Qualitätskriterien für psychosoziale Prozessbegleitung 4



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Transkript:

Prozessbegleitung für Opfer situativer Gewalt Standards für Prozessbegleitung für Opfer von situativer Gewalt 2 Qualifikation und Anforderungsprofil von psychosozialen ProzessbegleiterInnen für Opfer von situativer Gewalt 4 Qualitätskriterien für psychosoziale Prozessbegleitung 4 Qualifikation von juristischen ProzessbegleiterInnen für Opfer von situativer Gewalt 6 Empfehlungen zur Weiterentwicklung der Prozessbegleitung für Opfer von situativer Gewalt 8

Standards für Prozessbegleitung für Opfer von situativer Gewalt 1 Einleitung Die vorliegenden Standards zur Prozessbegleitung gelten für Opfer von situativer Gewalt. Sie orientieren sich an den Standards für psychosoziale Prozessbegleitung von Mädchen, Buben und Jugendlichen als Opfer sexueller und physischer Gewalt und an den Standards für psychosoziale Prozessbegleitung von Frauen als Betroffene von Männergewalt, an der 2007 veröffentlichten Evaluierung Prozessbegleitung (Institut für Konfliktforschung/Institut für Rechts- und Kriminalsoziologie ) den laufenden Diskussionen in der interministeriellen Arbeitsgruppe Implementierung von Prozessbegleitung, den praktischen Erfahrungen im Aufbau und der Weiterentwicklung der Gerichts- und Prozessbegleitung Die vorliegenden Standards sind die derzeit gültige Version (April 2008); sie werden jedoch in der interministeriellen Arbeitsgruppe laufend diskutiert und weiterentwickelt. Voraussetzung Die Umsetzung und Machbarkeit der Standards ist gebunden an die finanzielle Absicherung. Prozessbegleitung Das Angebot der Prozessbegleitung umfasst die Unterstützung von Frauen und Männern, die von situativer Gewalt betroffen sind. Die Arbeit der Prozessbegleitung beginnt idealer Weise vor der Anzeige und endet mit der Beendigung des Gerichtsverfahrens (Strafprozess oder Diversion). Sie besteht aus der psychosozialen und/oder der juristischen Prozessbegleitung. Sie beinhaltet auch die für diese Zwecke erforderliche Kooperation mit anderen Berufsgruppen. Psychosoziale und juristische Prozessbegleitung wird von Opferhilfe- oder Beratungseinrichtungen durchgeführt und koordiniert. Aufgrund der unterschiedlichen Bedürfnisse der Betroffenen orientiert sich das Ausmaß der Prozessbegleitung an den Wünschen der KlientInnen und der Erforderlichkeit der Unterstützungsleistung. 2 Aufgaben der psychosozialen und juristischen Prozessbegleitung Aufgabe der psychosozialen Prozessbegleitung ist es, den/die Betroffene/n auf die Anzeige 3 sowie auf das darauffolgende Gerichtsverfahren vorzubereiten sowie die Begleitung zu polizeilichen oder gerichtlichen Einvernahmen bzw. Verhandlungen, gegebenenfalls zu Terminen im Rahmen von Diversionmaßnahmen. Die juristische Prozessbegleitung umfasst die rechtliche Beratung und Vertretung, insbesondere auch die Geltendmachung von Ansprüchen im Strafverfahren. Um die prozessualen Rechte von Opfern sicherzustellen und ihnen größtmögliche Schonung durch 2

Information und Beratung zu gewährleisten, ist die Kombination von psychosozialer Prozessbegleitung und juristischer Beratung und Vertretung ideal. Die Arbeit des Anwalts/der Anwältin erfolgt in Koordination mit dem/der psychosozialen ProzessbegleiterIn, den Auftrag erteilt die vom Bundesministerium für Justiz für Prozessbegleitung geförderte Einrichtung. Aufgabe der Prozessbegleitung ist auch die für diese Zwecke erforderliche Kooperation mit den Strafverfolgungsbehörden und anderen für die Durchführung der Prozessbegleitung unmittelbar erforderlichen Berufsgruppen (z.b. Ärzte/innen, PsychotherapeutInnen, SozialarbeiterInnen, Arbeitgeber/Innen). Für die Einhaltung der Standards sind an erster Stelle die Beratungsstellen verantwortlich, in der Folge und im konkreten Fall die psychosozialen und juristischen ProzessbegleiterInnen. Für Strafverfolgungsbehörden (Polizei, Staatsanwaltschaft, Gericht, ) gilt die Informationspflicht über Opferrechte, dieser unterliegen auch Ärzte/Ärztinnen und Anwälte/Anwältinnen. Institutionelle Eingebundenheit Die psychosozialen ProzessbegleiterInnen sind eingebunden in Opferhilfeeinrichtungen bzw. Beratungseinrichtungen 4. Das in einer Einrichtung gebündelte Wissen und die praktische Erfahrung aus der Arbeit mit Opfern von Gewalt sowie die Kooperation mit Institutionen und involvierten Berufsgruppen ist eine wichtige Ressource für die Arbeit in der Prozessbegleitung. Juristische ProzessbegleiterInnen mit Bindung an mit Prozessbegleitung beauftragte Einrichtungen werden bevorzugt mit Prozessbegleitung beauftragt. Psychosoziale Prozessbegleitung ist nicht Therapie Die Aufarbeitung von Gewalterfahrungen ist weder Aufgabe noch Bestandteil der Prozessbegleitung. Ob und wann Therapie in Anspruch genommen werden sollte oder in Anspruch genommen wird, ist im Einzelfall zu entscheiden, wobei Beginn und Dauer des Strafverfahrens auf diese Entscheidung Einfluss haben. Eine allfällige psychotherapeutische Aufarbeitung erfolgt bei niedergelassenen PsychotherapeutInnen oder in spezialisierten Einrichtungen. 3

Qualifikation und Anforderungsprofil von psychosozialen ProzessbegleiterInnen für Opfer von situativer Gewalt Einleitung Die vorliegende Definition der Qualifikation und des Anforderungsprofils von psychosozialen ProzessbegleiterInnen gilt für Opfer von situativer Gewalt. Sie orientieren sich an den Qualifikation und Anforderungsprofil für psychosoziale Prozessbegleitung von Mädchen, Buben und Jugendlichen als Opfer sexueller und physischer Gewalt und Qualifikation und Anforderugnsprofil für psychosoziale Prozessbegleitung von Frauen als Betroffene von Männergewalt, an der 2007 veröffentlichten Evaluierung Prozessbegleitung (Institut für Konfliktforschung/Institut für Rechts- und Kriminalsoziologie ) den laufenden Diskussionen in der interministeriellen Arbeitsgruppe Implementierung von Prozessbegleitung, den praktischen Erfahrungen im Aufbau und der Weiterentwicklung der Gerichts- und Prozessbegleitung Die vorliegenden Qualifiktaionskriterien und das Anforderungsprofil sind die derzeit gültige Version (April 2008); sie werden jedoch in der interministeriellen Arbeitsgruppe laufend diskutiert und weiterentwickelt. Qualitätskriterien für psychosoziale Prozessbegleitung Psychosoziale Grundausbildung Als Nachweis gilt der Abschluss eines einschlägigen Hochschulstudiums, der Abschluss einer Fachhochschule/Akademie für Sozialarbeit, einer Lehranstalt für Sozialpädagogik, einer wissenschaftlich anerkannten psychotherapeutischen Ausbildung sowie anderer gleichwertiger Ausbildungen. Als Grundqualifikation wird eine mindestens zweijährige Praxiserfahrung mit eigenständiger Beratungstätigkeit in einer Opferhilfeeinrichtung als Learing by doing -Grundqualifikation anerkannt. Beratungskompetenz Erfahrungen und Kompetenz in Beratungstätigkeit und Gesprächsführung, erworben durch Ausbildung und praktische Arbeit im psychosozialen Bereich, idealerweise in einer Opferhilfeeinrichtung, sind Voraussetzung. Hinzu kommt, dass ProzessbegleiterInnen über ausreichendes Wissen über Traumatisierung und sekundäre Traumatisierung verfügen müssen sowie Grundkenntnisse über polizeiliche und gerichtliche Verfahrensabläufe. 4

Vernetzungskompetenz Da die Tätigkeiten der Prozessbegleitung ein hohes Maß an Kooperations- und Koordinationsbereitschaft erfordern, ist die Fähigkeit, Vernetzung zu organisieren bzw. in vernetzten Zusammenhängen zu arbeiten, unabdingbar. Zudem sollten ProzessbegleiterInnen die Fähigkeit haben, Möglichkeiten und Grenzen der eigenen Wirkungsbereiche sowie die der anderen Berufsgruppen zu erkennen und zu respektieren. Grundkenntnisse juristischer Inhalte und Sichtweisen Juristische Vorgangsweisen folgen anderen Richtlinien als Prozesse psychosozialer Arbeit. Prozessbegleitung ist am Schnittpunkt beider Bereiche angesiedelt und dient auch der Vermittlung strafrechtlicher, strafprozessualer und anderer rechtlicher Vorgänge und Zusammenhänge. Aufgabe der psychsozialen ProzessbegleiterInnen ist es auch, weitgehend die Rolle des/r ÜbersetzerIn zwischen Opfer und Behörden/anwaltlicher Prozessbegleitung einzunehmen. Reflexions- und Entwicklungsbereitschaft Um das Arbeitsfeld der Prozessbegleitung weiter zu entwickeln, sind die Reflexion der Tätigkeiten der Prozessbegleitung und die Auswirkungen auf die betroffenen Opfer, auf sich und andere, unverzichtbar. Dies bedeutet, dass die Bereitschaft zu Offenheit, Reflexion und Auseinandersetzung mit sich und anderen Berufsgruppen Voraussetzung ist, darüber hinaus ist auch Innovationsbereitschaft gefordert. Kommunikations- und Konfliktfähigkeit, Belastbarkeit und Flexibilität Die spezifischen Arbeitsbedingungen erfordern ein hohes Maß an Kommunikations- und Konfliktfähigkeit. Hinzu kommt, dass die Ansprüche der betroffenen Opfer nach Gerechtigkeit und Wiedergutmachung häufig nicht erfüllt werden können. Dieses Spannungsverhältnis erzeugt Belastungen, die reflektiert und getragen werden müssen. Freie Ressourceneinteilung Die Möglichkeit einer flexiblen Zeiteinteilung ist erforderlich, weil äußere Bedingungen (zb. Gerichtstermine) kaum beeinflussbar sind. Prozessbegleitung muss personelle Kontinuität in der Betreuung sicherstellen können. 5

Kontinuierliche Fortbildung im juristischen und psychosozialen Bereich, im Bereich der Opferbetreuung sowie laufende Supervision/Intervision Supervision/Intervision und Fortbildung in den genannten Bereichen sind erforderlich, um die nötige Kompetenz und Handlungsfähigkeit aufzuweisen und bezüglich der fachlichen Entwicklungen zu aktualisieren. Für die Einhaltung der Qualifikation und des Anforderungsprofils sind an erster Stelle die Beratungsstellen verantwortlich. Ihnen obliegt es, die Fähigkeiten, die Erfahrung und die Motivation für die Bewerbung bzw. bei der Auswahl der ProzessbegleiterInnen zu überprüfen und sicherzustellen, dass nicht nur einzelne Kriterien sondern das gesamte Anforderungsprofil erfüllt werden. Die Sicherstellung der Einhaltung ist dann gewährleistet, wenn die beteiligten Behörden (Ministerien, Länder, ) auch die dafür erforderlichen finanziellen Ressourcen bereitstellen. Qualifikation von juristischen ProzessbegleiterInnen für Opfer von situativer Gewalt Voraussetzung Prozessbegleitung wird von Beratungseinrichtungen durchgeführt, die RechtsanwältInnen mit juristischen Prozessbegleitung beauftragen und die Kooperation mit ihnen abwickeln. Grundwissen über Folgen psychischer und physischer Gewalt Qualifizierte juristische Prozessbegleitung erfordert ein Grundwissen über Formen und kurz-, mittel- und langfristige Auswirkungen von Gewalt auf Menschen. Erfahrung in Beratung und Vertretung von Gewaltopfern Voraussetzung für qualifizierte juristische Prozessbegleitung ist Erfahrung in der rechtlichen Beratung und Vertretung von Gewaltopfern, nicht nur im Strafprozess sondern auch anderen Gerichtsverfahren (zb. Schadenersatzverfahren). Kooperation und Erfahrungsaustausch Qualifizierte Prozessbegleitung setzt auf Fallebene eine enge Zusammenarbeit zwischen juristischer und psychosozialer Prozessbegleitung voraus, um im Umgang mit den Betroffenen eine schonungsvolle Behandlung sicher zu stellen und gleichzeitig prozessuale Rechte maximal zu nutzen. Es bedarf eines kontinuierlichen, fallunabhängigen Erfahrungaustausches zwischen juristischen und psychosozialen ProzessbegleiterInnen sowie zwischen diesen und StaatsanwältInnen/RichterInnen/PolizistInnen, um die spezifische Problematik zu reflektieren 6

und juristisch weiter zu entwickeln. Sie erfordert auch fallübergreifend den Austausch mit befassten Einrichtungen, zb. durch Teilnahme an Intervisions-, Supervisions- und Teammeetings, RundenTischen, etc. Aus- und Weiterbildung Juristische Prozessbegleitung wird von RechtsanwältInnen durchgeführt. Schulungen sollten in Zusammenarbeit mit den Prozessbegleitungs-Einrichtungen von den Rechtsanwaltskammern angeboten und organisiert werden, wobei auch andere Schulungen (von Ministerien finanzierte Fortbildungen und Seminare, innerhalb von Opferhilfeeinrichtungen durchgeführte Schulungen) sowie die jahrelange Kooperation mit Opferhilfeeinrichtungen und fachspezifischen Einrichtungen anerkannt werden. Zusätzlich ist eine kontinuierliche Fortbildung erforderlich. RechtsanwältInnen sind dafür verantwortlich, dass nur jene KonzipientInnen zur Prozessbegleitung eingesetzt werden, die eine entsprechende Schulung erhalten haben, wobei die Kontinuität der Vertretung durch ein und dieselbe Person oberste Priorität hat. 7

Empfehlungen zur Weiterentwicklung der Prozessbegleitung für Opfer von situativer Gewalt Einleitung Die vorliegenden Empfehlungen gelten für Prozessbegleitung von Opfern von situativer Gewalt. Sie orientieren sich an den Empfehlungen für psychosoziale Prozessbegleitung von Mädchen, Buben und Jugendlichen als Opfer sexueller und physischer Gewalt und an den Empfehlungen für psychosoziale Prozessbegleitung von Frauen als Betroffene von Männergewalt, an der 2007 veröffentlichten Evaluierung Prozessbegleitung (Institut für Konfliktforschung/Institut für Rechts- und Kriminalsoziologie ) den laufenden Diskussionen in der interministeriellen Arbeitsgruppe Implementierung von Prozessbegleitung, den praktischen Erfahrungen im Aufbau und der Weiterentwicklung der Gerichts- und Prozessbegleitung Die vorliegenden Empfehlungen sind die derzeit gültige Version (April 2008); sie werden jedoch in der interministeriellen Arbeitsgruppe laufend diskutiert und weiterentwickelt. Umfang der Prozessbegleitung Die Prozessbegleitung endet derzeit mit der rechtskräftigen Beendigung des Strafverfahrens. Diese sollte auf das Zivilverfahren ausgedehnt werden, wenn es um Exekution oder Geltendmachung von Ansprüchen nach 373a StPO geht. Weiters sollte eine Ausdehnung bei Bedarf auch auf das Bezugssystem erfolgen: Bei Bedarf kann das Einbeziehen des Bezugssystems eine Unterstützung für die betroffenen Opfer darstellen. Wenn es für das Opfer erforderlich ist, wird die Prozessbegleitung auf die Bezugspersonen erweitert. Kooperationsforen ProzessbegleiterInnen Kooperationsforen innerhalb der drei Bereiche auf regionaler/landesebene und Bundesebene, der drei Bereiche gemeinsam auf regionaler/landesebene bzw. Bundesebene sollen dem regelmäßigen Erfahrungsaustausch, der laufenden Professionalisierung der BegleiterInnen, der Entwicklung gemeinsamer Strategien und der Förderung der Kooperation und Vernetzung dienen. Installierung von Runden Tischen mit ExpertInnen Die Treffen fungieren als Bindeglied zwischen den Bereichen Opferhilfe und Strafverfolgungsbehörden. Die interdisziplinär zusammengesetzten Runden Tische sind regelmäßige ExpertInnentreffen aller involvierten Berufsgruppen mit dem Ziel, zur Verbesserung der Opferrechte und deren praktischer Umsetzung beizutragen. 8

Schulung von VertreterInnen der Strafverfolgungsbehörden Im Rahmen von Schulungen bei Polizei und Gericht zur generellen Thematik Opferrechte sollen Schulungseinheiten gemeinsam mit ProzessbegleiterInnen gestaltet werden. Einheitliches Dokumentationssystem Für eine umfassende Evaluation ist ein einheitliches Dokumentationssystem erforderlich. Die Auswertung dient der weiteren Entwicklung der Arbeit. 1 Opfer situativer Gewalt sind zb Opfer von Mord, Tötung, Körperverletzung, Raub, Beharrliche Verfolgung, Nötigung, etc. wobei ein wesentliches Merkmal ist, dass Opfer und TäterIn in keinem Nahverhältnis (Familie, Beziehung) zueinander stehen bzw. gestanden sind. 2 Siehe erster Punkt 1 3 Opfern situativer Gewalt wird psychosoziale und juristische Prozessbegleitung angeboten. Letzendlich entscheidet der/die Betroffene, ob beide oder nur ein Angebot in Anspruch genommen wird. 4 Institutionelle Eingebundenheit setzt ein Dienstverhältnis mit Opferhilfe- oder Beratungseinrichtung nicht voraus. 9