Was kennzeichnet Patenschaftsprojekte? Wichtige Eckpunkte für Aufbau und Umsetzung Andrea Brandt Leiterin der FreiwilligenAgentur KreuzbergFriedrichshain, Koordinatorin im Patenschaftsprojekt biffy Berlin e.v., Sprecherin der LAGFA Berlin, Mitarbeit bei der Berliner Servicestelle der Aktion zusammen wachsen, Austausch und Fortbildung für Patenschaftsprojekte, Broschüre Berlin gewinnt 1:1 bagfa-servicestelle Patenschaften und Mentoring, Broschüre Patenschaftsprojekte ein Modell für Freiwilligenagenturen? Mitglied im Landesnetzwerk Aktiv in Berlin
Begriffsverständnis Patenschaften Wichtige Merkmale von Patenschaften/ Mentoring Der Beziehungsaufbau zu einem Kind/ Jugendlichen (und seiner Familie) oder anderen Personen mit Begleit- / Unterstützungsbedarf steht im Zentrum des Engagements. Überwiegend geht es um 1:1 Beziehungen Es gilt das Prinzip der Freiwilligenarbeit: die Beteiligten erklären sich aus freiem Willen bereit Das Engagement ist deshalb auf eine mittel- bis langfristige Dauer und Regelmäßigkeit ausgerichtet. Diese Form der freiwilligen Tätigkeit setzt eine große Selbständigkeit, individuelle Gestaltungsfähigkeit und bestimmte soziale Kompetenzen der Freiwilligen voraus.
Unterschiede zu anderen Engagementformen Es gibt keine Anbindung an einen Kolleg/inn/enkreis hauptund ehrenamtlicher MitarbeiterInnen und i.d.r. keine regelmäßige Nutzung der Infrastruktur einer Einrichtung, insofern muss die Anbindung an die Organisation hergestellt werden. Der/ die Freiwillige kann die freiwillige Tätigkeit zeitlich, räumlich und ggf. inhaltlich sehr flexibel gestalten. Begleitung und Austausch müssen, um Anbindung und Rückhalt der Pat/inn/en zu gewährleisten, in Patenschaftsprojekten aufwendiger organisiert werden als in anderen Freiwilligenprojekten, weil Begegnung nicht automatisch stattfindet.
Angebots-Spektrum für 1:1-Beziehungen Junge Familien: Starthilfe nach der Geburt, Unterstützung in der Familie, Begleitung für Familien mit Migrationshintergrund Kinder und Jugendliche: zusätzliche Bezugsperson für Lese-/ Sprachförderung, Hausaufgabenhilfe, andere Formen schulischer Förderung, Freizeitunternehmungen, besondere Problemlagen Jugendliche/ junge Erwachsene: Berufsorientierung, Unterstützung bei (Hoch-)Schulabschluss, Praktikums- und Ausbildungsplatzsuche, Studium, Berufseinstieg Erwachsene/ Ältere Menschen: Unterstützung für Menschen mit Behinderung, Flüchtlinge, Erwerbslose, Verschuldete, mit Regelungsbedarf bei Behörden- und Rechtsangelegenheiten, Kranke/ Pflegebedürftige, Sterbebegleitung
Gesellschaftspolitische Effekte von Patenschaften und Mentoring Positive Effekte von Patenschaftsprogrammen auf gesellschaftlicher Ebene können sein: Sie beantworten den steigenden Förderungsbedarf von Kindern insbesondere aus sozial benachteiligten Milieus und aus Migrantenfamilien > Möglichkeit, Integrations- und Bildungschancen zu erhöhen Sie ergänzen veränderte familiäre Strukturen Perspektive für Familien, zeitweise Verantwortung für ihr Kind zu teilen Zivilgesellschaftliches Engagement wird gestärkt und ausgebaut > persönliche Beziehungen ergänzen sinnvoll hauptamtliche Strukturen und bereichern das Zusammenleben in der Gesellschaft Sie unterstützen den Umbau der Bildungslandschaft Individuelle und informelle Wege des Lernens z.b. durch Vermittlung von Erfahrungswissen, gemeinsame Aktivitäten neben Angeboten
Potenziale von Patenschaften Kinder/ Jugendliche, erwachsene Hilfebedürftige bekommen eine zusätzliche Unterstützung, indem sie Jemanden finden, der ihnen Zeit und Zuwendung schenkt, ggf. ihre Stärken fördert und Handlungsmöglichkeiten aufzeigt. Für viele Jungen alleinerziehender Mütter bietet eine männliche Bezugsperson das Rollenvorbild, das sie vermissen. Für Migranten(-kinder) erleichtern deutschsprachige PatInnen Integration und den Zugang zur deutschen Gesellschaft. Die PatInnen können Erfahrungen im Umgang mit Kindern/ Jugendlichen o.a. sammeln, damit ihre eigenen Fähigkeiten weiter entwickeln und neue Dinge über sich selbst lernen. Die Eltern/ Angehörigen erfahren durch eine solche Patenschaft eine hilfreiche Unterstützung, indem sie ihr soziales Umfeld erweitern und so für die eigene Lebenssituation Entlastung finden.
Voraussetzungen für den Aufbau eines Patenschaftsprojekts Erkennen von Bedarf im eigenen Umfeld, Chancen und Grenzen der Patenschaften Die Bildung eines Profils: Definition einer Zielgruppe und des Aufgabenfeldes (z.b. Berufsorientierung für Jugendliche) Zielformulierungen zu verschiedenen Phasen der Patenschaft Öffentlichkeitsarbeit (Freiwilligen- und Zielgruppengewinnung) Pools aufbauen für verschiedene Kombinationsmöglichkeiten Fachlich und sozial kompetente Koordination, Infrastruktur Klärung rechtlicher Rahmenbedingungen Erstellung eines Finanzierungskonzepts/ Anbindung an einen Träger Möglichst kontinuierliche Strukturen und/ oder Durchhaltevermögen Vernetzung mit anderen Patenschaftsprojekten (Voneinander lernen/ Kooperationen)
Patenschaften organisieren - eine komplexe Aufgabe Um gelingende Patenschaften zu organisieren, braucht es eine Reihe von Rahmenbedingungen wie z.b.: Mind. eine/n Koordinator/in mit vielfältigen sozialen Kompetenzen, z.b. Wertschätzung, Empathie, Menschenkenntnis, Rollenverständnis, usw. Infrastruktur und Finanzierung, Klärung von formalen Rahmenbedingungen (Versicherung, Kinder- und Jugendschutz u.a.) Eine klare Struktur für Patenschaftsanbahnung (Auswahlkriterien), -vermittlung (Passgenauigkeit beim Matching) und -begleitung (Gespräche, Supervision, Konfliktbearbeitung) Fortbildungs- und Unterstützungsangebote für PatInnen/ MentorInnen Kontinuität in der Begleitung (für stabile Patenschaften)
Hilfeverständnis in Patenschaften Eine weitere wichtige Voraussetzung, um gelingende Patenschaften zu organisieren, ist ein angemessenes Hilfeverständnis: Rollenverständnis als Unterstützende - sowohl der Koordinator/in (keine Erzieher/in) als auch der Pat/innen (keine Retter ) Der Hilfebedürftigen, dem Ratsuchenden Raum lassen Kein missionarischer Eifer/ Ehrgeiz der Zielerreichung Zurückhaltung bei den eigenen Vorstellungen Keine Angst vor Auseinandersetzungen, Konfliktfreundlichkeit Begegnung auf Augenhöhe / kein Hierarchieverständnis Blick auf die eigenen Grenzen: Koordination > Feststellen können, wer sich nicht für Patenschaften eignet und kommunizieren PatInnen ermuntern > sich selbst nicht überfordern, Rat holen
Herausforderungen für die Koordination Für gelingende Patenschaften müssen die Koordinator/innen eine ganze Menge Faktoren im Blick behalten: Die Grenzen: Patenschaften eignen sich nicht für alle und sind kein Ersatz für professionelle Hilfen (nach SGB) Die Eignung der Beteiligten für eine Patenschaft und füreinander Gute Vorbereitung der Freiwilligen auf ihre Aufgabe Den Verlauf der Patenschaften kennen, unparteiisch intervenieren Den prozesshaften Charakter von Patenschaften mit ständigen Veränderungen, die Flexibilität und permanente Anpassung an die eigene Rolle erfordern Kontinuität fördern durch verschiedene Unterstützungsangebote Transparenz der Organisation für NutzerInnen und Außenstehende Information über ergänzende/ weiterführende Hilfsangebote
Der Weg zur Patenschaft Erstinformation über das Programm und seine Rahmenbedingungen, ggf. Verabredung eines Erstgesprächs Freiwillig engagierte PatInnen/ MentorInnen Ausführliches Erstgespräch zur Lebenssituation und Motivation, um die Eignung für die Aufgabe zu klären, Informationen Vorbereitungs-Workshop auf die Patenschaft (verbindlich) Erziehungsberechtigte mit Kind Jugendlicher/ Mentee Ausführliches Erstgespräch zur Lebenssituation, Motivation und Eignung/ Informationen zum Programm Kontakt-Vermittlung für eine Patenschaft durch Koordination Probephase (4 6 Wochen) Basisphase (mind. 1 Jahr)
Wer eignet sich für Patenschaften? Menschen, die offen für Neues sind, sich auf andere Menschen und Lebenswelten einlassen können und ihnen mit Respekt und Wertschätzung begegnen. Erwachsene, die Interesse an Kindern/ Jugendlichen und ihrer Entwicklung haben, ihnen zugewandt sind In der Regel Kinder/ Jugendliche, die ein bestimmtes Maß an Selbständigkeit und Eigeninteresse an der Beziehung haben Erwachsene - Eltern und potenzielle PatInnen -, die sich ihrer eigenen Lebenssituation bewusst sind, sie reflektieren und ihre Motive benennen können Menschen, die zuverlässig und verbindlich sind, sich an Absprachen halten und regelmäßige Treffen in ihrer Zeitplanung unterbringen können. Menschen, die kommunikativ sind und sich auseinandersetzen können.
Wer eignet sich nicht für Patenschaften? Verschlossene, nicht auskunftsbereite Menschen Potenzielle PatInnen/ MentorInnen, die selbst emotional sehr bedürftig, kontaktarm oder depressiv sind, können ein Kind/ eine Jugendlichen schnell überfordern oder selbst überfordert sein. Eltern, Mentees oder potenzielle PatInnen, die es nicht schaffen, regelmäßige Treffen zu verabreden, weil unzuverlässig und so chaotisch organisiert sind. Eltern, die einer PatIn grundsätzlich misstrauen oder nicht loslassen können. Eltern(-teile), die eine Zweck-bestimmte Patenschaft wollen: kostenloser Babysitter, Haushaltshilfe, Nachhilfelehrer/in oder Wegbegleitdienst (z.b. zum Musikunterricht, Sportverein). Der Beziehungsaufbau braucht gemeinsame, unverplante, zweckfreie Zeit, damit sie sich entwickeln kann. Konfliktscheue oder streitsüchtige Menschen Generell Menschen, die sehr feste Vorstellungen haben, unflexibel und nicht bereit sind, sich selbst weiter zu entwickeln.
Grenzen der Patenschaften Patenschaftsprogramme sind für bestimmte Problemsituationen nicht geeignet: Sie sind kein Ersatz für eine professionelle Familienhilfe oder ambulante Hilfen zur Erziehung im Sinne des Sozialgesetzbuches, wenn eine Familie umfassende Hilfe braucht. Die Familiensituation darf eine/n Pat/in, Mentor/in nicht überfordern. Er/ sie ist i.d.r. nicht pädagogisch oder psychologisch ausgebildet und kann in akuten Krisensituationen von Familien keine umfassende Begleitung im Rahmen einer Patenschaft leisten, wie sie z.b. durch eine Familienhilfe gewährleistet wäre. Versetzen Sie sich als Koordinator/in immer wieder in die Lage von Freiwilligen
Vermittlungsaspekte Auswahl-Kriterien für die Patenschaftsvermittlung ähnliche Wellenlänge hinsichtlich Lebensart, Wertvorstellungen, Grundverständnis gemeinsame Interessen wie z.b. Sportlichkeit, Aktivitäten, musische oder kreative Fähigkeiten geäußerte Vorstellungen von Altersgruppe, Geschlecht, Temperament usw. Wohnortnähe (wenig Zeitaufwand durch kurze Wege) können.
Begleitung für Patenschaften Regelmäßige Rückmeldungen von PatInnen und Eltern über den Verlauf, zu Beginn der Patenschaft häufiger bei Bedarf von PatInnen oder/ und Eltern Einzel- oder gemeinsame Gespräche mit der betreuenden Koordinatorin Ggf. im Konfliktfall Möglichkeit der Mediation/ Supervision durch Externe Möglichkeit der Teilnahme an Austausch-Treffen für PatInnen/ MentorInnen Fortbildungsangebote - z.b. Themenworkshops zu wertschätzender Kommunikation, Beziehungsgestaltung etc. Teilnahme an gemeinschaftlicher Begegnung für alle Beteiligten evt. Angebot für gemeinsame Unternehmungen der Tandems Schriftliche Begleitmaterialien: z.b. Vereinbarung, Leitfäden für PatInnen/ MentorInnen, und Eltern Geordnete Beendigung (Abschlussgespräche)
Qualitätskriterien Erwartungshaltungen mit allen Beteiligten klären: Eltern, PatInnen und Kindern, Jugendlichen/ Rollenklärung Kontinuierliche Begleitung sicherstellen: Kommunikationsangebote, Austausch untereinander, Supervision, Hilfe für Eltern, Fortbildung Blick auf die Qualität der Beziehung: Zeit und direkte Zuwendung durch die begleitenden Freiwilligen, Unterstützung durch Vertrauen, Verständnis, Anregung zu Eigeninitiative und Engagement ehrenamtliche PatInnen dürfen sich nicht überfordert fühlen Familien bzw. Alleinerziehende oder Jugendliche sollten selbst zum Gelingen einer Patenschaft/ Mentorenschaft beitragen von Seiten der Organisation für umfassende Transparenz sorgen (insbes. bzgl. Kinder- und Jugendschutz) Die Organisation informiert über ergänzende Hilfsangebote (z. B. von Trägern der Kinder- und Jugendhilfe etc.), weiterführende Angebote und professionelle Hilfen nicht als Konkurrenz verstehen
Gemeinsamkeiten in der Struktur von Patenschaftsprojekten Planung: Fundraising betreiben/ Finanzierung sichern, personelle Besetzung klären Profil des Projekts definieren: Rahmenbedingungen, Rollenverständnis und Grenzen klären Vorbereitung: Infrastruktur für das Projekt einrichten Öffentlichkeitsarbeit starten: PatInnen und Zielgruppe (z.b. Kinder/Jugendliche, Familien) gewinnen Rahmenbedingungen schaffen: z.b. Formen der Anerkennung, Kinder- und Jugendschutz, Versicherungsschutz Umsetzung: Schulung, Begleitung (tw. Einbeziehung der Eltern/ Angehörigen), Fortbildung für PatInnen (und Zielgruppe) anbieten Weiterentwicklung: Qualitätsmanagement: eigene Qualitätsstandards festlegen/ (tw. Evaluation) mit anderen Patenschaftsprojekten vernetzen/ Austausch pflegen
Gemeinsamkeiten in der Praxis von Patenschaftsprojekten Anschub-Finanzierung zum Aufbau eines Patenschaftsprojekts Kurze bis mittlere Laufzeiten mit dem Anspruch, sich danach aus eigener Kraft zu finanzieren; kaum Anschlussfinanzierungen, Notwendigkeit eines eigenen Fundraisings Koordination als Zentrum der Anbindung und Organisation mit Omnipotenz-Anspruch (soll vielfältige Bereiche abdecken) Ähnlichkeiten in Struktur und Rahmenbedingungen (Aufbau von Pools, Erstgespräch, Eignung/Auswahl, Schulung, Austausch/ Begleitung) Bedarf bestimmter Zielgruppen (z.b. alleinerziehende Familien) mit tendenziell hoher Nachfrage Ungleichgewichte zwischen Zielgruppen- und Pat/innen-Pool, Bemühen um Passgenauigkeit/ Wohnortnähe > Wartezeiten Abhängigkeit von hoher Eigenkompetenz der Beteiligten
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Andrea Brandt Trainerin und Coach, Freiwilligenmanagerin, Koordinatorin, biffy Berlin e.v., Blücherstr. 37 A, 10961 Berlin, Tel. 030 311 66 00 88, Fax - 99 andrea.brandt@biffy-berlin.de www.biffy-berlin.de