Münchener Freiheit Künstler und Schriftsteller aus dem geteilten Polen in Bayern von Daniel Schümann Ein Erasmus-Aufenthalt während des Studiums ist heute beinahe selbstverständlich. An vielen bayerischen Universitäten sind die Polen eine der größten Gruppen unter den Gaststudierenden. Polnische Gaststudenten in Bayern sind jedoch nicht erst ein Phänomen des 20. und 21. Jahrhunderts. Gerade München wurde bereits ab 1850 zu einem wahren Mekka für junge und kreative Gäste aus dem Nachbarland. Aleksander Gierymski: Wittelsbacherplatz in München bei Nacht (1890) uni.vers 31
Aleksander Gierymski: Straßenzug Am Plönlein in Rothenburg (circa 1895) Die freiheitsliebenden Polen dieses Bild von Polen ist im 19. Jahrhundert in Europa weit verbreitet. Wohl gerade deshalb, weil die Realität anders aussah: Das Land war 1795 endgültig als selbstständiger Staat von der Karte Europas verschwunden. Die Teilungsmächte Russland, Preußen und Österreich-Ungarn setzten der wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklung der polnischen Gebiete enge Grenzen. Besonders im russischen Teil waren die Polen nach zwei gescheiterten Aufständen (1830/1831 und 1863) großem politischem Druck ausgesetzt. Die Vermögen der Aufständischen und ihrer Helfer wurden konfisziert; es wurden Todesurteile vollstreckt, und vor allem wurden ganze Familien in die sibirische Verbannung geschickt. Aber auch in den habsburgischen und den preußischen 32 uni.vers
Alfred Wierusz-Kowalski: Angriff der Wölfe (circa 1890) Gebieten blieb es nicht ruhig: 1848 rebellierten polnische Untertanen in Krakau und Lemberg gegen die Habsburger. Im selben Jahr kam es im preußischen Posen zu einem Aufstand. Da das Leben in dem geteilten Land so wenig Perspektiven bot, setzte ab 1850 ein Massenexodus aus Polen nach Westeuropa ein. Auf der Suche nach geeigneten Zufluchtsorten entwickelte sich München zu einem Ziel ersten Ranges. Warum gerade München? Als Athen an der Isar besaß die bayerische Residenzstadt schon vor den Aufständen einen guten Namen in Polen. Bereits 1828 schrieben sich die ersten Studenten an der Königlichen Akademie der Schönen Künste ein. Bis zum Beginn der 1860er Jahre folgten ihnen Dutzende Landsleute vor allem aus dem habsburgischen Galizien. Ludwig II. fördert die Künste Mit dem Scheitern des Januaraufstandes von 1863 kamen schließlich vorwiegend junge bildungshungrige und kunstinteressierte Männer aus dem russisch regierten Kongresspolen. Da traf es sich, dass fast gleichzeitig auch ein neuer Herrscher die Geschicke Bayerns zu lenken begann: Der Märchenkönig Ludwig II. aus dem Hause Wittelsbach galt als Förderer der Künste, und auch sein Nachfolger, Prinzregent Luitpold, maß ihnen einen hohen Stellenwert bei. So ist in München in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein regelrechtes Aufblühen von Kunsthandwerk und Kunsthandel festzustellen. Große internationale Ausstellungen im Glaspalast des Botanischen Gartens verstärkten diesen Trend. Nicht nur aus dem geteilten Polen strömten deshalb seinerzeit junge Maler, Bildhauer und Architekten in die Stadt an der Isar. Doch für die Polen besaß München auch andere unbestreitbare Vorzüge: Als katholisch geprägtes Gegengewicht zum protestantischen Berlin bot die Stadt ein verwandtes kulturelles Umfeld und damals einigermaßen moderate Lebenshaltungskosten. Zudem stand Bayern als innerdeutscher Rivale der Teilungsmacht Preußen seinerzeit bei vielen Polen hoch im Kurs, zumal man 1812 auch gemeinsam in Napoleons Armee gegen Russland gezogen war. Nicht zuletzt mag auch der aus dem Lateinischen stammende polnische Name der bayerischen Hauptstadt, Monachium, zum Prestige des Ortes unter den jungen Künstlern beigetragen haben. Auf Grund seiner Herkunft und Bedeutung (monachus: Mönch) war er frei von Anklängen an die germanische Kulturträger -Ideologie, die das polnisch-preußische Verhältnis unter Bismarck stark belastete. Renommierte Preise wie eine Goldmedaille für den Historienmaler Józef Brandt bei der 1. Internationalen Kunstausstellung von 1869 dürften ebenfalls geholfen haben, junge Künstler polnischer Herkunft an München zu binden. Werkstätten und Ateliers Insgesamt waren zwischen 1828 und 1913 immerhin 322 polnischstämmige Studenten an der Königlichen Akademie der Bildenden Künste eingeschrieben. Die tatsächliche Zahl der bis zum Ersten uni.vers 33
Feliks Wygrzywalski: Engel als Muse eines Künstlers Einband der Jedniodniówka (1897) Weltkrieg zumindest vorübergehend in München lebenden Künstler wird von der polnischen Kunsthistorikerin Halina Stępień jedoch mit rund 600 beziffert. Viele von ihnen schätzten eher die freie Atmosphäre der Stadt als die oft traditionalistische Ausbildung durch die Münchener Professoren. Zudem gab es bald ein dichtes Netz von Werkstätten und Ateliers polnischer Künstler in München, bei denen wiederum andere Landsleute unterkommen konnten. So kam es, dass in der Zeit bis zum Ersten Weltkrieg viele Künstler, die heute in der polnischen Malerei des 19. Jahrhunderts Rang und Namen haben, mehr oder weniger dauerhaft mit der Stadt an der Isar verbunden waren. Darüber hinaus gab es auch noch weitere polnische Emigranten in München, die keine Künstler waren. Einige der monachijczycy (Münchener) gelangten sogar zu akademischen Würden etwa der im ostpolnischen Suwałki geborene Alfred Wierusz-Kowalski, der ab 1890 Honorarprofessor an der Münchener Akademie war. Wie andere Landsleute schuf er in der bayerischen Stadt zahlreiche Bilder zu polnischen Motiven. Besonders eines von ihnen wurde zu seinem Markenzeichen: ein Wolf, der hungrig durch die Landschaft streicht oder im Rudel einen Schlitten mit Menschen angreift. Da die Nachfrage nach gemalten Wölfen so groß wurde, musste der Künstler sogar Arbeiten an seine Schüler delegieren. Die Aura des Exotischen kam und kommt beim ausländischen Publikum offensichtlich gut an: Bis heute erzielen diese Bilder weltweit im Kunsthandel gute Preise. Andere Künstler griffen Motive aus ihrer bayerischen Umgebung auf: Aleksander Gierymski, der prominenteste Vertreter des Naturalismus in der polnischen Malerei, malte Straßenszenen und seine Wohnung in München oder ein Stadttor in Rothenburg ob der Tauber. Vereinzelt bestanden also auch Verbindungen nach Franken. Die entscheidenden Neuimpulse gingen jedoch von der Stadt München aus: Licht- und Schatteneffekte in urbanen Räumen, besonders die Darstellung künstlicher Straßenbeleuchtungen erschlossen der Malerei neue künstlerische Nischen im Konkurrenzkampf mit der aufkommenden Fotografie. Unter polnischen Kunsthistorikern hat sich für diese speziellen Qualitäten der Darstellung das aus dem Deutschen abgeleitete Adjektiv stimmungowy etabliert. Kritik von und an den monachijczycy Es fehlte in der polnischen Kunstszene nicht an erbitterten Gegnern des Stils der Münchener Malerschule, und nicht selten verbanden diese ihre Ablehnung auch mit abfälligen Bemerkungen über die Kultur der bayerischen Hauptstadt. So schimpfte 1859 der bekannteste polnische Maler des 19. Jahrhunderts, der aus Krakau stammende Jan Matejko, nach einigen Monaten in München in einem Brief an einen Freund: Ich sehe für mich keinen großen Nutzen, das Studium hier ist unbeschreiblich langweilig [...] Mir gefällt die Art zu malen in den hiesigen Schulen überhaupt nicht, ich würde mir etwas anderes wünschen... Als Aleksander Gierymski seine in München entwickelten naturalistischen Malprinzipien einsetzte, um Stadtszenen in Warschau festzuhalten, war der zu pom- 34 uni.vers
pösen historischen Sujets neigende Matejko sein schärfster Kritiker. Aber auch andere prominente polnische Maler wandten sich wieder von München ab, um die polnische Realität nicht aus den Augen zu verlieren. Der Maler, Graphiker, Architekt und Ethnograph Stanisław Witkiewicz beispielsweise fragte 1901 in einem Brief aus München ratlos: Wozu sind wir eigentlich hierher gekommen? Zu diesem Zeitpunkt konnten aber auch die Stimmen prominenter Kritiker dem Ruf der bayerischen Residenzstadt kaum noch etwas anhaben. Auf Grund von Mundpropaganda und Artikeln über die Münchener Kunstszene in massenwirksamen illustrierten Zeitschriften entwickelte sich die Stadt an der Isar zu einem festen Ziel reisender Schriftsteller, Adeliger und Bildungsbürger aus dem geteilten Polen. Als Stefan Żeromski, einer der renommiertesten polnischen Prosaautoren des frühen 20. Jahrhunderts, 1891 auf einer Reise in die Schweiz in München Station macht, besucht er auch die Alte und Neue Pinakothek und sieht sich dort Bilder seiner Landsleute an. Was für eine Menge Bilder!, schreibt er begeistert an seine Frau. Manche Forscher sind der Meinung, dass Żeromskis spätere Prosawerke ohne den Einfluss der Münchener Malerschule undenkbar seien. 1906 lässt sich der zweisprachige Schriftsteller Stanisław Przybyszewski mit seiner zweiten Frau in München nieder. Auch er ist von der Stadt angetan und kehrt erst 1919 endgültig nach Polen zurück, das inzwischen wieder zu einem souveränen Staat geworden ist. München als Keimzelle Im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts vollzog sich in der Münchener Kunstszene ein Paradigmenwechsel, der auch an den polnischen Exilanten nicht spurlos vorüber ging. Tatsächlich gibt es gute Gründe, München als Keimzelle einer neuen Kunst- und Kulturentwicklung in Polen zu sehen: 1892 wird in der Stadt der Sezessionsstil ins Leben gerufen in Deutschland bekannter unter dem Namen Jugendstil. Die Gründung der Münchener Zeitschrift Jugend, der die neue Richtung ihre Bezeichnung verdankt, fand auch in der polnischen Exilgemeinde starken Widerhall. Entscheidend für die Entwicklung im Heimatland war jedoch vor allem ein polnisches Projekt aus dem Jahre 1897, eine Veröffentlichung mit dem Titel Jedniodniówka Monachijska (Münchener Eintagszeitung). Hieran wirkten neben verschiedenen polnischen Künstlern auch namhafte Schriftsteller mit unter anderen Stanisław Przybyszewski. Der Stil der Jedniodniówka wurde in Polen mehrfach von auflagenstarken und bekannten Zeitschriften kopiert. Eine weitere Schnittstelle zwischen Bild- und Wortkunst war der Münchener Verlag Dr. J. Marchlewski; in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts brachte er zahlreiche bibliophile Ausgaben zeitgenössischer polnischer und russischer Schriftsteller auf den Markt unter anderem Novellen des erwähnten Żeromski. Mit dem Anbruch der Moderne wurden aber künstlerische und literarische Trends immer kurzlebiger. Auch die polnische Münchener Malerschule hatte ihren Zenit bereits überschritten. So endete mit dem Ersten Weltkrieg eine höchst interessante Phase einer frühen Globalisierung im Schatten des europäischen Imperialismus und Nationalismus zum einen, weil die letzten Pioniere der einstmals neuen realistischen Kunst langsam verstarben, zum anderen, weil sich die politischen Rahmenbedingungen veränderten. In der Weimarer Zeit war bekanntlich gerade München ein Zentrum des deutschen Faschismus, der in dem 1918 wiedergeborenen Staat Polen einen seiner größten Feinde sah. Einzelne in München verbliebene Polen endeten gar im Konzentrationslager. Es dauerte bis nach 1945, bis der Name München in Polen wieder mit dem Stichwort Freiheit assoziiert wurde nicht zuletzt wegen des dort angesiedelten US-finanzierten Senders Radio Free Europe. Dieser hatte auch ein polnisches Programm. Literatur Stępień, Halina / Maria Liczbińska: Artyści polscy w środowisku monachijskim w latach 1828 1914. Materiały źródłowe. Warszawa 1994 (Studia z Historii Sztuki 47). Stępień, Halina: Artyści polscy w środowisku monachijskim w latach 1856 1914. Warszwawa 2003 (Studia z Historii Sztuki 50). Micke-Broniarek, Ewa: Malarstwo polskie. Realizm, naturalizm. Warszawa 2005. Fałtynowicz, Zbigniew / Eliza Ptaszyńska (Hrsg.): Malarze polscy w Monachium. Suwałki 2007. uni.vers 35