«Wissenstransfer geteilte Aufgabe von Universität und Gesellschaft» Workshop der Österreichischen Forschungsgemeinschaft, 8./9. Juni 2012 Das breite Spektrum universitärer Transferleistungen Prof. Dr. Andreas Fischer, Rektor der Universität Zürich (rektor@rektorat.uzh.ch) Ablauf 1. Einleitung 2. Kennzahlen zur Universität Zürich 3. Begriffe und theoretische Ansätze 4. Bildung, Ausbildung, Weiterbildung 5. Innovation und Entwicklung 6. Wissenschaftliche Dienstleistungen 7. Wertschöpfung 8. Schlussthesen 1
Einleitung Autonomie und Outreach Die alte Frage nach dem Nutzen der Wissenschaft hat im Zeitalter der Hochschulautonomie eine neue Aktualität erlangt: Politik und Gesellschaft erwarten von den Universitäten heute, dass sie ihre Leistungen nicht nur erbringen, sondern auch ständig reflektieren, gezielt fördern und verbindlich nachweisen. Dies betrifft besonders die so genannten Transferleistungen. Der bewusste Umgang mit dem Impact der Wissenschaft und mit dem Outreach der Hochschule ist zu einem zentralen Aspekt sowohl des akademischen Alltags wie auch der Hochschulpolitik geworden. 2
Einige Kennzahlen zur Universität Zürich (UZH) Studierende nach Fakultäten (2011) 25 634 Personen MNF 3 288 13% ThF 291 1% RWF 3 459 13% WWF 3 278 13% ThF Theologische Fakultät PhF 11 983 47% VSF 663 3% MeF 2 672 10% RWF WWF MeF VSF PhF Rechtswissenschaftliche Fakultät Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät Medizinische Fakultät Vetsuisse-Fakultät Philosophische Fakultät MNF Mathematisch-naturwissenschaftliche Fak. 3
Personal per Ende 2011: 7 951 Personen (entspricht 5 589 Vollzeitäquivalenten) 2 623 32.8% ATP 4 822 60.4% 540 6.8% Professuren Mittelbau Quelle: UZH, Jahresbericht 2011 Mittelherkunft 2011 1 233 Mio. CHF 11.4% 21.6% 46.4% Kanton Zürich Bund (Grundbeitrag) Andere Kantone 10.9% 9.6% DL/Studiengebühren Drittmittel/Weiteres 4
Begriffe und theoretische Ansätze Schlüsselbegriff 1: Transfer Der Transfer ist ein Prozess, bei dem bestimmte Denkfiguren und Lösungsstrategien von einer Ausgangssituation auf eine andere Situation übertragen werden. Erfolgsbedingung: Ausgangssituation und Zielsituation müssen eine hinreichende Ähnlichkeit aufweisen und miteinander verbunden sein. lat. transferre (hinüberbringen, übertragen) Transfer translation (sprachliche oder kulturelle Übersetzung) Verbindendes (Brücke, gemeinsame Sprache) muss im Hinblick auf einen gewünschten Transfer oftmals erst geschaffen oder erlernt werden. Chance jedes Transfers: vorhandene Lösungskapazität kann in neuen Bereichen nutzbar gemacht werden. Risiko jedes Transfers: nicht vollständig kontrollierbare Veränderungen. 5
Transfer Ausgangssituation Zielsituation Schlüsselbegriff 2: Universität Der Transfer spielte in der Geschichte der Hochschulen stets eine bedeutende Rolle. Tradition der Hohen Schule Jurisprudenz, Medizin, Theologie Vorbereitung auf einen gelehrten Beruf Nutzbarmachung wissenschaftlicher Erkenntnis ausserhalb der Hochschule Tradition der Freien Künste (septem artes liberales) Grammatik, Rhetorik, Dialektik, Arithmetik, Geometrie, Musik, Astronomie Suche nach Erkenntnis im Vordergrund Einübung des freien Denkens und der kritischen Selbstreflexion 6
Bildung, Ausbildung, Weiterbildung Bildung Bereits der primäre Bildungsauftrag der Universitäten hat Transfercharakter: forschungsbasierte Lehre transferiert wissenschaftlich approbiertes Wissen und kognitive Fähigkeiten in die ausseruniversitäre Welt; messbar anhand von Absolventenzahlen. 7
Abschlüsse UZH: Entwicklung 2004-2011 5'000 4'500 4'000 3'500 3'000 2'500 2'000 1'500 1'000 500 Doktorat Master Bachelor Lizenziat/Diplom/ weitere 0 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 Ausbildung Absolventinnen und Absolventen sind qualifizierte Arbeitskräfte und mündige Bürger. Das Studium dient (auch) direkt der Berufsvorbereitung (Juristen, Mediziner, Theologen, Lehrer etc.). Bedeutung der Geistes- und Sozialwissenschaften bei der Vermittlung von Schlüsselkompetenzen. 8
Weiterbildung Im Bereich der Weiterbildung ist der Transfergedanke grundlegend: Praktiker kehren an die Universität zurück, um ihre beruflichen Aufgaben im Licht neuer wissenschaftlicher Erkenntnis zu überdenken; die Wissenschaft profitiert von den Feedbacks der Praxis. Weiterbildungsabschlüsse an der UZH 2011 Master of Advanced Studies (MAS): 197 Diploma of Advanced Studies (DAS): 73 Certificate of Advanced Studies (CAS): 220 Insgesamt ca. 1 350 Kursteilnehmerinnen und Kursteilnehmer. Innovation, Entwicklung 9
Technologietransfer Der Begriff Transferleistungen meint oft die anwendungsorientierte Nutzung wissenschaftlicher Erkenntnis für Politik, Kultur und Wirtschaft. Technologietransfer : Hochschulen pflegen Partnerschaften mit privaten Unternehmungen. Hochschulen unterstützen ihre Absolventen bei der Lancierung eigener Businessideen. Hochschulen generieren Einnahmen aus der Vermarktung von Forschungsergebnissen. Die Universität Zürich unterhält seit über zehn Jahren eine eigene Technologietransferstelle. Unitectra Gemeinsame Technologietransfer-Organisation der Universitäten Zürich, Bern und Basel. 1999 Gründung der Unitectra durch die Universitäten Bern und Zürich 2003 Abschluss des 100. Lizenzvertrags 2011 Universität Basel als dritte Trägerin http://www.unitectra.ch 10
Ziele des Technologietransfers volkswirtschaftlicher Nutzen durch Zusammenarbeit mit Wirtschaftspartnern aus dem privaten und öffentlichen Bereich wirtschaftliche Umsetzung von Forschungsergebnissen zum Nutzen der Gesellschaft Aufbau und Pflege partnerschaftlicher Beziehungen mit Wirtschaftspartnern zum beidseitigen Nutzen Steigerung der Attraktivität der Universität für Angehörige und Studenten Erzielen von finanziellen Erträgen (Forschungsgelder, Lizenzeinnahmen) Unitectra: Dienstleistungen Forschungskooperationen Aushandeln von Forschungsverträgen mit externen Partnern; Qualitätskontrolle der Verträge Aushandeln anderer TT-Verträge: Beraterverträge, MTA, etc. Kommerzialisierung von Forschungsergebnissen Evaluation, Verwertungsstrategie IP Management Proof-of-Concept-Finanzierung Lizenzen Spin-off-Gründungen Weiterbildungsseminare für Universitätsangehörige Anlaufstelle für Wirtschaft, Vermittlung von Forschungspartnern für Firmen 11
Unitectra: Kennzahlen 2011 Forschungskooperationen UZH Total Verträge zu Forschungsprojekten 532 1063 Andere Technologietransfer-Vereinbarungen 339 624 Kommerzialisierung von Forschungsergebnissen Erfindungsmeldungen 68 128 Patent Anmeldungen 51 71 Lizenzen und Optionen 27 48 Spin-off-Firmen 5 8 Unitectra: Projekte nach Bereich 25 12
Spin-off-Firmen der Universität Zürich 90% Business-Überlebensrate Beispiel 1: Prionics AG Spin-off-Firma aus dem Institut für Hirnforschung Bereich BSE-Diagnostik Weltmarktführer heute breites Portfolio an Produkten für die Veterinärdiagnostik Prionics -Check WESTERN 13
Beispiel 2: Nogo Antibodies Behandlung von Rückenmarksverletzungen (Prof. Martin Schwab) Nerven-Wachstum inhibierendes Protein ( Nogo ) Blockierung von Nogo durch Antikörper patentiert und lizenziert an Novartis in klinischer Entwicklung (Phase II) Beispiel 3: Hocoma AG Spin-off aus der Universitätsklinik Balgrist Bereich neurologische Rehabilitation Produkt Lokomat Funktionelle Lokomationstherapie mit Augmented Performance Feedback Behandlung von Patienten mit neurologischen Bewegungsstörungen virtuelle Umgebungen zur Motivationssteigerung weltweit eingesetztes System 14
Beispiel 4: You Rehab AG Spin-off aus dem Institut für Neuroinformatik UZH Bereich neurologische Rehabilitation Produkt YouGrabber für Patienten mit Schlaganfall spezieller Trainingshandschuh mit Sensoren und Software Bewegungen virtuell auf Bildschirm abgebildet Aktivierung von Spiegelneuronen systematische Anpassung der Intensität der Unterstützung spielerisch (grössere Motivation) Unitectra: Nutzen für die UZH und die Wirtschaft Die UZH ist ein attraktiver Partner für die Wirtschaft Im Jahr 2011 starteten die Forschenden der UZH täglich durchschnittlich mehr als zwei neue Kooperationsprojekte mit Wirtschaftspartnern. Die Universität schafft Arbeitsplätze auch in der Wirtschaft Durchschnittlich alle zwei Monate entsteht eine neue, von UZH- Angehörigen gegründete Spin-off-Firma, die Forschungsergebnisse der UZH kommerzialisiert. Aus der Forschung entstehen neue Produkte zum Nutzen der Gesellschaft Die UZH vergibt durchschnittlich alle 10 Tage eine Lizenz an eine Firma, die unter dieser Lizenz neue Produkte entwickelt und verkauft. 15
Angewandte Forschung, Grundlagenforschung Viele nützliche Technologien wären ohne den Fleiss der Grundlagenforschung nie erfunden worden. Bedeutende Meilensteine des technologischen Fortschritts wurden mehr oder weniger zufällig entdeckt (bekanntes Beispiel: Penicillin). Heute spielt der Zufall wohl eine etwas geringere Rolle, wissenschaftlicher Erfolg ist aber nach wie vor nicht vollständig planbar. Wissenschaftliche Dienstleistungen 16
Transfer im Rahmen von Dienstleistungen Die Universität kann der Gesellschaft ihr Forschungswissen und ihre Fähigkeiten auch im Rahmen von Dienstleistungen zur Verfügung stellen. Beispiele: Versorgungsdienstleistungen der universitären Medizin Universität als wissenschaftliche Auskunftsstelle für Medien, Behörden und Private Bibliotheken universitäre Museen, Kinder-Universität, Senioren-Universität (Schnittstelle von Dienstleistung und Weiterbildung) UZH: 5 Universitätsspitäler (I) UniversitätsSpital Zürich 42 Kliniken und Institute 1000 Spitalbetten über 6 000 Angestellte 30 000 stationäre Patienten pro Jahr Kinderspital Zürich Medizinische Klinik und Chirurgische Klinik 200 Spitalbetten 1 200 Angestellte 17
UZH: 5 Universitätsspitäler (II) Uniklinik Balgrist hoch spezialisiertes Zentrum für Fragen des Bewegungsapparates 140 Spitalbetten Psychiatrische Universitätsklinik Zürich (PUK) 313 Spitalbetten 1 200 Angestellte Zentrum für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie (ZKJP) mit über 400 Angestellten grösste Einrichtung dieser Art in der Schweiz UZH: 2 Kliniken im Eigenbetrieb Zentrum für Zahnmedizin (ZZM) Tierspital 18
UZH: Dienstleistungserträge Medizin (2011) Zentrum für Zahnmedizin (ZZM): CHF 17 Mio. Tierspital: CHF 12,5 Mio. Rechtsmedizin: CHF 20,2 Mio. Mikrobiologie: CHF 12,4 Mio. Virologie: CHF 10,3 Mio. Genetik: CHF 2,2 Mio. Mediale Präsenz von Experten 19
Museen der Universität Zürich Anatomische Studiensammlung Anthropologisches Museum Archäologische Sammlung Botanischer Garten Medizinhistorisches Museum Moulagenmuseum Paläontologisches Museum Museum zur Geschichte der Veterinärmedizin Veterinäranatomische Sammlung Völkerkundemuseum Zoologisches Museum Zürcher Herbarien Weitere Einrichtungen der UZH für die Öffentlichkeit Kinder-Universität Senioren-Universität Life Science Learning Center öffentliche Ringvorlesungen Zentralbibliothek und weitere Bibliotheken 20
Wertschöpfung Transfer und Wertschöpfung Transfer und Wertschöpfung sind nicht synonym, aber: beide tangieren den Nutzen einer Einrichtung; Transferleistungen spielen für die Wertschöpfung von Hochschulen eine wichtige Rolle. Beispiele von Wertschöpfungsstudien im Hochschulbereich: Martin Unger et al. Projektbericht: Der Beitrag der Hochschulen zur Wertschöpfung der Region Zürich. Wien: Institut für Höhere Studien 2008. Regionale Effekte der HSG: Bericht der Universität St. Gallen für das Jahr 2010. 21
Beitrag der Zürcher Hochschulen zur Wertschöpfung der Region (IHS-Studie 2008) 1. Dominanz der ökonomischen Effekte, die durch die Ausgaben der Hochschulen ausgelöst werden 2. Ausgaben der UZH 2006: ca. CHF 1 Milliarde Wertschöpfungseffekte von ca. CHF 1,5 Milliarden 11 620 Arbeitsplätze (VZÄ) öffentliche Einnahmen von über CHF 432 Millionen 3. Effekte des bereitgestellten Humankapitals (spezifische Ausbildungsfunktion der Hochschulen) Wertschöpfungsbeitrag der UZH-Absolventen im Jahr 2005 für die Schweiz: CHF 728 Millionen 4. Vielfalt schwer messbarer Wertschöpfungsbeiträge im kulturellen Bereich Regionale Effekte der Universität St. Gallen (interner Bericht für das Jahr 2010) 1. Wertschöpfung der HSG für die Agglomeration St. Gallen 2010: CHF 193 Millionen Fünffaches des Beitrags des Kantons St. Gallen an die HSG im Jahr 2010 (CHF 38 Millionen) 2. nichtmonetäre Effekte (ehrenamtliche Engagements) 22
Schlussthesen Thesen 1. Die Universität ist (und war seit ihrer Entstehung immer) auch eine Transferorganisation. 2. Gerade für den Erfolg universitärer Transferleistungen ist die Glaubwürdigkeit der Wissenschaft und damit die akademische Freiheit von grundlegender Bedeutung. 3. Die Universitäten müssen eine Transferpolitik entwickeln. Sie müssen ihren Outreach priorisieren, Schnittstellen ausloten und Regeln für den Austausch definieren. 4. Ein Transfer darf nicht nur von seinen gewünschten Effekten her gedacht werden. Erfolgreiche Transfers von Hochschulen setzen auch längerfristige Investitionen in die selbstorganisierte Wissenschaft voraus. 23
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. 24