Kultur und Geschichte. Rems-Murr-Kreis. Heft 1



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Transkript:

Kultur und Geschichte im Rems-Murr-Kreis Heft 1 Die Schriftenreihe des Kreisarchivs 2008

Uwe Heckert Waiblinger und Welfen Zwei hochadlige Familien im Konflikt 1 Einleitung Die Welfen, das älteste Adelsgeschlecht Europas, waren im Bodenseeund Alpenraum und besonders im Grenzgebiet zwischen Schwaben und Bayern reich begütert. Aber auch in Italien und in Lothringen hatten sie Besitz. Seit den Zeiten Karls des Großen gehörte die weit verzweigte Familie dem hohen Adel an und stellten 150 Jahre lang die Könige von Burgund, bis diese Linie ausstarb. Ihren Schwerpunkt und Hauptsitz hatten die Welfen im Raum Ravensburg, im Kloster Altdorf/Weingarten sind viele von ihnen begraben. Die Staufer sind zwar als Familie jünger, aber ebenfalls von hohem Adel, was ihre weitreichenden Heiratsverbindungen und hohen Reichsämter belegen. Nur kurze Zeit nach den Welfen gelangten auch sie in den Rang von Herzögen und gehörten damit zur Führungsschicht im Deutschen Reich. Zwischen 1125 und 1235 befanden sich Staufer und Welfen gewissermaßen im Dauerstreit. An Gründen herrschte in der Adelsgesellschaft des Mittelalters kein Mangel: Sehr oft drehte es sich um Erbansprüche, mehrmals um die Königskrone und auch darum, welcher Papst der richtige sei. Hartnäckige, auch militärisch geführte Auseinandersetzungen brachen immer wieder aus, und die Parteien durchliefen ein Wechselbad von Erfolgen und Rückschlägen, das mit seiner Dramatik auch eine gute Romanvorlage abgeben würde. 1

Die bekanntesten Vertreter der beiden Geschlechter sind sicher der Staufer Friedrich I. Barbarossa und der Welfe Heinrich der Löwe. Weniger bekannt ist, dass sie Vettern waren, sie hatten den selben Großvater. In vielen Schulbüchern finden sich Darstellungen, auf denen der Kaiser vor einem trotzigen und hartherzigen Welfenfürsten kniet und ihn um seine Hilfe anfleht. Und dieser Fürst, Heinrich der Löwe, verweigert sie ihm! Es folgte ein Gerichtsverfahren, in dem der Löwe als Herzog abgesetzt und ins Exil nach England geschickt wurde. Diese oft dargestellte Szene spiegelt eine deutliche Parteinahme für den Stauferkaiser wider und beruht nicht zuletzt auf einer geschickten Propaganda staufischer Chronisten. Die Welfen werden seither meistens als intrigante Rivalen dargestellt, die den imperialen Glanz der Staufer gehörig verdunkelt haben. Waiblinger und Welfen, so lautet die gängige Botschaft, waren Epochengegner, geradezu natürliche Feinde. Doch stimmt das so? Tatsächlich haben die Repräsentanten beider Familien in den wichtigsten zeitgenössischen Auseinandersetzungen wie der Italienpolitik der deutschen Kaiser und im Kampf mit dem Papsttum fast durchgängig an einem Strang gezogen. Diese langjährige unspektakuläre Loyalität wird in unserer Wahrnehmung jedoch überlagert von den dramatischen Konflikten, die es ebenfalls gab, besonders zwischen Kaiser Friedrich I. Barbarossa und Heinrich dem Löwen. Die deutschnational geprägte Geschichtsschreibung besonders nach 1871 hielt sich nicht mit Differenzierungen auf, sie war aus politischen Gründen eher daran interessiert, eine ungebrochene Kontinuität des Kaisertums von den Saliern über die Staufer bis zu den Hohenzollern zu konstruieren. Und hierbei störten die Welfen, die Wahl des Sachsen Lothar III. und des Welfen Otto IV. zu deutschen Königen wurde als Betriebsunfall abgetan. Dabei wird auch heute noch leicht vergessen, dass es beim Tod des sächsischen Kaisers Lothar III. durchaus eine realisti- 2

sche Option auf die Begründung eines sächsisch-welfischen Königtums im Reich gegeben hat. Der folgende Beitrag vermittelt einen Überblick über die gemeinsame Geschichte der beiden Familien vom 11. bis ins 13. Jahrhundert und möchte dazu beitragen, einen differenzierteren Blick auf die Konfliktlinien zu werfen. Abb. 1: Philipp v. Foltz, Die Demütigung Kaiser Friedrichs I. vor Herzog Heinrich dem Löwen Der Tag von Chiavenna Auf dem oben abgebildeten Gemälde ist vieles zu sehen, was uns heute zur Geschichte der Staufer und der Welfen spontan einfällt. Philipp von Foltz hat es in der Mitte des 19. Jahrhunderts für König Max II. von Bayern gemalt. Wir sehen den flehend knienden Kaiser in der Mitte, und vor 3

ihm, trotzig abgewandt, steht der stolze Welfenherzog. Es kommt deutlich zum Ausdruck, dass die übrigen Anwesenden das Geschehen mit einer Mischung aus Entsetzen und Empörung verfolgen. Kaiserin Beatrix, rechts hinter ihrem knienden Gemahl, soll an dieser Stelle ausgerufen haben: Erhebe Dich, Gebieter und gedenke dieses Hochmuts, an den sich auch Gott erinnern möge! Dieses Bild, und von diesem Genre gibt es viele, transportiert eine Reihe von Botschaften: Die Welfen und die Staufer waren Rivalen, wenn nicht Feinde, und Heinrich der Löwe hat seinen Lehnsherrn und Kaiser 1176 in Chiavenna wider alles Recht schmählich im Stich gelassen. Die Entmachtung der Welfen im Reich war dafür die gerechte Strafe. - So oder so ähnlich kursiert diese Geschichte bis heute. Wie so oft müssen wir bei näherer Betrachtung das scheinbar Eindeutige relativieren. Je mehr wir über die Hintergründe und Umstände des Dargestellten erfahren, desto brüchiger wird das vorher so scheinbar klare Bild. Beginnen möchte ich damit, die Beteiligten näher vorzustellen. Es geht im wesentlichen um drei Familien, von denen im Folgenden die Rede sein wird: die Salier, die Staufer und die Welfen. Und was ist mit den Waiblingern? wird man nun mit Recht fragen, immerhin stehen die im Titel. Deswegen soll es hier zuerst um Waiblingen und Waiblinger gehen. Waiblingen und Waiblinger Der ehemalige Waiblinger Stadtarchivar Wilhelm Glässner hat in seinem Aufsatz über Waiblinger Traditionen 1985 festgestellt, dass Waiblingen über die ganze mittelalterliche Kaiserzeit persönliches Hausgut [war], das sich von den Karolingern über die Frauen schwäbischer Herzöge und die Heinriche von Waiblingen die später Salier genannt wurden zu den Staufern vererbte. 2 In diesem einen Satz steht im Grunde schon alles wirklich Wichtige: In spätkarolingischer Zeit hat in Waiblingen eine Pfalz bestanden, hier hat Kaiser Karl III. (der Dicke ) mehrere Urkunden ausgestellt, und in einer aus dem Jahr 885 wird die Stadt zum ersten Mal er- 4

wähnt. Der erste Salierkaiser, Konrad II., führte den Beinamen der Waiblinger, vermutlich tradiert über seine Gemahlin Gisela von Schwaben. 3 Diese beiden waren die Stammeltern der berühmten Heinriche von Waiblingen, der Kaiser Heinrich III., IV. und V. aus dem Geschlecht der Salier. Die Tochter Heinrichs IV., Agnes von Waiblingen, heiratete 1079 den Staufer Friedrich, den ersten Herzog von Schwaben aus diesem Geschlecht, und brachte dabei Waiblingen in die Ehe mit. Auf diese Weise gelangte tatsächlich das Haus- und Hofgut Waiblingen über die Karolinger und die Salier zu den Staufern. Auch zukünftig waren die Bindungen der Familie an diese Region eng: Die Söhne Herzog Friedrichs I., Friedrich und Konrad, wurden von ihrer Mutter Agnes zumindest zeitweise in Waiblingen aufgezogen, und als der Ältere als Friedrich II. Herzog von Schwaben wurde, erhielt sein jüngerer Bruder Güter und Rechte im nördlichen Schwaben, vermutlich auch Waiblingen. 4 Mit diesem jüngeren Bruder, der als Konrad III. im Jahr 1138 deutscher König wurde, saß erstmals ein Staufer auf dem Thron und offenkundig wiederum ein Waiblinger. Dieser Name hatte für die Staufer hohen Symbolwert, weil er das Bindeglied zwischen ihnen und ihren salischen Vorgängern darstellte. Der wichtigste Chronist der Staufer, Otto von Freising, erwähnte wohl, dass Herzog Friedrich I. von Schwaben von hohem Adel war, verzichtete aber darauf, ihn nach seiner Familie als Staufer zu bezeichnen. Vielmehr zog er ihn in die salische Kaiserfamilie der Heinriche von Waiblingen. 5 Auch Friedrich Barbarossa sprach von seinen Vorfahren salischen wie staufischen - als Waiblingern. 6 Mit Waiblingern sollen hier also nicht nur die Salier, sondern vor allem die Staufer gemeint sein. Uralte Europäer Bei den Welfen handelt es sich um das älteste Adelsgeschlecht Europas, und es gibt sie noch heute. Die Familie ist nicht nur alt, sie war auch von Anfang an von großer Bedeutung. Aus der Ehe des fränkischen Grafen Welf, und auf diesen Leitnamen treffen wir immer wieder, ging u.a. eine 5

Tochter Judith hervor, die im Jahr 819 Kaiser Ludwig den Frommen heiratete, den Sohn Karls des Großen. 7 Diese Ehe spielte in der Erinnerungskultur der Welfen später eine große Rolle, weil sie ihre Abstammung damit bis auf Karl den Großen zurückführen konnten. Wenige Jahre später ging die Schwester der Kaiserin, die Welfin Hemma, eine Ehe mit dem ostfränkischen König Ludwig ein. 8 Schon diese beiden Verbindungen machen klar, dass die Familie schon in karolingischer Zeit zum hohen Adel im Frankenreich gehörte, sonst wären die Frauen für solche Partien gar nicht in Frage gekommen. In Burgund herrschten von 888 bis 1032 Mitglieder des Welfenhauses. Die Töchter dieser burgundischen Könige heirateten ins Reich hinein: Adelheid ehelichte Kaiser Otto den Großen, Gisela Herzog Heinrich II. von Bayern. Aus beiden Verbindungen gingen deutsche Könige bzw. römische Kaiser hervor: Otto II. und Heinrich II. 9 Bei den Welfen handelte es sich spätestens seit der Karolingerzeit um eine hochadelige Familie in unmittelbarer Nähe von Kaisern und Königen, die sich auf der höchsten Ebene des Adels bewegte und heiratete. Konzentration auf den Alpenraum Seit der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts hören wir zunehmend von welfischen Amts- und Herrschaftsträgern im Süden des Reichs. Die Welfen dieser Zeit vereinten Besitz im alemannischen, fränkischen und bayerischen Raum. Zum Mittelpunkt ihrer Herrschaft wurde seit dem 10. Jahrhundert Ravensburg, wo sie das Kloster Altdorf gründeten. Über Generationen, bis zu Heinrich dem Schwarzen und Wulfhild (+ 1126), wurden sie auch dort begraben. 10 Ihr Herrschaftsbereich kristallisiert sich heraus zwischen Bodensee und Ammer, dem Schussengau im Westen, dem Ammergau im Osten, dem Inntal und dem Vinschgau im Süden (das ist heute Südtirol). Südlich des Alpenhauptkamms bestanden Heiratsverbindungen zu den Grafen von Este, deren Gebiet bis an die Toskana reichte. Im welfischen Einflussbereich lagen auch die für die deutschen Könige und Kaiser wichtigen Al- 6

penpässe Reschen und Brenner. Den Welfen gehörten Orte wie Ravensburg, Memmingen, Mering, Schongau und Peiting. Sie gründeten und förderten Klöster in Altdorf bzw. Weingarten, Kempten, Zwiefalten, Ochsenhausen, Roth, Altomünster, Rottenbuch, Füssen und Steingaden. Auch Burgenbau betrieben sie eifrig. 11 Hohenschwangau und Neuschwanstein z.b. gehen im Kern auf welfische Bauten zurück. In den Kreis der Herzöge im Reich gelangte als erster Welfe Welf III., den Kaiser Heinrich III., einer der Heinriche von Waiblingen, zum Herzog von Kärnten erhob. Sein Neffe Welf IV. erlangte das Herzogtum Bayern 1070 aus der Hand Kaiser Heinrichs IV. 12 Die Welfen traten als etablierte Fürsten im Reich in das konfliktgeladene 12. Jahrhundert. Abb. 2: Besitz und Lehen von Staufern, Welfen und Zähringern in Schwaben und Bayern, um 1100 7

Familienbande der Staufer Lange geisterte die romantische Vorstellung herum, die ersten Staufer seien lediglich kleine Adlige oder gar Ministerialen gewesen und erst unter Kaiser Heinrich IV. als Lohn für treue Dienste aufgestiegen. So reizvoll die Geschichte des Aufstiegs vom Tellerwäscher zum Millionär in seiner mittelalterlichen Version auch gewesen wäre, die Realität sah anders aus. Schon aus dem 10. Jahrhundert wissen wir von Eheschließungen zwischen Staufern und den hochadeligen Zähringern. Solche Verbindungen waren nur unter Standesgleichen möglich. Zur gleichen Zeit begegnen Staufer außerdem als Verwalter von Grafschaften, also auf der Ebene des hohen Adels. Hierfür spricht auch die Ernennung eines Mitglieds der Familie zum Pfalzgrafen bei Rhein im Jahr 1030, und besonders die Heirat Friedrichs von Büren (gemeint ist vermutlich eine kleine Burg bei Wäschenbeuren) mit Hildegard von Bar-Mousson (Schlettstadt) im Elsass. Hildegard konnte ihre Herkunft bis zu den Karolingern zurückführen und war mit Päpsten und Kaisern verwandt. Sie brachte ein reiches Erbe im Elsass in das staufische Hausgut ein. 13 Auch diese Verbindung unterstreicht den hohen Adel der staufische Familie. Mit Friedrich I. konnte sie im Jahr 1079 erstmals einen Herzog stellen, Kaiser Heinrich IV. übertrug ihm Schwaben, 14 das bis zum Untergang der Staufer sozusagen in der Familie blieb. Herzog Friedrichs Ehefrau, die Kaisertochter Agnes von Waiblingen, bildete das lebendige Bindeglied zwischen den Familien und übertrug die Bezeichnung Waiblinger auf die Staufer. Diese konnten später ihren Anspruch, die ausgestorbenen Salier zu beerben, u.a. mit dieser Heiratsverbindung begründen. Wie man sieht, kamen auch die Staufer keineswegs aus kleinen Verhältnissen, sondern waren bereits im 10. und 11. Jahrhundert eine traditionsreiche hochadelige Familie, - nicht so alt wie die Welfen und nicht so reich an Besitz und Macht, aber mit ihrer Nähe zur salischen Kaiserdynastie verfügten sie über eine vielversprechende Ausgangsposition für höhere Aufgaben. 8

Abb. 3: Eigengut und Reichslehen der Staufer, um 1200 Kaisertreue Staufer - papsttreue Welfen Während der langen Herrschaft Heinrichs IV., sie währte von 1056 bis zu seinem Tod 1106, erschütterten tiefgreifende Verwerfungen die Ordnung des Reichs und der damaligen Welt. Im sogenannten Investiturstreit ging es um weit mehr als die Frage, wer die Bischöfe einsetzen darf, Kaiser oder Papst. Es ging vielmehr um die Reform zentraler Institutionen der mittelalterlichen Kirche überhaupt: Papst Gregor VII. wandte sich sowohl gegen die Praxis der Ämterhäufung (Simonie) als auch die Laieninvestitur der Bischöfe mit Ring und Stab (als Symbole der weltlichen und der kirch- 9

lichen Macht). Was wie eine theologische Spitzfindigkeit anmutet, betraf vielmehr politische Kernfragen. Bischöfe zu investieren war bis dahin ein zentrales Recht der Könige gewesen. Für sie waren die Kirchenfürsten wichtige Stützen ihrer Macht, sowohl finanziell als auch militärisch. Den Herrschern diesen Zugriff zu entziehen, hieß an den Grundlagen der königlichen Macht im Reich zu rütteln. Herzog Welf IV. von Bayern stand auf der Seite der Reformer um Papst Gregor VII. Als sich die Auseinandersetzung zwischen Kaiser und Papst zuspitzte, der Papst im Jahr 1076 den Kaiser bannte und der Kaiser postwendend den Papst für abgesetzt erklärte, mussten die deutschen Fürsten Farbe bekennen. Zu denen, die sich vom Kaiser abwandten und für den Papst aussprachen, gehörten neben Berthold von Kärnten auch die süddeutschen Herzöge Welf IV. von Bayern und Rudolf von Schwaben (auch bekannt als Rudolf von Rheinfelden). Auf einer Versammlung in Forchheim wählten die Fürsten im März 1077 Rudolf zum Gegenkönig. 15 Unmittelbar darauf entzog der Kaiser den aufständischen Herzögen Rudolf und Welf ihre Herzogtümer. Beide unterwarfen sich diesem Spruch jedoch nicht, weil sie Heinrich nicht mehr als Lehnsherren anerkannten. Der Herrscher versuchte Fakten zu schaffen und behielt Bayern ein. In Schwaben ernannte er 1079 seinen treuen Gefolgsmann Friedrich von Staufen zum Herzog. Bei dieser Gelegenheit gab er ihm, wie bereits erwähnt, seine Tochter Agnes von Waiblingen zur Frau. Drei Jahre später wendete sich das Blatt, als der Gegenkönig Rudolf von Schwaben bzw. Rheinfelden im Kampf fiel. In Süddeutschland tobte ein handfester Bürgerkrieg, bis Herzog Welf IV. endlich 1093 einen Landfrieden vermitteln konnte. Der Welfe war in dieser Zeit politisch sehr erfolgreich, vier Jahre zuvor war ihm bereits ein spektakulärer Coup gelungen, als er seinen Sohn Welf V. mit der erheblich älteren Markgräfin Mathilde von Tuscien verheiratete. Mathilde war Erbin eines strategisch wichtigen Landkomplexes in Oberitalien und großer Ländereien in Lothringen. Die Welfen beherrschten die Alpenübergänge und hielten den Kaiser von sei- 10

nem päpstlichen Gegner fern. 1095 schließlich söhnten sich der Welf IV. und Heinrich IV. aus, Welf erhielt sein Herzogtum zurück. 16 Dass ihm im Jahr 1101 sein Sohn Welf V. nachfolgen konnte, muss man angesichts der heftigen Konflikte in den vorangegangenen 30 Jahren als großen Erfolg für die Welfen werten. Welf V. und sein Bruder Heinrich der Schwarze waren fortan treue Parteigänger des neuen Kaisers Heinrichs V., des letzten der Heinriche von Waiblingen. Das Verhältnis zwischen Staufern und Welfen war in der gesamten Regierungszeit Heinrichs V. kooperativ und friedlich. Kontroverse Königswahlen - friedenstiftende Heiraten 1120 starb Welf V. Sein Bruder Heinrich der Schwarze wurde Herzog von Bayern. Heinrich war mit Wulfhild verheiratet, die von ihrem Vater, dem sächsischen Fürsten Magnus Billung, ein reiches Eigengut um Lüneburg erbte. Ihre Tochter Judith heiratete den zweiten Schwabenherzog aus dem Haus der Staufer, Friedrich, der aufgrund einer Kampfverletzung der Einäugige genannt wurde. Als 1125 die Wahl eines neuen Königs anstand, stellten sich drei Fürsten zur Wahl: Herzog Friedrich II. von Schwaben, Markgraf Leopold III. von Österreich und Herzog Lothar von Sachsen. Jedermann erwartete, dass Heinrich der Schwarze die Kandidatur seines Schwiegersohns unterstützen würde. Doch Heinrich sprach sich überraschend für den Herzog von Sachsen, Lothar von Süpplingenburg aus, der auch gewählt wurde. Dieses Verhalten wurde von der staufischen Partei als Affront angesehen. Doch wie kam es zu dieser Entscheidung? Nicht aus einem Bauchgefühl, wie wir heute sagen würden, die Gründe waren weitaus nüchterner. Heinrich und Lothar hatten sich im Vorfeld der Wahl abgesprochen und eine Hochzeit ihrer Kinder verabredet, und von dieser versprach sich der Welfe bessere Perspektiven für seine Familie als von der Unterstützung der staufischen Verwandtschaft. Heinrichs gleichnamiger Sohn sollte das einzige Kind Lothars, seine Tochter Gertrud, heiraten. Nach Lothars Tod würde Gertrud den Welfen ein reiches Erbe einbringen, einen weitge- 11

spannten Besitzkomplex der Süpplingenburger, Brunonen und Northeimer in Sachsen, der sich gut mit den von Heinrich dem Schwarzen ererbten sächsischen Eigengütern zusammenfügen würde. 17 Die Welfen griffen damit massiv nach Norden aus, in eine ganz andere Richtung als in den vorangegangenen Generationen. König Lothar begünstigte in den folgenden Jahren Heinrich, wo er konnte. Weil die Staufer die Wahlentscheidung nicht akzeptiert hatten, musste Lothar gegen sie zu Felde ziehen, und dies tat er mit tatkräftiger Unterstützung seines welfischen Gefolgsmanns. Es spricht viel dafür, dass König Lothar bereits auf einem Hoftag in Goslar im Jahr 1126 dem Sohn Heinrichs des Schwarzen, Heinrich dem Stolzen, das Herzogtum Sachsen übertrug. Und weil der junge Welfe nach dem plötzlichen Tod seines Vaters im selben Jahr auch Herzog von Bayern wurde, rückte er in eine Stellung ein, die ihn mächtiger machte, als es je ein Fürst im Reich gewesen war. Sein Besitz umfasste neben den beiden Herzogtümern umfangreiche Eigengüter in Schwaben, Bayern, Sachsen und Italien. Lothar hatte mit seiner Vergabepolitik faktisch, wenn auch nicht formal, die Weichen für seine Nachfolge gestellt: Er richtete alles so ein, dass die nächste Wahl auf den Welfen Heinrich den Stolzen zulaufen sollte, der ab 1127 außerdem sein Schwiegersohn war. Auch der jüngere Bruder Heinrichs des Schwarzen, Welf VI., heiratete ein Einzelkind, die Erbtochter Uta von Calw. Über sie kam ein reicher Besitz in Lothringen an die Welfen. Hierbei sahen sich in der Erbfolge die ebenfalls eng verwandten Zähringer und die Staufer übergangen, und erst nach einem Schiedsspruch des Kaisers konnten die Welfen diesen Zuwachs sichern. Andere Streitigkeiten folgten in den 1130er Jahren, und immer standen die Stauferbrüder Friedrich und Konrad gegen die Welfen. Nach dem Tod Kaiser Lothars III. im Dezember 1137 brachen die immer wieder mühsam befriedeten Konflikte wieder auf. Als Pfingsten 1138 in Mainz ein neuer König gewählt werden sollte, war Heinrich der Stolze nicht anwesend, weil er durch einen Grenzkonflikt in Sachsen gebunden war. Eine Minderheit der Fürsten nutzte die Gelegenheit und wählte Kon- 12

rad von Staufen als Konrad III. zum König. Dies kam einem Staatsstreich gleich, weil nur eine kleine Zahl von Fürsten an der Wahl teilgenommen hatte. Es gab jedoch noch keine Reichsverfassung und ebenso wenig genauen Regeln für die Königswahl, und so entschied die normative Kraft des Faktischen. Der mächtige Welfe war ausgebootet worden. Das nun folgende Königtum der Staufer erscheint wie eine gradlinige Fortsetzung der Salierdynastie, dennoch sollten wir berücksichtigen, dass Lothar III. durchaus ein erfolgreicher König war und sein Idee von einer süpplinburgisch-welfischen Herrschaft für die Zukunft auch Kontinuität und erfolgversprechende Entwicklungsperspektiven versprochen hätte, nicht zuletzt, weil sie im Vergleich zur staufischen Position von einer ungleich stärkeren Basis aus hätte operieren können. Unser Bild vom glatten, quasi unaufhaltsamen Aufstieg der Staufer geht auf eine erfolgreiche Propaganda zurück, nicht zuletzt durch den Chronisten Otto von Freising einen Onkel Barbarossas. Dass es schon bei den Zeitgenossen abweichende Meinungen gab, zeigt die Feststellung des Annalista Saxo, der in seiner Chronik monierte, dass man 1138 die Zustimmung vieler großer Fürsten zur Verherrlichung dieses Ereignisses keineswegs einholte. Und, so fuhr er fort, besonders sächsische Fürsten hätten widersprochen. 18 Heinrich der Stolze weigerte sich, dem Staufer zu huldigen. Das wiederum konnte Konrad III. nicht dulden, weil es ihm sämtliche Handlungsspielräume geraubt hätte. Deshalb betrieb er die Absetzung des Welfen, wobei er als Argument ins Feld führte, es sei Unrecht, wenn ein Fürst zwei Herzogtümer innehabe. Dies war mehr ein aggressiv vertretener Anspruch als eine gültige Rechtsauffassung, denn es gab dafür keinen Präzedenzfall und schon gar kein geschriebenes Recht. Dennoch wurde dem Welfen im Verlauf des Jahres 1138 zuerst Sachsen und dann auch Bayern aberkannt. Die Huldigung zu verweigern, wurde als ein Fall von Hochmut (contumacia) interpretiert, Heinrichs Nichterscheinen vor Gericht zog die Acht nach sind, und dieser folgte der Entzug der Reichslehen. Dieses aufwendige Verfahren wurde gegen Heinrich den Stolzen erstmals durchexerziert und wirkte für die Zukunft rechtsbildend. Wehren 13

konnte sich der Welfe dagegen kaum, nur in Sachsen, dem Land seiner Schwiegereltern und seiner Frau, konnte er sich zunächst behaupten. König Konrad gab die beiden Herzogtümer an treue Gefolgsleute neu aus: Sachsen ging an den Askanier Albrecht den Bären, Bayern an den Babenberger Luitpold IV., und gemeinsam mit dem Herzogtum seines Bruders, Schwaben, kontrollierte Konrad III. die wichtigsten Herzogtümer im Reich. Innerhalb eines Jahres hatten sich die Machtverhältnisse auf den Kopf gestellt. Heinrich der Stolze verstarb überraschend im Oktober 1139 in Quedlinburg und wurde im Benediktinerkloster Königslutter an der Seite seines Schwiegervaters Kaiser Lothar III. beigesetzt. Er war seit Generationen der erste Welfe, der nicht in Süddeutschland begraben wurde, was als beginnender Wechsel in der Schwerpunktbildung welfischer Politik gedeutet werden kann. Der Verstorbene hinterließ einen knapp zehnjährigen Erben, der ebenfalls Heinrich hieß Heinrich der Löwe. Der Junge wuchs in Sachsen heran, auf den Eigengütern seiner kaiserlichen Großeltern zwischen Harz und Heide, und wurde von seiner Mutter Gertrud und seiner Großmutter, der Kaiserwitwe Richenza, erzogen. Solange Heinrich unmündig war, vertrat Welf VI. die Ansprüche der Familie, vor allem im Süden. 19 Hier deutet sich eine gewisse Verteilung der Einflusssphären an: Welf VI. kümmerte sich um Besitzungen in Süddeutschland und Oberitalien, Heinrich um den Norden. Und hier brach die Neuorientierung, wie Konrad III. sie angestrebt hatte, zuerst zusammen. Herzog Albrecht der Bär kümmerte sich mehr um den Ausbau seiner Positionen östlich der Elbe (wo er die Mark Brandenburg begründete) als um sein Herzogtum und zerstritt sich mit dem König. 1142 verzichtete Albrecht auf Sachsen, und Konrad III. machte den erst zwölfjährigen Heinrich den Löwen zum Herzog. Gleichzeitig sicherte der König die neuen Loyalitäten durch eine Heirat von Heinrichs Mutter Gertrud mit seinem Stiefbruder Heinrich Jasomirgott. So kamen sich die Familien der Staufer, Welfen und Babenberger wieder näher. 1143 wurde Heinrich Jasomirgott Herzog von Bayern, was umgehend die Ansprüche Welfs VI. entfachte, 14

der sogleich in Bayern einfiel. Heinrich zahlte es mit gleicher Münze heim, und es entbrannten heftige Kämpfe. Sie kamen erst zum Stillstand, als etwas Unerwartetes eintrat: Papst Eugen rief 1146 zum Zweiten Kreuzzug auf. Und nicht nur König Konrad III. nahm das Kreuz, auch Herzog Friedrich von Schwaben, Herzog Heinrich Jasomir- gott von Bayern und Welf VI. beschlossen, an der Seite ihres Königs ins Heilige Land zu ziehen. Unter dem Eindruck der Erfah- rung gemeinsamer Entbehrungen und Kämpfe kamen sich König Konrad III. und Welf VI. offenbar näher und legten ihren Streit bei. In dieser Zeit freundete sich der Welfe auch mit seinem Neffen Friedrich III. von Schwaben an, sie sollen sogar ihre Zelte im Feldlager nebeneinander aufge- stellt haben. 20 Dieser Friedrich war der Sohn Friedrichs des Einäugigen und der Welfin Judith, einer Tochter Heinrichs des Schwarzen und Schwester Heinrichs des Abb. 4: Stifterfigur Heinrichs des Löwen in St. Blasius Stolzen. Judith nimmt für das weitere Geschehen eine Schlüsselposition ein: Durch sie war Herzog Friedrich III. von Schwaben nicht nur Staufer, sondern zur Hälfte auch ein Welfe. Das gute Einvernehmen des jungen Fürsten mit seinem welfischen Onkel hatte später weitreichende Folgen, als es um dessen Erbe ging. Wenige Jahre nach dem gemeinsamen Erlebnis des Zweiten Kreuzzugs starb Konrad III., und die Fürsten wählten 1152 seinen Neffen Friedrich III. von Schwaben zum deutschen König Friedrich I. Friedrich Barbarossa. 15

Ein Vierteljahrhundert fruchtbarer Kooperation Es ist so gut wie sicher, dass sich König Friedrich und sein sieben Jahre jüngerer Vetter Heinrich der Löwe im Vorfeld der Wahl von 1152 getroffen und ihre Interessen abgesteckt haben. Heinrich sicherte darin die vorbehaltlose Unterstützung der Politik Friedrichs zu und erhielt im Gegenzug freie Hand für Sachsen und die Ostkolonisation, besonders was die Besetzung der Bischofssitze in den neu gewonnenen Gebieten betraf. So begann eine Zusammenarbeit auf der Basis von Vertrauen und gegenseitiger Rückendeckung, auf die wohl das Wort von der Männerfreundschaft zutrifft, und die rund ein Vierteljahrhundert lang gut funktionierte. 21 Friedrich erstattete dem Löwen 1154 bei der ersten sich bietenden Gelegenheit das langersehnte Herzogtum Bayern zurück. Damit hatte der Welfe eine Machtstellung errungen, wie sie zuletzt sein Vater innegehabt hatte. Heinrich begleitete den kaiserlichen Vetter mit einem großen Aufgebot auf seinem Italienzug zur Kaiserkrönung, wobei sich der Löwe persönlich mehrfach militärisch auszeichnete. 1156 war für die Welfen die Welt wieder in Ordnung: Welf VI. war Herr im schwäbisch-bayerischen Raum, Herzog von Spoleto, Markgraf von Tuszien und Herr auf Sardinien, Heinrich der Löwe Herzog von Bayern und Sachsen, wo er über umfangreichem Eigenbesitz verfügte. Friedrich Barbarossa gestattete den Verwandten diese Machtfülle, weil sie ihn in seinen imperialen Ambitionen in Italien unterstützten und er ihre Rückendeckung brauchte. Deshalb warf er fast alle Maßnahmen seines Vorgängers über Bord. Zwist brachten in dieser Zeit hauptsächlich religiöse Fragen in die Familien: Heinrich der Löwe unterstützte die zuweilen turbulente Kirchen- und Papstpolitik seines kaiserlichen Vetters, während Welf VI. unverdrossen Parteigänger des vom Kaiser abgesetzten Papstes Alexander III. blieb. Weil nach dem frühen Tod seines Sohnes Welf VII. die süddeutsche Linie der Welfen mit Welf VI. aussterben würde, kümmerte sich der alternde Fürst frühzeitig um sein Erbe und bot die süddeutschen welfischen 16

Besitzungen seinem Neffen Heinrich dem Löwen an. Dieser sah sich als sicherer Erbe und schien täglich mit dem Tod des betagten Verwandten zu rechnen. Deshalb weigerte er sich auch, die vom Onkel geforderte Geldzahlung für die Erbeinsetzung zu entrichten. Als Welf VI. sah, dass vom einen Neffen nichts zu erwarten war, wendete er sich an den anderen, den Sohn seiner Schwester Judith Kaiser Friedrich Barbarossa. Dieser erkannte die große Chance, das staufische Hausgut in Süddeutschland zu arrondieren und griff sofort zu. Damit würde das süddeutsche Welfenerbe nach dem Tod Welfs VI. an die Staufer fallen diesmal kampflos. Obwohl sich Heinrich der Löwe diesen Misserfolg selbst zuzuschreiben hatte, hegte er in dieser Angelegenheit wahrscheinlich doch einigen Groll gegen Onkel und Vetter. Ihn plagten mittlerweile auch Zweifel am Sinn der verbissenen und kostspieligen Italienpolitik seines kaiserlichen Verwandten und Verbündeten, und so ging er langsam und vorsichtig auf Distanz. Kann man die oben erwähnten Erbstreitigkeiten noch als innerwelfische Familienangelegenheit begreifen, so war die Kritik an der kaiserlichen Reichspolitik doch gravierender. Heinrichs Blick ging schon länger nicht in Richtung Alpen, sondern nach Norden und vor allem nach Osten, wo er seine Kräfte konzentrierte und von der sächsischen Ostgrenze aus planvoll seine Machtstellung erweiterte. 22 Dabei ging es nicht um einen Export des Deutschtums, von dem die ältere Geschichtswissenschaft oft genug geraunt hat, sondern ganz zeitgemäß um den Ausbau von Macht mit lehenrechtlichen Methoden, auch wenn hier und dort die Christianisierung der Heiden in den Vordergrund gestellt wurde. 23 Und nicht nur nach Osten ging der Blick des Löwen: Heinrich unterhielt auch engste Kontakte nach England, spätestens seit seiner Hochzeit mit Mathilde, der Tochter des englischen Königs Heinrich II. und Eleonores von Aquitanien, im Jahr 1168. Bei seinen Standesgenossen im Reich machte sich Heinrich der Löwe durch sein energisches Wirken als Herzog von Sachsen nicht nur Freunde. Er organisierte die Kirche in seinem Machtbereich im Sinne der zisterziensischen Klosterreform und nutzte die von ihm direkt abhängigen 17

Ministerialen als effektive Verwaltungs- und Militärelite, - alles Neuerungen, mit denen er viele alteingesessene Rechteinhaber vor den Kopf stieß. 24 Bernd Schneidmüller hat diese Seite Heinrichs treffend charakterisiert als Modernisierer und Brüskierer, innovativer Virtuose der Macht wie unsensibler Autist im Gefüge adliger Gleichrangigkeit. 25 Der Ausbau Braunschweigs und seiner dortigen Residenz auch dies eine Innovation, denn der Kaiser hatte keine solche! zeugt von einem ganz neuen Machtgefühl. Heinrich kopierte mit Dankwarderode kaiserliche Pfalzen wie in Goslar und offenbarte damit sein Selbstverständnis als königsgleicher Fürst in Sachsen. Mit seiner Bautätigkeit in Braunschweig hatte er sich jedoch auch von der Tradition seiner süddeutschen Vorfahren gelöst und in eine andere, sächsische, gestellt, - und so sieht man ihn noch heute. Wer denkt bei Heinrich dem Löwen und den Welfen Abb. 5: Burg Dankwarderode in Braunschweig, im Hintergrund Dom und Stift St. Blasius; Aufnahme um 1900 18

noch zuerst an Ravensburg oder Weingarten? - Friedrich Barbarossa wiederum berief sich auf bayerische Herzöge, auf seinen Urgroßvater Welf IV. und seinen Onkel Heinrich den Stolzen, von denen wir den Ursprung unseres Blutes herleiten. 26 Der Bruch zwischen den Vettern: Chiavenna Im Oktober 1176 erlitt Kaiser Friedrich Barbarossa bei Legnano eine vernichtende Niederlage gegen die oberitalienischen Städte und galt sogar für kurze Zeit als tot. Im Zusammenhang mit dieser Grenzerfahrung hat er wahrscheinlich begonnen, seine Politik in Italien und im Reich gründlich zu überdenken. Mit seiner imperial-autokratischen Methode kam er offenbar nicht zum Erfolg. Der Frieden von Venedig, den er mit dem jahrzehntelang angefeindeten Papst Alexander III. schließen musste, war ein Zeugnis des Scheiterns auf der ganzen Linie. Es war Zeit für einen Politikwechsel, und dafür benötigte er die Unterstützung der Fürsten im Reich. Nur in Abwägung und Konsens konnte zukünftig regiert werden. Hinzu kam für den Kaiser eine sehr persönliche einschneidende Erfahrung, die er ein Dreivierteljahr vor dem Desaster von Legnano mit seinem ältesten, engsten und wichtigsten Verbündeten gemacht hatte, mit Heinrich dem Löwen. Kaiser Friedrich hatte den Herzog, der sich gerade in Bayern aufhielt, zu einem Treffen in die oberitalienische Stadt Chiavenna gebeten, welche damals im südlichsten Zipfel des Herzogtums Schwaben lag. Nach einer Lobrede auf den Löwen und einer Schilderung der Verhältnisse des Reichs in den düstersten Farben kam Friedrich zur Sache und verlangte von dem Welfen, ihm an der Spitze frischer Truppen Waffenhilfe zu leisten. Heinrich lehnte dies ab mit dem Hinweis, dass Friedrich a) sein Heer bereits nach Norden entlassen habe und er ihm b) außerhalb der deutschen Grenzen nicht zur Heerfolge verpflichtet wäre. Dennoch bot er dem Kaiser großzügige finanzielle Hilfe und umfassende logistische Unterstützung an nur keine Kämpfer. 27 Außerdem ließ der 19

Löwe durchblicken, dass er als Gegenleistung die Belehnung mit der reichen Silberstadt Goslar am Harz erwartete. Der Kaiser weigerte sich, wiederholte vielmehr mehrfach eindringlich seine Wünsche - und fiel schließlich vor dem Herzog auf die Knie (Vgl. Abb. 1). Dies war sein allerletztes Mittel, um seine Ansprüche einzufordern. In den von Ritualen geprägten Handlungszusammenhängen des Mittelalters gab es beim Fußfall des Lehnsherren vor dem Vasallen für diesen keine Möglichkeit mehr, den Anspruch des Lehnsherren abzulehnen. Für den Fußfall eines Kaisers gab es historische Beispiele, die auch den Protagonisten bekannt gewesen sein dürften: Heinrich II. setzte damit die Gründung des Bistums Bamberg durch und Konrad II. erzwang mit seinem Fußfall im Jahr 1035 die Anklage gegen den Herzog von Kärnten vor dem Fürstengericht. In all diesen Fällen führten die Kniefälle zum gewünschten Erfolg, ja, sie mussten sogar dazu führen. Denn der Fußfall war als hochaggregierte symbolische Handlung quasi ein Element staatlicher Ordnung. Und gegen diese ungeschriebene Ordnung verstieß Heinrich der Löwe in Chiavenna. Man mag ihm zugute halten, dass er völlig überrascht war und es deshalb versäumte, den knienden Herrscher wieder auf die Füße zu stellen, wie es das korrekte Ritual erfordert hätte. 28 Ganz gleich, wie die Gründe für Heinrichs Verweigerung aussahen, er hatte damit das Tischtuch zwischen sich und seinem Vetter vor aller Welt zerschnitten. Barbarossa konnte unmittelbar nichts gegen den Löwen unternehmen, aber nach seiner Rückkehr aus Italien im Frühjahr 1178 und vor dem Hintergrund seines dort angedeuteten Politikwechsels wurde er aktiv. Zur gleichen Zeit begann der Kölner Erzbischof Philipp von Heinsberg, der kontinuierlich am Ausbau seines Herrschaftsbereichs arbeitete, mit Überfällen auf sächsisches Gebiet. Schon ein Jahr vor ihm hatte der von Heinrich abgesetzte und vom Kaiser wieder inthronisierte Bischof Ulrich von Halberstadt angefangen, Unruhe an der sächsischen Ostgrenze zu stiften. Auf einem Hoftag in Speyer im November 1178 trug Heinrich dem Kaiser seine Vorwürfe gegen die Friedensbrecher vor. Doch dieser ignorierte seine Klage. Im Gegenteil, auf dem nächsten Hoftag in Worms im 20

Januar 1179 beschwerte sich eine Reihe von Fürsten vehement über das aggressive Vorgehen des Sachsenherzogs. 29 Und mit diesem landrechtlichen Anliegen, es ging ja um den Löwen als Friedbrecher, fanden die Fürsten bei Barbarossa Gehör. Heinrich war zu diesem Hoftag trotz Ladung nicht erschienen. Das hätte er besser getan, denn mit seinem Fernbleiben setzte der Welfe einen Automatismus in Gang, der unerbittlich zu weiterem Unheil führte. Als Heinrich auch auf dem nächsten Hoftag im Juni 1179 in Magdeburg nicht erschien, wurde die Acht über ihn verhängt. Gänzlich prekär wurde es, als er im Januar 1180 auch nicht zum Hoftag nach Würzburg kam. Damit war er mehrfach seiner Vasallenpflicht nicht nachgekommen, die ihn zur Teilnahme verpflichtet hätte, und er hatte sich außerdem des Hochmuts (contumacia) schuldig gemacht. Dieser Vorwurf war gefährlich, er konnte leicht in die Nähe eines Majestätsvergehens umgedeutet werden, weil der Welfe dadurch auch die Autorität des Kaisers missachtete. Friedrich Barbarossa nahm in der Gelnhäuser Urkunde von 1180, in der das Ergebnis des Rechtsstreits festgehalten ist, ausdrücklich Bezug auf diese Missachtung, die er [Heinrich] Uns [Barbarossa] gegenüber mehrfach zeigte. 30 Noch etwas anderes mag Barbarossa in seinem strikten Vorgehen gegen den Welfen bestärkt haben: Auf dem genannten Fürstentag in Worms 1179 hatte der Kaiser den Kauf des süddeutschen Welfenerbes feierlich besiegeln können. Ihn bewegte also auch ein persönliches Interesse, diesen Zuwachs an Eigengut gegen den Konkurrenten dauerhaft zu sichern. 31 21

Entmachtung des Löwen Machtverlust auch für den Kaiser Friedrich Barbarossa wollte seinen Vetter wahrscheinlich nicht völlig entmachten, sondern nur nachhaltig zurechtweisen. Doch wo der Kaiser sich bei der Verfolgung des Löwen eher zögerlich anstellte, forcierten die Fürsten, allen voran der Kölner Erzbischof, das Vorgehen. Sie erzwangen ein lehenrechtliches Verfahren, in dem es nicht mehr um Heinrichs angebliche Aggressivität seinen Nachbarn gegenüber ging, sondern um seine Verfehlungen als Vasall seinem Herren gegenüber. Barbarossa war im lehnrechtlichen Verfahren (sub iure feodali) nur Erster unter Gleichen und an den Urteilsspruch seiner Fürsten gebunden. Und diese forderten, dem Welfen alle Reichslehen zu entziehen, namentlich Sachsen und Bayern. Der lehnrechtliche Urteilspruch erlaubte es Friedrich auch nicht, den Sünder in Gnaden wieder aufzunehmen und ihm seine Lehen zurückerstatten, wie es ihm nach einem Prozess nach Landrecht offen gestanden hätte. Damit nicht genug: Der Kaiser stand nun so sehr in der Schuld der Fürsten, dass er die heimgefallenen Lehen nicht für seine Familie reklamieren konnte, um die staufische Hausmacht zu stärken daran hatte keiner der Fürsten ein Interesse. Barbarossa musste die Herzogtümer neu ausgeben. Auf einem Hoftag in Gelnhausen wurde das Herzogtum Sachsen neu vergeben und dabei gleich geteilt: Die westliche Hälfte ging an den Kölner Erzbischof Philipp von Heinsberg, der damit einen beträchtlichen Landgewinn verbuchen konnte. Die östliche Hälfte erhielten die Askanier. 32 Auf einem Hoftag in Altenburg wurde Bayern an den bayerischen Pfalzgrafen Otto von Wittelsbach vergeben. Heinrichs Rückzugsgefechte in Sachsen dauerten noch bis in den Spätherbst des Jahres 1181, dann musste der stolze Welfe sich in Erfurt seinem Vetter geschlagen geben. Diesmal kniete der Welfe vor dem Staufer, und der hob ihn unter Tränen wieder auf. Doch Friedrich konnte ihm keine Gnade erweisen, er hatte den Fürsten im Absetzungsverfahren schwören müssen, den Löwen nie wieder in seine Position einzusetzen. 33 Die Situation Ende 1181 war für die Welfen mehr als ernüchternd. Da Welf VI. kurz zuvor die Anwartschaft auf das süddeutsche Erbe an die Staufer verkauft hatte, blieb Heinrich dem Löwen, der innerhalb kürzester 22

Zeit vom Status eines Reichsfürsten auf den eines einfachen Edelfreien gestutzt worden war, nur das Eigengut seiner Familie um Braunschweig und Lüneburg. 34 Die Welfen standen vor einem Scherbenhaufen. Vor rund zwei Jahren noch die mächtigsten Fürsten im Reich, waren nun die Herzogtümer und das süddeutsche Erbe verspielt. Hatten die Waiblinger damit die welfischen Vettern auf der ganzen Linie besiegt? Friedrich Barbarossa zumindest konnte sich seines Erfolges nicht recht freuen. Er hatte einen über Jahrzehnte treuen Verbündeten, eine wesentliche Stütze seiner Herrschaft, für immer verloren. Als gewiefter Politiker sah er nur zu deutlich, wie sehr dieser Prozess und seine Folgen die Kehrseite seines Politikwechsels nach dem Frieden von Venedig darstellten. Er hatte auf die Mitwirkung der Fürsten gesetzt und war zu ihrem Getriebenen geworden. Er hatte sich in eine Entwicklung gestürzt, die er nicht mehr allein steuern konnte, und aus der er selbst kaum weniger geschädigt hervorging als sein welfischer Vetter. Exil, Rückkehr und Tod Heinrich der Löwe ging nach England ins Exil. Dort lebte er am Hof seines Schwiegervaters König Heinrich II. Sein viertes Kind, Willhelm, kam in Winchester zur Welt. Heinrichs Zweitältester, Otto, erfreute sich der besonderen Fürsorge seines Onkels Richard Löwenherz, der ihn mit der Grafschaft Poitu und dem Herzogtum Aquitanien ausstattete. Schon nach drei Jahren, im Frühjahr 1185, konnte Heinrich der Löwe wieder nach Deutschland zurückkehren. Dort richtete er sich in seinen Erblanden um Braunschweig und Lüneburg ein. In den folgenden Jahren kümmerte er sich um Braunschweig und das dortige Stift St. Blasius, das er reich beschenkte. Wenige Jahre später, 1188, entschloss sich Kaiser Friedrich Barbarossa, am 3. Kreuzzug teilzunehmen. Kaum war der Kaiser abgereist, unternahm Heinrich einen letzten Versuch, seine sächsischen Lande wieder in Besitz zu nehmen. Dies scheiterte jedoch schon im Ansatz, und 23

er musste sich dem Sohn Barbarossas, König Heinrich VI., beugen. Der älteste Sohn des Löwen, der ebenfalls Heinrich hieß, brach schließlich die starren Fronten zwischen den Familien wieder auf. Für alle überraschend und auch ohne Wissen seines Vaters heiratete er Ende 1193 die Stauferin Agnes, Tochter des Pfalzgrafen bei Rhein. Mit ihrer in diesen Kreisen eher seltenen Liebesheirat brachten die Eheleute auch den Brautvater in Verlegenheit, der für seine Tochter andere Pläne gehabt hatte. Nun übernahm Heinrich nach dem Tod des Pfalzgrafen im Jahr 1195 dessen Amt, mit ihm kehrte ein Mitglied der Familie der Welfen in den Kreis der Reichsfürsten zurück. Heinrich der Löwe erlebte diesen Triumph nicht mehr bewusst mit, er starb nach längerer Krankheit am 8. August 1195 in Braunschweig und wurde im Stift St. Blasius an der Seite seiner Gattin Mathilde beigesetzt. 35 Abb. 6: Grabmal Heinrichs, Mathildes und Ottos IV. in St. Blasius 24

Der einzige Welfe auf dem Kaiserthron: Otto IV. Kaiser Heinrich VI. starb überraschend 1197 in Messina. Sein Sohn Friedrich, der spätere Kaiser Friedrich II., war erst drei Jahre alt. Weil es zu riskant erschien, den Knaben durch die in Süditalien ausgebrochenen antideutschen Tumulte hindurch ins Reich zu schaffen, wählten unterschiedliche Fürstengruppierungen 1198 zwei Könige: Friedrich Barbarossas jüngeren Sohn Herzog Philipp von Schwaben - und den Welfen Otto, den zweitältesten Sohn des drei Jahre zuvor gestorbenen Löwen. Diese Situation entbehrte nicht der Ironie: Wie aus dem Nichts war nun doch ein Welfe zum König gewählt, und das in direkter Konkurrenz zu seinem staufischen Vetter - Waiblinger und Welfen im Konflikt, wie man es besser kaum erfinden könnte. Und dieser Welfe war maßgeblich ausgerechnet von einer Oppositionsgruppe um den Kölner Erzbischof auf den Schild gehoben worden. Weil sie durch eine drohende staufischfranzösische Annäherung ein Erliegen des Englandhandels befürchteten, hatten die rheinischen Patrizier den bei ihnen hochverschuldeten neuen Erzbischof gezwungen, den Welfen Otto zu unterstützen, der beste Beziehungen nach England garantieren konnte. 36 Dies zeigt, dass der deutsche Thronstreit zu einer europäischen Angelegenheit geworden war. Die Staufer hatten sich mit den französischen Kapetingern gegen die Welfen und ihre anglonormannischen Partner verbündet. Eine Vorentscheidung schien einzutreten, als Otto von Wittelsbach im Jahr 1208 den Konkurrenten Ottos IV., Philipp von Schwaben ermordete dieser Königsmord ist ein in der deutschen Geschichte beispielloser Vorgang, dessen Hintergründe bis heute nicht geklärt sind. Der Tod des Rivalen verschaffte Otto, der ab 1209 auch Kaiser war, Luft im Kampf gegen seine Gegner, und er konnte wichtige Erfolge verzeichnen. Sein Bruder Wilhelm wurde als Herzog von Lüneburg wieder Reichsfürst, und mit der Übertragung der Güter des Königsmörders an den gleichnamigen Herzog von Bayern brachte der Kaiser auch die Wittelsbacher auf seine Seite. 37 Unterstützung erfuhr Otto im Innern durch alte sächsische Gefolgsleute der Welfen, Anhänger Heinrichs des Löwen, und zeitweise sogar durch die staufischen Verwandten und ihre Anhänger. Seine Außenpolitik richtete 25

sich gegen Frankreich und setzte auf englische Hilfe. Dies war letztlich fatal, weil nach dem Tod von Richard Löwenherz dessen Nachfolger Johann Ohneland nicht in der Lage war, wirksame Unterstützung zu bringen. Die Wahl des mittlerweile 17jährigen Staufers Friedrich II. zum Gegenkönig im Jahr 1211 leitete den Niedergang von Ottos Herrschaft ein. Nach der Niederlage in der Schlacht von Bouvines im Jahr 1214 war das Scheitern der welfisch-anguevinischen Partei besiegelt. Das staufischfranzösische Bündnis triumphierte, und Otto zog sich nach Sachsen zurück. Dort starb im Juli 1218 Otto IV., der einzige Welfe auf dem Kaiserthron. 38 Ottos Nachfolger, der Staufer Friedrich II., führte nach einem turbulenten Jahrhundert eine formelle Versöhnung zwischen Staufern und Welfen herbei, indem er den Neffen Kaiser Ottos, Otto das Kind, zum Herzog des neuen Herzogtums Braunschweig-Lüneburg erhob und die Welfen damit dauerhaft in den Kreis der Reichsfürsten zurückführte. Den Staufern wiederum war nach einem letzten Höhepunkt an Macht und Glanz unter dem genialen Herrscher Friedrich II. kein Glück beschieden. Mit der Hinrichtung des jungen Herzogs Konrad von Schwaben (Konradin) in Neapel im Jahr 1268 erlosch das ruhmreiche Geschlecht im Mannesstamm. Konfrontation als hochadeliges Verhaltensmuster Sicherlich ist das Verhältnis von Waiblingern und Welfen in den rund hundert Jahren zwischen 1125 und 1235 alles andere als konfliktfrei gewesen. Pauschal von einem Epochengegensatz oder einer Dauerfehde zwischen Staufern und Welfen zu sprechen, ist jedoch erheblich zu dramatisch. Hiergegen sprechen schon die zahlreichen verwandtschaftlichen Beziehungen und Eheschließungen zwischen den eng verwobenen Sippen. Wenn es Reibungspunkte gab zwischen ihnen, dann hatten diese entweder mit einem zwar nicht ganz deckungsgleichen, aber sich oft überlappenden Interessengebiet im Voralpen- und Alpenraum zu tun oder mit einer gewissen Konkurrenz um die höchste Position im Reich, wenngleich diese von den Welfen nie wirklich energisch und expli- 26

zit angestrebt wurde. Mehrfach mussten sie jedoch aufgrund ihrer Macht und ihres Einflusses das Zünglein an der Waage spielen, und dabei haben sie Entscheidungen getroffen, die zwar im aktuellen Interesse ihres Hauses waren, sich jedoch gleichzeitig nachteilig für die staufischen Verwandten auswirkten, was wiederum zu Rivalitätsdenken und Revanchegelüsten führte. Doch diese Verhaltensmuster waren nicht spezifisch staufisch-welfisch, sie waren im Hochmittelalter unter den Familien des sich formierenden Hochadels gang und gäbe. Dass Friedrich Barbarossa bei der Entmachtung Heinrichs des Löwen weit über sein eigentliches Ziel hinausschoss, ist weniger ein Indiz für seinen ausgeprägten Willen, einen lästigen Rivalen endgültig auszuschalten, als dafür, dass er in dieser Situation nicht mehr Herr des Verfahrens war. Eine welfisch-sächsische Alternative zum staufischen Königtum Lange haben deutschnational gesinnte Historiker des 19. und 20. Jahrhunderts die Wahl des Sachsen Lothars III. als Betriebsunfall der deutschen Geschichte angesehen und die Kontinuität der Königsherrschaft von den Saliern zu den Staufern betont. Sie taten dies nicht zuletzt aufgrund der erfolgreichen und wirkungsmächtigen Darstellungen staufischer Chronisten. Quellen wie Otto von Freisings Taten Friedrichs prägen mit ihren impliziten und expliziten Werturteilen unser Bild von Friedrich Barbarossa und Heinrich dem Löwen, und damit von Staufern und Welfen insgesamt, bis heute. Wenn es denn einen Betriebsunfall gegeben hat, dann war dies eher der für die Interessen Friedrich Barbarossas kontraproduktive und misslungene Prozess gegen Heinrich den Löwen. Damals wurde der Grundstein gelegt für ein Reich, in dem nicht der König herrschte, sondern die Fürsten, welche nach und nach zu kleinen Königen in ihren mittlerweile erblichen Territorien wurden. Ein starker König mit umfangreichen Eigengütern und als Inhaber mehrerer Herzogtümer - das wäre eine Grundlage gewesen ähnlich wie in Frankreich, wo die Kapetinger, ausgehend von ihrem umfangreichen 27

Besitz in der Île de France, den Grund zum Nationalstaat legen konnten. Ob Deutschland mit dieser Variante besser gefahren wäre, sei dahingestellt. Immerhin war das Heilige Römische Reich über Jahrhunderte eine ruhende Konstante in Europa, geprägt durch Vielgestaltigkeit und eine blühende Kultur, ein Gebilde, vor dem sich kein Nachbar fürchten musste. Dennoch sollten wir die Perspektiven eines welfisch-sächsischen Königtums, das nach dem Tod Lothars III. in greifbarer Nähe lag, nicht von vornherein gering schätzen. Schluss Es bleibt die Frage: Was wurde schließlich aus unseren Protagonisten? Die Staufer sind gescheitert und ausgestorben. Die Welfen regierten das Herzogtum von Braunschweig und Lüneburg, das sie 1235 aus der Hand des Staufers Friedrich II. erhalten hatten, bis 1918. Die Familie machte weiter Karriere: Welfen wurden 1692 Kurfürsten von Hannover und regierten zwischen 1714 und 1837 in Personalunion als Könige von England das Inselreich gleich mit. Sie legten in dieser Zeit die Grundlagen für das Empire, das im 19 Jahrhundert seine Blüte erlebte. Das Kurfürstentum Hannover wurde nach dem Wiener Kongress zum Königreich erhoben und bestand bis zur Niederlage gegen Preußen im Jahr 1866. Das Geschlecht der Welfen hat sich mit generativer Kraft, Zähigkeit und Flexibilität und nicht ohne eine gehörige Portion Glück bis heute behaupten können. Chef des Welfenhauses ist zur Zeit Ernst August, Prinz von Hannover und Herzog von Braunschweig und Lüneburg. Er ist wie seine zweite Gemahlin Prinzessin Caroline von Monaco ein begehrtes Objekt der einschlägigen Regenbogenpresse. Wie auch immer man zu ihm steht, in ihm lebt ein echter Welfe, ein Nachkomme Heinrichs des Löwen. 28