Stavros Mentzos Hysterie Zur Psychodynamik unbewusster Inszenierungen 11., unveränderte Auflage Vandenhoeck & Ruprecht
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Inhalt Vorwort... 9 Vorwortzur8.,erweitertenAusgabe... 13 Einleitung... 15 Kapitel I Hysterische Phänomene....................... 19 1. Drei Gruppen hysterischer Phänomene...... 19 2. Verbreitung und Symptomwandel der hysterischensymptombildung... 27 Kapitel II Hysterie-Konzepte... 31 1.VonAltägyptenbiszuCharcot... 31 2. Das psychoanalytische Modell............. 35 Kapitel III HysterischeSymptombildung... 41 1.AnnetteC.(Konversion)... 41 2. Die Krankengeschichte von Barbara M. (Dissoziation)... 46 Kapitel IV HysterischeCharakterbildung... 59 1. Einleitung... 59 2. Deskriptive Merkmale des hysterischen Charakters (bzw. der heutigen histrionischen Persönlichkeitsstörung)... 61 3.AntonC.(FallNr.12)... 64 4. Ein dramatischer Auftritt (Fall Nr. 13)... 65 5
5. Zur Typologie hysterischer Charaktere...... 69 6. Das Über-Ich: der prominenteste Zuschauer.. 73 Kapitel V Ich-psychologische Aspekte die einzelnen Teilmechanismen... 75 1. Der impressionistische kognitive Stil und die Affinität für unbewusste Symbolik..... 75 2. Emotionalisierung Dramatisierung........ 78 3. Identifikation als wichtiger Mechanismus innerhalb der hysterischen Symptom- und Charakterbildung... 79 4. Verdrängung und Dissoziation............. 84 Kapitel VI DieKrisedesHysteriebegriffs... 88 1. Konversion nur bei ödipalen Konflikten?... 88 2. Hysterischer Charakter nur bei ödipaler Fixierung?... 89 3. Hysterie, hysterisch unbrauchbar gewordene Begriffe?... 91 Kapitel VII Versuch einer neuen Definition... 93 1.MethodologischeVorbemerkungen... 93 2. Der hysterische Modus der»konfliktlösung«94 3. Das spezifisch Hysterische... 96 4. Einwände gegen die vorgeschlagene Konzeptualisierung... 100 Kapitel VIII PrimärerundsekundärerKrankheitsgewinn... 105 1.PrimärerneurotischerGewinn... 105 2. Sekundärer Krankheits-(neurotischer) Gewinn... 109 6
Kapitel IX Vergleiche und Gegenüberstellungen............ 112 1. Ein Vergleich mit der Zwangsneurose....... 112 2. Konversion versus psychosomatische Resomatisierung im engeren Sinne......... 113 3. Beziehungen zwischen hysterischer Symptomneurose und hysterischem Charakter (bzw. der heutigen histrionischen Persönlichkeitsstörung)... 116 Kapitel X Nosologische und klassifikatorische Aspekte...... 119 Kapitel XI InterpersonaleAspekte... 123 1. Die hysterische Kommunikation........... 123 2.Partnerbeziehungen... 129 3. Warum sind Frauen häufiger hysterisch?..... 133 Kapitel XII TherapeutischeAspekte... 135 1.PsychoanalytischeBehandlung... 135 2. Besondere Formen der Gegenübertragung... 137 3. Nichtanalytische psychotherapeutische Verfahren... 142 Kapitel XIII DieHysterieim21.Jahrhundert... 145 Exkurs: Was ist ödipal und was sind die ödipalen Konflikte?... 147 Die»Erben«der Hysterie in der Psychiatrie des21.jahrhunderts... 150 Vergebliche Versuche, den alten Hysteriebegriff als einekrankheitseinheitzuretten... 153 7
Kapitel XIV Das Hysterische in der öffentlichen Kommunikation derheutigengesellschaft... 155 1. Tokio Hotel............................. 155 2.FußballregiertdieWelt!... 156 3.Sensationslust... 160 4. Sekundäre Hysterisierung................. 162 5. Nur scheinbar perverse hysterische Inszenierungen... 164 Zusammenfassende Betrachtung... 166 Abgrenzungen und negative Definitionen........ 166 PositiveDefinitionen... 168 Anmerkungen... 172 Literatur... 179 Namen-undSachregister... 183 8
Vorwort Wie kommt es, dass so unterschiedliche Erscheinungen wie funktionelle Lähmungen einerseits und die Tendenz zur theatralischen Dramatisierung andererseits mit der gleichen Bezeichnung nämlich»hysterisch«benannt werden? Liegt die Gemeinsamkeit dieser Phänomene in einem hinter ihnen verborgenen, typischen unbewussten Konflikt, wie die klassische Psychoanalyse annahm? Oder wird sie durch psychodynamische Strukturen, die bis jetzt nur diffus und intuitiv erfasst worden sind, bewirkt? Was ist aus den großen hysterischen, klinischen Bildern der vorletzten Jahrhundertwende geworden? Sind sie tatsächlich einfach verschwunden, oder haben sie sich nur verwandelt? Was nennt man heute noch hysterisch in der Umgangssprache und was im Bereich der Psychologie und Psychopathologie? Geht es nur um einen besonderen Modus der neurotischen Verarbeitung des Konflikts? Oder macht sich womöglich hier ein emotionaler und kognitiver Stil bemerkbar, auf den auch viele andere, nichtpathologische Besonderheiten oder sogar positive Eigenschaften und Begabungen einer großen Gruppe von Menschen zurückzuführen sind? Stellen vielleicht hysterische Symptom- und Charakterbildungen nur die pathologischen Formen eines besonderen Lebensstils dar? Neben solchen und ähnlichen theoretischen haben mich besonders auch praktische und therapeutische Fragen zu dem Versuch veranlasst, meine Erfahrungen und Überlegungen auf diesem Gebiet zusammenzufassen und mich gleichzeitig mit der älteren und neueren Literatur zu die- 9
sem Thema auseinanderzusetzen. Ich hoffe, dass durch die Art der Darstellung und die vielen Beispiele dieses Buch auch für den Nichtfachmann zugänglich und nützlich sein wird. Ausgangspunkt und empirische Stütze dieser meiner Analysen sind Erfahrungen bei der psychotherapeutischen Behandlung von Menschen mit solchen»hysterischen«erscheinungen. Im Lauf der Jahre glaube ich bis zu einem gewissen Grad gelernt zu haben, mich sowohl von der Faszination, die vom Hysterischen ausgeht, als auch umgekehrt von meinen gelegentlichen negativen (Gegenübertragungs-)gefühlen einigermaßen zu distanzieren. Vieles, ja vielleicht das meiste bei diesem Lernvorgang verdanke ich der Auseinandersetzung mit meinen Patienten. Dafür möchte ich mich hier bei ihnen bedanken, aber gleichzeitig für die Kränkung, als»fall«eingeordnet und als Beispiel für etwas»typisches«dargestellt zu werden, um Nachsicht bitten und gleichzeitig Folgendes zum Ausdruck bringen: Unsere Einordnungen und Konzeptualisierungen, die ohnehin meistens vorläufig sind (und mit der Zeit aufgegeben werden müssen), betreffen automatisierte, zwangsläufig verlaufende und somit hinderliche Mechanismen und nicht den Menschen als solchen, auch wenn ich gelegentlich um lange und komplizierte Sätze zu vermeiden kurzerhand vom»hysterischen Menschen«spreche. Wir alle werden in der einen oder anderen Weise durch diese oder jene neurotischen Automatismen in unserer freien Entwicklung gehindert, und mir scheint der Versuch legitim, mit den Mitteln unserer Wissenschaft diese Hindernisse auch begrifflich zu erfassen, um sie dann besser ausschalten zu können. Herzlich bedanken möchte ich mich bei Frau Dr. Evemarie Siebecke-Giese für ihre unermüdlichen Bemühungen bei Textkorrekturen, stilistischen Veränderungen und sonstigen wertvollen Hinweisen und Gedanken. Schließ- 10
lich bedanke ich mich auch bei Frau Annemarie Deichmann für die Bewältigung der mühsamen Arbeit der Niederschrift des Textes und der Literaturhinweise. Stavros Mentzos 11
Vorwort zur 8., erweiterten Ausgabe Diesem kleinen»hysterie«-band ist bis jetzt ein sehr guter Erfolg beschieden nicht nur was die Verkaufszahlen betrifft. Vorwiegend zustimmende, aber auch einige kritische Stimmen der Fachleute, insbesondere positive Reaktionen von Nichtfachleuten sprechen dafür, dass das Buch beide Gruppen ansprechen konnte, sei es als eine Diskussionsanregung, sei es als erste Orientierungshilfe. Einer der Hauptansätze der Studie war mein Vorschlag, das Hysterische nicht als eine nosologische Einheit, als eine Erkrankung im medizinischen Sinn, sondern als einen der möglichen Modi der Verarbeitung der neurotischen Konflikte zu konzipieren. Diese Betrachtungsweise erwies sich theoretisch und praktisch als so nützlich, dass sie bald eine Verallgemeinerung erfuhr, sodass sie auf alle psychischen Störungen mit Erfolg angewandt werden konnte. Dies fand seinen Niederschlag in meinem Buch»Neurotische Konfliktverarbeitung«(1982), das inzwischen einem breiten Publikum bekannt geworden ist. Was nun aber das Hysterie-Buch selbst betrifft, so lässt sich feststellen: In den vergangenen zehn Jahren haben neue Veröffentlichungen sowie meine eigenen klinischen und therapeutischen Erfahrungen zwar keinen Anlass zu einer Änderung des Grundkonzepts gegeben im Gegenteil, es gab immer mehr Bestätigungen der Hauptthesen. Trotzdem gibt es viele Details, die ergänzt oder korrigiert werden müssten. Auch einige mögliche missverständliche Formulierungen sollten zurechtgerückt werden. Da jedoch eine grundsätzliche Änderung des Textes nicht sinnvoll und realisierbar erschien, wurde der ursprüngliche Text im Wesentlichen unverändert gelassen und durch eine Reihe von am Schluss 13
des Bandes angebrachten Anmerkungen ergänzt. Es ist zu hoffen, dass dadurch einige Einseitigkeiten behoben und gewisse berechtigte Kritiken berücksichtigt wurden. Und dennoch wurde bei der jetzigen Auflage (2003) im Hinblick auf den triumphalen Siegeszug der klassifikatorischen Systeme von DSM und ICD in der Psychiatrie wobei die Hysterie weitgehend durch andere Konzepte ersetzt wurde eine kritische Stellungnahme zu diesen Systemen erforderlich. Auch weitere Entwicklungen der psychoanalytischen Theorie des Ödipalen mussten erwähnt und ergänzt werden. Dies alles wird nun im jetzt neu hinzugekommenen Kapitel XIII am Ende des Buches unter dem Titel»Die Hysterie zu Beginn des 21. Jahrhunderts«etwas ausführlicher dargestellt. Dort wird auch von der terminologischen»panne«der Schöpfer des ICD-10 und DSM-IV bei der Einführung des Terminus»histrionisch«die Rede sein. Man versuchte nämlich von der Gebärmutter (= Hystera) wegzukommen und landete unbeabsichtigt bei den weiblichen Hormonen! (= Histrion = Oistros = Brunst). Alle diese Umwege innerhalb und außerhalb der Psychoanalyse waren aber offenbar erforderlich, um zu dem zu gelangen, was ich heute als Motto über dieses Buch stellen würde:»die Hysterie ist tot. Es lebe der hysterische Modus der Konflikt- und Traumaverarbeitung«! Stavros Mentzos 14