Pressekonferenz. Pressemappe. Der Rechtsanspruch auf Schutz und Hilfe für von Gewalt betroffene Frauen und deren Kinder

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Transkript:

Pressekonferenz Der Rechtsanspruch auf Schutz und Hilfe für von Gewalt betroffene Frauen und deren Kinder Dienstag, 26. Juni 2012 11 bis 12 Uhr Pressemappe

Bundesregierung in der Pflicht: Bündnis präsentiert Rechtsgutachten und fordert effektiven Schutz für Frauen bei Gewalt Berlin, 26. Juni 2012. Schutz und Hilfe bei häuslicher und sexualisierter Gewalt sind für Frauen in Deutschland vielerorts wegen Finanzierungsmängeln nicht ausreichend gewährleistet. Nur ein verbindlicher Rechtsanspruch sorgt für effektiven Schutz und schnelle Hilfe für betroffene Frauen und ihre Kinder. Die Bundesregierung darf sich nicht länger herausreden, sondern muss endlich ihrem Schutzauftrag nachkommen", fordert Werner Hesse, Geschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes anlässlich der Veröffentlichung des Rechtsgutachtens Der Rechtsanspruch auf Schutz und Hilfe von für Gewalt betroffene Frauen und deren Kinder. Hierin wird die rechtliche Schutzverpflichtung des Bundes belegt. Beauftragt wurde das Gutachten von den Verbänden AWO, Caritas, Sozialdienst katholischer Frauen, DRK, Diakonie und dem Paritätischen Gesamtverband. Unterstützungseinrichtungen für Frauen, wie z. B. Frauenhäuser haben ein chronisches Finanzierungsproblem. Die derzeitige Finanzierung des Frauenhilfenetzwerkes ist ein bunter Flickenteppich aus verschiedenen Finanzierungsmodellen der Länder und Kommunen. Wir benötigen eine bundesweite finanzielle Gesamtverantwortung, kritisiert das Vorstandsmitglied der Diakonie Maria Loheide. Sonst bleibt die freiwillige Finanzierung von Frauenhäusern und ambulanten Beratungseinrichtungen weiter von Kürzungen bis hin zu Schließungen bedroht. Ein unzureichender Schutz hat für die Frauen nicht nur weitreichende negative gesundheitliche Auswirkungen, sondern beeinträchtigt auch ihre familiären und sozialen Beziehungen sowie ihre beruflichen Chancen, betont AWO Vorstandsmitglied Brigitte Döcker und ergänzt: Besonders die Kinder leiden oft ein Leben lang unter den Gewalterfahrungen. Deshalb benötigen wir ein mit ausreichenden Mitteln ausgestattetes Hilfe- und Unterstützungssystem. Die bisherigen unterschiedlichen Finanzierungsregelungen haben enorme negative Konsequenzen. So sind manche Frauen, wie Studentinnen, bestimmte Gruppen von Migrantinnen oder besonders gefährdete Frauen aus anderen Bundesländern und Kommunen von Hilfen ausgeschlossen, wenn der Frauenhausaufenthalt nach dem Sozialgesetzbuch II finanziert wird. Im schlimmsten Fall müssen Frauen mit ihren Kindern in Gewaltbeziehungen verbleiben oder dorthin zurückkehren. Das Gutachten der Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Joachim Wieland und Prof. Dr. Margarete Schuler-Harms belegt, dass der Bund eine Gesetzgebungskompetenz hat. Diese Kompetenz muss der Bund endlich nutzen, um Schutz und Hilfe für jede Frau und deren Kinder unabhängig von Einkommen, Aufenthaltstitel, Herkunftsort, gesundheitlicher Einschränkung oder Behinderung zu gewährleisten, fordern die Bündnispartner abschließend.

Bund in der Pflicht: Bündnis präsentiert Rechtsgutachten und fordert effektiven Schutz für Frauen vor Gewalt Information der beteiligten Verbände in Kooperation mit Frauenhauskoordinierung e.v. zum Rechtsgutachten und dessen Konsequenzen Ein Bündnis aus Wohlfahrtsverbänden 1 hat ein Rechtsgutachten in Auftrag gegeben, um klären zu lassen, wie der Schutz für von Gewalt betroffene Frauen in Deutschland sichergestellt werden kann und ob verfassungsrechtlich der Bund hierfür zuständig ist. Durch das Gutachten Der Rechtsanspruch auf Schutz und Hilfe für von Gewalt betroffene Frauen und deren Kinder der renommierten Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Joachim Wieland und Prof. Dr. Margarete Schuler-Harms sehen die Verbände ihre Forderung nach einer bundesgesetzlichen Regelung bestätigt. 1. Problembeschreibung Schutz und Hilfe für von Gewalt betroffene Frauen nicht gewährleistet Für viele Frauen in Deutschland ist häusliche und sexualisierte Gewalt alltägliche Realität. Jede vierte Frau hat im Laufe ihres Lebens Gewalt durch frühere oder aktuelle Partner erlebt. Dies hat für die Frauen nicht nur weitreichende negative gesundheitliche Auswirkungen, sondern beeinträchtigt auch ihre familiären und sozialen Beziehungen sowie ihre beruflichen Chancen. Die mittelbaren Folgen der Gewalt können bei vielen betroffenen Frauen zu Erwerbslosigkeit, Verschuldung und zur Abhängigkeit von staatlichen Transferleistungen führen. Die Kinder haben oft ein Leben lang unter den Gewalterfahrungen zu leiden. In der Öffentlichkeit ist kaum bekannt, dass es für betroffene Frauen und deren Kinder bislang keinen gesetzlich festgeschriebenen Rechtsanspruch auf Schutz und Hilfe vor Gewalt gibt. Länder und Kommunen reklamieren ihre Zuständigkeit für das Hilfenetz, halten aber eine unzureichende Infrastruktur von Schutz- und Unterstützungseinrichtungen vor. 1 Arbeiterwohlfahrt e.v., Deutscher Caritasverband e.v. / Sozialdienst katholischer Frauen Gesamtverein e.v., Deutsches Rotes Kreuz e.v., Diakonisches Werk der EKD, Paritätischer Gesamtverband e.v. 1

Die derzeitige Finanzierung dieses Hilfenetzes ist ein bunter Flickenteppich aus verschiedenen Finanzierungsmodellen der Länder und Kommunen, mit negativen Auswirkungen für den Schutz betroffener Frauen und deren Kinder: Finanzierungsmodelle von Frauenhäusern, wie z.b. nach dem Sozialgesetzbuch II (sog. Hartz IV), schließen Gruppen von gewaltbetroffenen Frauen, wie bestimmte Migrantinnen oder besonders gefährdete Frauen aus anderen Bundesländern und Kommunen von Hilfen aus. Frauen mit einem eigenen Erwerbseinkommen müssen ihren Frauenhausaufenthalt selbst finanzieren. Für Frauen mit niedrigem Erwerbseinkommen kann der Frauenhausaufenthalt unerschwinglich werden. Dies kann dazu führen, dass Frauen mit ihren Kindern in Gewaltbeziehungen verbleiben oder zu ihrem Partner zurückkehren. Hier besteht die Gefahr langfristiger Folgeprobleme. Andere Frauenhäuser werden pauschal durch freiwillige Leistungen finanziert. Problematisch ist, dass diese jederzeit bei schwierigen Haushaltslagen gekürzt oder gestrichen werden können. In diesem Finanzierungsmix mit unterschiedlichsten Zuständigkeiten von Ländern und Kommunen fehlt es zudem an einer Gesamtverantwortung für die Infrastruktur. Schutz und Hilfe für gewaltbetroffene Frauen und deren Kinder erfordern hohe Professionalität des Hilfesystems sowie bedürfnisgerechte Hilfen und müssen aus Sicherheitsgründen überregional gewährleistet sein. Unter den derzeitigen finanziellen Bedingungen sind Schutz und Hilfe nicht für alle betroffenen Frauen und deren Kinder sichergestellt. 2. Kernaussagen aus dem Gutachten Das Bündnis kämpft seit Jahren gemeinsam mit den Frauenunterstützungseinrichtungen für eine Lösung des Finanzierungsproblems auf unterschiedlichen Ebenen und hat deshalb das Rechtsgutachten in Auftrag gegeben. Ergebnis des Gutachtens Der Rechtsanspruch auf Schutz und Hilfe für von Gewalt betroffene Frauen und Kinder ist, dass innerhalb des geltenden Rechts ein Rechtsanspruch auf Schutz und Hilfe für von Gewalt betroffene Frauen und deren Kinder besteht und dass dieser durch Bundesgesetz geregelt werden kann. 1. Frauen haben laut Grundgesetz einen Anspruch auf staatlichen Schutz bei häuslicher und sexualisierter Gewalt. 2. Der Staat muss den Schutz der gewaltbetroffenen Frauen sicherstellen. 3. Die Gesetzgebungskompetenz für die Ausgestaltung der Maßnahmen und der Finanzierung hat der Bund. 2

3. Konsequenzen Staat muss Schutzauftrag bei häuslicher und sexualisierter Gewalt sicherstellen Der staatliche Schutzauftrag ergibt sich für die Bundesrepublik Deutschland aus internationalen und nationalen Verpflichtungen. Die Europäische Menschenrechtskonvention, das CEDAW-Übereinkommen 2, die Antidiskriminierungsrichtlinie der Europäischen Union, die Charta der Grundrechte der Europäischen Union sowie das Grundgesetz dienen dem Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit und dem Schutz vor Diskriminierung. Auch die Urteile des Bundesverfassungsgerichts sind eindeutig: Der Staat hat diese Grundrechte aktiv zu schützen. Anforderungen an die Schutzpflicht sind: Sie muss angemessen und wirksam sein. Wird eine Frau Opfer häuslicher Gewalt, hat der Staat für ihren Schutz zu sorgen und ist dazu verpflichtet, ihr Hilfe anzubieten. Zudem hat der Staat Frauen und deren Kindern ein menschenwürdiges Existenzminimum zu sichern, wenn sich aus der Gewaltsituation Probleme bei der Existenzsicherung ergeben. Schutz sicherstellen Der Staat muss Frauen, die von Gewalt betroffen sind, sofortigen Schutz gewährleisten. Entscheidend für die Wirksamkeit ist, dass die Hilfe- und Unterstützungsangebote verfügbar, überregional zugänglich, jederzeit erreichbar und für alle Hilfesuchenden leicht zugänglich sind. Hier besteht akuter Handlungsbedarf! - Die Angebote des Unterstützungssystems bei Gewalt an Frauen müssen in ausreichender Zahl und wohnortnah zur Verfügung stehen. - Insbesondere der Schutz im Frauenhaus muss überregional zugänglich sein. Aus Sicherheitsgründen müssen die Frauen in jedem Frauenhaus in Deutschland aufgenommen werden können. - Jede gewaltbetroffene Frau braucht ihrer individuellen Situation entsprechend angemessene Unterstützung und Schutz. Dieser muss auch für Frauen mit Behinderungen, mit psychischen Beeinträchtigungen, für Migrantinnen und andere besondere Lebenslagen gewährleistet sein sowie für die mit betroffenen Kinder. - Das Unterstützungssystem bei Gewalt braucht ausreichende finanzielle Ressourcen für qualifizierte Fachkräfte, für eine sichere menschenwürdige Unterbringung der Frauen und deren Kinder. 2 CEDAW Convention on die Elimination of All Forms of Discrimination Against Women (UN-Convention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau) 3

Bund muss seine Gesetzgebungskompetenz wahrnehmen Das Gutachten zeigt deutlich, dass der Bund eine Gesetzgebungskompetenz hat. Damit kann auch die Finanzierung bundesweit verbindlich geregelt werden. Gewaltbetroffene Frauen haben einen grundrechtlichen Anspruch auf Schutz und Hilfe. Dieser Schutz darf nicht durch leere Haushaltskassen gefährdet werden. Die Zuständigkeit und die unterschiedlichen Finanzierungsregelungen in Ländern und Kommunen sichern nicht bundeseinheitlich den gleichwertigen Zugang für alle gewaltbetroffenen Frauen zu bedarfsgerechten und verlässlichen Hilfen. Seiner Schutzpflicht kann der Staat nur dann gerecht werden, wenn er eine bundesgesetzliche Regelung schafft. Frauen in Gewaltsituationen haben unterschiedliche Schutzbedürfnisse. Die Frage, welchen Schutz gewaltbetroffene Frauen und deren Kinder tatsächlich erhalten können, darf nicht ausschließlich von ökonomischen Erwägungen der zuständigen Mittelgeber abhängen. Im Gegenteil: Aus dem staatlichen Schutzauftrag ergibt sich, dass jede betroffene Frau und ihre Kinder einen Anspruch auf Schutz und Hilfe vor häuslicher und sexualisierter Gewalt haben! Dazu brauchen Frauen ein entsprechendes Hilfe- und Unterstützungssystem mit verbindlichen Finanzierungsregelungen. 4. Forderungen des Bündnisses Das Bündnis fordert deshalb: Der Bund muss seine Gesetzgebungskompetenz endlich ausüben. Schutz und Hilfe müssen für jede Frau und deren Kinder unabhängig von Einkommen, Aufenthaltstitel, Herkunftsort, gesundheitlicher Einschränkung oder Behinderung der betroffenen Frauen und deren Kinder gewährleistet werden. Die Gewährleistung von Schutz und Hilfe muss die individuelle Situation der Frauen berücksichtigen können. Frauen und deren Kinder benötigen ein mit ausreichenden Mitteln ausgestattetes Hilfe- und Unterstützungssystem. Gewalt ist eine schwerwiegende Menschenrechtsverletzung. Es liegt in der Verantwortung der Politik, Frauen und deren Kinder vor Gewalt zu schützen. Bund und Länder sind aufgefordert jetzt zu handeln! Berlin, Dortmund, Freiburg 26. Juni 2012 4

Prof. Dr. Margarete Schuler-Harms Prof. Dr. Joachim Wieland Der Rechtsanspruch auf Schutz und Hilfe für von Gewalt betroffene Frauen und deren Kinder Rechtsgutachten Executive Summary Dem Staat ist die Gewährleistung eines Systems zur Unterstützung von Frauen, die von Gewalt betroffen sind, und ihren Kindern durch das Völkerrecht, die Europäische Menschenrechtskonvention, das Unionsrecht und das deutsche Verfassungsrecht aufgegeben. Die grundrechtliche Schutzpflicht für Leben und körperliche Unversehrtheit sowie die Menschenwürdegarantie verpflichten den Staat, für einen effektiven Schutz von Gewalt bedrohter Frauen und Kinder zu sorgen und ihnen ein menschenwürdiges Existenzminimum zu sichern. Der Bundesgesetzgeber ist für Regelungen zum Schutz von Frauen und Kindern vor häuslicher Gewalt zuständig, weil ihm die Gesetzgebungskompetenz für öffentliche Fürsorge zukommt und weil die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet bundesgesetzliche Regelungen erfordert. Er genügt dem Untermaßverbot nur durch ein niedrigschwelliges Schutzkonzept, das von Gewalt bedrohten Frauen und Kindern zeitnah 24 Stunden täglich effektiven Schutz gewährleistet. Der Bund könnte nach dem Vorbild der Stiftung Hilfswerk für behinderte Kinder zur Verwirklichung seines Schutzkonzepts eine Stiftung öffentlichen Rechts gründen und aus dem Bundeshaushalt finanzieren. Wenn der Bund in der Förderung von Frauenhäusern eine überregionale Aufgabe sieht, kann er sich auch auf eine ungeschriebene Kompetenz aus der Natur der Sache berufen. Schließlich kann der Bund ein Geldleistungsgesetz erlassen, das für von Gewalt bedrohte Frauen und Kinder einen Rechtsanspruch auf Geldleistungen in Höhe der Nutzungsentgelte von Schutzeinrichtungen begründete, die deren gesamten Kosten abdecken. 4. Juni 2012

Gewalt gegen Frauen im Überblick: Zahlen - Fakten - Unterstützungseinrichtungen Zahlen und Fakten Jede vierte Frau im Alter von 16 bis 85 Jahren hat im Verlauf ihres Lebens körperliche oder/und sexuelle Gewalt durch aktuelle oder frühere Beziehungspartner 1 erlebt. 2 Frauen türkischer Herkunft haben nicht nur deutlich häufiger (38 %) Gewalt durch Beziehungspartner erlebt als Frauen im Bevölkerungsdurchschnitt, sondern auch schwerere Formen und Ausprägungen von körperlicher Gewalt. 3 Gewalt in Paarbeziehungen ist kein Schichtphänomen. Frauen aus allen Bildungs- und Einkommensschichten sind von Gewalt betroffen. 4 Frauen aller Altersgruppen erleben Gewalt. 5 Frauen mit Behinderungen und Beeinträchtigungen sind im Lebensverlauf allen Formen von Gewalt deutlich häufiger ausgesetzt als Frauen im Bevölkerungsdurchschnitt. 6 Frauen mit Behinderungen und Beeinträchtigungen haben im Erwachsenenleben körperliche Gewalt fast doppelt so häufig (58 75 %) wie Frauen im Bevölkerungsdurchschnitt (35 %) und sexuelle Gewalt etwa zwei- bis dreimal häufiger (21 43 %) als Frauen im Bevölkerungsdurchschnitt (13 %) erlebt. 7 Alle Formen von Gewalt können zu erheblichen gesundheitlichen, psychischen und psychosozialen Folgen für die betroffenen Frauen und deren Kinder führen. 8 Gewalt an Frauen verursacht erhebliche gesamtgesellschaftliche Folgekosten (unter anderem im sozialen Bereich, in der Justiz, im gesamten Bereich der Erwerbsarbeit sowie schwerpunktmäßig im System der Gesundheitsversorgung). 9 In Deutschland gibt es circa 350 Frauenhäuser und circa 25 Frauenschutzwohnungen. 258 Frauenhäuser/Frauenschutzwohnungen sind in Wohlfahrtsverbänden organisiert. 10 Im Jahr 2010 haben 7.565 Frauen mit 7.332 Kindern Schutz und Unterstützung in einem Frauenhaus gesucht. 11 Unterstützungseinrichtungen bei Gewalt gegen Frauen Frauenhäuser und Frauenschutzwohnungen bieten betroffenen Frauen und deren Kindern vor allem Schutz und Unterkunft zu jeder Tages- und Nachtzeit sowie Unterstützung und Beratung. Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe beraten und begleiten gewaltbetroffene Frauen zur Überwindung von häuslicher und sexualisierter Gewalterfahrung. Interventionsstellen gegen häusliche Gewalt nehmen insbesondere nach Polizeieinsätzen in Fällen häuslicher Gewalt pro-aktiv Kontakt zu gewaltbetroffenen Frauen auf und beraten sie zu ersten Schritten aus der Gewalt. 1 Es handelt sich fast ausschließlich (zu 99 %) um männliche Partner. Vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) (2004): Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland. Eine repräsentative Untersuchung zu Gewalt gegen Frauen in Deutschland. Kurzfassung, 1. Auflage 2004, S. 11. 2 Vgl. BMFSFJ (2004), S. 8. 3 Vgl. BMFSFJ (2004), S. 26. 4 Vgl. BMFSFJ (2004), S. 19. 5 Vgl. BMFSFJ (2008): Gewalt gegen Frauen in Paarbeziehungen. Eine sekundäranalytische Auswertung zur Differenzierung von Schweregraden, Mustern, Risikofaktoren und Unterstützung nach erlebter Gewalt. Kurzfassung, 4. Auflage 2012, S. 26-28. 6 Vgl. BMFSFJ (2012): Lebenssituation und Belastungen von Frauen mit Beeinträchtigungen und Behinderungen in Deutschland. Kurzfassung, 1. Auflage 2012, S. 19. 7 Vgl. BMFSFJ (2012), S. 24. 8 Vgl. BMFSFJ (2004), S. 13-15. 9 Vgl. Robert Koch-Institut/Statistisches Bundesamt: Gesundheitliche Folgen von Gewalt unter besonderer Berücksichtigung von häuslicher Gewalt gegen Frauen. Gesundheitsberichterstattung des Bundes. Heft 42, 2008, S. 24. 10 Arbeiterwohlfahrt e. V., Diakonisches Werk der EKD e. V., Paritätischen Wohlfahrtsverbands e. V., Sozialdienst katholischer Frauen e. V./Deutscher Caritasverband e. V. (Mitglieder von Frauenhauskoordinierung e. V.) und Deutsches Rotes Kreuz e. V. 11 Vgl. Frauenhauskoordinierung e. V.: Statistik Frauenhäuser und ihre Bewohnerinnen, Deutschland 2010 (mit einer Beteiligung von 162 Frauenhäusern/Frauenschutzwohnungen). Frauenhauskoordinierung e. V. www.frauenhauskoordinierung.de

Kontaktdaten AWO Arbeiterwohlfahrt Bundesverband e. V. Claudia Lissewski Telefon: +49 (0)30 26309-428 E-Mail: claudia.lissewski@awo.org Adresse: Blücherstr. 62/6, 10961 Berlin Telefon: +49 (0)30 26309-0 Fax: +49 (0)30 26309-32599 E-Mail: info@awo.org Internet: www.awo.org Deutsches Rotes Kreuz e. V. DRK-Generalsekretariat Kerstin Uelze Telefon: +49 (0)30 85404-392 E-Mail: uelzek@drk.de Adresse: Carstennstr. 58, 12205 Berlin Telefon: +49 (0)30 85404-0 Fax: +49 (0)30 85404-450 E-Mail: drk@drk.de Diakonisches Werk der EKD e. V. Johanna Thie Telefon: +49 (0)30 83001-231 E-Mail: thie@diakonie.de Adresse: Reichensteiner Weg 24, 14195 Berlin Telefon: +49 (0)30 83001-0 Fax: +49 (0)30 83001-222 E-Mail: diakonie@diakonie.de Internet: www.diakonie.de Paritätische Wohlfahrtsverband Gesamtverband e. V. Marion von zur Gathen Gertrud Tacke Telefon: +49 (0)30 24646-331 E-Mail: alsoz@paritaet.org Telefon: +49 (0)30 24646-315 E-Mail: arbeitsrecht@paritaet.org Adresse: Oranienburger Str. 13-14, 10178 Berlin Telefon: +49 (0)30 24636-0 Fax: +49 (0)30 24636-110 Internet: www.paritaet.org Sozialdienst katholischer Frauen Gesamtverein e. V./ Deutscher Caritasverband e. V. Gisela Pingen-Rainer Telefon: +49 (0)231 557026-34 E-Mail: pingen@skf-zentrale.de Adresse: Agnes-Neuhaus-Str. 5, 44135 Dortmund Telefon: +49 (0)231 557026-0 Fax: +49 (0)231 557026-60 E-Mail: info@skf-zentrale.de Internet: www.skf-zentrale.de Frauenhauskoordinierung e. V. Heike Herold Telefon: +49 (0)30 32661233 E-Mail: heike.herold@paritaet.org Adresse: Tucholskystr. 11, 10117 Berlin Fax: +49 (0)30 26074130 E-Mail: fhk@paritaet.org Internet: www.frauenhauskoordinierung.de

In Koopera on mit Frauenhauskoordinierung e. V.