Neue Freiheiten und mehr Verantwortung Ich heiße Maria Fernanda Bravo Rubio. 2012 schloss ich mein deutsches Abitur an der Humboldtschule Caracas in Venezuela erfolgreich ab. Zurzeit studiere ich an der Freien Universität Berlin. Das Motivationsstipendium erhielt ich für das Wintersemester 2013/2014. Nach dem Schulabschluss war ich mir nicht sicher, wie meine Zukunft aussehen soll. Ich hatte mir zwar immer gewünscht, in Deutschland zu studieren, gleichzeitig fiel es mir aber auch sehr schwer, Venezuela zu verlassen. Dort gibt es viele politische, wirtschaftliche und soziale Probleme. Der Gedanke, Venezuela in dieser schlechten Lage zu verlassen, hat mir immer wehgetan. Es hat sich so angefühlt, als würde ich nicht für den Wohlstand meines Heimatlandes kämpfen. Allerdings haben mich meine Eltern und Lehrer bei dem Entschluss unterstützt, im Ausland zu studieren. Direkt bei meinem ersten Berlinbesuch habe ich mich in die Stadt verliebt. Damals hatte ich auch die Uni besichtigt und seitdem davon geträumt, irgendwann dort zu studieren. Wir hatten in Venezuela einige Informationsveranstaltungen über deutsche Hochschulen. Vorgestellt wurden zum Beispiel Marburg, München und Bonn. Berlin war leider nicht dabei. Die Studentin, die die Philipps-Universität Marburg vorgestellt hatte, war eine ehemalige Schülerin meiner Schule. Ihre Eltern kennen meine auch ganz gut. Sie riet mir ebenfalls, nach Deutschland zu gehen. Außerdem empfahl sie mir, zunächst nach Marburg zu ziehen, da ich dort eine gute Beratung und Unterstützung von ehemaligen venezolanischen Klassenkameraden haben würde. Ich folgte ihrem Rat, war aber schließlich nicht ganz zufrieden mit dieser Entscheidung. Durch die große Gruppe venezolanischer Freunde hatte ich nur wenig Kontakt zu deutschen Studenten. Und ich musste immer an Berlin denken. Allerdings hatte ich Angst, mich an der Freien Universität Berlin zu bewerben und habe die Bewerbung immer wieder hinausgezögert. Als ich dann schließlich den Mut zu einem Studentenleben in Berlin hatte ohne meine vertrauten venezolanischen Freunde, war die Bewerbungsfrist für das Wintersemester 2012/13 abgelaufen. So musste ich noch ein Jahr warten, um meinen Wunsch zu verwirklichen.
Schwierige Organisationsphase Nicht nur die Entscheidung für eine Uni war schwer, auch die Auswahl des Fachs fiel mir nicht leicht. Alles ist unkomplizierter, wenn man weiß, was man will. Allerdings müssen ausländische Studierende viele organisatorische Dinge klären, von denen sie nicht wissen, wie diese funktionieren. Beispielsweise haben sie meistens keine Ahnung von der Wohnungssuche in Deutschland, sie wissen nicht, was bei der Ausländerbehörde alles geregelt werden muss oder wie ein Bankkonto eröffnet und ein Handy-Vertrag abgeschlossen wird. Ähnlich sieht es bei der Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln oder dem Abholen einer Mensakarte aus. Für manche bleiben einige dieser Dinge bis zum Schluss ihres Aufenthalts ungeklärt. Ohne die Hilfe meiner Freunde in Marburg wäre ich verloren gewesen. Dabei ist das Regeln dieser Angelegenheiten äußerst wichtig und man sollte eigentlich schon vor der Abreise nach Deutschland erklärt bekommen, wie sie zu meistern sind. Prinzipiell war es aber hilfreich, dass ich ein deutsches Abitur in Venezuela gemacht habe. Das hat mir viele Türen in Deutschland geöffnet. Ansonsten hätte ich erst viel Zeit in das Lernen der Sprache und das Absolvieren eines Studienkollegs investieren müssen. Genauso muss ich zugeben, dass mir das Jahr in Marburg richtig viel gebracht hat. Ich war damals noch nicht darauf vorbereitet, alleine zu wohnen. Dank meiner in Marburg gemachten Erfahrungen konnte ich mich langsam an die Trennung von meiner Familie, meinen Freunden und meiner Kultur gewöhnen. Am Anfang fiel mir das sehr schwer. Auch das Klima spielte dabei eine Rolle: In Caracas sind es oft 30 Grad Celsius, in Deutschland wurde es im Winter hingegen bis zu minus 21 Grad Celsius kalt. Erst nach mehreren Sommermonaten fiel mir das Leben leichter. Außerdem sagte ich mir, dass ich mich weniger auf Dinge konzentrieren sollte, die mit Venezuela zu tun haben. Ich wollte eher meine neuen Freiheiten und Verantwortungen genießen. Selbstständigkeit ist gefragt Das Motivationsstipendium war nicht entscheidend für meine Wahl, nach Deutschland zu gehen. Es war aber dennoch unglaublich hilfreich und wichtig für mein Studium. Mit diesem Geld hatte ich die Möglichkeit, mir endlich einen neuen Computer zu leisten, der nicht zu schwer ist, um ihn zur Universität mitzunehmen. Außerdem werde ich die zwei kommenden Semesterbeiträge an der Freien Universität Berlin mit dem Geld bezahlen. Das Motivationsstipendium war also entscheidend für meine erfolgreiche Studienfortsetzung und nahm mir eine große Last.
Trotz dieser finanziellen Unterstützung war die Umstellung vom gewohnten Schul- hin zum Universitätsalltag nicht leicht. Man muss viel selbstständiger agieren und trägt selbst Verantwortung. Wenn man sich zum Beispiel nicht von Beginn an mit dem Stoff der Vorlesungen auseinandersetzt, wird es am Ende unmöglich, alles aufzuholen. Man sollte sich daher schnell von den Schulgewohnheiten trennen und rechtzeitig beginnen, intensiv zu lernen, um am Ende erfolgreich sein zu können. Zusätzlich ergeben sich auch Veränderungen außerhalb des Universitätslebens. In Venezuela musste ich weder waschen, einkaufen, kochen, putzen, abspülen. Auch Rechnungen hatte ich nicht zu bezahlen. Meine einzigen Aufgaben bestanden darin, zur Schule zu gehen und gute Noten zu schreiben. Jetzt bestehen die größten Herausforderungen beim Allein-Wohnen für mich darin, einerseits den Haushalt verantwortungsvoll zu führen und mich andererseits gewissenhaft auf die Prüfungen vorzubereiten beziehungsweise zu konzentrieren. Und schließlich sollte man auch noch sein soziales Leben irgendwie regeln und weiterführen. Der Spaß sollte dabei nie zu kurz kommen, weil der Alltag sonst schnell eintönig, stressig und frustrierend werden kann. Um mich wohlzufühlen, hat mir am meisten das Kennenlernen vieler netter Leute an der Uni geholfen, die in einer ähnlichen Situation sind. Man hilft sich gegenseitig, unterstützt sich, baut sich auf und lenkt sich auch ein bisschen von der großen Verantwortung ab. Zu Beginn wusste ich noch nicht, welche Erwartungen ich an mein Studium im Ausland haben sollte. Auch nicht, wovor ich am meisten Angst haben sollte: Davor, meine Familie und mein Land zu verlassen, um alleine zu wohnen oder davor, alleine für mein Handeln verantwortlich zu sein und niemanden zu haben, der mir sagt, was richtig oder falsch ist. In Venezuela es ist nicht üblich, mit 18 Jahren von zu Hause auszuziehen. Dort bleiben grundsätzlich alle Kinder bei ihren Eltern, bis sie einen guten Job gefunden haben und ihre Miete selber bezahlen können. Bei der heutigen Situation in Venezuela und den hohen Mieten und Kaufpreisen ist das frühestens mit 30 Jahren der Fall. Daher war es für mich schon eine große Herausforderung, mit 18 Jahren von zu Hause auszuziehen und mich um mich selbst kümmern zu müssen. Man braucht schon ein bisschen Zeit, um diese Ängste zu überwinden. Das alles ist nicht einfach, aber machbar. Und nach einer gewissen Zeit sollte man anfangen, sich auf die Vorteile zu konzentrieren. Hilfreich war außerdem, dass ich schon vor meinem Studium mehrmals für kurze Zeit in Deutschland gelebt hatte. So hatte ich zumindest vage Vorstellungen von meinem Leben hier. Ich wusste, dass ich hier ein Leben ohne Angst vor Kriminalität haben kann. Das ist auch einer der wichtigsten Gründe für meine Eltern gewesen, mich nach Deutschland zu schicken. Diese Erwartungen wurden
erfüllt: Nachts kann ich mich frei auf den Straßen bewegen, ohne mich unsicher zu fühlen. Es ist mir sehr wichtig, dass sich meine Eltern keine Sorgen machen müssen. Start ins Studium Was die Hochschulsysteme betrifft, gleichen sich das deutsche und venezolanische im Großen und Ganzen. Der größte Unterschied besteht für mich im Benotungssystem. In Venezuela setzt sich die Note am Ende eines Semesters aus mehreren Klausuren sowie Hausarbeiten und Referaten zusammen. In Deutschland gibt es am Ende eines Semesters meist eine Klausur, die ausschlaggebend ist. Das setzt mich sehr unter Druck. Gerade im ersten Semester war das eine große Herausforderung. Allerdings hoffe ich, mit dem Druck im Laufe der Zeit besser umgehen zu können. Fachlich gefällt mir mein BWL-Studium hingegen gut genauso die vielen Jobmöglichkeiten, die sich daraus ergeben. Die Themen sind sehr interessant und die meisten Professoren versuchen, mit aktuellen Beispielen aus dem alltäglichen Leben den Stoff zu veranschaulichen. Mir gefällt außerdem, dass an der Freien Universität in mehreren Studienmodulen Veranstaltungen nur für Ausländer angeboten werden. Das ist sehr hilfreich, da es sehr schwierig ist, den gesamten Stoff in einer fremden Sprache zu lernen. Mit diesem Angebot wird das Niveau der ausländischen Studierenden angehoben und dem der Deutschen ein bisschen angeglichen. In sozialer Hinsicht haben mir die Orientierungswoche an meiner Universität und die Ersti-Fahrt sehr gut gefallen. Bei diesen Gelegenheiten habe ich meinen aktuellen Freundeskreis kennengelernt. Deswegen würde ich dieses Angebot allen ausländischen Studierenden auch uneingeschränkt weiterempfehlen. Gerade am Anfang, wenn es noch etwas unangenehm ist, dass man niemanden kennt, muss man sich sagen: Alle hier sind Erstsemester und haben das gemeinsame Ziel, Freunde zu finden. So bin ich sehr zufrieden mit meinem Leben in Deutschland. Schnell habe ich mich weiterentwickelt, bin selbstständiger geworden und habe neue Freunde gefunden. Ich fühle, dass ich als Mensch gewachsen bin. Ich kann jetzt besser mit verschiedensten Menschen aus den unterschiedlichsten Kulturen umgehen. Ich habe den richtigen Studiengang gefunden, wohne in der für mich passenden Stadt und bin an der richtigen Universität, die mich zu einem erfolgreichen Berufsleben führen kann. Alles, was ich jeden Tag in Deutschland lerne und erlebe, weiß ich sehr zu schätzen. Es hat einen sehr hohen Wert für mich, hier studieren zu können das motiviert mich. Ich versuche, das Beste aus jeder Situation zu ziehen, möchte viel lernen und am Ende meinen Bachelor erfolgreich abschließen.
All meine gemachten Erfahrungen möchte ich außerdem ab dem kommenden Jahr anderen Erstsemestern zur Verfügung stellen. Es wäre mir außerdem eine Ehre, mein Wissen auch an junge Schülerinnen und Schüler meiner ehemaligen Schule weitergeben zu können. Gerne möchte ich die Freie Universität Berlin in Venezuela vorstellen. Nach dem Bachelor möchte ich übrigens noch einen Master machen. Allerdings weiß ich momentan noch nicht, welchen Schwerpunkt dieser haben soll. Ich freue mich aber darauf, es herauszufinden. Maria Fernanda Bravo Rubio hat die Humboldtschule Caracas in Venezuela besucht. An der FU Berlin studiert sie Betriebswirtschaftslehre. Das Motivationsstipendium erhielt sie im Wintersemester 2013/2014.