Psychische Extrembelastung und Traumatisierung bei der Arbeit Sächsischer Betriebsärztetag 2012
Gliederung 1. Warum dieses Thema? 2. Traumatisierung im Arbeitskontext 3. Symptomatik und Verlauf in den Reaktionen auf traumatische Ereignisse 4. Einordnung in ICD-10 5. Betrachtung der Folgen psychischer Traumatisierung 6. Prävention, Akutintervention und Nachsorge 7. Gefährdungsbeurteilung: Die Prüfliste Psychotrauma 8. Hinweise auf weitere Hilfsmittel, Literatur, Links 2
1. Warum dieses Thema? Wussten Sie schon, dass...... es bei Raubüberfällen im Einzelhandel auch Todesopfer gibt?... sich in Deutschland täglich mehrere Menschen auf Bahngleisen das Leben nehmen?... Rettungsdienstmitarbeiter, Polizisten und Feuerwehrleute nach Extremsituationen oft aufgewühlt sind und manche unter Depressionen leiden?... Pflegekräfte in Krankenhäusern und Heimen häufig tätlichen Angriffen von Patienten ausgesetzt sind?... Behördenmitarbeiter zunehmend den Aggressionen frustrierter Bürger ausgesetzt sind? 3
1. Warum dieses Thema? Traumatische Ereignisse: E x t r e m f ä l l e psychischer Belastung...... mit schwerwiegenden Folgen: menschlich betrieblich kostenseitig Was tun, wenn es hier bei uns passiert? Psychotrauma ist kein Tabuthema mehr, aber im Umgang mit dem Problem gibt es oft noch Unsicherheit. Drei Fallbeispiele: - Lokführer kann Suizid auf den Gleisen nicht mehr verhindern - Kassiererin im Drogeriemarkt erlebt Raubüberfall - Abstimmungsfehler zwischen Kollegen bewirkt schweren Gabelstapler-Unfall 4
2. Traumatisierung im Arbeitskontext Psychische Traumatisierung geschieht durch das Erleben hoch belastender Ereignisse: Konfrontation mit Ereignissen, die den tatsächlichen oder drohenden Tod, ernsthafte Verletzung oder sonstige Gefahr für die Unversehrtheit der eigenen Person oder anderer Personen beinhalten Erleben von starker Angst, Bedrohtsein, Hilflosigkeit, Entsetzen Unfall Tod Gewalt Unfälle / Notfälle Todesfälle, einschließlich Suizid Hilfeleistungen bei schweren Unfällen Gewalttätige Übergriffe bzw. Gewaltandrohung Angriffe durch verwirrte Personen Raubüberfälle Geiselnahmen Schusswaffengebrauch im Dienst... 5
2. Traumatisierung im Arbeitskontext Betroffene: a) Helfer Beschäftigte in der medizinischen und technischen Hilfeleistung Feuerwehr Polizei THW Rettungssanitäter Notaufnahme Beschäftigte, die mit der Unfalluntersuchung betraut sind Sicherheitsfachleute von Unternehmen und Behörden Polizei Laienhelfer 6
2. Traumatisierung im Arbeitskontext Betroffene: b) Opfer (einschließlich Zeugen) Beschäftigte, die unmittelbar Opfer von Unfällen oder Gefahrenlagen werden Beschäftigte, die in Unfälle involviert sind, z. B. Lokomotivführer im Falle eines Schienen-Selbstmörders Beschäftigte in gewaltgefährdeten Arbeitsbereichen Banken, Einzelhandel öffentliche Verkehrsmittel, Taxis Gesundheitswesen Polizei, Grenzschutz, Strafvollzug öffentlicher Dienst, z. B. Sozial-, Jugend-, Arbeitsämter Erziehung und Bildung 7
3. Symptomatik und Verlauf in den Reaktionen auf traumatische Ereignisse Die klassische Trias Wiedererleben des Ereignisses: sich aufdrängende Erinnerungen, Bilder, Gedanken ( Flashback ), Träume, körperliche und psychische Reaktionen auf die Konfrontation mit Hinweisreizen Vermeidungssymptome: Vermeidung von Situationen, Orten, Personen, Gegenständen, die einen Bezug zu dem Ereignis haben;vermeidung von Gedanken, Gefühlen, Gesprächen, geringes Interesse, verflachter Affekt Übererregungssymptome: Anhaltendes erhöhtes Erregungsniveau, erhöhte Reizbarkeit, übermäßige Wachsamkeit, Einschlaf- und Durchschlafstörungen, Konzentrationsschwierigkeiten, Schreckhaftigkeit 8
3. Symptomatik und Verlauf in den Reaktionen auf traumatische Ereignisse Des weiteren können auftreten: psychosomatische Störungen (z. B. akut erhöhter Blutdruck, Kopfschmerzen) abweichendes Verhalten hinsichtlich Essen, Trinken; Genussmittelmissbrauch Beziehungsprobleme Verlauf: Akute Symptomatik: als unmittelbare Auswirkung des Erlebten Kann der Betroffene das Ereignis aus eigener Kraft verarbeiten, klingen die Symptome nach einiger Zeit wieder ab. Unbewältigt kann sich der Zustand verfestigen, insbes. zur posttraumatischen Belastungsstörung. 9
3. Symptomatik und Verlauf in den Reaktionen auf traumatische Ereignisse Zeitlicher Ablauf der Erlebnisverarbeitung Traumatisches Ereignis Neuorganisation Schockphase Einwirkphase Verarbeitungsphase Akute Belastungsreaktion Posttraumatische Belastungsstörung In Anlehnung an Lucas, 2000 In Anlehnung an Lucas, 2000 10
4. Einordnung in die Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme - ICD-10 - Akute Belastungsreaktion [F 43.0]: Vorübergehende Störung, die sich bei einem psychisch nicht manifest gestörten Menschen als Reaktion auf eine außergewöhnliche physische oder psychische Belastung entwickelt und die im allgemeinen innerhalb von Stunden oder Tagen abklingt. Posttraumatische Belastungsstörung [F 43.1]: Verzögerte oder protrahierte (in die Länge gezogene) Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder eine Situation kürzerer oder längerer Dauer, mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde. 11
4. Einordnung in die Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme - ICD-10 - Des Weiteren innerhalb von F43 Reaktionen auf schwere Belastungen und Anpassungsstörungen : F43.2 Anpassungsstörung F62.0 Andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung Diagnostisches und Statistisches Manual Psychischer Störungen DSM IV Ausführliche diagnostische Kriterien für Akute Belastungsstörung [308.3] und Posttraumatische Belastungsstörung [309.81]. 12
5. Betrachtung der Folgen psychischer Traumatisierung Auswirkungen der Posttraumatischen Belastungsstörung und verwandter Störungen Arbeitsunfähigkeit; Berufsunfähigkeit Frühverrentung schwere Beeinträchtigung der Lebensqualität häufig Suchtproblematik erhebliche Störungen in den sozialen Beziehungen betriebliche Probleme gesellschaftliche Kosten Mitunter wird für gefährdete Berufsgruppen vorausgesetzt (auch von den Betroffenen selbst!), die Verarbeitung seelisch schwer belastender Erlebnisse gehöre zum Eignungsprofil. ABER es ist normal, dass Extremerlebnisse körperliche und seelische Reaktionen auslösen. 13
6. Prävention, Akutintervention und Nachsorge Die psychologische Rettungskette Traumatisierendes Ereignis Zeitverlauf Vorsorgemaßnahmen Akuthilfe Nachbetreuung ggf. Therapie ggf. Unterstützung beim Return to Work 14
6. Prävention, Akutintervention und Nachsorge Personalbezogene Vorsorge Vermitteln von Grundwissen, ggf. auch Training Ausbildung von psychologischen Ersthelfern für gefährdete Beschäftigtengruppen Organisationsseitige Vorsorge im Betrieb Gefährdungsbeurteilung Aufbau von Strukturen zur Prävention und Versorgung im Betrieb, z. B. Aufstellen eines Notfallplanes Kontaktaufnahme mit externen Partnern, wie Unfallfallversicherungsträger, Kriseninterventionsdienste, Polizei 15
6. Prävention, Akutintervention und Nachsorge Maßnahmen der Akuthilfe - Begleiten, Schützen, Stützen - Akuthilfe kann geleistet werden durch Kollegen (am besten psychologische Ersthelfer), Vorgesetzte (z. b. Notfallmanager, Teamchef), Notfall-Seelsorge, Kriseninterventionsdienste. Psychologische Betreuung: Nachgespräch - Informieren, unterstützen - Ausführende können sein: psychosoziale Fachkräfte, sonstige Personen mit entsprechender Ausbildung 16
6. Prävention, Akutintervention und Nachsorge Therapeutische Behandlung wenn vom Betroffenen gewünscht 5 probatorische Sitzungen werden vom Versicherungsträger gewährt; weitere Behandlung nach Genehmigung Unterstützung bei der Rückkehr in die Beschäftigung wenn vom Betroffenen gewünscht z. B. Begleitung bei Wiederaufnahme der Tätigkeit, in der es zu der Traumatisierung gekommen war 17
7. Gefährdungsbeurteilung: Prüfliste Psychotrauma Die Prüfliste Psychotrauma liegt innerhalb der Handlungshilfe Beurteilung der Arbeitsbedingungen in der Bundesverwaltung, Version 3.1, vor.* Herausgeber: Zentralstelle für Arbeitsschutz beim Bundesministerium des Innern und Unfallkasse des Bundes * Separate Papierveröffentlichung ist in Planung. Fragebereiche: 1) Besteht eine Traumagefährdung bei der Arbeit? 2) Sind die organisatorischen Rahmenbedingungen geschaffen, um mit den Trauma-Gefährdungen umzugehen? 3) Sind Vorsorgemaßnahmen getroffen? 4) Ist die Betreuung nach einem Ereignis gesichert? 18
8. Hinweise auf weitere Hilfsmittel, Literatur, Links a) INQA Broschüren mit Schwerpunkt auf dem Aufbau von Strukturen zur Prävention und Versorgung im Betrieb Webseite www.inqa-trauma-praevention.de (reichhaltiger Faktenspeicher, FAQ, Downloads, Literatur, Links,...) b) DGUV Sammlung von Praxishilfen zum Thema Psychotrauma unter http://www.dguv.de/inhalt/praevention/fachaus_ fachgruppen/wirk/documents/prod_psychotr.pdf z. B. GUV-I 8804 Notfallmanagement (Unfallkasse Sachsen) Notfallmappe Betreuung traumatisierter Mitarbeiter (UK Post und Telekom) Broschüre Psychisch belastende Ereignisse bewältigen (DB mit EUK) 19
8. Hinweise auf weitere Hilfsmittel, Literatur, Links Empfehlungen der Gesetzlichen Unfallversicherung zur Prävention und Rehabilitation von psychischen Störungen nach Arbeitsunfällen einschl. - Modellverfahren zur Einbindung von ärztlichen und psychologischen Psychotherapeuten in das berufsgenossenschaftliche Heilverfahren bei psychischen Gesundheitsschäden - Qualifikationsanforderungen, Anforderungen an Ausbildung und Referenten für betriebliche Psychologische Erstbetreuer; Einsatzkriterien und Aufgabenumfang der Erstbetreuer Arbeitsmedizinische Empfehlung Psychische Gesundheit im Betrieb des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales einschl. Abschn. Prävention posttraumatischer Belastungsstörungen 20
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