Behandlungsmethoden bei Kontinenzproblemen nach Schließmuskel erhaltenden Darmoperationen

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Transkript:

Schließmuskel erhaltende Enddarmoperationen was tun bei Kontinenzproblemen? Bei den ILCO-Tagen in Leipzig am 14.10.2006 waren chirurgische Behandlungsmöglichkeiten von Komplikationen der verschiedenen Betroffenengruppen, die sich in der ILCO zusammenfinden, Thema mehrerer Referate. Der Gruppe der Darm(krebs)operierten ohne Stoma, bei denen die Darmnaht knapp vor dem Schließmuskel sitzt und deshalb zu schwerwiegenden Problemen führen kann, galt der Vortrag von PD Dr. med. Martin Kreis, der als Chirurg und Coloproktologe die Entwicklung der stomavermeidenden Operationen in ihrer Durchführung und Nachbehandlung seit langem miterlebt und sich intensiv um das Erreichen der bestmöglichen Lebensqualität dieser Patienten bemüht. Der hier abgedruckte Beitrag wurde nach Tonbandaufzeichnung des Vortrags in Zusammenarbeit mit Dr. Kreis erstellt. Behandlungsmethoden bei Kontinenzproblemen nach Schließmuskel erhaltenden Darmoperationen In der akademischen Chirurgie wird das Thema der Kontinenzprobleme nach Schließmuskel erhaltenden Operationen etwas vernachlässigt, so dass man wenig valide Daten hat. Daher werde ich auch viele persönliche Informationen einfließen lassen, weil ich mich mit diesem Problem bereits seit meiner Doktorarbeit beschäftige und dann die letzten 12 Jahre, die ich jetzt ärztlich tätig bin, daran weiter arbeitete. Warum kommt es zu Kontinenzproblemen? Um dies zu erklären, gehe ich ganz weit zurück an den Anfang des letzten Jahrhunderts, als der Chirurg Miles eine Wende in der Rektumchirurgie, also in der Chirurgie des Enddarms bewirkte. Er erkannte als Erster, dass bei den damals üblichen Operationen, bei denen der Tumor nur vom After oder Gesäß her lokal ausgeschnitten wurde, die Krebserkrankung extrem häufig wieder auftritt und somit eine Heilung in aller Regel nicht möglich ist. Dieses Vorgehen war um 1900 üblich, da man einen Bauchhöhleneingriff wegen der hohen Sterblichkeit fürchtete. Miles stellte korrekterweise fest, dass die Ursache für das häufige Wiederauftreten der Krebserkrankung darin besteht, dass Tumorzellen vom Enddarm zum Bauchraum hin mit dem Lymphabstrom nach zentral transportiert werden und von diesen dann das Rezi- ILCO-PRAXIS 4/07 7

div ausgeht. Aus diesem Grunde führte er erstmalig eine Operation durch, bei der der gesamte Enddarm zusammen mit dem Lymphabstromgebiet in der Bauchhöhle zur Aorta hin komplett entfernt wurde. Diese Operation stellte dann für viele Jahrzehnte den Goldstandard in der Rektum-Chirurgie dar, da hierdurch auch Patienten mit fortgeschrittenem Enddarmkrebs erstmals überhaupt eine Heilungschance hatten (abdomino-perineale Rektumextirpation nach Miles). Auch heute noch ist bekannt, dass ohne Entfernung des Lymphabstromgebietes die meisten Patienten ein Tumorrezidiv erleiden. Abbildung 1: Die Abbildung zeigt die chirurgischen Optionen für eine radikale Operation eines schließmuskelnahen Enddarmtumors: 1: Tumor (schematisch); 2: Linie der Durchtrennung; 3: innerer (unwillkürlicher) Schließmuskel; 4: äußerer (willkürlicher) Schließmuskel. Die anale Kontinenz wird nicht alleine vom Schließmuskel gewährleistet! Nach erfolgter Enddarmentfernung war es zu Miles Zeiten immer üblich, einen Kunstafter, also ein Stoma zu schaffen. Diese Operation muss auch heute noch bei einem Teil der Patienten (ca. 20 %) durchgeführt werden - und zwar dann, wenn der Tumor sehr nah am Schließmuskel sitzt oder in diesen einwächst, so dass der minimale Sicherheitsabstand von 1-2 cm nicht eingehalten werden kann (vgl. Abb. 1). Die Alternativen haben sich in den letzten 30 Jahren entwickelt, nachdem man die Nahttechniken soweit verbessert hatte, dass man auch unter sehr unübersichtlichen Bedingungen im Becken den Dickdarm im Enddarmbereich wieder annähen kann. Dabei hat sich die sogenannte anteriore Rektumresektion bei Rektumtumoren inzwischen zu der am häufigsten durchgeführten Operation entwickelt. Bei diesem Verfahren wird der Darm relativ schließmuskelnah wieder angenäht, so dass damit im Prinzip das Kontinenzproblem geschaffen wurde - denn es ist nicht so, dass der Schließmuskel die Aufgabe Kontinenz zu gewährleisten alleine bewältigt. Es entspricht den Überlegungen von Miles Anfang des letzten Jahrhunderts ( Tumorzellen bewegen sich in Richtung auf die Bauchorgane, auf die Aorta zu ), dass 8 ILCO-PRAXIS 4/07

man zum After hin keine sehr großen Sicherheitsabstände braucht. Dies wird durch neuere Untersuchungen bestätigt, die ergaben, dass heute ein bis zwei Zentimeter Sicherheitsabstand nach unten zum Schließmuskel genügen, um eine adäquate Tumoroperation durchführen zu können, d. h. den Tumor radikal zu entfernen. In den 70- und 80-er Jahren hatte man dagegen noch die Vorstellung, dass fünf Zentimeter Abstand sein müssten und daher wurde der Schließmuskel viel häufiger mit entfernt. Folglich kann heute ein Großteil dieser Tumoren, die sehr tief sitzen, noch unter Erhalt des Schließmuskels operiert werden. Da durch diese Methode dann aber praktisch der komplette Enddarm wegfällt, gibt es immer mehr Patienten, die anschließend erhebliche Kontinenzprobleme haben. Warum ist Schließmuskel erhaltend nicht identisch mit Kontinenz erhaltend? Ich persönlich versuche diesen Begriff Kontinenz erhaltende Operation zu vermeiden, weil es in vielen Fällen nicht gelingt, die Kontinenz vollständig zu erhalten, wenn der Enddarm weitgehend entfernt wird und der verbleibende Dickdarm sehr nah am Schließmuskel wieder angenäht wird, um die Kontinuität wieder herzustellen. Die Kontinenz und Entleerung wird durch verschiedene sehr komplexe Mechanismen im Enddarm gesteuert (Empfindungen, Reflexe). Dementsprechend ist nicht nur der Schließmuskel alleine an diesem Mechanismus beteiligt, sondern auch andere Faktoren, wie z.b. die Stuhlkonsistenz (flüssiger Stuhl ist in der Regel deutlich schlechter zu halten und zu kontrollieren als fester Stuhl). Gerade auch bei den Rektum-Operationen können Veränderungen am Darm auftreten, so dass es häufiger zu flüssigem Stuhl kommt. Außerdem kann der gesunde Enddarm ein relativ großes Reservoir bilden, er ist dehnbar und hat eine gute Anpassungsfähigkeit. Andere Dickdarmanteile, die dann weit unten in der Nähe des Schließmuskels angenäht werden, haben oft einen kleineren Durchmesser, können sich weniger dehnen und haben eine schlechtere Speicherfunktion, so dass es zu einer Verschlechterung der Kontinenz Abb. 2: A: J-Pouch aus Dickdarmanteilen, der dazu dient, die Speicherfunktion des Darms vor dem Schließmuskel bei sehr schließmuskelnahen Nähten zu verbessern. B: Standard-Rekonstruktion nach Enddarmentfernung mit Schließmuskelerhalt. Eine Inkontinenz kann - selbst bei intaktem Schließmuskel - entstehen, wenn mehrere Faktoren des Kontinenzmechanismus erheblich gestört sind! kommt. Um hier gegenzusteuern haben sich in der modernen Enddarmchirurgie Verfahren etabliert, die zum Ziel haben, diese Speicherfunktion wiederherzustellen. ILCO-PRAXIS 4/07 9

Dies erfolgt durch Bildung eines sogenannten Pouches, wenn der Dickdarm sehr schließmuskelnah angenäht wird. Bei der gebräuchlichsten Variante, einen Pouch anzulegen, wird der Darm zu einem J vernäht (vgl. Abb. 2). Auch für die Entleerung ist eine adäquate Sensorik erforderlich, d. h. wenn knapp oberhalb des Schließmuskels der Darm durchtrennt und wieder verbunden wird, dann fallen mitunter Reflexe weg, die dafür wichtig sind (z.b. der rekto-anale Inhibitionsreflex, der die Unterscheidung zwischen festem Stuhl und Gas ermöglicht). Letztendlich kommt es, wenn mehrere Faktoren gestört sind, zu einer Art Summationseffekt, so dass der Schließmuskel alleine u. U. nicht mehr ausreicht, um eine Kontinenz herzustellen - auch wenn er anatomisch völlig in Ordnung ist. Wie sollte der Arzt vorgehen bei Patienten mit Kontinenzproblemen? Wie überall in der Medizin ist es wichtig, eine Anamnese (Krankengeschichte) zu erheben: entweder mit Fragebögen oder einem Punktesystem, um die Inkontinenz bewerten zu können. Im Wesentlichen geht es schon darum, dass der Arzt nicht nur fragt, ob eine Inkontinenz vorliegt, sondern auch sehr differenziert nachfragt, ob z.b. ein Problem in der Wahrnehmung besteht, ob Inkontinenz nur bei flüssigem Stuhlgang auftritt, wie der Stuhlgang geformt und wie häufig er ist, ob Schmerzen dabei sind und, und, und. Man sollte das sehr differenziert erfassen und erfragen, weil sich dadurch Ansatzpunkte für verschiedene Maßnahmen ergeben, um die Situation zu verbessern. Zu jedem Patientenkontakt gehört normalerweise auch eine klinische Untersuchung, also nicht nur die Krankengeschichte zu erheben, sich exakt zu erkundigen, wo die Probleme sind, sondern auch den Patienten zu untersuchen. Dabei sollte die Schließmuskelfunktion erfasst werden, was durch eine Untersuchung mit dem Finger normalerweise gut getastet werden kann. Des weiteren sollte die Beschaffenheit der Darmnaht kontrolliert werden. Diese kann narbig sein, so dass die Dehnbarkeit des Enddarmes erheblich eingeschränkt ist und zur Inkontinenz beiträgt. Eine spezielle Nahttechnik zur Verhinderung von Engstellen gibt es leider nicht. Bei einer Inkontinenzproblematik sollte man auch immer ausschließen, dass ein Tumorrezidiv vorliegt, das dann behandelt werden muss. Wie führt man so eine Untersuchung durch? Normalerweise wird der After zunächst von außen inspiziert. Anschließend sollte eine Untersuchung mit dem Finger und dann eine Rektoskopie und Proktoskopie erfolgen, d. h. eine Spiegelung des Afters und Enddarms von innen. Beide Untersuchungen sind etwas unangenehm, aber normalerweise nicht schmerzhaft, so dass sie ohne Betäubung erfolgen können. Als Basisuntersuchung für die Kontinenzfunktion, um z.b. die Dehnbarkeit des Enddarms einschätzen zu können, gibt es die sogenannte Rektummanometrie. Das ist eine etwa 10- bis 15-minütige Untersuchung, bei der mit einer Drucksonde nachgemessen wird, wie viel Kraft der Schließmuskel aufbringt, ob die Reflexe funktionieren und welche Dehnbarkeit im Enddarm vorhanden ist. Hierdurch kann man Anhaltspunkte bekommen, welche Faktoren der Kontinenz gestört sind und das hilft, um Behandlungsmöglichkeiten zu finden. 10 ILCO-PRAXIS 4/07

Da bei schließmuskelerhaltenden Operationen häufig ein schützendes Stoma angelegt wird, sollte vor der Rückverlagerung eine Untersuchung wie beschrieben erfolgen, um die Schließmuskelfunktion abzuschätzen. Gegebenenfalls kann eine gezielte Übungsbehandlung für den Schließmuskel vor der Rückverlagerung sinnvoll sein; in jedem Fall sind Beckenbodenübungen in der Zeit zwischen Tumoroperation und Rückverlagerung hilfreich. Es ist allerdings zu beachten, dass die Kontinenz durch sehr komplexe Mechanismen zustande kommt, so dass es nicht möglich ist, vor der Stomarückverlagerung die Kontinenzsituation nach Rückverlagerung präzise vorherzusagen! Vor der Stomarückverlegung kann ein gezieltes Schließmuskeltraining hilfreich sein. Je jünger der Patient ist, desto besser ist die Kontinenz-Situation langfristig einzuschätzen. Mit welchem Zeitraum muss man nach einer Rektumoperation rechnen, um die Kontinenz beurteilen zu können? Häufig werde ich insbesondere kurz nach der Operation zur Kontinenzsituation gefragt: Wie geht das denn jetzt weiter, bleibt das so?. Es ist wichtig zu wissen, dass nach einer solchen Operation in der Regel eine gewisse Verbesserung der Kontinenzsituation, d. h. eine Anpassung innerhalb der ersten ein bis zwei Jahre spontan eintritt. Das heißt jetzt nicht, dass man frühere Kontinenzstörungen nicht behandeln sollte, aber es ist außerordentlich wichtig zu wissen, dass vier Wochen nach der Operation noch nicht der Endzustand erreicht und Geduld mitzubringen ist. Es ist für viele Patienten wichtig und motivierend zu wissen, dass sich die Situation normalerweise in den ersten Wochen und Monaten wesentlich verbessert. Bei jüngeren Patienten verbessert sich aus rein biologischen Gründen die Kontinenzsituation leichter, da Gewebe beim jungen Menschen allgemein anpassungsfähiger ist. Beispielsweise ist bei Kindern, die ohne Schließmuskel geboren wurden und dann operiert werden häufig zu beobachten, dass dennoch eine ganz ordentliche Kontinenz herbeigeführt werden kann. Also: je jünger der Patient ist, desto besser ist die Situation langfristig einzuschätzen. Mögliche Hilfen bei Kontinenzproblemen Da es keine Patentrezepte oder Standardschemata gibt, um eine Inkontinenz in den Griff zu bekommen, ist ein sehr individuelles Betreuen der Patienten nötig. Man kommt auch nicht umhin, mit einzelnen Patienten verschiedene Maßnahmen und Mittel auszuprobieren, sich im Verlauf immer wieder zu sehen, um dann nach und nach eine Situation anzustreben, in der die Kontinenzproblematik reduziert und das Leben besser ist. Über chirurgische Behandlungsmöglichkeiten sollte erst nachgedacht werden, wenn alle konservativen Maßnahmen versagt haben. Als Chirurg ist man nicht nur Operateur, das heißt wir setzen konservative Behandlungsmöglichkeiten genau so ILCO-PRAXIS 4/07 11

ein, außerdem sind die chirurgischen Therapieoptionen bei Inkontinenz infolge von Darmoperationen mit weitgehender Entfernung des Mastdarms eher begrenzt und kommen nur in Ausnahmefällen zum Einsatz. Welche konservativen Möglichkeiten bieten sich an? Mögliche konservativen Hilfen reichen vom Einsatz verschiedener Medikamente über Krankengymnastik und Bio-Feedback bis hin zur gezielten Enddarmentleerung oder der Verwendung von Analtampons. 1. Medikamente Eindickende Medikamente, die über Opiatrezeptoren wirken: Loperamid (z.b. Lopedium, Imodium); Tinctura opii Quellmittel: Flohsamen Antidepressiva (z.b. Amytryptilin) Gallensäurebinder (z. B. Cholestyramin) Häufig klagen Patienten über sehr dünnflüssigen Stuhlgang. Hier bietet es sich an, stuhl-eindickende Mittel einzusetzen. Mit diesen Substanzen kann bei einem Großteil der Patienten die Inkontinenzproblematik zumindest verringert werden. Die unterschiedlichen Substanzen werden meist ganz nach persönlicher Erfahrung des Behandlers verordnet. Zu beachten sind dabei besonders Einengungen der Nahtstelle des Darms vor dem After (Stenosen), weil man mit solchen Medikamenten komplette Blockaden, also einen Ileus oder Darmverschluss herbeiführen kann, wenn die Durchgängigkeit des Darms eingeschränkt ist. Werden solche Substanzen eingesetzt, sollte in jedem Fall immer sehr behutsam dosiert und kleine Dosierungsschritte gewählt werden. Immer wieder wird gefragt, ob diese Substanzen als Dauertherapie geeignet sind. Zwar empfehlen die Hersteller, den Dauereinsatz zu vermeiden, jedoch ist dies nach meiner persönlichen Erfahrung von Ausnahmen abgesehen unproblematisch. Es kann allerdings sein, dass diese Mittel nach ein paar Wochen oder Monaten nicht mehr so richtig wirken. In spezifischen Situationen kann auch ein Gallensäuren bindendes Medikament helfen (Cholestyramin). Insbesondere wenn ein Großteil des Dickdarms entfernt wurde kommt es doch immer wieder vor, dass Patienten am After erhebliche Schmerzen haben sowie Jucken und Brennen. Diese Beschwerden können von Gallensäuren stammen, die nicht vollständig im Dickdarm wieder aufgenommen werden. Andere Medikamente sind insbesondere in der internistischen Therapie verbreitet, z. B. Antidepressiva. Deren Einsatz ist mitunter dann besonders sinnvoll ist, wenn eine begleitende depressive Reaktion im Vordergrund steht. 2. Bio-Feedback oder Krankengymnastik Mit keiner wissenschaftlichen Untersuchung konnte bisher eindeutig nachgewiesen werden, dass mit der Bio-Feedback-Methode der Schließmuskel so trainiert werden kann, dass sich die Kontinenz durchgreifend verbessert (Biofeedback = gezielte Übungsbehandlung mit Stöpsel, der in den After eingeführt wird, um eine 12 ILCO-PRAXIS 4/07

Rückmeldung als Licht- oder Tonsignal zu bekommen). Auch gibt es keine Untersuchung, die je gezeigt hat, dass das Bio-Feedback besser ist als gezielte Krankengymnastik. Nichtsdestotrotz stellt dieses Verfahren eine wichtige Therapieoption dar, insbesondere, wenn der Willkürdruck, der durch den äußeren Schließmuskel aufgebracht werden kann, reduziert ist. Leider haben nicht-spezialisierte Physiotherapeuten häufig wenig Kenntnisse vom Beckenboden und den notwendigen Übungen, die eine Inkontinenz verbessern helfen. 3. Anale Irrigation Von der Spülung des Enddarmes (= anale Irrigation) profitiert ein Großteil der Patienten, insbesondere diejenigen, die noch ein relativ großes Reservoir vor dem After haben. Bei dieser Methode macht der Patient sich selber einmal am Tag einen Einlauf - vergleichbar mit der Irrigation beim Stomaträger. Die Hilfsmittel sind ähnlich, aber es gibt auch speziell für die anale Irrigation entwickelte Produkte. Auf diese Art und Weise kann Peristeen-Gerät (Coloplast) man den Enddarm weitgehend entleeren und hat anschließend mehrere Stunden Ruhe. Allerdings kann bei vorhandenen Engstellen im Enddarm dieses Verfahren nicht eingesetzt werden. 4. Analtampons Vom Prinzip her sind Analtampons außerordentlich simpel: sie werden in den After eingeführt, um eine Abdichtung herbeizuführen oder zu unterstützen. Diese Einmalartikel haben den Nachteil, dass der Patient sie sehr stark spürt und häufig als unangenehm empfindet - wer trotzdem damit klar kommt, profitiert enorm. Der Großteil der Patienten kommt damit auf Dauer jedoch nicht zurecht. Chirurgische Therapien und ihre Grenzen Als operative Therapie existiert als experimentelles Verfahren der Einbau eines künstlichen Schließmuskels. Des weiteren gibt es Arbeitsgruppen, die Schließmuskel-Plastiken aus körpereigenem Gewebe durchführen, welche den Schließmuskel ergänzen bzw. ersetzen. Eine weitere Möglichkeit ist es, durch elektrische Stimulation die Schließmuskelnerven zu unterstützen und hierdurch eine verbesserte Funktion herbeizuführen. Als letzte chirurgische Möglichkeit bleibt die Stomaanlage, um der Inkontinenzproblematik Herr zu werden. Da die Verfahren zur Rekonstruktion des Schließmuskels mit körpereigenem Gewebe (Gracilis-Plastik) oder Kunstmaterial (künstlicher Schließmuskel, z.b. nach Lehur) bei begrenztem Erfolg sehr komplikationsträchtig sind, wird auf diese hier nicht ILCO-PRAXIS 4/07 13

Abb. 3: Sakralnervenstimulation schematisch: Die am Kreuzbein austretenden Sakralnerven, die die Schließmuskelfunktion steuern, werden durch eine eingebrachte Elektrode mit Strom stimuliert (Prinzip eines Herzschrittmachers). Hierdurch kann in vielen Fällen die Kontinenz entscheidend verbessert werden. (Bild: Fa. Medtronic) näher eingegangen. Der Vorteil der Sakralnervenstimulation besteht darin, dass dieses Verfahren nicht mit einer großen Operation einhergeht und daher wenig belastend ist. Ein weitere positiver Aspekt ist, dass zunächst im Rahmen einer Teststimulation das Verfahren geprüft werden kann, bevor der eigentliche elektrische Schrittmacher für den Schließmuskel unter der Haut eingepflanzt wird (vgl. Abb. 3). Stomaanlage - die letzte Therapiealternative? Der Arzt sollte sich immer wieder vor Augen führen, dass auch die Anlage eines künstlichen Darmausganges bei nicht zu beherrschender Inkontinenz eine Option ist. Vorund Nachteile brauchen an dieser Stelle nicht erörtert werden - das wäre vor ILCO-Publikum wie Eulen nach Athen tragen! Resümee Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die konservative Therapie die wichtigste Säule in der Behandlung der Inkontinenz darstellt. Diese umfasst neben Medikamenten verschiedene Übungsbehandlungen, wie beispielsweise Krankengymnastik oder Bio-Feedback; weiterhin gibt es eine ganze Serie von Hilfsmitteln, die im Einzelnen getestet werden müssen. Neuere chirugische Therapieverfahren bieten hoffnungsvolle Ansätze, von denen sich die Sakralnervenstimulation als wenig belastendes Verfahren aus meiner Sicht als attraktivstes darstellt. Die Stomaanlage sollte im Therapieplan immer einen festen Raum einnehmen, denn letztlich ist es immer noch besser, dem Patienten mit schwerwiegender Inkontinenzproblematik ein Stoma anzulegen, um ihn wieder gesellschaftsfähig zu machen, als die Hände in den Schoß zu legen... Bearbeitung: DSch Anschrift des Referenten: PD Dr. med. Martin Kreis Oberarzt und Leiter der Sektion Colorektale Chirurgie an der Chirurgischen Klinik des Universitätsklinikums Großhadern Marchioninistr. 15, 81377 München 14 ILCO-PRAXIS 4/07