Vortrag : Roma und das Gesetz der Straße: Armutsmigration im Pendelbus Stolipinovo-Dortmund Europäische Armutsmigration in deutsche Städte Evangelische Akademie Villigst am 03.05.2012 Roma in Dortmund, aus Sicht der Dortmunder Mitternachtsmission e.v. Seit einigen Jahren ist in Dortmund ein verstärkter Zuzug von RumänInnen und BulgarInnen zu verzeichnen. Diese Entwicklung begann, als rumänische und bulgarische Bürger ohne Visum in die Bundesrepublik Deutschland einreisen durften und verstärkte sich spürbar mit Beitritt von Rumänien und Bulgarien in die EU. Die Dortmunder Mitternachtsmission hat seit 2001 zunehmend Kontakt zu rumänischen und bulgarischen Frauen in der Prostitution. Offiziell wurden bis zu 3000 Bulgarinnen und Rumäninnen in Dortmund verzeichnet, allerdings gibt es eine erhebliche Dunkelziffer, da viele offiziell nicht angemeldet sind. Die Menschen aus den neuen EU-Mitgliedsländern, die seitdem nach Deutschland zuziehen haben eine eingeschränkte Freizügigkeit, d.h. sie dürfen hier leben, aber sie dürfen nicht arbeiten, und sie haben i.d.r. keinen Anspruch auf Sozialleistungen. Können sie nach drei Monaten kein ausreichendes Einkommen nachweisen, erhalten sie keine unbefristete Freizügigkeit und werden aufgefordert das Land zu verlassen. Die neuen EU-BürgerInnen dürfen aber als Selbständige tätig sein. Die Wohnverhältnisse der zugezogenen Menschen sind sehr schwierig. Da sie wenig Geld haben, können sie ihre Mieten nicht zahlen und wechseln häufig die Unterkünfte. Sie leben in sogenannten Problemhäusern, die z.t. extrem heruntergekommen und baufällig sind. In den Hinterhöfen sind Berge von Müll. Durch die Intervention der Stadtverwaltung wurden solche Häuser geräumt und die Hausbeitzer in die Pflicht genommen, sich um den Zustand der Häuser zu kümmern. Die zugezogenen Leute aus Bulgarien u. und Rumänien wohnen ofr zu mehreren in einem Zimmer und mieten Matratzen für 200-300 im Monat. Ein erheblicher Anteil der Menschen aus Rumänien und Bulgarien sind Roma mit unterschiedlichen Hintergründen. 1
Während die Männer überwiegend in Hoffnung kommen, eine Arbeit zu finden, z.b. auf dem Bau ( in der Regel arbeiten sie schwarz für sehr wenig Geld), bleibt den Frauen häufig nur die Tätigkeit in der Prostitution. Als selbständige Prostituierte können sie legal arbeiten, sofern sie die bürokratischen Bedingungen erfüllen. Einige Frauen arbeiten als Putzhilfen, erhalten dafür aber sehr wenig Geld. Viele Roma insbesondere aus Rumänien verdienen sich Geld durch Betteln. Häufig sind ganze Familien beteiligt, auch die Kinder. Einige Männer haben sich z.b. als Altmetallsammler selbständig gemacht. Ein überwiegender Anteil der zugezogenen BulgarInnen kommt aus Plovdiv, aus dem Stadtteil Stolipinovo. Plovdiv ist die zweitgrößte Stadt, wichtiges Handelszentrum und einzige Messestadt in Bulgarien. Offenbar gibt es schon seit längerer Zeit Kontakt zu türkischen Bewohnern in der Dortmunder Nordstadt, die hier vermittelnd tätig sind. Diesen Stadtteil kann man als Ghetto bezeichnen, in dem hauptsächlich Roma unter sehr schwierigen Bedingungen wohnen. Über 90 % der BewohnerInnen ist mittlerweile - bedingt durch die Wirschaftskrise - arbeitslos und hoch verschuldet. Sozialleistungen gibt es nur sehr wenig und reichen nicht zum Leben. Aufgrund großer Armut und Perspektivlosigkeit entscheiden sich die Menschen, nach Deutschland zu kommen und hier Arbeit zu finden. Das durchschnittliche Monatseinkommen in Bulgarien liegt bei 200-300 für Bulgaren in verschiedenen Berufen. Bei z.b: Nachtschichtzulagen etc können bis 600 erreicht werden und ist ein relativ gutes Einkommen. Die Lebenshaltungskosten, besonders in den großen Städten, entspricht fast dem in Deutschland. Dies kann nur dann funktionieren, wenn jemand Haus oder Wohnung besitzt und ggf. einen Garten hat, aus dem die Erträge mit zum Lebensunterhalt beitragen. Die Situation der meisten Roma, besonders in Stolipinovo, ist noch viel schwieriger. Sie sind die letzten, die Arbeit bekommen und haben in der Regel keinen Wohnraumbesitz, es sei denn, sie sind durch z.b. dubiose oder gar kriminelle Aktivitäten wie z.b. Geldverleih, Drogenhandel, Zuhälterei, Menschenhandel zu Geld gekommen. Die meisten Roma aus Stolipinovo sprechen türkisch und sind Muslime. Viele bestreiten energisch, dass sie Roma sind. Das Bildungsniveau ist extrem niedrig. Insbesondere die Frauen aus Stolipinovo/ Plovdiv können in der Regel nicht lesen und schreiben, viele kennen die Uhrzeit und den Kalender nicht. Sie haben zum Teil nie die Schule besucht, obwohl auch in Bulgarien Schulpflicht besteht. Verstöße werden normalerweise geahndet, nur bei den Roma scheint das Interesse nicht so hoch zu sein. Eltern sehen häufig nicht die Notwendigkeit, ihre Kinder zur Schule zu schicken, insbesondere die Mädchen. 2
Etwas anders ist der Bildungsstand der Roma aus anderen Städten und aus Rumänien, die wir kennengelernt haben. Es gibt durchaus Frauen dabei, die einen guten Schulabschluss, z.b. Abitur haben. Diese Frauen, die in der Prostitution arbeiten, sind überwiegend in der Bordellstraße oder in bordellähnlichen Betrieben anzutreffen. Sie sind unauffällig und distanzieren von den Roma aus Plovdiv. Bis Mai 2011 arbeiteten der überwiegende Anteil der Frauen aus Plovdiv auf dem Straßenstrich, in Hinterzimmern von Kneipen, Internetcafes etc. und Wohnungen im Dortmunder Norden. Nach unseren Kenntnissen haben fast alle Frauen Zuhälter. Dies sind zum Teil Männer, die mehrere Frauen kontrollieren und abkassieren und auch stark psychisch und physisch unter Druck setzen, möglichst viel Geld zu verdienen. Es handelt sich aber auch um Ehemänner, Brüder, Väter oder andere Angehörige oder Personen aus dem näheren sozialen Umfeld. Diese Männer halten sich meistens im Bereich der nördlichen Innenstadt in Cafes etc. aber auch in Gruppen auf der Straße auf. Dies führte zu einer großen Verunsicherung und auch Angst bei vielen BewohnerInnen und Geschäftsleuten der Nordstadt. Der Anstieg der Kriminalität, wie Drogendelikte, Raub, Diebstahl und gewalttätige Übergriffe (meist Konflikte innerhalb der Gruppierungen) wird hier durch die Strafverfolgungsbehörden den Roma zugeordnet. Nun ist (seit Mai 2011) Straßenprostitution im gesamten Stadtgebiet von Dortmund verboten, was durch massive ordnungspolitischen Maßnahmen durchgesetzt wird. Augenscheinlich hat sich die Szene Bulgaren erheblich verringert. So wurden Straftäter aus Plovdiv z.b. im Bereich Diebstahl in anderen Städten in NRW identifiziert, die in Dortmund ansässig waren. Seit Schließung des legalen Straßenstrichs und der starken Kontrollen hat sich das subjektive Sicherheitsgefühl der Anwohner offenbar erheblich verbessert. Es gibt zwar immer noch Prostituierte aus Plovdiv, die im Sperrgebiet auf der Straße und in den Kneipen und Wohnungen arbeiten, aber die Anzahl hat sich offenbar stark verringert. Ein großer Teil der Frauen und Mädchen gehen u.e. und nach Einschätzung der Polizei nicht freiwillig der Prostitution nach und sind Opfer von Menschenhandel. Bei den meisten Frauen besteht ein hoher Erwartungsdruck durch die Angehörigen, Geld nachhause für den Unterhalt für oftmals große Familien zu schicken. Es gibt sehr junge Mädchen, die zur Prostitution gebracht werden, eines der Jüngste, mit dem wir bisher zu tun hatten war 11 Jahre alt. In diesem Zusammenhang wird häufig berichtet, dass die Frauen schon sehr früh verheiratet werden, teilweise mit 12 Jahren, und bereits im Teenageralter die 3
ersten Kinder bekommen. Viele dieser Mädchen landen bei Männern, die diese Mädchen dann in die Prostitution verkaufen. Die Arbeitsbedingungen insbesondere in der Straßenprostitution sind sehr schwierig. Es gibt kaum Möglichkeiten für Körperhygiene und die Gefahr, Opfer von Gewalt durch Kunden zu werden ist sehr hoch. Die bulgarischen und rumänischen Prostituierten arbeiten teilweise für sehr wenig Geld (z.b. sexuelle Dienstleistung für 5 Euro). Die Konkurrenz ist sehr hoch. Die Zuhälter nehmen den Frauen und Mädchen das Geld zum größten Teil, oft auch alles weg. Es gibt durchaus auch weibliche Zuhälter. Gelegentlich dürfen sie etwas Geld nachhause zu ihren Familien schicken, wo die Kinder oft durch die Großeltern oder Geschwister oder andere Verwandte betreut werden, die dafür finanzielle Unterstützung erwarten. Fast alle Zuwanderer aus Rumänien und Bulgarien sind nicht krankenversichert. Das bedeutet, dass sie in Regel wegen Geldmangel ärztliche Behandlung nicht in Anspruch nehmen können. Dies führt gelegentlich zu medizinischen Notfällen. Die Kosten müssen die Betroffenen dann hinterher selber zahlen. Ist das nicht möglich, müssen sie Deutschland verlassen. Ein großes Problem sind Schwangerschaften. Viele Frauen werden schwanger. Wenn ein Schwangerschaftsabbruch aus unterschiedlichen Gründen nicht in Frage kommt, müssen die Frauen i.d.r. bis kurz vor der Geburt arbeiten, weil sie keine Sozialleistungen in Anspruch nehmen können. Viele können aus finanziellen Gründen auch keine Vorsorgeuntersuchungen vornehmen lassen. Werden die Kinder geboren und die Mutter kann keine Mindestausstattung für die Versorgung des Babys vorweisen, wird das Kind vom Jugendamt in Obhut genommen, bis eine entsprechende Ausstattung nachgewiesen wird. Die Mitternachtsmission konnte in solchen Fällen bereits aus Spenden helfen, so dass die Babys ihren Müttern übergeben werden konnten. Durch die Situation dieser Frauen, die zeitweise aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage sind, ihren Lebensunterhalt und Miete aufzubringen und die keine Sozialleistungen erhalten sind wir mit einer Armut und Elend konfrontiert, die wir so heutzutage hier in Deutschland nicht kannten. Diese Situation ist für uns extrem bedrückend und nicht akzeptabel. Für alle Menschen in extremen Notlagen muss Hilfe zur Überbrückung möglich sein, ohne dass sie dadurch ihr Aufenthaltsrecht verwirken. Wollen Frauen aus der Prostitution aussteigen, weil sie z.b. die Tätigkeit nicht mehr ertragen können oder aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausüben können, gibt es kaum eine Alternative. Aufgrund des niedrigen Bildungsstandes und fehlender Sprachkenntnisse ist es für sie nicht möglich, sich in anderen Branchen selbständig zu machen. 4
Sagen Opfer von Menschenhandel gegen ihr Peiniger aus, ist es für sie eigentlich unmöglich, nach Bulgarien oder Rumänien zurückzukehren, da sie dort keinen Schutz erwarten können. Die Angehörigen der Täter oder der Täter selbst werden die Frauen finden und sich rächen. Entsprechende Drohungen sind sehr ernst zu nehmen. Deshalb wünschen wir uns besonders in Plovdiv verlässliche und kompetente Partner, die sich für die Rückkehrerinnen einsetzen und engagieren. Hier haben wir bei unserer Informationsreise nach Plovdiv im Oktober 2010 die Stiftung für regionale Entwicklung Roma in Stolipinovo, mit der wir gerne im Rahmen eines Projektes kooperieren möchten, aber noch auf der Suche nach finanzieller Unterstützung sind. Hier wurde sehr deutlich dass viele der Menschen nicht nach Deutschland kommen würden, wenn sie Arbeit und eine realistische Perspektive in Bulgarien hätten. Hier wären umfassende Bildungs- und Beschäftigungsinitiativen notwendig, die gezielt für die Mitglieder der stark diskriminierten und stigmatisierten Minderheit der Roma durchgeführt werden müssen, die in Bulgarien sogar z.t. schlechtere medizinische Hilfen erhalten als andere BürgerInnen des Landes. Dies zu erreichen ist u.e. eine wichtige politische Aufgabe auch auf EU-Ebene. Was kann die Dortmunder Mitternachtsmission e.v. tun? Die Dortmunder Mitternachtsmission unterhält als kleiner eingetragener Verein im Dachverband des Diakonischen Werkes (seit 1918 in Dortmund) eine Beratungsstelle für Prostituierte, ehemalige Prostituierte und ist spezialisierte Beratungsstelle für Opfer von Menschenhandel. Unser Beratungsansatz ist ganzheitlich. Wir nehmen Kontakt auf im Rahmen von Streetwork/ aufsuchender Sozialarbeit zu unterschiedlichen Tages- und Nachtzeiten in den unterschiedlichen Bereichen Milieu und bieten Beratung und Hilfe an. Wir bieten niedrigschwellige Hilfen wie Versorgung mit Essen, Trinken, ggf. einem Schlafplatz, Kleidung, Hygieneartikel und Kleidung bis hin zu umfassender psycho-sozialer Beratung und Betreuung. Wollen Frauen aus der Prostitution aussteigen, bieten wir Ausstiegshilfen an. Ein sehr wichtiger Bereich ist die Aufklärung und Beratung zu STDs und Gesundheitsberatung. Wir haben die Möglichkeit nicht krankenversicherte Frauen an Ärzte zu vermitteln, die schon mal kostenlos untersuchen und behandeln. Medikament finanzieren wir aus Spenden. Dies kann natürlich auf Dauer keine Lösung sein. Opfer von Menschenhandel werden in unser Opferschutzprogramm aufgenommen, sicher dezentral untergebracht und umfassend betreut. Hier gibt 5
es gute Möglichkeiten für die Frauen und Mädchen, insbesondere, wenn sie als Zeuginnen mit den Strafverfolgungsbehörden kooperieren. Die Stadt Dortmund unterstützt Projekte, die der Integration der zugewanderten BulgarInnen und RumänInnen dienen, z.b. Kindersprechstunde im Gesundheitsamt, Impfprojekt, Förderklassen in mehreren Schulen, demnächst kostenlose Untersuchungs- und Behandlungsmöglichkeiten für Prostituierte ohne Krankenversicherung etc. 6