Inhalt. Vorwort zur Taschenbuchausgabe... 11. 1. In der Schuldenfalle: ein europäisches Drama ohne Happy End... 16



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Transkript:

Inhalt Vorwort zur Taschenbuchausgabe... 11 1. In der Schuldenfalle: ein europäisches Drama ohne Happy End... 16 2. Erwachen aus dem Eurowunder... 30 3. Ein politisches Projekt scheitert... 36 4. Ausbruch der Euroschuldenkrise... 45 Die Krise beginnt in Griechenland... 45 Ein Blick zurück: das Griechenland-Experiment... 48 Finanzhilfen-Management... 54 Griechenland und das Samariterdilemma... 57 Die Anreizwirkungen von Staatsrettungen im Euroland... 62 5. Europäischer Rettungsaktionismus... 68 Die großen Rettungsschirme... 69 Die EZB verliert ihre Unschuld... 73 Folgen der Schuldenvergemeinschaftung... 76 6. Kompetenzverlagerung zur EU... 78 7. Zentralstaat oder Staatenverbund?... 81 Eine zentrale EU-Wirtschaftsregierung?... 83 Von Bremen lernen... 91 Eine Eurozone in Freiheit und Selbstverantwortung... 98

8. Die Rolle der Banken... 101 Die gefährliche Liaison zwischen Banken und Staat... 101 Systemrelevanz... 105 9. Konfliktlinien... 112 Finanzindustrie gegen Steuerzahler... 112 Gläubiger gegen griechische Staatsbürger... 113 Eurostaaten gegen Eurostaaten... 115 10. Warum überhaupt Staatsschulden?... 117 Das Pay-as-you-use-Prinzip... 117 Konsumglättung...................................... 121 Nachfragetheorie und Globalsteuerung... 125 11. Warum Politiker gern Schulden machen... 129 Fallbeispiel 1: Theodor Waigel... 130 Fallbeispiel 2: Hans Eichel... 131 Fallbeispiel 3: Peer Steinbrück... 133 Politische Konjunkturzyklen... 139 Die Begehrlichkeiten der Ressortminister... 140 Der Wille, lieber selbst zu gestalten... 141 12. Deutschlands Finanzverfassung... 144 Neustart nach dem Zweiten Weltkrieg... 149 Siegeszug des Keynesianismus... 151 Bilanzkosmetik durch Sondervermögen... 156 Der Verschuldungsverlauf nach 1969... 157 Warum auch Maastricht nicht hilft... 162 Föderalismusreform I... 164 Was bringt die Verfassungsreform von 2009?... 165 13. Dem Staat Geld leihen warum?... 169 14. Eine Geschichte der Staatspleiten... 173 Geldentwertung und Zahlungsausfälle seit der Antike... 173 Weltkriege, Wirtschaftskrisen und die Staatsbankrotte der Moderne... 177

15. Gnadenlose Finanzmärkte?... 182 Credit Default Swaps legitime Versicherungen oder Wetten gegen den Staat?... 186 16. Die Ratingagenturen und das Rating-Paradox... 194 Die Ratingagenturen in der Krise... 196 Das Rating-Paradox... 200 Die Ratingmethode... 202 17. Wir haben die Schulden nur bei uns selbst wirklich?... 205 18. Ewiges Leben und die Münchhausen-Lösung, oder: Zins versus Wachstumsrate... 211 19. Schulden in 50 Jahren die Demographiebombe. 218 20. Entschuldungsstrategien... 224 Schuldenmanagement nach dem Ersten Weltkrieg... 224 Aus den Schulden herauswachsen... 228 Ist Konsolidierung möglich?... 229 Schuldenabbau durch Inflation, Repression und»kurspflege«?... 233 Entschuldung durch Währungsreform... 240 Staatsbankrott und Schuldenverhandlung... 242 Chronik... 249 Anmerkungen... 251 Register... 278

3. Ein politisches Projekt scheitert Der»Grundstein«-Theorie folgend sollte die Währungsunion Kräfte im Integrationsprozess Europas in Gang setzen und den Prozess hin zu den Vereinigten Staaten von Europa beschleunigen. Die Politik mag sich an einem anderen Gründervater, nämlich dem Amerikaner James Madison, orientiert haben, der eine Integration über die Portemonnaies empfohlen hatte:»zentralisiere ihre Brieftaschen, und ihre Herzen und ihr Geist werden folgen.«37 Trotz großer Mentalitätsunterschiede und nationaler Egoismen wurden bereits in den 1950er-Jahren erste Überlegungen für ein Europageld entwickelt. 38 Das konkrete Euro-Projekt wurde dann in den 80er Jahren auf den Weg gebracht. Der Delors-Plan vom April 1989 skizziert den Weg in die Währungsunion entlang von drei Schritten; und dieser Weg wurde durch die deutsche Wiedervereinigung dann wohl entscheidend beschleunigt. 39 Die Entscheider aus der Politik haben dabei den möglichen wirtschaftlichen Kollateralschaden des Euro entweder gern übersehen oder bewusst in Kauf genommen. Das haben schon Zeitzeugen so gesehen. 40 Der führende Makroökonom Jürgen von Hagen beschreibt diese Stimmungslage 1998:»Im Kern stand die Vorstellung, dass die Währungsintegration in Europa zum Vehikel einer engeren politischen Integration wird, an deren Ende die Bildung eines europäischen Bundesstaates steht. Der Weg zur Währungsunion läßt sich da die volkswirtschaftlichen Vorteile der gemeinsamen Währung eher gering einzuschätzen sind und ihnen nicht unbedeutende wirtschaftliche Kosten gegenüberstehen können nur aufgrund dieser politischen Motivation verstehen.«41 In dieser Arbeit sieht von Hagen eine Periode hoher Preisstabilität voraus, und auch die Notwendigkeit einer stärkeren politischen 36

Integration mit einer Transferunion als Gegengewicht zu den unterschiedlichen Wirtschaftsentwicklungen. Ein zentraler Anker in dieser Diskussion war die Theorie des optimalen Währungsraums, die der spätere Nobelpreisträger Robert Mundell bereits im Jahr 1961 entwickelt hatte. 42 Die Theorie besagt, dass sich souveräne Staaten nur dann zu einer Währungsunion zusammenschließen sollten, wenn hierdurch keine Wohlfahrtsverluste für die beteiligten Länder entstehen. Solche wirtschaftlichen Nachteile treten dann auf, wenn plötzliche Krisen oder Schocks die einzelnen Länder einer Geldunion unterschiedlich hart treffen und sie eigentlich mit Wechselkursänderungen gegensteuern müssten. Die Länder einer optimalen Währungsunion sind entweder wirtschaftlich weitestgehend homogen und haben Krisenoder Boomphasen, die weitgehend synchron verlaufen. Oder die Mobilität von Arbeitskräften und Kapital ist sehr hoch: Steigt ein Land der Währungsunion wirtschaftlich ab, können die Einwohner einfach in den wirtschaftlich prosperierenden Staat umziehen und so den Ausgleich schaffen, der sonst über die Währung stattgefunden hätte. Gemessen an den idealen Anforderungen eines optimalen Währungsraums Mundells dürften indes selbst viele deutsche Bundesländer untereinander keine Geldgemeinschaft bilden, geschweige denn Länder mit Sprachbarrieren in Europa. In Europa waren es vielleicht weniger unterschiedliche konjunkturelle Entwicklungen, die der Eurozone zum Verhängnis wurden. Unterschiedliche Traditionen und Wirtschaftssysteme, nicht zuletzt im Bereich der Tarifverhandlungen, waren wohl wichtiger. Diese strukturellen Unterschiede haben zu den sich selbst verstärkenden und divergierenden Wirtschaftsentwicklungen beigetragen. Öffentlich wurden diese Probleme gern wissentlich oder unwissentlich verschleiert und stattdessen wurden gerade die wirtschaftlichen Vorzüge des Euro gelobt. Bis heute werden auch deutsche Politiker nicht müde zu sagen, dass Deutschland als Exportnation der Hauptgewinner des Euro sei eine Behauptung, die nur schwer mit der beschriebenen Wachstumsdynamik in Europa in Übereinklang zu bringen ist, und die bestenfalls eine gewisse Plausibilität hat, wenn man den Begriff»Deutschland«sehr verengt betrachtet und eigentlich die»deutsche Exportindustrie«meint. 37

Die Ungleichgewichte, die die Wirtschaftswissenschaft vorhergesehen hat, traten offen erkennbar zu Tage, lange vor Beginn der Krise. In Spanien erreichte das Leistungsbilanzdefizit im Jahr 2007 ganze zehn Prozent der Wirtschaftsleistung, in Griechenland gar fast 15 Prozent. Im Vergleich dazu: Selbst in den USA, deren defizitärer Handel mit China immer wieder hervorgehoben wird, überstieg das Defizit nie mehr als sechs Prozent. 43 Wenn aber ein Land beständig mehr Waren und Dienstleistungen einführt als es exportiert, lebt es über seine Verhältnisse. Wären die Länder nicht Teil der Währungsunion, dann könnte sich ihr Leistungsbilanzdefizit in Abwertungen der eigenen Währung entladen. Diese Abwertung würde dem ungleichgewichtigen Warenstrom entgegenwirken: Ein niedrigerer Wechselkurs würde die eigenen Produkte auf den Weltmärkten günstiger und die Importe aus konkurrierenden Staaten teurer machen. 44 Vor Einführung der Gemeinschaftswährung hat der Wechselkursmechanismus für viele der heutigen Euroländer eine wichtige Rolle gespielt. Nach 1971, als das System fester Wechselkurse von Bretton Woods zusammenbrach, gewann beispielsweise die D-Mark gegenüber der spanischen Peseta um über 300 Prozent an Wert. Für Griechenland reichte selbst das nicht aus: In den 20 Jahren vor der Währungsunion stieg die D-Mark gegenüber der Drachme um mehr als 600 Prozent. 45 Vor allem angelsächsische Ökonomen hatten davor gewarnt, die Währungsunion als ein Instrument der politischen Vereinigung zu benutzen, etwa um die Macht eines wiedervereinigten Deutschland einzudämmen. Harvard-Professor Martin Feldstein wagte in einem vielbeachteten Aufsatz gar die These, die Einführung einer gemeinsamen Währung könnte innerhalb der Eurozone bewaffnete Konflikte heraufbeschwören. Unterschiedliche Mentalitäten im Umgang mit Inflation und Arbeitslosigkeit sowie Differenzen über angemessene Wirtschaftspolitik hätten langfristig durchaus die Kraft, alte historische Animositäten wieder zu wecken. Als besonders gravierenden Konstruktionsfehler betrachtete Feldstein die Tatsache, dass die EU keine Regelung für einen geordneten Austritt aus der Währungsunion vorsah. 46 Und der amerikanische Wirtschaftswissenschaftler Milton Friedman hielt die Währungs- 38

union für eine Schönwetterkonstruktion. Der Euro werde seine erste große Krise nicht überstehen, prophezeite Milton Friedman, einer der einflussreichsten Ökonomen des 20. Jahrhunderts. 47»Früher oder später, wenn die Weltwirtschaft einen wirklichen Dämpfer bekommt, werden die inneren Widersprüche in Europa dieses zerreißen.«in Deutschland gab es neben den vielen Stimmen, die die politischen Vorzüge des Projekts lobten oder einem Bundeskanzler Kohl, der die Einführung des Euro zu einer Frage von»krieg und Frieden«stilisierte 48, auch gewichtige kritische Stimmen außerhalb der Ökonomenzunft. Ralf Dahrendorf sagte in einem Interview:»Ich sehe den Euro als kritischer Bürger und halte ihn für einen schweren Fehler. Die Währungsunion geht an den Hauptthemen Europas vorbei und teilt den Kontinent.«49 Kurt Biedenkopf merkt kritisch-ironisch an:»der Euro, so lautet die Parole, wird gelingen, weil es zu seinem Erfolg keine Alternative gibt. Der Euro ist um das Titanic-Argument zu bemühen unsinkbar!«50 und fordert ein Nachdenken darüber ein, was im Fall des Scheiterns geschieht. Viele Ökonomen sahen das Projekt selbst, aber auch den Einführungszeitpunkt kritisch. Allen voran schritten dabei die drei Wirtschaftsprofessoren Wilhelm Hankel, Wilhelm Nölling und Joachim Starbatty mit dem Staatsrechtler Karl Albrecht Schachtschneider. Die Viererbande, wie die Euro-Opponenten gelegentlich genannt wurden, hatte kurz vor dem Start der Währungsunion Anfang 1998 sogar mit einer Klage beim Bundesverfassungsgericht gegen die Abschaffung der D-Mark prozessiert und letztlich verloren. 51 Zwölf Jahre nach ihrer ersten Klage, im Frühjahr 2010, startete die Viererbande ein Comeback und zog erneut vor das Bundesverfassungsgericht. In seinem Urteil vom 7. September 2011 hat das Gericht die Verfassungsbeschwerde dieser durch Dieter Spethmann erweiterten Gruppe erneut zurückgewiesen. 52 Viele Euroskeptiker befürchteten, die Einführung der gemeinsamen Währung unter der Obhut einer von den Mitgliedsstaaten gemeinsam überwachten Zentralbank werde zu einem»weichen«euro führen. Die Staatsschulden in den Eurostaaten könnten ausufern, die Regierungen der Eurostaaten würden dann auf die Eu- 39

ropäische Zentralbank Druck ausüben, die Staatsschuld durch höhere Inflation zu bekämpfen. Die Gründerväter des Euro haben deshalb Vorsorge getroffen so dachten sie jedenfalls. Drei Säulen in den Europäischen Verträgen sollten einem Ausufern der Staatsschulden und einer Aufweichung des Euro entgegenwirken. Die Geldpolitik wurde in die Hände der neu geschaffenen Europäischen Zentralbank gelegt. Anders als beispielsweise die US-Amerikanische Notenbank, die nicht allein stabilen Preisen, sondern auch einem möglichst hohen Beschäftigungsniveau verpflichtet ist, 53 sollte die EZB ganz in der Tradition der Deutschen Bundesbank ihr Augenmerk auf ein einziges übergeordnetes Ziel richten: die Preisstabilität des Euro. Unabhängig sollte sie sein, die Zentralbank für den Euro. Darauf hatten insbesondere die früheren Bundesbank-Präsidenten, allen voran Hans Tietmeyer, in den langen Verhandlungen auf dem Weg zur europäischen Währungsunion gedrungen. Der gestrenge Hüter der D-Mark soll sich beim ersten Treffen des EZB-Rats im Jahr 1998 sogar geweigert haben, den Konferenzraum zu betreten, weil die Sitzordnung nach Ländern geordnet war. Tietmeyer wollte damit demonstrieren, dass die EZB nicht den einzelnen Länderinteressen verpflichtet ist. Der Bundesbanker setzte sich durch. Seither tagen die Mitglieder des EZB-Rats streng nach Alphabet geordnet am großen Konferenzrund im 36. Stock des Eurotower. Entsprechend legt Artikel 127 AEUV, also des Vertrags über die Arbeitsweise in der Europäischen Union, die Gewährleistung der Preisstabilität eindeutig als vorrangiges Ziel der Geldpolitik des Eurosystems fest. Daran sollte die EZB gemessen werden. In Zahlen wurde das Ziel oft so interpretiert, ob es ihr gelingt, die Inflationsrate in einem kleinen Intervall knapp unter zwei Prozent pro Jahr zu halten. Gemäß Artikel 123 AEUV verbieten die Europäischen Verträge der Europäischen Zentralbank, Staaten direkt über die Notenpressen zu finanzieren. Ein weiterer Grundsatz sieht vor, dass die Währungshüter an keine Weisungen aus der Politik gebunden sind und mit ihren Maßnahmen nicht einzelne Länder bevorzugen dürfen. Diese Konzeption wurde im Vertrag selbst sowie im 40