Klemens Schaupp. Ein spiritueller Übungsweg. echter

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Transkript:

Klemens Schaupp Ein spiritueller Übungsweg echter

Inhalt 1. Einleitung................................. 7 2. Grundbedürfnisse und menschliche Entwicklung.............................. 13 3. Der Übungsweg........................... 21 Erste Übung: Die Geschichte eines Bedürfnisses............. 23 Zweite Übung: Eine ausführliche Liste meiner Bedürfnisse erstellen................................... 27 Dritte Übung: Widersprüchliche Bedürfnisse wahrnehmen..... 40 Vierte Übung: Eigene und fremde Bedürfnisse wahrnehmen.... 46 Fünfte Übung: Einen»Bedürfnispsalm«schreiben............ 51 Sechste Übung:»Bitten, worum ich begehre«................. 54 Siebente Übung: Den inneren Zusammenhang der Bedürfnisse erspüren................................... 57

4. Allgemeine Hinweise zu Wahrnehmung, Ausdruck und Gestaltung menschlicher Bedürfnisse................................ 61 5. Ausblick: Bedürfnisse und christlicher Glaube.......... 75 Anmerkungen................................ 83

1. Einleitung

Im Laufe des Psychologiestudiums wurde ich erstmals mit dem Thema»Bedürfnisse«konfrontiert. Seither begleitet es mich: persönlich, in der Tätigkeit als Begleiter, bei Fortbildungen. Es ist wichtig und unerlässlich, eigene und fremde Bedürfnisse wahrzunehmen, damit persönliche Beziehung, Zusammenarbeit in Teams und Gemeinden gelingen kann. Diese Einsicht wird wohl kaum jemand bestreiten. Das Problem liegt im Detail: Wie gelingt es mir, wie gelingt es in meiner Familie, in meiner Gemeinschaft, in meinem Team eigene und fremde Bedürfnisse wahr - zunehmen, zu erfüllen aber auch immer wieder einen Weg zu finden, auf die unmittelbare Erfüllung zu verzichten? Weil es auf diese Fragen keine pauschale, allgemeingültige Antwort gibt, habe ich mich dazu entschieden, die Thematik in Form eines»spirituellen Übungsweges«darzustellen. Es geht um einen Übungsweg, weil existentielle Wahrheiten nur erkannt werden können, wenn sie in die Tat umgesetzt werden. Es geht um einen spirituellen Übungsweg, weil äußeres Tun oder bloße Technik allein nicht genügen, wenn sie nicht getragen sind vom Vertrauen und von der Hoffnung auf eine Wirklichkeit, die die Grenzen des Machbaren übersteigt. Der hier vorgestellte Übungsweg ist getragen von der Grundhaltung des Respekts und der Achtung vor dem Geheimnis des eigenen Lebens und des Lebens anderer. Es kommt darauf an, sich auf das Risiko einzulassen, das mit Veränderung und Wachstum verbunden ist. Es kommt darauf an, die Angst zu überwinden, die sich immer wieder in einer Werdescheu (Hermann Stenger) äußert: in dem angstbesetzten Festhalten an dem, was wir haben, und der entsprechenden Weigerung, das Risiko von Wachstum und Veränderung einzugehen. 9

Als Christ ist für mich das Beispiel Jesu entscheidend, der von sich gesagt hat, dass er gekommen ist, damit die Menschen»das Leben haben und es in Fülle haben«(joh 10,10). Im Johannesevangelium wird die Bedeutung dieses Lebens in verschiedenen Bildern entfaltet: Jesus ist das»wort«oder der»sinn des Lebens«, er schenkt die Möglichkeit des Neuanfangs (Joh 3), er schenkt das Wasser und stillt den Durst (Joh 4), er ist das Brot, die Nahrung, die jeder Mensch zum Leben braucht (Joh 6), er ist das Licht (Joh 8 und 9). Wer in Verbundenheit mit ihm lebt, wird nicht sterben, sondern das Leben haben (Joh 10). Die mittelalterliche Theologie spricht von einem»natürlichen Verlangen«des Menschen nach diesem Leben in Fülle, das so die Erfahrung vieler Christen nur in Gott zu finden ist. Lässt sich ein Mensch auf dieses Verlangen ein, so wird er das Glück finden wenn auch nicht ohne Schwierigkeiten und Leiden. Die Erfahrung, die in dieser Annahme zum Ausdruck kommt, kann in etwa so formuliert werden: Durch seine Bedürftigkeit ist der Mensch»umweltoffen«. Jeder Mensch hat Grundbedürfnisse, die er sich nicht selbst erfüllen kann. So braucht er ein materielles Umfeld, in dem er bekommt, was er zum Leben braucht: Nahrung, Sicherheit, ein Dach über dem Kopf. Darüber hinaus ist er aber auch auf ein soziales Umfeld angewiesen: kein Mensch kann ohne andere Menschen leben. Im Letzten braucht er aber auch ein geistig-spirituelles»umfeld«, das seinem Leben Sinn und Orientierung ermöglicht. So hängen für den gläubigen Menschen diese drei Bedürfnis-Ebenen zusammen; sie können nie voneinander getrennt werden. Ob diese Erfüllung tatsächlich möglich ist, ist ungewiss. 10

Glauben bedeutet das Vertrauen, dass diese Erfüllung von Gott her geschenkt wird. Die mittelalterliche Theologie war von diesem Vertrauen getragen und war primär an dem Phänomen der Bedürftigkeit oder des menschlichen Verlangens als solchem interessiert, weniger an der Beschreibung einzelner Bedürfnisse. Um das Phänomen des menschlichen Verlangens als solches zu benennen, prägte sie in Anlehnung an Augustinus den Begriff der Sehnsucht (lateinisch: desiderium). Sie ging von der Annahme aus, dass dort, wo sich ein Mensch auf sein tiefstes Verlangen einlässt, er das Ziel seines Lebens Gott nicht verfehlen wird. In den letzten Jahrhunderten wurde das Phänomen der Bedürftigkeit vor allem von der Philosophie (z.b. der Begriff des»élan vital«bei Henri Bergson) und den Humanwissenschaften, insbesondere der Psychologie und Soziologie, erforscht. Obwohl es um das gleiche Phänomen ging, traten andere und neue Fragestellungen in den Vordergrund: Wie lässt sich dieses Phänomen beschreiben? Lassen sich einzelne Bedürfnisse benennen? Sind sie angeboren und damit kulturunabhängig oder werden sie von bestimmten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Situationen hervorgerufen nach dem Motto: Wo ein Angebot da ist, entsteht auch ein Bedürfnis? In der vorliegenden Arbeit gehe ich von der Annahme aus, dass es sich bei beiden Zugängen zwar um verschiedene, aber einander ergänzende Sichtweisen handelt: dem mittelalterlichen, der das Phänomen unter einer weltanschaulich-theologischen Rücksicht untersucht, und dem neuzeitlichen, der sich dem Phänomen unter einer empirisch-humanwissenschaftlichen Perspektive nähert. Deshalb werde ich die Begriffe Bedürfnisse, Wünsche, Ver- 11

langen und Sehnsucht wechselweise gebrauchen. Steht die konkrete Ausgestaltung eines Wunsches im Vordergrund, so wird der Ausdruck»Wunsch«oder»Bedürfnis«gebraucht; steht der Aspekt der menschlichen Bedürftigkeit als solcher im Vordergrund, so wird der Ausdruck»Verlangen«oder»Sehnsucht«gebraucht. In den einzelnen hier beschriebenen Übungen liegt der Akzent einmal mehr auf der einen Sichtweise, einmal mehr auf der anderen. Die Aufbau folgt einer inneren Logik: Die ersten Übungen wollen helfen, eigene Bedürfnisse wahrzunehmen und zu benennen. Im Weiteren geht es darum wahrzunehmen, wie sie sich im eigenen Leben entwickelt haben; eine weitere Übung bietet eine Hilfestellung, die Wünsche anderer wahrzunehmen. In den letzten Übungen geht es stärker um die spirituelle Dimension. In den Ausführungen greife ich auf verschiedene theoretische Konzepte zurück, die zur Beschreibung des Phänomens»Bedürftigkeit«entwickelt wurden. Ich werde diese jedoch nicht problematisieren, weil dies den Rahmen der Arbeit sprengen würde. Vielmehr werden diejenigen Aspekte aufgegriffen, die sich für den hier vorgestellten Übungsweg als hilfreich erweisen. 12