"Demenz ist ein Flächenbrand"



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Transkript:

Seite 1 von 5 Autoren: SILKE OFFERGELD; ANGELA HORSTMANN Signaturen: Forschung, Wissenschaft/Medizin/Gehirn/Krankheiten (FW/100/Geh/Kra) Personen: Fink, Gereon - Interviews (I) Dokumentmerkmale: Stellungnahme (Ste) (SBG#SEN#SES#SGS#SKB#SKL#SKN#SKO#SKP#SKS#SKW#SLE#SOB#SPT#SRB#SRS#SWU#V1#VPT) vom 18.08.2015 - Seite AM03 MA GESUNDHEIT "Demenz ist ein Flächenbrand" Neue Wirkstoffe sollen frühzeitig in die Erkrankung eingreifen Herr Professor Fink, mit "Honig im Kopf" und "Still Alice" waren kürzlich zwei Filme in den Kinos, in denen es um die Alzheimer-Demenz geht. Es scheint so, als werde versucht, Alzheimer ein bisschen "alltäglicher" zu machen... Ich begrüße es sehr, dass zunehmend auch in Büchern und Filmen die Alzheimersche Erkrankung thematisiert wird. Es hilft zu zeigen, dass die Betroffenen - auch wenn im Laufe der Erkrankung immer mehr von ihrer ursprünglichen Persönlichkeit verloren geht - doch Menschen bleiben, die Gefühle haben und Freude empfinden können. Mir ist wichtig, dass in der Gesellschaft die Botschaft ankommt, dass die Diagnose Demenz nicht gleichzusetzen ist mit einem unwürdigen Dasein, einem Leben ohne Lebensqualität. Haben Sie das Gefühl, dass das zunehmende Wissen um die Erkrankung dazu geführt hat, dass man offener über die Alzheimer-Demenz spricht? Es wird besser, auf jeden Fall. Dabei hilft natürlich das stetige Interesse der Medien. Auch die Bundesregierung hat mit der Gründung des Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen ein wichtiges Zeichen gesetzt. Trotzdem ist der Weg noch weit. Es ist immer noch die Ausnahme, dass Betroffene mit ihrer Erkrankung an die Öffentlichkeit gehen. Die gute Versorgung der Alzheimer-Erkrankten wird eine immer wichtigere gesellschaftliche Aufgabe. Was sagen Sie als Mediziner: Was ist höher zu bewerten, die medizinische Versorgung oder das Aufgenommensein in einem funktionierenden sozialen Umfeld? Der soziale Aspekt ist meines Erachtens bei vielen Erkrankungen mindestens gleichwertig, wenn nicht sogar der wichtigere Teil der Betreuung. Gerade bei Alzheimer-Patienten ist ein ganzheitliches Therapiekonzept wichtig - umso mehr als wir im Vergleich zu anderen Krankheiten schlechtere therapeutische Möglichkeiten haben. Alzheimer schreitet unaufhaltsam voran. Das tun viele andere Krankheiten zwar auch, aber bei neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer geht es um unser Gehirn und unseren Verstand. Das macht Angst. Wichtig ist deshalb, dass wir nicht schon an der Diagnose verzweifeln - und dafür sind familiäre, psycho- und sozialtherapeutische Maßnahmen unerlässlich. Aber bemessen Sie jetzt den Stellenwert der sozialen Versorgung nicht nur deshalb so hoch, weil es medizinisch keine Heilung gibt? Nein, das sehe ich nicht so negativ. Bei jeder Erkrankung ist es wichtig, nicht nur auf die Medikamente zu setzen, sondern bei den Betroffenen für eine Akzeptanz zu sorgen. Das gilt genau so etwa auch für Parkinson- oder Multiple-Sklerose-Patienten. Auch für sie ist wichtig, dass sie ihre Erkrankung akzeptieren und flankierend zu den in den beiden Fällen zugegebenermaßen deutlich besseren therapeutischen Möglichkeiten schauen, was sie darüber hinaus tun können, um eine gute Lebensqualität zu erreichen. Natürlich ist die Diagnose "Alzheimer" nicht toll, umso wichtiger ist, dass ich lerne damit umzugehen, schließlich muss ich mein Leben ordnen, so lange ich dies noch selber kann. Ich betreue Alzheimer-Patienten, die über viele Jahre mit ihren Partnern gut zusammenleben und nicht in ein Heim müssen. Das sind diejenigen, die rechtzeitig ihre Dinge geregelt haben und gelernt haben, die

Seite 2 von 5 Erkrankung als Teil ihrer Persönlichkeit zu akzeptieren, und sich gemeinsam mit ihrem Umfeld auf die Erkrankung einstellen. Tatsächlich geht die Alzheimerforschung im Moment sehr in Richtung Versorgungsforschung... Die verstärkte Versorgungsforschung ist nicht die Antwort auf die mangelnden therapeutischen Optionen, sondern schlichtweg eine Notwendigkeit. Alzheimer wird ein Riesenproblem für unsere Gesellschaft. Unsere Lebenserwartung liegt bei etwa 85 Jahren, damit liegt die Wahrscheinlichkeit eine Demenz zu entwickeln bei etwa 25 bis 30 Prozent. Das heißt Einer von Dreien wird erkranken, ein Weiterer wird betroffen sein, weil der Partner erkrankt. Das ist ein Flächenbrand, der auf uns zukommt und deshalb ist es gut, dass so viel Geld in die Versorgungsforschung fließt. Warum gestaltet sich die Suche nach einem geeigneten Medikament denn so schwierig? Zunächst einmal: Wir haben bereits eine Reihe von Medikamenten, die zwar nicht umwerfende, aber doch sehr solide Effekte haben und die Gedächtnisfunktion verbessern, obwohl der degenerative Prozess voran schreitet. Das bringt den Betroffenen durchaus über Jahre eine Verbesserung. Allerdings sind das ausschließlich symptomatische Therapien, die die Ursache nicht beheben. Welches ist denn die Ursache? Genau das ist das Problem. Bei der Alzheimer Erkrankung gibt es verschiedene Pathologien und es wird immer klarer, dass es nicht nur die eine Ursache gibt, sondern verschiedene Dinge zusammenkommen. Deshalb gehen auch immer mehr Wissenschaftler davon aus, dass es nicht nur die eine Therapie geben wird, sondern eine Kombination von Therapien notwendig sein wird. Im Sinne der Präzisionsmedizin wird möglicherweise dann der Behandlungsmix von Patient zu Patient verschieden sein. Das macht die Sache schwierig. Lange Zeit stand die Bekämpfung der Amyloidplaques, der Eiweißansammlungen außerhalb der Nervenzellen, im Fokus der Forschung. Inzwischen steht infrage, welche Rolle sie im Krankheitsgeschehen überhaupt spielen. Diese Plaques spielen eine wichtige Rolle, aber sie sind eben nicht die einzige Ursache. Schließlich können Plaques auch bei Gesunden vorkommen. Und selbst eine vermehrte Ansammlung - wie sie für Alzheimer-Patienten typisch ist - bedeutet nicht zwingend, dass jemand dement wird. Eine weitere wichtige Rolle spielen die Tau-Fibrillen, Eiweißfaltungen, die in den Nervenzellen auftreten und die die Zellen zugrunde richten. Beides hat übrigens schon Alois Alzheimer 1906 an seiner Patientin Auguste D. beschrieben. Aber immer noch ist nicht einhundertprozentig klar, was diese Prozesse auslöst und was sie unterhält. Im Moment müssen die Forscher eher Rückschläge einstecken. Tatsächlich hat die Forschung in den vergangenen Jahren ihr Augenmerk vor allem darauf gelegt, die Amyloidplaques wegzuräumen. Das war eine große Hoffnung und da gab es auch gut durchgeführte Studien. Der Einsatz von Antikörpern hat in Studien auch an Menschen tatsächlich erfolgreich die Plaques zerstört. Allerdings hat das allein nichts gebracht. Das Gedächtnis der Probanden wurde nicht wieder besser. Die Zerstörung der Plaques allein half den Betroffenen offensichtlich nicht mehr, weil die Nervenzellen schon kaputt waren. Da hat man sozusagen versucht einen Brand zu löschen, als die Bude schon abgebrannt war. Die Bemühungen konzentrieren sich jetzt deswegen darauf, diese Antikörper so früh im Erkrankungsverlauf wie möglich einzusetzen - bevor die Nervenzelluntergänge zu weit vorangeschritten sind. Die kürzlich vorgestellten Studien geben hier Anlass zu gedämpfter Hoffnung. Ist es denn gut, dass so viel in der Pharmaindustrie geforscht wird? Wäre es nicht notwendig, die universitäre Grundlagenforschung mehr zu fördern? Die Aufgabenteilung ist klar: Die Grundlagenforschung passiert an der Uni und die Industrie versucht deren Erkenntnisse in Medikamente umzusetzen. Die Verwertung ist nicht mehr primäre Aufgabe der Hochschule. Da sind Ausgründungen von Firmen vom Gesetzgeber ausdrücklich gewünscht. Natürlich hat die Pharmaindustrie selbst auch ein Interesse zu forschen. Schließlich ist Alzheimer weltweit ein Riesenmarkt. Allerdings finde ich, dass die Unterstützung der Wissenschaft in Deutschland und den USA im Bereich der Alzheimer-Forschung sehr gut ist. Da gibt es andere Bereiche, die deutlich schlechter versorgt sind. Drei Medikamente, die es in 15 Jahren auf den Markt geschafft haben, sind aber keine gute Ausbeute... Das heißt aber auch, dass vermutlich 3000 ausprobiert wurden. Das ist eine große Krux in allen Bereichen der Medizin. Bei der Alzheimer-Forschung ist in den letzten Jahren viel Energie in die Antikörper-Therapie gesteckt worden. Das ist ein plausibler Ansatz, von dem auch ich überzeugt war und bin. Aber wir haben wie gesagt feststellen müssen, dass wir im Krankheitsverlauf damit zu spät dran waren. Trotzdem bin ich zuversichtlich, dass

Seite 3 von 5 wir irgendwann auch bei Alzheimer dahin kommen werden, ihre eigentliche Ursache behandeln zu können. Aber es dauert länger als wir erhofft hatten. Der Trend geht dahin, in der Therapie früher anzusetzen, eben bevor die Nervenzellen kaputt sind? Ja. Weltweit ist derzeit Trend, dahin zu kommen, möglichst früh in die Erkrankung eingreifen zu können - in die präklinische Phase, wenn es noch gar keine Symptome, sprich kognitive Einschränkungen gibt, sehr wohl aber schon eine Pathologie. Wir wissen, dass die Veränderungen im Gehirn schon viele Jahre vor den ersten Symptomen passieren. Wie sehen die aktuellen Bestrebungen konkret aus? Sie gehen im Moment dahin, Risikoprofile in der Normalbevölkerung zu entdecken, um die Personen herauszufiltern, die mit einer hohen Wahrscheinlichkeit eine Alzheimer-Demenz entwickeln werden. Und dafür brauchen wir Biomarker, die messbar und quantifizierbar sind. Das können Verhaltenstests genauso sein, wie zum Beispiel ein hoher Body-Mass-Index. So wissen wir etwa, dass es auch einen Zusammenhang zwischen der Alzheimerschen Erkrankung und dem Fettstoffwechsel gibt. Oder aber auch ein Biomarker, der im Blut oder Nervenwasser nachzuweisen ist. Schon heute können wir etwa bei Menschen mit allerersten Anzeichen einer kognitiven Beeinträchtigung im Nervenwasser Tau- und Amyloidproteine nachweisen und, je nach Wert, die Wahrscheinlichkeit bestimmen, in fünf Jahren eine Demenz zu entwickeln. Unser Ziel ist, diesen Nachweis schon vor den allerersten Beeinträchtigungen führen zu können, um dann früh das Bilden dieser Ablagerungen zu verhindern. In welche Richtung wird die Forschung gehen? Ich gehe davon aus, dass auch die Bedeutung der Tau-Belastung genauer betrachtet werden wird. Wir wissen schon heute, dass bevor die Erkrankung zu Verhaltensauffälligkeiten führt, erste Ansammlungen von Tau-Fibrillen im Schläfenlappen zu finden sind, einem Teil des Gehirns, der für Gedächtnisprozesse von besonderer Bedeutung ist. Wir müssten dahin kommen, diese Belastung zuverlässig früh z.b. mit bildgebenden Verfahren darstellen zu können. Allerdings macht so etwas nur Sinn, wenn sich aus dieser Erkenntnis für den Betroffenen eine klinische Konsequenz ergibt und nicht nur ein verängstigter Mensch zurückbleibt, der Sorge hat, Alzheimer zu bekommen. Einen Test um sein persönliches Alzheimer-Risiko zu ermitteln, würden Sie noch nicht empfehlen? Ich rate allen davon ab, sich testen zu lassen - solange sie keine Probleme haben. Was hat man denn davon? Ich selbst werde mich zum jetzigen Zeitpunkt jedenfalls nicht testen lassen. Sollte ich aber irgendwann Gedächtnisprobleme bekommen, würde ich die Tests machen und gegebenenfalls dann auch in die Behandlung reingehen. Und dazu gehört wie gesagt nicht nur die medikamentöse, sondern auch die nicht-medikamentöse Therapie. Wichtig sind dann noch einmal mehr als in der Vorbeugung körperliche, geistige und soziale Betätigung. Inzwischen gibt es auch wissenschaftliche Nachweise dafür, dass ein Training, dass nicht nur Gedächtnisstrategien vermittelt, sondern auch eine Lebensstilmodifikation sehr positiven Effekte auf den Krankheitsverlauf hat. Was kann ich tun, um mein Alzheimer-Risiko zu senken? Wenn man keine kausale Therapie hat, ist die Prävention umso wichtiger. Und darauf setze ich persönlich im Moment meine größten Hoffnungen. Prävention verstehe ich im Sinne von Lebensstiländerung. Denn wir wissen, dass bestimmte lebensstilbedingte Risikofaktoren wie Fettleibigkeit oder a ein Diabetes Mellitus aufgrund der Gefäßschädigungen mit einem deutlich erhöhten Alzheimer-Risiko einhergehen. Das Problem ist allerdings, dass sich die Leute selten an die Empfehlungen zur Lebensstiländerung halten. Dabei kann ich diese Risikofaktoren etwa durch körperliche Betätigung oder ausgewogene Ernährung beeinflussen. Die beste Möglichkeit der Prävention sind zusätzlich eine rege geistige Tätigkeit und soziale Kontakte. Ich bin zwar kein Freund von Bridgerunden, aber als Demenz-Prävention können sie durchaus sinnvoll sein, weil beim Bridgespielen das Gedächtnis aktiviert wird und gleichzeitig im Spiel eine soziale Interaktion stattfindet. Die Einnahme von Ginkgo-Präparaten oder auch Nahrungsergänzungsmitteln wie Vitamin E bringt hingegen nichts. DAS GESPRÄCH FÜHRTEN SILKE OFFERGELD UND ANGELA HORSTMANN Neue Medikamente Die bisherigen Arzneimittel auf dem Markt verzögern den Krankheitsverlauf für kurze Zeit. Mit viel Euphorie wurde deshalb im Vorfeld des Alzheimer-Kongresses in Washington im Juli die Präsentation neuer Studien begleitet. Zwei neue Wirkstoffe sind im Gespräch: Solanezumab (Eli Lilly) und Aducanumab (Biogen). Anders als vorherige Antikörper-Therapien richten sich die beiden neuen Wirkstoffe nicht gegen die über Jahre angesammelten Amyloidablagerungen, sondern gegen die löslichen Amyloid-Vorläufer der Plaques, die sogenannten Amyloidbetaoder Abeta-Oligomeren.

Seite 4 von 5 In einer Studie von Eli Lilly mit Patienten im Frühstadium einer Demenz mit nur leichten Symptomen konnte, so das jetzt in Washington vorgestellte Ergebnis, Solanezumab den kognitiven Abbau um gut 30 Prozent verringern. Bereits im April hatte der US-Biotechkonzern Biogen das Ergebnis einer Studie mit 166 Patienten vorgestellt. Darin bewirkte die Gabe von Aducanumab eine Reduzierung der Amyloid-Plaques. Zugleich verlangsamte sich bei den betreffenden Patienten der Verlust an geistigen Fähigkeiten. Kritiker warnen jedoch vor verfrühten Hoffnungen. Grundsätzlich sei bei beiden Therapien das schon das zugrundeliegende Modell fragwürdig. Eine Amyloidtherapie gegen Alzheimer sei nur sinnvoll, wenn Amyloid wirklich die primäre krankheitsauslösende Substanz ist. Dazu müsse die Korrelation von Amyloid und Demenz sehr stark sein, was bisher nicht bewiesen ist. Zudem sei bei Eli Lilly die Zielgruppe, in der das Präparat wirke, sehr klein. Bei Biogen seien die Tests bisher in einer zu kleinen Gruppe durchgeführt worden. Weitere Studien müssten folgen. Interview Professor Gereon R. Fink ist Direktor am Institut für Neurowissenschaften und Medizin (Kognitive Neurowissenschaften) am Forschungszentrum Jülich und Direktor der Klinik und Poliklinik für Neurologie der Universität zu Köln. Die Krankheit in Zahlen Weltweit leiden mehr als 40 Millionen Menschen an einer Demenz. Allein in Deutschland leben gegenwärtig etwa 1,5 Millionen Demenzkranke, zwei Drittel von ihnen sind von der Alzheimer-Krankheit betroffen. Knapp 70 Prozent der Betroffenen haben bereits das 80. Lebensjahr vollendet, nur etwa 20 000 sind jünger als 65. Sofern es keinen Durchbruch in Prävention und Therapie gibt, wird die Zahl der Erkrankten jedes Jahr um 40 000 zunehmen und bis 2050 auf etwa drei Millionen steigen, schätzen Experten. Entdeckt und später nach ihm benannt wurde die Erkrankung im Jahr 1901 von dem Frankfurter Psychiater Alois Alzheimer, der die erste bekannte Betroffene Auguste Deter behandelte. Lesen Sie weiter auf Seite 4 Vortragsreihe "Leben mit Demenz" Update Demenz Wo steht die Demenzforschung heute? Was kann die Prävention? Donnerstag, 3. September, 19 Uhr Mit Prof. Gereon Fink (Direktor der Uniklinik für Neurologie Köln) Frieden schließen mit Demenz Mittwoch, 9. September, 19 Uhr U.a. mit der Buchautorin Sabine Bode, die für einen gelasseneren Umgang mit der Erkrankung plädiert und Sänger Purple Schulz Neue Wohnformen für Demenzerkrankte Donnerstag, 1. Oktober, 19 Uhr Wie kann das Zusammenleben mit Demenzerkrankten funktionieren? U.a. mit Monika Schneider (Agentur für Wohnkonzepte) Alle: studio stumont, Breite Str. Tickets: je 12,55 Euro/10,55 Euro Kombiticket: 31,80 Euro/29 Euro erhältlich im Servicecenter Breite Str.,? 0221/ 2801 /? 0221/ 280344

Seite 5 von 5 www.koelnticket.de www.abocard.de/tickets FOTOS: CSM, VERLEIH Autoren: SILKE OFFERGELD; ANGELA HORSTMANN Lektoratstatus: 1 (bearbeitet) Anhänge: Foto: Jörn Neumann Alois Alzheimer dokumentierte als Erster den Weg ins Vergessen. Julianne Moore erhielt für ihre überzeugende Darstellung einer Alzheimer-Patientin in "Still Alice" in diesem Jahr einen Oscar. Moderne bildgebende Verfahren sollen künftig noch früher krankhafte Veränderungen (r.) zeigen. Foto: dpa Auguste Deter gilt als die erste Alzheimer-Patientin ID: 138209967 Name: MDS-A-3EDDEBB2-4D39-40F0-B8A4-F4EE00EAE013 M. DuMont Schauberg Expedition der Kölnischen Zeitung GmbH & Co. Alle Beiträge sind urheberrechtlich geschützt. Mit Ausnahme der gesetzlichen zugelassenen Fälle ist eine Verwertung ohne Einwilligung des Verlages unzulässig. Unter dieses Verbot fällt insbesondere auch die Vervielfältigung per Kopie und/oder Weiterleitung, die Aufnahme auf Datenträgern und elektronischen Datenbanken, die Vervielfältigung auf CD-ROM oder DVD. Der Verlag übernimmt keine Gewährleistung und Haftung für die Richtigkeit und Vollständigkeit der Beiträge und Informationen sowie dafür, dass die Beiträge frei von Rechten Dritter sind.