Dr. Wolfram Ender 37632 Eschershausen, Mühlentrift 3 T. 05534/3895



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Transkript:

Dr. Wolfram Ender 37632 Eschershausen, Mühlentrift 3 T. 05534/3895 Die Aufgabe der Historiker im Spannungsfeld von Politik, Gesellschaft und öffentlicher Meinung: Unterstützung aktuell vorherrschender Meinungstrends oder unabhängige Aufklärung über die Vergangenheit? Anmerkungen zur Debatte um die Studie der Unabhängigen Historikerkommission Das Amt und die Vergangenheit An der im Auftrag des früheren Außenministers Fischer entstandenen und 2010 veröffentlichten Studie Das Amt und die Vergangenheit. Die Diplomaten im dritten Reich und in der Bundesrepublik, die von einer 2005 eingesetzten Unabhängigen Historikerkommission, bestehend aus den deutschen Historikern Eckart Conze und Norbert Frei, dem israelischen Historiker Moshe Zimmermann und dem amerikanischen Historiker Peter Hayes, erarbeitet wurde, entzündete sich ein neuer Historikerstreit. Ähnlich dem Historikerstreit von 1986, der aus einer Entgegnung des Soziaphilosophen Jürgen Habermas auf einen FAZ-Artikel des Historikers Ernst Nolte ( Vergangenheit die nicht vergehen will ) entstand, spielte sich die neue Kontroverse weitgehend in öffentlichen Medien ab. Während der erste Historikerstreit sich mit der Frage der Singularität oder Vergleichbarkeit des Holocaust, mit der Frage, ob man Hitlers und Stalins Verbrechen vergleichen könne, beschäftigte und die deutschen Historiker in zwei Lager teilte, geht es bei der Studie Das Amt darum, ob das Auswärtige Amt im Dritten Reich ganz oder teilweise in die Judenvernichtung verwickelt war und wie groß die Anzahl NS-belasteter Diplomaten im neuen Auswärtigen Amt der Bundesrepublik war. Zur Vorgeschichte der Studie Das Amt : 2003 starb Franz Nüßlein, ehemaliges NSDAP- Mitglied, Beamter in der Protektoratsverwaltung Prag, nach dem Krieg von einem tschechoslowakischen Gericht zu einer Haftstrafe von 20 Jahren verurteilt und 1955 vorzeitig entlassen, anschließend nach einem später eingestellten Kölner Ermittlungsverfahren Aufnahme in das Auswärtige Amt, zuletzt bis zu seiner Pensionierung Generalkonsul in Barcelona. Nüßlein erhielt im Amtsblatt des Auswärtigen Amtes intern AA einen ehrenden Nachruf. Dagegen protestierte in einem Schreiben an Außenminister Fischer die ehemalige Dolmetscherin Marga Henseler für Fischer der Anlass, in einer Weisung von 2005 rückwirkend ab 2003 die Nachrufe für verstorbene Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes, die NSDAP-Mitglieder gewesen waren, generell einzustellen, sowie die Historikerkomission zur Untersuchung der Vergangenheit des Auswärtigen Amtes einzuberufen. Verwunderlich an der Person Henseler ist, dass sie nach einem gerade von Nüßlein erbetenen Empfehlungsschreiben 1960 in das Auswärtige Amt kam. Die vom FAZ-Feuilleton zur Prophetin geadelte Frau Henseler ( Bei der Prophetin von Edo Reents, 28.10.2010) war BDM-Mitglied und als Angehörige der kriegswichtigen Organisation Todt in Paris und Prag eingesetzt, wo sie (ohne während oder nach dem Krieg deshalb Skrupel zu empfinden) als Mitglied der Besatzungsmacht Nachtleben und Kultur genoss und von einem SA-Führer protegiert wurde. In Prag lernte sie Nüßlein 1944 bei Verwandten flüchtig kennen, ohne etwas über Nüßleins Tätigkeit gewusst zu haben. Erst 1964, vier Jahre nach dem von ihr erbetenen Empfehlungsschreiben Nüßleins, will sie erfahren haben, wer Nüßlein wirklich war. 1

Wer sich mit der Studie Das Amt und den öffentlichen Reaktionen darauf beschäftigt, stößt auf einige Besonderheiten und auf grundlegende Fragen des Verhältnisses von historischer Wissenschaft und Öffentlichkeit. - Dass sich die im Auftrag des politisch-ideologisch festgelegten Außenministers Fischer arbeitende Historikerkommission eigens als unabhängig titulierte, berührt merkwürdig. Sind Historiker nicht qua Amt unabhängig und nur wissenschaftlichen und nicht politischen Vorgaben verpflichtet? Der frühere Außenminister Fischer fühlte sich jedenfalls bei der öffentlichen Vorstellung der Studie Das Amt durch diese voll bestätigt. - Einzelne Dokumente wurden als Neuentdeckung gefeiert, aus denen die FAZ anlässlich des Prozesses gegen den ehemaligen Judenreferenten im Auswärtigen Amt Franz Rademacher schon vor 60 Jahren (am 18.03.1952) zitiert hatte: die Reisekostenabrechnung Rademachers vom Oktober 1941, in der dieser als Reisezweck Liquidation von Juden in Belgrad angegeben hatte. Über die handwerklich-methodischen Mängel der Studie Das Amt informieren die zahlreichen, gründlich recherchierten Beiträge von Rainer Blasius in der FAZ (zuletzt zusammenfassend Schnellbrief und Braunbuch, 13.01.2011). - Die Autoren der Studie Das Amt erweckten den Eindruck, als Erste die Verquickung des Auswärtigen Amts in die vom NS-Regime durchgeführte Ermordung der Juden aufgezeigt und damit endgültig die Legende vom Auswärtigen Amt als Hort des Widerstands widerlegt zu haben. Das mag für die breite Öffentlichkeit zutreffen, die in dieser aufsehenerregenden Form noch nicht mit dem Thema konfrontiert wurde, nicht aber für die Zeithistorikerzunft, der seit Ende der 60er Jahre Spezialuntersuchungen, vor allem Christopher R. Brownings The Final Solution and the German Foreign Office (1978) und Hans-Jürgen Döschers Das Auswärtige Amt im Dritten Reich. Diplomatie im Schatten der Endlösung (1987), vorlagen. Hinzu kamen die ganze Regale füllenden Aktenveröffentlichungen Akten zur deutschen auswärtigen Politik 1918 1945 (ADAP), erschienen von 1950 1995. Wenn es unter ehemaligen Diplomaten des Dritten Reichs die Legende vom Auswärtigen Amt als Hort des Widerstands gegeben hat, so ist diese niemals von der Mehrheit der seriösen deutschen Nachkriegshistoriker übernommen worden. Ich selber bin während meines Freiburger Geschichts- und Promotionsstudiums auf keinen Historiker gestoßen, der diese Legende verbreitet hätte. - Eine besondere Zuspitzung (und viel Widerspruch von Historikern) erfuhr die von Eckart Conze und Moshe Zimmermann benutzte Formulierung vom Auswärtigen Amt im Dritten Reich als einer verbrecherischen Organisation, eine Formulierung, die in den Nürnberger Prozessen nicht auf das Auswärtige Amt angewandt wurde. In der Tat, kann es die Aufgabe eines Historikers sein, Pauschalurteile und Kollektivanschuldigungen auszusprechen, die die Wahrheitssuche eher erschweren als erleichtern? Ein solches Herangehen an die Geschichte dient nicht der notwendigen Aufklärung einer schwierigen, komplizierten Vergangenheit. Es ist auch kontraproduktiv, weil es die Bereitschaft und Offenheit zur Auseinandersetzung mit dieser Vergangenheit nicht fördert. Als Dozent in der politischen Bildungsarbeit weiß ich aus eigener Erfahrung, wie empfindlich und mit Abwehr gerade junge Menschen, die nicht das geringste mit Nationalsozialismus, Rechtsextremismus und Antisemitismus zu tun haben wollen, reagieren, wenn sie glauben, kollektiv haftbar für die Verbrechen des Dritten Reichs gemacht zu werden. Mit einem differenzierenden, an den historischen Fakten orientierten Zugang kann man dann aber sehr wohl ihr Interesse an dem Thema wecken. 2

- Wie unkritisch-euphorisch die Politik in Gestalt des Auswärtigen Amtes mit der von ihr in Auftrag gegebenen Studie umging, zeigte die Reaktion von Außenminister Westerwelle. Er adelte die Studie Das Amt, indem er sie zur Pflichtlektüre für die Diplomatenausbildung erklärte, und ordnete an, dass in den deutschen Botschaften im Ausland frühere Botschafter nur noch ab 1951 einen Platz in der Ahnengalerie erhalten sollen. Gute Absicht, aber falsches Mittel. Will man so das Dritte Reich aus der deutschen Geschichte entfernen? Glaubt man so, eine Auseinandersetzung mit dem unseligen NS-Regime entgehen zu können? Genau das Gegenteil ist richtig: Nur durch eine aktive Aufklärung und Auseinandersetzung mit der Vergangenheit kann man Lehren für die Zukunft ziehen. Man fühlt sich an die Darstellung der Judensau an mittelalterlichen Kathedralen erinnert. Mit der Entfernung dieser Darstellung würde der falsche Eindruck erweckt, es hätte im Mittelalter keinen christlichen Judenhass gegeben. Der richtige Weg ist: Erklärende Hinweistafeln, die zur Auseinandersetzung mit dem traditionellen Judenhass und seinen Folgen bis heute anregen und die Abwehrbereitschaft gegen eine Wiederholung solcher Tendenzen stärken. Aus der Geschichte kann man nur lernen, wenn man sie in allen ihren positiven wie negativen Aspekten zur Kenntnis nimmt. Nach diesen kritischen Anmerkungen soll aber ein großes Verdienst der Studie Das Amt nicht verschwiegen werden. Es ist ihr gelungen, was Fachhistorikern in der Regel nicht geling, eine große Öffentlichkeit für ein wichtiges zeitgeschichtliches Thema zu interessieren und gleichzeitig eine Debatte unter Historikern anzustoßen. Sicher ist dies nicht den vier Historikern allein, sondern auch der kräftigen Nachhilfe von Politik und Medien zu verdanken. Ähnliches erreichte die Wehmachtsausstellung des Hamburger Instituts für Sozialforschung von 1995, die sich gegen die Legende von der sauberen Wehrmacht richtete und anfangs sehr pauschalisierend die Öffentlichkeit mit den Verbrechen der Wehrmacht und ihrer Verwicklung in Hitlers Vernichtungskrieg konfrontierte was allerdings unter Fachhistorikern zuvor kein Geheimnis gewesen war. Wegen sachlicher Mängel und Fehler, die vor allem von dem polnischen Historiker Bogdan Musial kritisiert worden waren, wurde die erste Ausstellung unter ihrem Leiter Hannes Heer geschlossen und eine neue, historisch differenzierende erarbeitet. Und auch die Goldhagen-Debatte seit 1995, die sich an dem ebenfalls pauschalisierend argumentierenden und in der internationalen Historikerwelt anstoßerregenden Buch von Daniel Goldhagen Hitlers willige Vollstrecker. Ganz normale Deutsche und der Holocaust entzündete, kann hier angeführt werden. Anschließend folgt nun als exemplarisches Fallbeispiel eines in der Bundesrepublik vorherrschenden linksliberalen Umgangs mit der NS-Vergangenheit eine Auseinandersetzung mit einem die Studie Das Amt überschwänglich feiernden langen FAZ-Feuilleton-Artikel von Nils Minkmar Endlich sprechen die Akten vom 25.10.2010. Nichts zeigt deutlicher als Nils Minkmars informativer und engagierter, aber (im Gegensatz zu den Beiträgen von Rainer Blasius in der selben Zeitung) mit unhistorischen Pauschalurteilen übersäter Bericht über die Veröffentlichung der Historikerkommission über das Auswärtige Amt im Dritten Reich und danach, dass die Aufarbeitung der NS- Vergangenheit heute keine Frage mehr der Faktenklärung für den Fachhistoriker bietet der Bericht nicht viel Neues sondern eher eine der Wertung und Interpretation der Fakten ist. Minkmar verkörpert eine heute weit verbreitete Sichtweise, die mit dem sicheren, aber erst nach 1945 errungenen vollen Wissen über die NS-Verbrechen, die Diplomaten bzw. die Zeitgenossen des Dritten Reichs pauschal moralisch zu verurteilen geneigt ist. Dies ist 3

natürlich nachvollziehbar und erlaubt, dient aber nicht der historischen Aufklärung und Analyse der Entstehungs- und Funktionsbedingungen der NS-Diktatur. Dabei belegt allein schon der in den Artikel dankenswerter Weise von der FAZ eingerückte Kasten Das andere Auswärtige Amt über Diplomaten im Widerstand die Fragwürdigkeit vom Minkmars Kollektivbeschuldigung des Auswärtigen Amtes als einer verbrecherischen Organisation, ein Begriff, den auch die Kommissionshistoriker Conze und Zimmermann benutzen. Historiker sollten sich solcher Pauschalurteile enthalten. Wenn Minkmar feststellt, es seien keine Spuren von widerständigen Gesprächen und Gedanken gefunden worden, so heißt dies nicht, es hätte sie nicht gegeben: Es wäre im NS-Staat lebensgefährlich gewesen, sie in den Akten zu dokumentieren. Die bekannte Denkschrift des Auswärtigen Amts von 1933 lässt sich historisch auch anders interpretieren als Minkmar es tut. Sie ist ein Dokument des damals in Deutschland, und wie Minkmar belegt, auch in Europa auch vor den Nationalsozialisten leider weit verbreiteten Antisemitismus und ein Versuch, die neue radikale NS-Politik aus der Sicht der traditionellen, aus dem Weimarer Auswärtigen Amt stammenden Diplomatie unter Staatssekretär von Bülow zu deuten und in diese einzubinden. Was sie auf keinen Fall ist, formuliert Minkmar in einer problematischen unhistorischen Formulierung: Das Memorandum markiert den ersten Schritt auf dem Weg der politischen und rechtlichen Vorbereitung der physischen Vernichtung der Juden um das von allen erwünschte Ziel, die Ermordung der Juden, zu erreichen. Minkmar scheint den Unterschied von objektiv und subjektiv in der Geschichtsanalyse nicht zu respektieren. Objektiv ist das AA-Memorandum aus der Rückschau sicher eine Etappe auf dem Weg zur Judenvernichtung. Subjektiv entspricht diese Interpretation aber keineswegs dem damaligen Bewusstseinszustand der Zeitgenossen. Die Judenvernichtung war so früh nicht absehbar, und Hitler hatte sie 1933 auch noch nicht eindeutig geplant. Minkmar suggeriert hier eine Gradlinigkeit auf dem Weg zur Judenvernichtung, die spätestens seit den Forschungen Hans Mommsens zum Führungschaos im NS-Staat in Frage gestellt werden muss: Mommsen hat den Prozess der kumulativen Radikalisierung bis hin zur Judenvernichtung und die Planlosigkeit in der Politik des Hitlerstaats analysiert. In dem Zusammenhang ein Hinweis auf den Madagaskar-Plan, den Plan zur Zwangsumsiedlung der europäischen Juden auf die damals zu Frankreich gehörende Insel, der nach dem Sieg über Frankreich im Auswärtigen Amt und bei der SS auftauchte. Wenn man dem Wortlaut trauen kann, war mit dem auf Madagaskar bezogenen Begriff Endlösung der Judenfrage im Juli 1940 noch nicht der Massenmord gemeint, auf den er spätestens in der Wannseekonferenz am 20. Juli 1942 abzielte. Minkmar scheint auch keinen Unterschied zu machen zwischen der öffentlich propagierten und betriebenen Judenverfolgung, -aussiedlung und vertreibung, wie man sie den im September 1935 verkündeten Nürnberger Gesetzen entnehmen konnte, und ihrer systematischen Vernichtung, welche die Nationalsozialisten versuchten geheimzuhalten. Objektiv war das Eine die Vorstufe zum Anderen. Wenn man aber auf den Unterschied hinweist, bedeutet das selbstverständlich nicht im mindesten, dass nur der Vernichtungsantisemitismus abzulehnen, gegen den Verfolgungsantisemitismus aber nichts einzuwenden sei. Das eine muß so bekämpft werden wie das andere. Bei der Analyse des Wissens und Bewusstseins der Zeitgenossen und bei der Analyse der Ermöglichung der sich prozeßhaft entwickelnden Judenvernichtung spielt diese Unterscheidung aber eine wichtige Rolle. Man kann wohl davon ausgehen, dass die NSDAP, wenn sie ein offenes Judenvernichtungsprogramm propagiert hätte, am Ende der Weimarer Republik nicht zur stärksten deutschen Partei gewählt worden wäre. Zu diskutieren wäre mit Minkmar auch, ob das Streben des Auswärtigen Amtes, an der Judenpolitik beteiligt zu werden, tatsächlich immer nur in der Absicht geschah, die Nationalsozialisten an Radikalität in Richtung Judenvernichtung zu übertreffen, oder ob nicht auch bei manchen Beteiligten die Absicht eine Rolle spielte, Schlimmeres zu verhüten? Das gilt auch für Staatssekretär Ernst von Weizsäcker, der von 1938 bis 1943 im Auswärtigen 4

Amt und danach Botschafter im Vatikan war. Anders als Weizsäcker und sein Sohn Richard, der spätere Bundespräsident, es nach dem Krieg nahe legten, kann wohl kein Zweifel bestehen, dass er über die Judenvernichtung informiert war. Aber hat er sie deshalb auch gebilligt und unterstützt? Dass es 1945 keine Stunde Null gegeben hat und nicht geben konnte, ist bekannt. Die deutsche Nachkriegsdemokratie konnte, ebensowenig wie die DDR, nicht aus dem Nichts aufgebaut werden und war somit anfangs durch die Mitarbeit von Funktionseliten aus dem Dritten Reich belastet, sofern bei diesen nicht eindeutig die Beteiligung an Verbrechen bekannt war oder nachgewiesen konnte. Dies galt vor allem für Auswärtiges Amt, Polizei, Verfassungsschutz, Nachrichtendienste, Bundeswehr etc. Reicht es aus, dieses immer wieder nur zu kritisieren oder sollte man nicht einmal auch das Verdienst der Regierung Adenauer, der selber zu den Verfolgten im Dritten Reich gehörte und der die Wiedergutmachungszahlungen an NS-Opfer und die Versöhnung mit dem Staat Israel in die Wege leitete, hervorheben, der es gelang, Deutschland gerade trotz dieser unleugbaren Belastungen und Kontinuitäten und unter den Bedingungen des polarisierenden Kalten Krieges zu einer funktionierenden angesehenen Demokratie aufzubauen und in den Kreis der westlichen Demokratien zu führen? Insofern ist die relativierende Karikatur, welche die FAZ ohne distanzierenden Kommentar abdruckt und in welcher der Gründer der westdeutschen Nachkriegsdemokratie in einen Topf mit dem totalitären Diktator und Völkermörder Hitler geworfen wird, dadurch dass die Karikatur den Eindruck erweckt, unter Hitler und Adenauer hätten dieselben Diplomaten gearbeitet, eine Geschichtsklitterung und geschmacklose Diffamierung Adenauers. Sicher sind belastete Diplomaten in das neue Auswärtige Amt gelangt. Wahr ist aber ebenso, dass man bemüht war, belastete Diplomaten fernzuhalten. So berichtete Richard von Weizsäcker in einem Fernsehinterview auf die Frage, warum er nach dem Krieg nicht die diplomatische Laufbahn eingeschlagen hatte, man hätte ihm im neuen Auswärtigen Amt bedeutet, dass der durch seinen Vater belastete Name Weizsäcker nicht mehr erwünscht sei. Nebenbei: Soll das Recht auf politischen Irrtum und die nachfolgende Hinwendung zur Demokratie, sofern jemand nicht an Verbrechen beteiligt war, nur für ehemalige Kommunisten und Stalinisten wie Herbert Wehner und nicht auch für ehemalige NSDAP- Mitglieder gelten? Minkmar nennt abschließend die Männer der Wilhelmstraße undifferenziert Mörder. Er sollte seinen Begriff von Mord erläutern. Den juristischen des Strafgesetzbuchs ( 211) kann er wohl nicht meinen. Wir brauchen keine Romane auf Aktenbasis, wie Minkmar schreibt, sondern eine faktenorientierte historische Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, die in der Bewertung die damaligen Handlungsbedingungen und grenzen mit einbezieht. Anders ist der notwendigen, schwierigen Aufklärung über die jüngste deutsche Vergangenheit nicht gedient. Damit sind wir zu der in diesem Beitrag schon mehrfach angesprochenen grundsätzlichen Frage zurückgekehrt. In zeitgemäßer Anlehnung an den Titel von Friedrich Schillers Jenaer Antrittsvorlesung Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte? lautet sie: Welche Aufgabe hat der Historiker in einer Demokratie? Die beste Antwort anlässlich der Kontroverse um Das Amt hat Christopher R. Browning in seinem FAZ-Aufsatz vom 10. 12. 2010 Das Ende aller Vertuschung gegeben. Von dem von der FAZ-Redaktion stammenden Titel sowie von deren vereinnehmender Interpretation seines Beitrags hat sich Browning übrigens anschließend energisch distanziert. Browning versteckt seine subtile, aber doch substantielle Kritik an dem Werk Das Amt hinter einem vordergründigen Lob. Vor allem im zweiten Teil seines Aufsatzes weist er auf deutliche Mängel hin: Gibt es einen größeren Gegensatz zwischen Brownings Forderung nach einer differenzierteren und nuancierteren Betrachtung der deutschen Diplomaten, die er in der Studie vermisst, und der grobschlächtig-pauschalisierenden Bezeichnung des Auswärtigen 5

Amts durch zwei Historiker der Unabhängigen Historikerkommission als einer verbrecherischen Organisation? Aufgabe des Historikers in einer pluralistischen Demokratie mit Meinungs- und Forschungsfreiheit ist es nicht, als Erfüllungsgehilfe politischer oder ökonomischer Interessen zu dienen. Dies war beispielsweise in der DDR der Fall, wo die Wissenschaft explizit dem Prinzip der Parteilichkeit, verkörpert und kontrolliert durch die Staatspartei SED, unterworfen war. Zu seiner Aufgabe gehört es auch nicht, Pauschalurteile zu fällen oder nichtdifferenzierende Kollektivbeschuldigungen auszusprechen. Pauschale Kollektivanklagen dienen weder der notwendigen Aufklärung der Vergangenheit noch fördern sie die Bereitschaft der Betroffenen, sich mit ihrer Vergangenheit offen und ehrlich auseinanderzusetzen. Sie wirken deshalb kontraproduktiv, weil sie das Wegschauen, den Unwillen, Abwehrgefühle fördern Der Historiker ist weder Richter noch Ankläger, sondern Ermittler und Aufklärer. Er soll dem Publikum ein solides Wissen verschaffen, aufgrund dessen es sein eignes Urteil fällen kann Aufgabe und Arbeitsweise des Historikers ist es, ein fakten- und quellengestütztes Wissen über die Vergangenheit zur Verfügung zu stellen und die Handlungsmöglichkeiten und grenzen von Menschen in früheren Zeiten zu analysieren, die nicht unter heutigen Bedingungen lebten. Wer nur heutige demokratische Maßstäbe an das Handeln von Menschen anlegt, die unter Diktaturbedingungen leben oder lebten, neigt leicht zu Kollektivverurteilungen. Aus einer solchen Perspektive reicht es nicht aus, im Dritten Reich nicht an NS-Verbrechen beteiligt gewesen zu sein oder niemand geschadet zu haben. Anerkennung finden nur die Zeitgenossen des Dritten Reichs, die aus Deutschland emigriert sind oder unter Einsatz ihres Lebens aktiv Widerstand geleistet haben. (Zudem erhalten Widerständler diese Anerkennung in der Regel auch nur, wenn sie die politische Richtung des heutigen Betrachters vertraten.) Das war bekanntlich nicht die Mehrheit der Deutschen, deren Verhalten selten eindeutig war, sondern zwischen aktiver Regimeunterstützung, Anpassung, Resistenz und Widerstand schwankte. Wie ist der SS-Mann, das NSDAP-Mitglied und der Bekennende Christ Kurt Gerstein zu beurteilen, der nur in die SS eintrat, um als Augenzeuge Gewissheit über die Judenvernichtung zu erlangen, und anschließend vergeblich versuchte, die Welt darüber aufzuklären? Die historische Wahrheit ist selten nur schwarz oder weiß, sie ist oft grau oder, anders als Außenminister Westerwelle bei der Vorstellung von Das Amt meinte, sie liegt in der Mitte Wer solche hohen moralischen Meßlatten aus der Sicherheit und Freiheit heutiger demokratischer Verhältnisse heraus an das Verhalten der Menschen im Dritten Reich anlegt, scheint auch von der unrealistischen Annahme (oder gar Forderung?)auszugehen, es hätte 1945 eine Stunde Null geben können oder gar müssen. Und sind diese strengen Richter über das Verhalten der Menschen in der NS-Diktatur auch bereit, dieselben Maßstäbe an das Verhalten der Menschen in der SED-Diktatur anzulegen? Fazit: Nur Historiker, die unbeeinflußt von nichthistorischen Interessen nur ihrer eigentlichen Aufgabe, die Menschen fakten- und wirklichkeitsorientiert über die Vergangenheit aufzuklären, unvoreingenommen nachgehen, können die dringend notwendige Aufgabe, in öffentlichen Debatten Orientierung zu geben und für historische Aufklärung zu sorgen, erfüllen. 6