KRIMInaLPOLITISChE MEILEnSTEInE

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663/AB XXII. GP. Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.

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Transkript:

KRIMInaLPOLITISChE MEILEnSTEInE Schwerpunkte unserer arbeit in diesem Jahr: mit dem Delikt auseinandersetzen, anti-gewalt-trainings und helferkonferenzen. In diesem report Tirol 2013 informiere ich Sie über wichtige Entwicklungen unserer Arbeit und vertiefe Teilaspekte. In der Bewährungshilfe führen wir derzeit eine standardisierte Methode der Deliktverarbeitung ein. Ziel ist, dass sich der Klient mit seinem Deliktverhalten und den Konsequenzen für das Opfer auseinandersetzt, Verantwortung übernimmt, Risikofaktoren erkennt und Handlungsalternativen entwickelt um so den Rückfall zu vermeiden. Außerdem haben wir 2013 intensiv an der Entwicklung von Anti-Gewalt- Trainings (eine Methode im Rahmen der Bewährungshilfe) gearbeitet und haben im Oktober mit der ersten Gruppe situativer Gewalttäter gestartet. Das große Interesse von Seiten der Richterschaft und Staatsanwaltschaft an diesen Angeboten und die rege Teil- InhaLT Einblicke eines Bewährungshelfers Seite 3 Elektronisch überwachter hausarrest Seite 4 haftentlassung Seite 6 Diversion Seite 7 Leistungen 2012 Seite 8

nahme an Vernetzungsgesprächen bestärkt uns darin, auch weiterhin Konzepte und Methoden weiterzuentwickeln. Österreichweit findet derzeit eine wichtige kriminalpolitische Diskussion zur Problematik der Jugendlichen in Untersuchungshaft statt. In der von Justizministerin Karl zu diesem Thema einberufenen Task-Force arbeitet NEUSTART ebenfalls mit und sucht gemeinsam nach Möglichkeiten, die U-Haft bei Jugendlichen zu vermeiden oder zu verkürzen. Eine aufgezeigte Möglichkeit sind Helferkonferenzen, in denen NEUSTART rasch mit involvierten Kooperationspartnern (Jugendwohlfahrt, Arbeitsmarktservice, Suchtspezialisten et cetera) individuelle Vorschläge erarbeitet und dem Gericht zur besseren Entscheidungsgrundlage unterbreitet. Mein Wunsch in diesem Zusammenhang ist, dass wir uns in der Diskussion und bei der Entwicklung von Lösungen nicht nur auf Jugendliche in U-Haft beschränken, sondern dass die Rahmenbedingungen der Haft für Jugendliche generell überdacht werden. Gerade für diese Personengruppe sollte nicht der Gedanke der Strafe sondern der Gedanke der Entwicklung im Vordergrund stehen. Mit Hilfe des elektronisch überwachten Hausarrests gibt es eine sozial konstruktive Form des Strafvollzugs. Gravierende Nachteile des stationären Vollzugs wie Arbeits- und Wohnungsverlust können vermieden werden. Nicht zuletzt die Rückmeldungen der Klienten, die hohe Zahl an vermiedenen stationären Hafttagen und die niedrige Widerrufsquote machen deutlich, dass es sich hier um einen kriminalpolitischen Meilenstein handelt. Herzlichen Dank in diesem Zusammenhang an die Justizanstalt Innsbruck für die sehr gute Zusammenarbeit in diesem Bereich. In der Haftentlassenenhilfe ist es uns 2013 zunehmend gelungen, unsere Unterstützung bereits in Haft anzubieten und so den schwierigen Schritt von drinnen nach draußen besser zu unterstützen. Naturgemäß ist das Jahr 2013 für mich als neue Einrichtungsleiterin auch davon geprägt, viele Kooperationspartner und Zuweiser näher kennenzulernen und die Zusammenarbeit zu intensivieren. Im Zuge dieses fachlichen Austauschs sind mir viele Erkenntnisse und Perspektivenwechsel möglich. Für die äußerst wertschätzende, unkomplizierte und sehr gute Zusammenarbeit bedanke ich mich an dieser Stelle bei allen sehr herzlich. Gerne möchte ich meinen großen Dank auch an alle hauptamtlichen und ehrenamtlichen Mitarbeiter richten, ohne die all das hier beschriebene und die engagierte tägliche Arbeit nicht möglich wäre. Dr. Kristin Henning Leiterin NEUSTART Tirol Andreas-Hofer-Straße 46 6020 Innsbruck TEL 0512 58 04 04-410 kristin.henning@neustart.at Foto: Christina Gaio Photography 2

www.neustart.at EInBLICKE EInES BEWÄhRUnGShELFERS Vom Blick durchs Schlüsselloch zum umfassenden Bild über den Klienten. Die Bewährungshilfe hat aufgrund ihres gerichtlichen Auftrags, der in der Regel für eine Probezeit von drei Jahren gilt, die Möglichkeit, einen sehr umfassenden Blick auf den Klienten und seine Lebenssituation zu werfen. Eine besondere Herausforderung stellt dabei die Vielfalt der Menschen und ihrer Problemlagen dar. In der Bewährungshilfe wird ein großes Spektrum von Menschen aller Altersgruppen (ab der Strafmündigkeit von 14 Jahren) aus allen gesellschaftlichen Schichten betreut. Die Bandbreite der Delikte ist groß. Vermögensdelikte (zum Beispiel Betrug, Diebstahl), aber auch Gewaltdelikte wie Körperverletzung oder Sexualdelikte gehören dazu. Viele unserer Klienten haben ein Suchtproblem. Je mehr man Klienten kennt, umso besser kann man sie unterstützen. Der Beginn der Betreuung gleicht einem Blick durch das Schlüsselloch: Oft sind nur Fragmente eines Menschen bekannt und sichtbar. Mit zunehmender Betreuungsdauer entsteht sehr bald ein genaueres Bild über die Ressourcen, Schwierigkeiten und Probleme der Menschen. Diese Einblicke werden dadurch ermöglicht, dass der Betreuungsauftrag sehr allgemein und umfangreich formuliert ist nämlich die Klienten bei einem straf- beziehungsweise deliktfreien Leben zu unterstützen. Andererseits arbeiten wir im Rahmen des gesetzlichen Auftrags sehr eng mit Behörden zusammen. Die Betreuung fokussiert sich in der Bewährungshilfe nicht nur unmittelbar auf den Klienten. Auch das soziale Netz wird kennengelernt und eingebunden. Weiters stellt auch die Kooperation mit Systempartnern (Jugendwohlfahrt, Wohnbetreuungen, Arbeitsmarktservice, sozialökonomische Betriebe) ein wichtiges Instrument dar, um gerade mithilfe einer Beschäftigung an der Lebenssituation der Klienten etwas zu verändern. Die Deliktverarbeitung hat in der Bewährungshilfe in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen. Der Fokus ist dabei auf eine konstruktive Auseinandersetzung mit dem Delikt gerichtet, mit dem Ziel, Rückfälle zu vermeiden. Von zentraler Bedeutung ist aber auch, in welchem Kontext das Delikt passierte, wer beteiligt und betroffen war und was der Gewinn und Verlust war. Um einen Blick auf das Ganze zu werfen ist es wichtig, nicht nur das Urteil zu kennen, sondern auch über die Akteneinsicht bei Gericht einen Überblick über Zeugenaussagen, Gutachten et cetera zu bekommen. All das führt in Kombination mit teilweise sehr intensiven, mehrmals im Monat stattfindenden Kontakten dazu, dass aus dem anfänglichen Blick durch das Schlüsselloch mit zunehmender Betreuungsdauer ein guter Überblick über den Menschen und seine Problemlage entsteht. Es wird sichtbar, welche Ressourcen und welche Netzwerke vorhanden sind beziehungsweise welche Defizite und Problemlagen eine Entwicklung für den Betroffenen schwierig machen. Die Kenntnis über die Lebenssituation und Problemlage des Klienten ist Stärke und Potenzial der Bewährungshilfe; nicht nur in der täglichen Arbeit mit den Klienten sondern auch, um dieses Wissen dem Gericht, den Systempartnern und dem sozialen Umfeld zu vermitteln und zur Verfügung zu stellen. wolfgang.sparber@neustart.at 3

ELEKTROnISCh ÜBERWaChTER hausarrest Seit herbst 2010 besteht die Möglichkeit, haftstrafen im Wege des elektronisch überwachten hausarrests zu vollziehen. Auch wenn die mediale Diskussion oft Gegenteiliges vermuten lässt, ist der elektronisch überwachte Hausarrest aus sozialarbeiterischer und kriminalpolitischer Sicht eine Erfolgsgeschichte. Dr. Kristin Henning, Leiterin von NEUSTART Tirol, sprach mit OR Mag. Reinhard Potocnik, dem Leiter der Justizanstalt Innsbruck. NEUSTART: Wie bewerten Sie als Leiter der Justizanstalt Innsbruck die Entwicklung des elektronisch überwachten Hausarrests? Potocnik: Vorweg wäre anzuführen, dass mit Einführung des elektronisch überwachten Hausarrests eine Vollzugsform etabliert wurde, die keinerlei Erfahrungswerte lieferte, was den Umfang der Administration betrifft, die Akzeptanz in der Bevölkerung und auch die Durchführung im Allgemeinen. Seit September 2010 besteht die Möglichkeit des elektronisch überwachten Hausarrests. Den statistischen Daten zufolge sind die Anträge auf diese Vollzugsform seit der Einführung sowohl im Frontdoor- als auch im Backdoor-Bereich kontinuierlich gestiegen (Anmerkung: Frontdoor heißt, dass der Antrag vor Antritt der Haft gestellt wird. Backdoor hingegen, dass der Antrag nach Haftantritt, aus der Justizanstalt heraus gestellt wird.). Im Einführungsjahr 2010 wurden 34 Anträge, im Jahr 2011 92 Anträge und im Jahr 2012 bereits 111 Anträge auf elektronisch überwachten Hausarrest in der Justizanstalt Innsbruck gestellt. Auch die Anzahl der genehmigten Anträge ist mit den Jahren gestiegen. 2010 wurden etwa 41 Prozent, 2011 rund 64 Prozent und 2012 bereits 67 Prozent aller eingelangten Anträge positiv entschieden. Widerrufe beschränken sich auf drei bis fünf Fälle im Jahr. Angesichts dessen kann jedenfalls gesagt werden, dass der elektronisch überwachte Hausarrest eine Erfolgsgeschichte ist, was seine Entwicklung betrifft. Was sind die Unterschiede zur klassischen Haft? Bei der klassischen Haft sind die Insassen in der Regel (Ausnahme ist beispielsweise der Freigang) von der Außenwelt abgeschlossen und 4

www.neustart.at Bild Ihrer Mitarbeiter gegenüber NEUSTART durch die nun engere Zusammenarbeit verändert? Für mich aber auch für die Mitarbeiter der Justizanstalt Innsbruck war der Verein NEUSTART immer ein kompetenter und verlässlicher Partner. Wir hatten bereits früher und auch heute eine sehr gute und professionelle Zusammenarbeit mit den Mitarbeitern. Hier hat sich eigentlich nicht viel verändert. Neu ist das erweiterte Aufgabenfeld des Vereins mit der Einführung des elektronisch überwachten Hausarrests und dadurch ein intensiver (fast täglicher Kontakt) der Mitarbeiter untereinander. OR Mag. Reinhard Potocnik Leiter der Justizanstalt Innsbruck sonstigen Beschränkungen ihrer Lebensführung unterworfen. Die Abschließung hat meistens den Verlust des Arbeitsplatzes, eventuell der Unterkunft und der sozialen Kontakte zur Folge, ganz zu schweigen von den Auswirkungen der Unterbringung in einer totalen Institution. Beim elektronisch überwachten Hausarrest ist es insbesondere in der Frontdoor-Variante so, dass der Arbeitsplatz, die Unterkunft sowie die sozialen Bindungen erhalten bleiben. Die Backdoor-Variante hingegen kann als sehr gute Entlassungsvorbereitungsmaßnahme angesehen werden, da hier die Insassen ebenso über einen Arbeitsplatz, Unterkunft et cetera verfügen müssen. Mit dem elektronisch überwachten Hausarrest ist eine spezielle Vollzugsform geschaffen worden, von der insbesondere Kurzstrafige als auch Strafgefangene im Entlassungsvollzug profitieren, was aus gesellschaftlich sozialer Sicht durchaus Sinn macht. Es gibt angesichts der erst kurzen Einführung des elektronisch überwachten Hausarrests noch keine Rückfallstudien. Glauben Sie, dass der elektronisch überwachte Hausarrest Auswirkungen auf das individuelle Rückfallsrisiko (nach der Haft) hat, und welche? Meiner Einschätzung nach ist anzunehmen, dass der elektronisch überwachte Hausarrest eine positive Auswirkung auf das individuelle Rückfallsrisiko hat. Wichtige Argumente sind hierfür beispielsweise in der Frontdoor-Variante der Erhalt des Arbeitsplatzes, der Unterkunft und der sozialen Bindungen. Ein aufrechtes Arbeitsverhältnis und intakte soziale Bindungen erhöhen meiner Meinung nach erheblich die Chancen einer Rückfallsvermeidung nach der Haft. Vor Einführung des elektronisch überwachten Hausarrests kooperierten NEUSTART und die Justizanstalt Innsbruck vor allem im Bereich der Haftentlassenenhilfe. Hat sich Ihr Bild und das Der Verein NEUSTART ist für die Justizanstalt Innsbruck nunmehr während des gesamten Strafvollzugs ein unerlässlicher Partner, mit dem gemeinsam an Herausforderungen herangegangen werden kann. NEUSTART Tirol wurde 2012 103 Mal von Seiten der Justizanstalt Innsbruck mit einer entsprechenden Erhebung beauftragt. In circa drei Viertel der Fälle waren aus sozialarbeiterischer Sicht die Voraussetzungen des elektronisch überwachten Hausarrests erfüllt. Insgesamt haben im letzten Jahr in Tirol 74 Personen circa 7.500 Hafttage im elektronisch überwachten Hausarrest vollzogen (2013 sind derzeit leicht steigende Tendenzen erkennbar). Im Durchschnitt verweilen die Insassen zwischen drei und vier Monaten in dieser Vollzugsform. Nachdem die Justizanstalt den elektronisch überwachten Hausarrest genehmigt hat unterstützt NEUSTART die Klienten sozialarbeiterisch während des Vollzugs. Im Auftrag der Justizanstalt werden die Aufsichtsprofile (Zeitpläne) mit den Klienten erstellt und diese werden zur Genehmigung vorgelegt. Ein weiterer wichtiger Betreuungsinhalt, vor allem auch in Hinblick auf das Rückfallsrisiko, ist die Auseinandersetzung mit dem Delikt. Seit Einführung des elektronisch überwachten Hausarrests wurde diese Vollzugsform in Tirol in 13 Fällen (Stand Juli 2013) widerrufen. Die meisten Widerrufe erfolgten aufgrund nicht eingehaltener Auflagen (positiver Alkomat-Test, Nichteinhaltung von Zeitplänen) und nur vereinzelt aufgrund des Verdachts einer neuerlichen Straftat. Angesichts der aktuellen kriminalpolitischen Diskussion zu Jugendlichen in Untersuchungshaft sei erwähnt, dass in Tirol in einem Fall die U-Haft in Form des elektronisch überwachten Hausarrests vollzogen werden konnte. kh 5

WaS KOMMT nach DER haft? aus den Erfahrungen der vergangenen Jahre wissen wir, wie wichtig es ist, die Schnittstelle zwischen haft und Entlassung zu verbessern. Das bedeutet, den Übergang von drinnen nach draußen gut zu gestalten. Aus diesem Grund nehmen wir bereits mehrere Monate vor der Haftentlassung mit den Insassen das erste Mal Kontakt auf und informieren sie über unsere Angebote. Wichtig ist es, mit den Klienten einen realistischen Blick auf die Zeit nach der Haft zu werfen und bereits rechtzeitig vorbereitende Schritte zu setzen. Ein Thema ist hier regelmäßig die Wohnmöglichkeit nach der Haft. Dank unserer engen Zusammenarbeit mit dem Verein DOWAS (Durchgangsort für Wohnungs- und Arbeitssuchende) und unserem Finanzierungsbeitrag können wir unseren Klienten rasch eine Übergangswohngelegenheit zur Verfügung stellen und bewahren sie so vor drohender Obdachlosigkeit. Auch die finanzielle Situation ist oft prekär. Rasche und unkomplizierte Zusammenarbeit mit Behörden, aber auch Spendengebern, Sozialnetz-Konferenzen eignen sich auch zur Entlassungsvorbereitung. ist hier wichtig und notwendig. Spezieller Dank geht an dieser Stelle an unsere Systempartner in diesem Bereich, die immer bemüht sind, Lösungen zu finden. Wie im Bereich der Bewährungshilfe wird auch im Bereich der Haftentlassenenhilfe das methodische Repertoire stetig erweitert. In der Steiermark, in Oberösterreich, Wien und Kärnten läuft derzeit ein Modellversuch zu Sozialnetz- Konferenzen. Ziel dieser Konferenzen ist es, das soziale Umfeld des Klienten bei der Problembewältigung einzubeziehen. Auch im Bereich der Haftentlassenenhilfe könnte das ein geeignetes Mittel werden: Das soziale Umfeld wird in die Entlassungsvorbereitung eingebunden und überlegt mit dem Klienten gemeinsam, welche Unterstützungsmöglichkeiten beispielsweise bei Arbeitssuche, aber auch in der Tagesstrukturierung sinnvoll sind. Wir dürfen nicht vergessen, dass viele aufgrund der Rahmenbedingungen in Haft nicht mehr in der Lage sind, ihren Alltag selbst sinnvoll zu strukturieren. Hier kann das soziale Umfeld einen wichtigen Beitrag leisten. Es wäre daher wünschenswert, wenn die Möglichkeiten der Sozialnetz-Konferenz österreichweit angeboten werden könnten. kh 6

www.neustart.at FEhLER PaSSIEREn... Fehler passieren es geht darum, wie man damit umgeht. Diesen Leitspruch werden wohl die meisten schon einmal jemandem mit auf den Weg gegeben haben. Gerade im Bereich der Diversionsleistungen sprechen viele unserer Klienten von einem Fehler, der passiert ist. Jugendliche sagen oft: Das war ein Blödsinn das würde ich nie wieder tun. Tatsächlich ist die Rückfallsquote nach erfolgtem Tatausgleich oder erbrachter gemeinnütziger Leistung im Vergleich zu gerichtlichen Verurteilungen äußerst niedrig. In circa 85 Prozent der zugewiesenen gemeinnützigen Leistungen kann das Strafverfahren im Anschluss eingestellt werden. Im Tatausgleich liegt diese Quote bei circa 75 Prozent der zugewiesenen Fälle. Nach erfolgter Einstellung liegt die Rückfallsquote nach gemeinnütziger Leistung bei 23 Prozent (85 Prozent der zugewiesenen Fälle sind Jugendliche oder junge Erwachsene), nach erfolgtem Tatausgleich bei Erwachsenen bei nur acht Prozent und bei Jugendlichen bei 37 Prozent (Studie Legalbiographien des Instituts für Rechts- und Kriminalsoziologie aus dem Jahr 2009). Aktives Wiedergutmachen und Verantwortung übernehmen nützt allen. Die Einführung der Diversion, um der Justiz ein breites Reaktionsrepertoire auf Straftaten zu geben, erachte ich als einen der wichtigsten kriminalpolitischen Meilensteine der vergangenen Jahre. Es ist unserer Überzeugung nach wichtig, dass eine Reaktion (und das muss keine Strafe sein) auf die Straftat erfolgt und der Beschuldigte die Verantwortung für sein Handeln übernimmt. Es ist eben nicht nur passiert, sondern jemand hat getan! In der Folge hat man die Möglichkeit, aktiv den Konflikt zu klären, sich zu entschuldigen, den Schaden wieder gutzumachen und vielleicht auch vorbeugende Maßnahmen zu treffen, damit man beim nächsten Mal anders handeln kann. Natürlich ist es wichtig, in diesem Prozess der Verantwortungsübernahme und in der Arbeit mit dem Täter das Opfer immer im Blick zu haben und nach Möglichkeit auch einzubeziehen. Im Bereich des Tatausgleichs geschieht das üblicherweise durch gemeinsame Gespräche und die geleistete Schadenswiedergutmachung. Aber auch wenn keine Person unmittelbar geschädigt wurde, zum Beispiel, weil am Dorfplatz mehrere Sachbeschädigungen begangen wurden, ist es möglich, den Rechtsbruch wieder gutzumachen. Bei der Vermittlung gemeinnütziger Leistung geht es darum, der Gesellschaft nach einem Rechtsbruch auch wieder etwas zurückzugeben (unabhängig von einer finanziellen Schadensgutmachung). Die Gesellschaft wird in diesem Zusammenhang von den vielen gemeinnützigen Einrichtungen repräsentiert, die bereit sind, Klienten bei sich mithelfen zu lassen. So berichten zum Beispiel auch Herr Breitmayer und Herr Lechner vom Sozialzentrum Pillerseetal (Altenwohnheim in Fieberbrunn) von ihren positiven Erfahrungen: Viele Klienten kommen verunsichert und trauen sich selbst wenig zu. Durch das von uns entgegengebrachte Vertrauen und Zutrauen werden die Klienten in ihren Fähigkeiten bestärkt und erleben Freude an der Arbeit. Die Vermittlung gemeinnütziger Arbeit hat daher einen Nutzen auf mehreren Ebenen: Einerseits profitieren die Klienten, aber auch wir als Altenwohnheim und somit auch die Gesellschaft in doppeltem Sinne. Besonders freuen uns natürlich Rückmeldungen von Einrichtungen oder Klienten, die aufgrund ihrer Erfahrungen in der gemeinnützigen Einrichtung dort weiterhin ehrenamtlich arbeiten oder aber erste Weichen in Richtung einer entsprechenden Berufswahl stellen konnten. Unser besonderer Dank gilt allen gemeinnützigen Einrichtungen, ohne die sozial konstruktive Maßnahmen nicht möglich wären. Vor allem im Bereich der Vermittlung gemeinnütziger Leistungen an Stelle von Ersatzfreiheitsstrafen ist viel Geduld und Engagement gefragt: Oft arbeiten dort Klienten, die seit Jahren in keinem regelmäßigen Arbeitsprozess gestanden sind, mehrere hundert Stunden an Stelle einer Gefängnisstrafe. Umso mehr freuen uns alle jene Fälle, in denen Klienten über diesen Weg wieder in Richtung Tagesstruktur und Beschäftigung finden. kh 7

WIE NEUSTART 2012 WIRKTE... Diversion Konfliktregelung zwischen Beschuldigten und Opfern: 788 Menschen haben an einem von Staatsanwälten oder Richtern angeregten Tatausgleich teilgenommen. Circa 75 Prozent der Strafverfahren konnten in der Folge eingestellt werden. Arbeiten für das Gemeinwohl: 251 Personen wurde das Angebot unterbreitet, gemeinnützige Arbeit an Stelle eines Strafverfahrens zu erbringen. Circa 85 Prozent nahmen das Angebot an und erbrachten die gemeinnützige Arbeit das Strafverfahren konnte eingestellt werden.... Straffälligenhilfe Bewährungshilfe: Zwischen 630 und 670 Klienten wurden im Jahr 2012 im Rahmen der Bewährungshilfe betreut, davon rund 22 Prozent von ehrenamtlichen Mitarbeitern. Haftentlassenenhilfe: 215 Menschen wurden nach ihrer Haftentlassung betreut, 1.288 Einzelkontakte erfolgten.... Vermittlung gemeinnütziger Leistung statt Ersatzfreiheitsstrafe 150 Mal wurde das Angebot, eine nicht bezahlte Geldstrafe bei einer gemeinnützigen Einrichtungen abzuarbeiten, angenommen.... Elektronisch überwachter hausarrest 2012 wurden circa 7.500 Hafttage im elektronisch überwachten Hausarrest vollzogen.... Prozessbegleitung 2012 wurden 17 Stunden im Rahmen der psychosozialen Prozessbegleitung erbracht. DanK Ihre Spende wirkt. Wir konnten im vergangenen Jahr dank Ihrer Spende Menschen in schwierigen Situationen unterstützen. Unter anderem konnten wir Klienten bei der Wiederbeschaffung von Dokumenten helfen. Für manche sind hier ja mehrere Fahrten ins nächstgelegene Konsulat in Salzburg notwendig. Liebe Leserin, lieber Leser, bei NEUSTART arbeiten mehr Frauen als Männer. Bei den betreuten Menschen sind die Männer in der Mehrheit. Im report Tirol 2013 wird die (kürzere) männliche Schreibweise nur aus Gründen der kompakten Lesbarkeit verwendet und ist als geschlechtsneutral zu verstehen. Danke für Ihr Verständnis! Auch bei Stromrückständen konnte in ausgewählten Fällen unterstützt werden. Wir hoffen auch in diesem Jahr auf Ihre Unterstützung! Weiters danken wir dem Bundesministerium für Justiz, der Abteilung Soziales des Amtes der Tiroler Landesregierung, der Stadt Innsbruck, der Stadt Imst, der Vinzenzgemeinschaft, dem Kapuzinerkloster in Innsbruck und allen weiteren Gemeinden und Spendern, die uns finanziell unterstützt haben. Spenden: IBAN: AT06 6000 0000 9010 1500 BIC: OPSKATWW Impressum Medieninhaber, Hersteller: NEUSTART Castelligasse 17 I 1050 Wien Redaktion: Dr. Kristin Henning (kh) Endredaktion und Produktion: Mag. Dorit Bruckdorfer Fotos: Felicitas Matern NEUSTART Johannes Puch Layout: Werbeagentur Rubikon I 8010 Graz Grafische Gestaltung: Wolfgang Grollnigg I 1210 Wien Druck: GröbnerDruck I 7400 Oberwart