RWI : Positionen RWI ESSEN. Wim Kösters, Christoph M. Schmidt, Torsten Schmidt und Tobias Zimmermann. #25 vom 3. Juli 2008



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Transkript:

Wim Kösters, Christoph M. Schmidt, Torsten Schmidt und Tobias Zimmermann RWI : Positionen #25 vom 3. Juli 2008 RWI ESSEN

RWI : Positionen #25 vom 3. Juli 2008 Herausgeber: Rheinisch-Westfälisches Institut für Wirtschaftsforschung, Hohenzollernstraße 1/3, 45128 Essen, Tel. 0201/81 49-0 rwi@rwi-essen.de, http://www.rwi-essen.de/positionen Alle Rechte vorbehalten. Essen 2008 Schriftleitung: Prof. Dr. Christoph M. Schmidt, Ph.D. RWI ESSEN Im Juni 2008 ist die Inflationsrate im Euroraum auf 4% und damit ihren höchsten Wert seit Beginn der Währungsunion gestiegen, ausgelöst durch den kräftigen Anstieg der Preise für Rohöl und Nahrungsmittel, der von recht dauerhafter Natur sein dürfte. Die Europäische Zentralbank (EZB) hat darauf reagiert und für Juli eine Zinserhöhung angekündigt. Da dies jedoch gewisse Risiken für die Konjunktur birgt, wurde die EZB bereits im Vorfeld des Zinsschritts heftig kritisiert. Aus unserer Sicht jedoch ist die Zinserhöhung trotz der Risiken die richtige Entscheidung: Das vorrangige Ziel der EZB ist die Wahrung der Preisniveaustabilität, und diese ist gegenwärtig stark gefährdet. Insbesondere muss die EZB verhindern, dass die Inflationserwartungen auf Dauer über den von ihr festgelegten Zielwert ansteigen. Bereits aus diesem Grund ist sie gezwungen, jetzt die Zinsen anzuheben. Nach einer längeren Phase stabiler Leitzinsen tendiert die Europäische Zentralbank aktuell offenbar dazu, einen restriktiveren Kurs einzuschlagen. So hatte EZB-Präsident Trichet bereits nach der vergangenen Ratssitzung im 1 RWI Essen und Ruhr-Universität Bochum (Wim Kösters und Christoph M. Schmidt).

2 RWI : Positionen #25 vom 3. Juli 2008 Juni eine Erhöhung der Leitzinsen für Anfang Juli angedeutet. Für diese Ankündigung, die er in den vergangenen Wochen wiederholt hat, ist er z. T. heftig kritisiert worden. Dabei spielen die Kritiker die gegenwärtigen Inflationsgefahren herunter und stellen die Risiken einer Zinsanhebung für die reale konjunkturelle Entwicklung in den Vordergrund. Wie schon häufiger in der Vergangenheit zu beobachten, gehört dieses Argumentationsmuster mittlerweile zu einer nahezu ritualisierten Reaktion auf eine (angekündigte) restriktive geldpolitische Maßnahme. Nichtsdestoweniger ist es in jedem Falle neu daraufhin zu prüfen, ob es tatsächlich greift. Für uns ergibt sich aus einer solchen Prüfung allerdings ein klares Urteil: Wir teilen diese kritische Position aktuell nicht. Vielmehr sollte man sich daran erinnern, dass der Maastrichter Vertrag als vorrangiges Ziel der EZB die Wahrung der Preisniveaustabilität im Euroraum vorsieht. Für diese eindeutige Verpflichtung der Notenbank sprechen gute theoretische und empirische Gründe. Insbesondere können mit Hilfe der Geldpolitik nur vorübergehende (und im Ausmaß begrenzte) Realeinkommens- und Beschäftigungseffekte erreicht werden. Da diese aber mit dauerhaften (und möglicherweise erheblichen) Veränderungen der Inflationsrate bezahlt werden müssen, würde die Wohlfahrt durch eine lockere Geldpolitik auf mittlere Sicht gemindert. Wichtig ist natürlich, ob es der EZB dauerhaft gelingt, ihr vorrangiges Ziel mit Augenmaß umzusetzen. Für diese Einschätzung spricht aus unserer Sicht einiges. So hat die EZB ihr vertraglich vorgegebenes Ziel transparent operationalisiert, indem sie Preisniveaustabilität bei einer durch den Harmonisierten Verbraucherpreisindex (HVPI) gemessenen Inflationsrate dann als erreicht ansieht, wenn sie auf mittlere Sicht knapp unter zwei Prozent bleibt. Daher muss die EZB auf kurzfristige Abweichungen von diesem Zielwert, z.b. infolge von starken Erhöhungen einzelner Preise wichtiger Güter, wie gegenwärtig beim Rohöl und den Nahrungsmitteln, nicht sofort reagieren. Sie muss allerdings verhindern, dass solche Preisschocks ein allgemeines Inflationsklima entstehen lassen, durch das sich der Preisniveauanstieg mittelfristig verfestigt. Genau diese Gefahr sehen wir jedoch gegenwärtig als gegeben an. Zum einen ist nicht nur der allgemeine Verbraucherpreisindex (HVPI) deutlich auf zuletzt 4% im Juni 2008 angestiegen. Auch die Kerninflation, bei der die Energie- und Nahrungsmittelpreise herausgerechnet werden, lag in den vergangenen Monaten mit gut 2,5% deutlich über der Zielmarke der EZB (Schaubild 1). Dies deutet darauf hin, dass sich neben den Preisen für Energie und Nahrungsmitteln auch die Preise anderer Güter inzwischen stärker erhöhen.

Für eine stabilitätsorientierte Geldpolitik 3 Schaubild 1 Quelle: Eurostat. Dass größere Preisschocks, wie wir sie gegenwärtig erleben, vorübergehend auch die Preise anderer Güter erfassen, ist zwar nichts Ungewöhnliches. Allerdings lassen sie das Risiko von Zweitrundeneffekten wachsen. Dies gilt umso mehr, da offenbar auch die Inflationserwartungen angestiegen sind. Näherungsweise abgreifen lassen sich diese Erwartungen die natürlich nicht direkt gemessen werden können beispielsweise an der sog. Breakeven-Inflation, die als Differenz aus den Renditen indexierter und nicht-indexierter französischer Staatsanleihen ermittelt wird. In dieser Differenz offenbaren die Marktakteure implizit, welche Inflationserwartungen sie hegen. Diesem Maß zufolge sind die Inflationserwartungen jüngst deutlich angestiegen (Schaubild 2). Ein anhaltender Anstieg der Inflationserwartungen im Euroraum über zwei Prozent wäre unserer Einschätzung nach aus zwei Gründen alarmierend. Zum einen würden die Wirtschaftsakteure mit einer dauerhaft höheren Inflation rechnen und dies bei der Preissetzung aber auch bei Lohnverhandlungen berücksichtigen. Die Erwartung einer höheren Inflation trüge somit zu einer Verfestigung des Preisniveauanstiegs bei. Zum anderen kann ein Anstieg der Inflationserwartungen aber auch anzeigen, dass die Wirtschaftssubjekte nicht damit rechnen, dass die Geldpolitik die Preissteigerung in ihren Zielbereich zurückführen wird es bestünden also Zweifel an der Glaubwürdigkeit der EZB. Beides würde die Rückführung der Inflationsrate unter zwei Prozent erschweren.

4 RWI : Positionen #25 vom 3. Juli 2008 Schaubild 2 Quelle: Agence France Tresor. Die EZB ist daher aktuell schlichtweg dazu gezwungen, rasch und nachvollziehbar zu handeln. Allein schon aus diesem Grund sollte sie unserer Einschätzung nach die Zinsen anheben, um die Inflationserwartungen auf einem mit Preisniveaustabilität zu vereinbarenden Niveau zu stabilisieren und so einer Verfestigung des Preisauftriebs entgegenzuwirken. Handelte die EZB jetzt entgegen dieser Einschätzung nicht, so müsste sie bei einer aus dem Ruder gelaufenen Inflation später umso stärker restriktiv werden mit viel größeren negativen Effekten für die Konjunktur. Das kann angesichts ihrer zentralen Aufgabe nicht die richtige Strategie sein. Der Europäischen Zentralbank ist vorgeworfen worden, sie würde durch ihre angekündigte Zinsanhebung die Konjunktur im Euroraum gefährden. Wir teilen diese Position nicht. Das vorrangige Ziel der EZB ist die Wahrung von Preisniveaustabilität. Durch eine Vernachlässigung dieses Ziels würde sie riskieren, dass der gegenwärtige Preisschock zu einer Verfestigung des Preisniveauanstiegs führt. Dies würde auch ihre Glaubwürdigkeit in Frage stellen und die gesamtwirtschaftlichen Kosten der Inflationsbekämpfung wären später umso höher. Aus diesem Grund sollte die EZB jetzt die Zinsen anheben.