Kopfschmerz und die HWS Matthias Keidel Neurologische Klinik Bezirkskrankenhaus Bayreuth DGN-Fortbildungsakademie Mannheim, 24.09.2010 matthias.keidel@bezirkskrankenhaus-bayreuth.de
Kopfschmerz und die HWS Zervikogener Kopfschmerz Posttraumatischer Kopfschmerz nach HWS-Beschleunigungsverletzung nach HWS-Trauma A. vertebralis Dissekat Kraniozervikale Dystonie Retropharyngeale Tendinitis
Zervikogener Kopfschmerz Epidemiologie Prävalenz Gesamtpopulation: ~ 2,5 % Kopfschmerzpopulation: 14-16% Erkrankungsalter 25.-40. LJ Geschlechterverhältnis 2-3:1 (w:m)
Zervikogener Kopfschmerz Pathogenese Konvergenzprinzip Gelenke (atlantooccipital, atlantoaxial, zygapophyseal, Bandscheibe C2-C3) Bänder (atlantoaxial, Membrana tectoria) Muskeln (subokzipital, prävertebral, Mm. sternocleidomastoideus, trapezius, semispinalis, splenius und multifidus ) Dura mater (oberes Rückenmark, hintere Schädelgrube)
Zervikogener Kopfschmerz Klinik Haupt-Kriterien I) Klinische Hals- und Nackensymptome: a) Reproduzierbare Schmerzprovokation durch i) Halsbewegung und/oder anhaltende Kopfposition ii) externen Druck auf ipsilaterale obere Zervikal- oder Okzipitalregion b) Verminderte HWS-Beweglichkeit c) Ipsilateraler Hals/Nacken-, Schulter oder nicht-radikulärer (selten radikulärer) Armschmerz II) Bestätigung durch diagnostische lokalanästhetische Blockaden III) Einseitigkeit der Kopfschmerzen ohne Seitenwechsel IV) Kopfschmerz-Charakteristik: a) moderat bis schwer, nicht pulsierend, nicht lanzinierend, beginnend im Nacken b) variable Dauer der Episoden oder fluktuierender, kontinuierlicher Kopfschmerz
Zervikogener Kopfschmerz Klinik V) Kriterien mittlerer Bedeutung: a) Kein oder geringer Effekt von Indomethacin b) Kein oder geringer Effekt von Ergotamin oder Sumatriptan c) Weibliches Geschlecht d) Anamnestisch aufgetretenes Kopf- oder Hals-/Nackentrauma VI) Kriterien geringer Bedeutung: a) Übelkeit b) Photo- und Phonophobie c) Schwindel d) Ipsilaterales Verschwommensehen e) Schluckstörungen f) Ipsilaterales periokuläres Ödem
Zervikogener Kopfschmerz Klinik Untersuchung Konstante Einseitigkeit des Kopfschmerzes Reproduzierbare Provokation durch bestimmte Kopfbewegung Druck auf umschriebene Areale (NAP N. occipitalis major, okzipitale Sehnenansätze)
Zervikogener Kopfschmerz Differentialdiagnose Angeborene anatomische Anomalien des kraniozervikalen Übergangs Arnold-Chiari-Malformation, Klippel-Feil- Syndrom, atlanto-axiale Dislokation, Atlasokzipitalisation, basiläre Impression Degeneration Traumafolgen Entzündliche Erkrankungen Neoplasien: Vertebral-extradural Intradural-extramedullär Intramedullär Bandscheibenprotrusion, ~prolaps, zervikale Spondylose Fraktur, Dislokation, Instabilität Spondylitis, rheumatoide Arthritis Metastasen, Lymphome Neurinom, Meingeom Astrozytom,Ependymom, Hämangioblastom
Zervikogener Kopfschmerz Diagnostik Konventionelles HWS-Röntgen Statisch, tomographisch, Funktionsstellung zur Darstellung von Hyper- oder Hypomobilität CT/MRT Bei entsprechendem klinischen Befund Ausschluss kraniozervikaler Pathologien, Beurteilung der Nervenwurzeln Cave: kein spezifischer Befund, keine Korrelation mit klinischem Bild
Zervikogener Kopfschmerz Diagnostik Diagnostische Blockade: in typischer, mindestens mittelschwerer Attacke z. B. 0,5 1,5 ml Bupivacain, Placebokontrolle NAP Nn. occipitalis major/minor, Facettengelenke C2/C3, segmentale Nervenwurzeln mind. zweimalige deutliche Schmerzreduktion auch in nicht direkt anästhesierten Arealen
Zervikogener Kopfschmerz Therapie Multimodal Pharmakologisch Manipulativ Anästhesiologisch-interventionell Chirurgisch bei symptomatischen Ursachen
Zervikogener Kopfschmerz Therapie Pharmakotherapie Nichtsteroidale Antirheumatika (NSAIDs) (Trizyklische) Antidepressiva Membranstabilisatoren Muskelrelaxantien
Kopfschmerz und die HWS Zervikogener Kopfschmerz Posttraumatischer Kopfschmerz nach HWS-Beschleunigungsverletzung nach HWS-Trauma A. vertebralis Dissekat Kraniozervikale Dystonie Retropharyngeale Tendinitis
Posttraumatischer Kopfschmerz Definition nach IHS-Kriterien* 5.3 Akuter KS nach HWS-Beschleunigungstrauma 5.4 Chronischer KS nach HWS-Beschleunigungstrauma 5.6 KS nach anderem Kopf- oder HWS-Trauma 5.6.1 akuter KS 5.6.2 chronischer KS *International Headache Society, 2. Auflage
Posttraumatischer Kopfschmerz Definition nach IHS-Kriterien*, HWS-BV Beginn < 7 Tage Dauer Akut Chronisch < 12 Wochen > 12 Wochen *International Headache Society, (2.Aufl.)
HWS-Beschleunigungsverletzung Posttraumatisches Syndrom Nackenschmerz Nackensteife Kopfschmerz Veg. Beschwerden Halsmuskelschmerz Neurasthen. Beschwerden Kopfschwere Schwindel Armbeschwerden Kreuzschmerz Hörstörungen Handsymptome Sehstörungen Klossgefühl Schluckschmerz Rauher Hals Kieferschmerz Mundbodenschmerz 4 4 7 6 12 27 25 21 20 20 N = 80 39 49 60 71 70 89 87 100 Keidel M. In Brandt Th, Dichgans J, Diener HC (eds) Therapie und Verlauf neurologischer Erkrankungen. Kohlhammer, 1998
Posttraumatischer Kopfschmerz, HWS-BV Typologie Kopfschmerz vom Spannungstyp (85%) Zervikogener Kopfschmerz Migräne-ähnlicher Kopfschmerz Clusterkopfschmerz-ähnliche Schmerzen Kopfschmerz bei Skalp- oder Kalottenverletzung Symptomatischer Kopfschmerz bei intrakranieller Blutung (SDH, SAB, ICB) oder Druckerhöhung
Posttraumatischer Kopfschmerz, HWS-BV Pittfals in der Diagnostik Anamnese: einseitiger Nackenschmerz (Vertebralis-Dissekat) einseitiger Halsschmerz (Carotis-Dissekat) einseitiger Gesichtsschmerz und/oder periorbitaler Schmerz (Schmerzprojekion bei Carotis-Dissekat) seitenbetonter Kopfschmerz (SDH, cave: Alkoholiker, Marcumar-Patienten,Kontaktverletzung mit SHT) seltene posttraumatische Kopfschmerzformen (CH, Migräne, CEH) Vorliegen einer Erinnerungslücke (SHT)
Posttraumatischer Kopfschmerz, HWS-BV Erstkontakt-Dont s Fehlende Annahme des Patienten Bagatellisierung des Schmerzes Mißtrauische Einstellung (Simulation?) Fehlende Aufklärung über gute Prognose Nichtbeachtung der Risikofaktoren-Checkliste
Posttraumatischer Kopfschmerz, HWS-BV Multimodale Therapie Medikamentöse Therapie Nicht-medikamentöse Therapie Physiotherapie Physikalische Therapie Roborierende Therapie Schmerzpsychotherapie
Posttraumatischer Kopfschmerz, HWS-BV Medikamentöse Therapie Akutes posttraumatisches zervikozephales Schmerzsyndrom: Acetylsalicylsäure Paracetamol Ersatz: Ibuprofen Naproxen 500-1000 mg/d (max. 1500 mg/d) 500-1000 mg/d (max. 1500 mg/d) 400-800 mg/d, 500-1000 mg/d Magenschutz, Keine Mischpräparate (MIKS)!
Posttraumatischer Kopfschmerz, HWS-BV Medikamentöse Therapie Chronischer posttraumatischer Kopfschmerz vom Spannungstyp: Amitriptylin Amitriptylinoxid Maprotilin Alternativ: Doxepin Imipramin 25-100 mg/d 30-90 mg/d 25-75 mg/d 50-100 mg/d (max. 150 mg/d), 75-100 mg/d (max. 150 mg/d)
Posttraumatischer Kopfschmerz, HWS-BV Verlauf-Dont s Zu späte Wiedervorstellung Unkontrollierte Patientenführung Zu später Beginn Hands on Physiotherapie Physikalische Therapie Roborierung Zu späte Klärung Psychosoziale Probleme Forensik
Posttraumatischer Kopfschmerz, HWS-BV Therapiekonzept mit aufgeschlossener Annahme des Patienten Aufklärung über gute Prognose Aufforderung zu aktiver Therapiegestaltung möglichst frühzeitigem Beginn aktiver HWS-Mobilisation und krankengymnastischer Behandlung keiner o. möglichst kurzzeitiger Verordnung einer Cervikalstütze möglichst kurzzeitige AU engmaschige Wiedervorstellungen
Posttraumatischer Kopfschmerz, HWS-BV Therapiekonzept mit möglichst kurzfristige Analgesie (< 4 Wochen) möglichst früher Beginn thymoleptischer Schmerztherapie Anwendung von Muskelentspannungstechniken frühzeitiger Beginn von Schmerzpsychotherapie rasche Klärung/Abschluss forensischer Fragen Trennung von Behandlung und Begutachtung
Kopfschmerz und die HWS Zervikogener Kopfschmerz Posttraumatischer Kopfschmerz nach HWS-Beschleunigungsverletzung nach HWS-Trauma A. vertebralis Dissekat Kraniozervikale Dystonie Retropharyngeale Tendinitis
Kopfschmerz und die HWS A. vertebralis Dissekat Klinik Akuter Nacken/Kopfschmerz Ipsilateral und zeitnah zur Dissektion Diagnostik Dissektionsnachweis Duplex, MRT, MRA, Spiral-CT, Angiographie Verlauf Remission innerhalb eines Monats
Kopfschmerz und die HWS Zervikogener Kopfschmerz Posttraumatischer Kopfschmerz nach HWS-Beschleunigungsverletzung nach HWS-Trauma A. vertebralis Dissekat Kraniozervikale Dystonie Retropharyngeale Tendinitis
Kopfschmerz und die HWS Kraniozervikale Dystonie Klinik Cervikales Krampf/Spannungsgefühl Occipitale/holocephale Ausstrahlung Diagnostik Muskuläre Hyperaktivität Schmerzquelle Muskel Verstärkung durch Muskelkontraktion, Bewegung, Stellung, äußeren Druck Zeitgleicher Beginn von muskulärer Hyperaktivität und Kopfschmerz Verlauf Remission innerhalb von 3 Monaten bei Behandlung der Grunderkrankung
Kopfschmerz und die HWS Zervikogener Kopfschmerz Posttraumatischer Kopfschmerz nach HWS-Beschleunigungsverletzung nach HWS-Trauma A. vertebralis Dissekat Kraniozervikale Dystonie Retropharyngeale Tendinitis
Kopfschmerz und die HWS Retropharyngeale Tendinitis Klinik Uni- oder bilateraler nicht-pulsierender Nackenschmerz Occipitale/holocephale Ausstrahlung Diagnostik Dicke der prävertebralen Weichteile (HWK1 HWK4) > 7mm (Röntgen) Schmerzverstärkung bei Retroflexion Verlauf Remission innerhalb von 2 Wochen bei Behandlung mit nicht-steroidalen Antiphlogistika
Kopfschmerz Therapieempfehlungen der Deutschen Migräne und Kopfschmerzgesellschaft www.dmkg.org Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie www.dgn.org Kopfschmerz-Management in der Praxis www.thieme.de