kinder, die private Nachilfe brauchen, bekommen sie: Hochgerechnet 270.000 Kinder brauchen heuer Nachhilfe. Aber für 70.000 von ihnen war das nicht möglich: Vier von zehn können sich die Nachhilfe nicht leisten, oder es gibt kein passendes Angebot. + Die finanzielle Belastung der Familien durch private Nachhilfe steigt: 47 Prozent der Betroffenen sind sehr stark oder spürbar belastet voriges Jahr waren das 44 Prozent. Höher ist auch der Anteil der Eltern, die finanziell sehr stark von der Nachhilfe belastet sind: 15 statt elf Prozent. Überdurchschnittlich hoch ist die finanzielle Belastung durch die Nachhilfekosten bei der Gruppe der Arbeiter und Angestellten. Das liegt auch daran, dass sich inzwischen die finanzielle Lage vieler Haushalte infolge des überaus starken Preisanstiegs vor allem bei Gütern des täglichen Bedarfs und bei Ölprodukten gegenüber dem Vorjahr verschlechtert hat. Ganztägige Schule dringend gebraucht Die Eltern erwarten sich eine Schule, die ihren Kindern beim Lernen hilft, die die Verantwortung für den Lernerfolg nicht in die Wohnzimmer der Familien abschiebt, sagt Tumpel. Um die Belastungen durch Nachhilfe zu senken, stehen weiterhin mehr Förderunterricht, schulische Nachmittagsbetreuung und eine echte Ganztagsschule auf dem Wunschzettel der Eltern, die für Nachhilfe zahlen müssen. Schluss mit Nachhilfe: Was die betroffenen Eltern für ihre Kinder wünschen (in %; Mehrfachnennungen möglich) mehr Förderunterricht 85 schulische Nachmittagsbetreuung 69 Ganztagsschulen 55 Eltern helfen den Kindern selber 46 Hort 33 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 Seite 4 / 6
Schulreform nicht mehr verzögern Die Eltern investieren jede Menge Zeit und Geld in den Lernerfolg ihrer Kinder. Das zeigt, dass ihnen Bildungsinvestitionen in die Zukunft wichtig sind, sagt AK Präsident Herbert Tumpel: Da dürfen die versprochenen Bildungsreformen nicht länger auf die lange Bank geschoben werden, deshalb unterstützen wir von der Arbeiterkammer und der Gewerkschaft auch das Bildungsvolksbegehren. Tumpel gibt jenen Rückendeckung, die sich schon bisher für ein besseres Bildungssystem eingesetzt haben. Positiv ist, dass jetzt der Ausbau der ganztägigen Schulen aufgestockt und beschleunigt wird. Damit die Schule Verantwortung für den Lernerfolg der Kinder übernehmen kann, will die Arbeiterkammer eine neue Schule mit -einer gemeinsamen Mittelstufe -Ganztagsbetreuung -mehr Förderung und mehr Durchlässigkeit, konkret: + Zügige Fortführung des Ausbaus der flächendeckenden Ganztagsbetreuung vorrangig sollen echte Ganztagsschulen eingerichtet werden. Die beste Förderung für die Kinder und die stärkste Entlastung der Eltern gibt es in echten Ganztagsschulen, in denen Lernen, Üben und Freizeit über den ganzen Tag verteilt sind. Die Schultasche bleibt unter der Woche in der Schule. Der jeweilige Zeitpunkt von Unterricht, Üben und Freizeit wird dem Biorhythmus der Kinder angepasst. Deshalb soll beim Ausbau der ganztägigen Betreuung auf die Qualität geachtet werden. Soll heißen: Qualität durch passende Räume; durch ein Freizeitkonzept; durch Mittagessen; durch fachlich bestqualifizierte BetreuerInnen. Auf eines lege ich Wert, sagt Tumpel: Die Betreuung am Nachmittag soll nicht einfach darin bestehen, dass die Kinder nur etwas lockerer als am Vormittag in ihrer Klasse sitzen. + Individuelle Unterstützung, wenn in der Schule das Scheitern droht: Läuft ein Kind Gefahr, zum Schulschluss negativ abzuschließen, sollen Lernförderung und sozialpsychologische Betreuung in der Schule verpflichtend sein. Dafür brauchen die Schulen die nötigen Fachkräfte. + Ausbau der kostengünstigen Angebote an institutioneller Betreuung in den Ferien mit Lernhilfe und individueller Förderung + Rasche Umsetzung der Abschaffung des Sitzenbleibens (wo es bisher bereits gute Beispiele gibt) durch die modulare Oberstufe und individuelle Lernbegleitung. + Individuelle Förderung statt Sitzenbleiben: Einrichtung von Kurssystemen und modularen Unterrichtsangeboten in Schulen, um Schulabbrüche und die Wieder- Seite 5 / 6
holung von Schulstufen zu verhindern sowie im Bedarfsfall begleitende entwicklungs- und sozialpädagogische Unterstützung. Daten zur Untersuchung: Ifes-Befragung unter österreichweit 2.760 Haushalten mit Schulkind/ern. Befragungszeitraum März/April 2011. Zahlen für 2010 aus einer Ifes-Befragung unter österreichweit ebenfalls 2.760 Haushalten mit Schulkind/ern im Zeitraum April/Mai 2010. Seite 6 / 6