Opioidsubstitution während der Schwangerschaft med. pract. Barbara Gugger, Oberärztin ZAS, Zentrum Ambulante Suchtbehandlung Schwerpunkt Sucht UPD, Ärztliche Leitung Dr. med. R. Hämmig barbara.gugger@contactmail.ch
Was macht Dir Sorgen? Dass Mama Methadon spritzt. Mädchen (8 Jahre) LIGA der Freien Wohlfahrtspflege in Thüringen Zeiten für Eltern mit Kindern Montag-Freitag 10.30-11.30 Uhr (ausser Dienstag) 14.00-16:00 Uhr
Inhalt Fallbeispiele Familienplanung in der Opioidsubstitution Zahlen aus dem ZAS Schwangerschaft und Geburt unter Opioidsubstitution Therapeutischer Prozess und Vernetzung MOTHER-Studie Take-Home Message
Die Weihnachtsgeschichte Fallbeispiel Frau A, heute 30-jährig seit 9 Jahren Methadonsubstitution im ZAS Störung durch multiplen Substanzgebrauch: Heroin, Kokain, Benzodiazepine, Alkohol Borderline-Persönlichkeitsstörung Langjährige Partnerschaft, Partner in KODA, gemeinsame Wohnung mit Wohnbegleitung, Prostitution zur Finanzierung von Nebenkonsum (Kokain), Verhütung: schwieriges Thema! Wöchentlicher Medikamentenbezug im ZAS, ca. 6-8-wöchentlich Gespräche bei der Bezugsperson 23.12.08 Notfallkonsultation im ZAS wegen Verstopfung und aufgetriebenem Bauch - Grosse symmetrische Masse im Unterbauch, keine Druckdolenz, auf Berührung - Bewegungen spür- und sichtbar - Feststellung der SS: 30. SSW (Frauenklinik) - Februar 09 Geburt eines gesunden Mädchens in der 38. SSW Die Tochter ist heute 4 Jahre alt, in einer Pflegefamilie platziert, entwickelt sich gut Herbst 09: Interruptio nach erneuter unerwünschter Schwangerschaft Verhütung seither mit 3-Monatsspritze als Kompromiss - Prüfung anderer Optionen geplant: Reduktion Langzeit-NW!
Die Organisierte Fallbeispiel Frau B, 30-jährig ab 04/12 Methadonsubstitution im ZAS - Störung durch multiplen Substanzgebrauch: Heroin, THC, Benzodiazepine - Sekundäre Amenorrhoe - Beginn mit Methadonsubstitution, seither wieder Menstruationsblutung Stabile Partnerschaft, gemeinsame Wohnung, feste Arbeitsstelle im 1. Arbeitsmarkt, Wochenmitgaben wegen Arbeit, Verhütung eigentlich geregelt 07/12 Kommt mit Partner zu Krisentermin: Verhütungspanne, positiver SS-Test, sucht Rat 08/12 Erneuter Termin mit Partner: SS bei Gyn. bestätigt, aktuell 9. SSW - Entschluss, Kind zu behalten ist gefestigt, will Methadon reduzieren - Hat Nikotin und THC bereits deutlich reduziert, keine BZD mehr 09/12 15. SSW, Abbauplan Methadon funktioniert, aber Drogenträume, Wunsch 50% AUF 10/12 21. SSW, Abbauplan Methadon funktioniert, Wohnungssuche 11/12 23. SSW, Hospitalisation wegen Erbrechen, Ursache: Panne beim Methadonabbau 01/13 31. SSW Abbau Methadon beendet 03/13 39. SSW Geburt eines gesunden Jungen
Die Perspektive einer Mutter Ida Kristine Olsen Norwegian Directorate of Health, Oslo, ISAM 2010 Eine Schwangerschaft bedingt eine Fülle von gemischten Gefühlen. Eine Mutter in einer Opioidsubstitutionsbehandlung hat oft das Gefühl, sie werde die ganze Zeit beobachtet. Sie hat Angst, nicht beweisen zu können, dass sie eine gute Mutter sein will. Mutter zu werden und nicht mehr Süchtige zu sein, ist ein Prozess, der Zeit braucht. Sie bekommt oft unterschiedliche Empfehlungen der Profis, die einen raten ihr, die Dosis zu reduzieren, die anderen empfehlen ihr, die Dosis zu belassen. Sie stellt sich die Frage: Wie kann ich die richtige Entscheidung treffen? Was ist die richtige Entscheidung? Wir Fachpersonen müssen aufpassen, dass wir vor lauter Fokus auf das Kind die Schwangere nicht dabei vergessen! The manager of our project - "SMIL" for drug using mothers with newborn babies - Ida Kristine Olsen is 32 and has been on methadone for 13 years. www.prolar.no
Familienplanung Behandlungsziel möglichst wenig nicht geplante Kinder Verhütung thematisieren Kinderwunsch nicht tabuisieren Zusammenarbeit Psychiatrie/Gynäkologie Schwangerschaft raschmöglich feststellen Achtung: vorbestehende Amenorrhoe Geplante Schwangerschaften Planung Pharmakotherapie während Schwangerschaft Ungeplante Schwangerschaften Risikoanalyse in Entscheid über weitere Behandlung einbeziehen
Familienplanung Abklären: SS weiterführen oder Abbruch? Stabilisieren: SS immer Indikation zur Substitution: Substitution beginnen! Aktuelle Medikation / Substitution anpassen -bei unkontrolliertem Konsum (Nebenkonsum) -bei schwerer Symptomatik psychiatrischer Erkrankung (Psychose/ Suizidalität) -Kein vermeidbares Risiko für das Kind eingehen! Güterabwägung bei risikoreicher aber notwendiger Medikation
Zahlen ZAS Substitution 09/2012 80 Frauen, 27% / 216 Männer, 73% Frauen: 71 Methadon, 8 Buprenorphin Männer: 181 Methadon, 17 Buprenorphin, 18 orales Morphin (16 in Studie, 2 Methadon- Kontraindikation) 35 sind Mütter oder schwanger (42,5%) 8 SS und Geburt während ZAS, 7 mit Methadon, 1 mit Buprenorphin 25 SS und Geburt(en) vor ZAS, aktuell 22 Methadon, 3 Buprenorphin 15 betreuen Kinder selber, 7 haben erwachsene Kinder, 11 betreuen Kinder nicht selber 2 aktuell schwanger, beide Methadon 45 sind keine Mütter (57,5%) 41 Methadon, 4 Buprenorphin
Die Risikoschwangerschaft Aborte, Fötale Wachstumsstörungen, Früh-/Mangelgeburten Peri- und neonatale Risiken Sauerstoffmangel, Hirnblutungen, Unterzuckerung, Infekte, Gelbsucht Neonatales Abstinenzsyndrom Mütterliche (und fötale) Risiken Überdosierungen, Unterdosierungen, Polytoxikomanie Viruserkrankungen (Hepatitis C, B und HIV) Weitere lokale und systemische Infektionen
Neonatales Entzugssyndrom NAS Schreien, anhaltendes schrilles Weinen Neurologisch (Tremor, Krämpfe, Tonussteigerung, Hyperreflexie, Fieber) Vegetativ (Schwitzen, Tachykardie) Gastrointestinal (Durchfälle, Trinkschwierigkeiten, Untergewicht) Respiratorisch (Schniefen, Tachypnoe) Üblicherweise innert 72h post partum, kann bis mehrere Wochen andauern Quelle: W. Müller, G. Schmölzer, Graz
Neonatales Entzugssyndrom NAS Auftretenswahrscheinlichkeit (Quelle: W. Müller, G. Schmölzer, Graz) Buprenorphin 20-30% Methadon 60-80% Orales Morphin 80-90% Keine erhöhte Fehlbildungsrate! 10-30% benötigen keine medikamentöse Therapie
Quelle: W. Müller, G. Schmölzer, Graz
EFAS (Embryofetales Alkoholsyndrom) Bereits ab 15-30g Alkohol (ca. 2,5dl Wein, oder 5dl Bier) Rasche diaplazentare Übertragung Niedrige fetale Eliminationsrate; 10x höhere Konzentration Grosse Grauzone von minimalen Symptomen bis zum Vollbild der Schädigung Kognitive Defizite ADHS Verhaltensstörungen Motorische, sensorische, integrative Störungen Schwere mentale Retardierung Quelle: W. Müller, G. Schmölzer, Graz
Nikotin und Kokain Gefässverengung der uteroplazentaren Einheit Akuter und chronischer Sauerstoffmangel - Frühgeburtlichkeit - Wachstumsretardierung Neurotoxizität - Kognitive Defizite - Motorische, sensorische, integrative Störungen - ADHS - Verhaltensstörungen, z.b. signifikant häufiger antisoziales Verhalten im späteren Kindesalter Shankaranet al.; Seminars in Fetal & NeonatalMedicine (2007) 12, 143-150 Pratt TC, et al.; IntJ OffenderTher CompCriminol. 2006 Dec;50(6):672-90
Sedativa BZD für kurzfristige Behandlung geeignet z. B. Lorazepam (Temesta) Dauertherapie wenn möglich vermeiden Alternativen prüfen: Antidepressiva, niederpotente Neuroleptika BZD-Agonisten (Zolpidem, Zopiclon) Wenig Daten vorhanden, bisher keine Hinweise auf vorgeburtliche Entwicklungsstörungen Alle Sedativa Anpassungsstörungen und Atemdepression beim Neugeborenen
Therapeutischer Prozess Unterstützung und Anerkennung der werdenden Mutter: jede Mutter möchte eine gute Mutter sein eine schlechte Mutter ist besser als keine Mutter Planung: Frühzeitig Geburt und Zeit danach planen Gesamtes Helfernetz involvieren Transparenz: Bedingungen (z.b. Platzierung) offen deklarieren Jones HE et al. 2008: Treatment of Opioid Dependent Pregnant Women: Clinical and Research Issues
Vernetzung Vernetzung mit dem involvierten Helfernetz ist unabdingbar Voraussetzungen für möglichst guten Schwangerschaftsverlauf schaffen Transparente Kontrolle des Suchtmittelkonsums Zeit nach der Geburt planen Anerkennung der Elternschaft analog gesunde Mütter Kindesschutz nicht tabuisieren! Siehe auch: Konzept für die Betreuung Suchtmittel konsumierender Mütter/Eltern, Inselspital, 2008
Beispiel Vernetzung für die Abklärungen arbeiten wir mit aussen stehenden Fachpersonen, mit denen Sie bereits in Verbindung stehen, zusammen
Beispiel: Vorgehen im ZAS Vermutete/festgestellte Schwangerschaft: Raschmöglich Termin mit Bezugsperson, Einbezug Oberärztin Gibt es schon eine Frauenärztin/einen Frauenarzt? - Wenn ja: Vernetzung - Wenn nein: Frauenklinik (falls bezüglich Wohnort sinnvoll, sonst regionales öffentliches Spital) Situationsabklärung: Kind behalten oder nicht? Vernetzte Planung - Informationsfluss im Netz klären - Vertrag: Urinkontrollen (Frequenz, wem Resultat melden, Konsequenzen) ZAS Vermittlerrolle, Vertretung Interessen Mutter Kindesschutz: KESB Achtung betreffend Interessenvermischung: Rollenklärung
Opioidentzugsbehandlung in der SS Nur bei günstigen Voraussetzungen (Stabilisierung vor Abstinenz!) Bei ausdrücklichem Wunsch der Mutter Wenn möglich nicht im 1. und 3. Trimenon (erhöhtes Risiko für Abort und Frühgeburt) Kein abruptes Absetzen der Substitutionsmedikamente (Abortrisiko) Ausschleichen der Dosis über mehrere Wochen Kaltwasser P., 2007: Risiken für Mutter und Kind aus medizinischer Sicht
Opioidsubstitutionsbehandlung in der SS Opioidgestütze Behandlung ist die Behandlung der Wahl während der Schwangerschaft. Sie ist effektiv und sicher. Vertrauensverhältnis zur Mutter aufbauen Nebenkonsum ohne Schuldzuweisung thematisieren Substitution besser hoch dosieren als Instabilität riskieren Wahl der Medikation muss den individuellen Möglichkeiten Rechnung tragen Neonatales Entzugssyndrom: Buprenorphin ist Methadon überlegen Behandlungsentscheidungen müssen die Tatsache von psychiatrischer Komorbidität und Beikonsum berücksichtigen Fischer G., 2010, Jones HE, 2010
Die Qual der Wahl: MOTHER-Studie Jones HE et al., 2010 Methadon bisher internationaler Behandlungsstandard 55-90% neonatales Entzugsyndrom (NAS) NAS: kein Zusammenhang mit Dosierung zum Geburtszeitpunkt Buprenorphin bewirkt milderes NAS Haltequote unter Methadon besser Cave: viele Schwangere sind in einer vorbestehenden Opioidsubstitionsbehandlung. Der Wechsel von Methadon zu Buprenorphin während der Schwangerschaft ist komplex (Jones HE, 2004)
Methadon: Splitting Figure adapted from Leavitt SB: "Methadone Dosing and Safety in the Treatment of Opioid Addiction," Addiction Treat Forum 2003; (Sept):1 8
Fazit Die meisten Schwangerschaften von Suchtpatientinnen sind nicht geplant Oberstes Ziel: Stabile Bedingungen für den Verlauf der Schwangerschaft schaffen Beikonsum reduzieren: Substitution genügend hoch dosieren Never change a winning Team: Individuelle Behandlungsplanung ist unabdingbar! Kindsschutz gegenüber Wohl der Mutter abwägen: Transparenz betreffend Massnahmen und Sanktionen schaffen Vernetzung der involvierten Fachpersonen Väter nicht vergessen!
Frauen und Psyche www.embryotox.de Anke Rohde, Abteilung für Gynäkologische Psychosomatik der Universitätsklinik Bonn Christof Schaefer, Pharmakovigilanzzentrum für Embryonaltoxikologie Berlin
Links: www.swisstis.ch Swiss Teratogen Information Service STIS, CHUV www.embryotox.de Pharmakovigilanz- und Beratungszentrum für Embryonaltoxikologie Berlin www.womensmentalhealth.org Massachusetts General Hospital Center for Women s Mental Health www.isamweb.org The International Society of Addiction Medicine
Danke für das Interesse!