DR. LÖER DR. TREDER UND KOLLEGEN PRÄANALYTIK. Herausgeben von. Hans Peter Seelig

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DR. LÖER DR. TREDER UND KOLLEGEN PRÄANALYTIK Herausgeben von Hans Peter Seelig

Autoren: Prof. Dr. med. Hans Peter Seelig Dr. rer. nat. Thomas Stauch Dr. med. J. O. Schurek Labor Prof. Seelig und Kollegen Kriegsstraße 99 D-76133 Karlsruhe Dr. med. Hülya Kiralp Dr. med. Anne-Marie Fahr Prof. Dr. med. Heinrich Schmidt-Gayk Labor Limbach Im Breitspiel 15 D-69126 Heidelberg Copyright 2006 Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der photomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, vorbehalten Geschützte Warennamen (Warenzeichen) werden nicht besonders kenntlich gemacht. Aus dem Fehlen eines solchen Hinweises kann nicht geschlossen werden, dass es sich um einen freien Warennamen handelt. Für Angaben zu Dosierung und Applikationsformen wird keine Gewähr übernommen. Jeder Benutzer ist angehalten, durch Prüfung der Beipackzettel der verwendeten Präparate festzustellen, ob die Beachtung von Kontraindikationen gegenüber den hier gemachten Angaben abweichen. Dosierung und Applikationen erfolgen auf eigene Gefahr des Anwenders. Normwerte können sich jederzeit durch Umstellung von Methoden ändern. Die aktuellen Normwerte finden Sie in den Befunden. 2

Inhaltsverzeichnis Abkürzungen III Was ist Präanalytik? 1 1 Einfluss- und Störgrößen 3 2 Proben und Untersuchungsauftrag 14 3 Untersuchungsmaterial Blut 16 3.1 Serum 17 3.2 Blut mit Gerinnungshemmern (Antikoagulanzien) 20 3.2.1 EDTA-Blut und EDTA-Plasma 21 3.2.2 Heparin-Blut und Heparin-Plasma 21 3.2.3 Citrat-Blut und Citrat-Plasma 23 3.3 Na-Fluorid-Blut 26 3.4 Die Blutentnahme 26 3.4.1 Technik der venösen Blutentnahme 27 3.4.2 Reihenfolge der Materialgewinnung bei der Blutentnahme 27 3.4.3 Störgrößen bei Blutabnahmen 31 3.5 Aufarbeitung und Lagerung der Blutproben 33 3.6 Kapillarblut 37 4 Untersuchungsmaterial Urin 39 4.1 Gewinnung und Sammlung von Urin 41 4.1.1 Spontanurin / zweiter Morgenurin 41 4.1.2 Mittelstrahl-Urin 41 4.1.3 24 Stunden-Sammelurin 41 4.1.4 Urin bei Drogenscreening 42 5 Untersuchungsmaterialien für die Mikrobiologie, 43 Mykologie und Parasitologie 5.1 Allgemeine Hinweise 43 5.2 Abstriche 45 5.3 Blutkulturen (BK) 49 5.4 Eiter/entzündliches Exsudat/Wundsekrete 51 5.5 GRE-Diagnostik 52 I

Inhaltsverzeichnis 5.6 Katheterurin 52 5.7 Mittelstrahlurin 53 5.8 MRSA-Diagnostik 55 5.9 Mykobakteriendiagnostik 55 5.10 Pilzdiagnostik 56 5.11 Prothesen 57 5.12 Sputum 59 5.13 Stuhl, Darminhalt 59 5.14 Tracheal- und Bronchialsekret 61 5.15 Venenkatheter (VK) 61 5.16 Zerebrospinalflüssigkeit (Liquor) 63 6 Andere Untersuchungsmaterialien 64 6.1 Zerebrospinalflüssigkeit (Liquor) 64 6.2 Gelenkpunktat 64 6.3 Zytogenetische Untersuchungen 65 6.4 Stuhl (okkulte Blutungen, Entzündungsmarker, Enzyme, Antikörper) 67 7 Methoden 68 Zentrifugieren 69 Thrombozytenfreies Citrat-Plasma 69 Blutausstrich 71 Dicker Tropfen 71 Urinsediment 72 8 Funktionsteste 73 Helicobacter-Atemtest 97 9 Richtlinien für den Transport 115 labormedizinischer diagnostischer Proben 10 Stichwortverzeichnis 120 II

Abkürzungen ACE Angiotensin converting enzyme ACTH Adrenokortikotropes Hormon AP Alkalische Phosphatase ASM American Society of Microbiology BD Becton Dickinson (Vacutainer ) Ca Calcium CAPD Kontinuierliche ambulante Peritonealdialyse CDT Carbohydrate deficient transferrin CEA Carcinoembryonales Antigen CK Kreatinkinase CO Kohlenmonoxid CRP C-reaktives Protein EDTA Ethylendiamintetraessigsäure FISH Fluoreszenz in situ Hybridisierung g Erdbeschleunigung -GT -Glutamyltransferase GOT/AST Glutamat-Oxalacetat-Transferase/Aspartat-Aminotransferase GPT/ALT Glutamat-Pyruvat-Transferase/Alanin-Aminotransferase GRE Glykopeptidresistente Enterokokken H 2 O 2 Wasserstoffsuperoxid Hb Hämoglobin -HCG Humanes Choriongonadotropin HCV Hepatitis C-Virus I.E. Internationale Einheiten K Kalium kda Kilo-Dalton L Liter LDH Lactatdehydrogenase Lp (a) Lipoprotein (a) MCH Mittleres corpuskuläres Hämoglobin MCV Mittleres corpuskuläres Volumen mg Milligramm Min. Minute MIQ Mikrobiologische-Infektiologische Qualitätsstandards ml Milliliter mmol Millimol mol Mol µg Mikrogramm (10-6 g) Na Natrium NCCLS National Committee for Clinical Laboratory Standards NH 3 Ammoniak III

Abkürzungen PCR Polymerase-Kettenreaktion PF Pädiatrische Blutkulturflasche ph Maß der Wasserstoffionenkonzentration PSA Prostata-spezifisches Antigen PTT Partielle Thromboplastinzeit RIA Radioimmunoassay RNA Ribonukleinsäure RPMI1640 Roswell Park Memorial Institute (Kulturmedium) Sa Sarstedt (Monovette ) SARS severe acute respiratory distress syndrom (schweres akutes Respirations-Syndrom) Sek. Sekunde Std. Stunde STH Somatotropes Hormon T3 Triiodthyronin T4 Thyroxin TSH Thyroideastimulierendes Hormon WHO Weltgesundheitsorganisation ZVK Zentraler Venenkatheter IV

Was ist Präanalytik? Definition Der Begriff Präanalytik beschreibt die Gesamtheit der administrativen und praktischen Prozesse der Gewinnung und Aufarbeitung, der Lagerung und des Transports eines labormedizinischen Untersuchungsmaterials vor der Durchführung des eigentlichen Labortests. Diese Prozesse beginnen nicht erst mit der Probennahme, z.b. der Blutentnahme, sondern schon mit der ärztlichen Entscheidung, eine Laboruntersuchung zu veranlassen, mit dem Ausfüllen der Laboranforderung und der Vorbereitung des Patienten (Diät, gegebenenfalls Absetzen von Medikamenten) und mit dem Erkennen möglicher Einfluss- und Störgrößen und deren Mitteilung an das Labor. Viele Faktoren können bereits vor der eigentlichen Analyse im Labor das Messergebnis eines Tests beeinflussen und damit Fehldiagnosen oder Fehlinterpretationen Vorschub leisten. Wer ist für die Präanalytik verantwortlich? der Patient Einhalten einer Nahrungskarenz oder bestimmter Diäten vor der Probennahme Absetzen bestimmter Medikamente Sammeln von Urin, Gewinnung von Stuhlproben etc. die Arztpraxis oder Klinik Organisation der Probennahme Erstellen der Untersuchungsanforderung (Patientendaten) Beschriften von Probenröhrchen und -gefäßen Information, Belehrung und Vorbereitung des Patienten Probennahme (Blutentnahme, Abstriche, Biopsie etc.) Aufbereitung der Probe (z.b. zentrifugieren) für den Transport Lagerung der Probe bis zum Transport Information des Transportdienstes über besondere Transportformen (z.b. gekühlt, tiefgefroren) das Labor Allgemeine und spezielle Informationen an die Praxis/Klinik, ggf. an die Patienten Organisation des Probentransports Erfassung und Überprüfung des Analysenauftrags Lagerung der Probe vor der Analyse Spezifische Vorbereitung der Proben für die Analyse 1

Seite 2 vakat

1 Einfluss- und Störgrößen Einflussgrößen Störgrößen Einflussgrößen beeinflussen die Konzentration, Aktivität oder Beschaffenheit eines Analyten* im Körper des Patienten (in vivo). Sie sind unabhängig von der Testmethode (siehe Tabelle 1). *Analyt = die zu bestimmende Substanz, Laborparameter oder auch Messgröße genannt Störgrößen wirken außerhalb des Körpers, d.h. nach der Entnahme einer Probe (in vitro). Sie sind entweder methodenabhängig oder methodenunabhängig. Methodenabhängige Störgrößen stören die Messmethode. Es werden falsche Messwerte erhalten, die nicht der wahren Konzentration des Analyten entsprechen. Methodenunabhängige Störgrößen führen zu falschen Messergebnissen, ohne dass das Messverfahren beeinflusst wird. Die Konzentration oder Aktivität des Analyten selbst ist bei oder nach der Probennahme verändert worden. Auch bei einer an sich nur minimalen Beeinflussung der Messergebnisse durch eine Einfluss- oder Störgröße kann die Summation solcher Effekte die Varianz der Messwerte vergrößern, dadurch den Referenzbereich des Analyten verbreitern und so die Unterscheidung zwischen gesund und krank verwischen. Geschlecht Lebensalter Beispiele für Einflussgrößen Neben der bei Frauen und Männern unterschiedlichen Konzentration der Geschlechtshormone (Östradiol, Testosteron etc.) finden sich geschlechtsspezifische Unterschiede auch bei zahlreichen anderen Analyten. Die Referenzbereiche der von der Muskelmasse abhängigen Kreatinkinase (CK) und des Kreatinins liegen bei Männern höher als bei Frauen. Die Cholesterolwerte sind bei Frauen ab dem 50. Lebensjahr höher als bei Männern, die Triglyceridkonzentrationen niedriger. Die Erythrozyten- und Hämoglobin-Konzentrationen sind bei Männern höher als bei Frauen. Alterseinflüsse machen sich bei vielen klinisch-chemischen und hormonellen Messgrößen bemerkbar. Beispiele sind erhöhte Hämoglobin- und Bilirubin-Konzentrationen bei Neugeborenen, Ab- und Zunahme der Immunglobuline im Säuglings- und Kleinkindalter, vermehrte Aktivität der alkalischen Phosphatase (AP) in der Wachstumsphase, Ansteigen der Geschlechtshormone in der Pubertät und deren Abnahme in der Menopause und im Greisenalter. Mit Beginn der Pubertät erreichen die Konzentrationen und Aktivitäten der meisten Messgrößen die Werte der Erwachsenen. Wichtig Geschlecht und Lebensalter wurden bei der Festlegung der Referenzbereiche in Form geschlechts- und altersspezifischer Normwerte berücksichtigt. Eine Voraussetzung für die Übermittlung der korrekten Referenzbereiche in den Befunden sind Angaben über Alter und Geschlecht der Patienten auf dem Anforderungsbeleg. 3

1 Einfluss- und Störgrößen Tabelle 1 Einflussgrößen labormedizinischer Tests Geschlecht* Circadiane Rhythmen Genetik* Biorhythmen Rasse* Diagnostische Maßnahmen Lebensalter Saisonale Schwankungen Körpergewicht Medikamente Ernährung Schwangerschaft Rauchen Körperliche Arbeit Kaffee Stress Alkohol Körperlage Drogen Venöse Stauung * Permanente Einflussgrößen Tabelle 2 Veränderungen von Analytkonzentrationen bei 4-wöchigem Fasten oder nach einer Standardmahlzeit von 800 kcal Analyte Änderung [%] Fasten Standardmahlzeit Albumin, Gesamteiweiß - 10 + 5 Bilirubin + 15 Calcium + 5 -Glutamyltransferase (-GT) - 50 Glukose + 15 GOT / AST + 30 + 20 GPT / ALT + 10 Harnsäure + 20 + 5 Harnstoff - 20 + 5 Kalium + 10 Kreatinin + 20 Phosphor + 15 Triglyceride - 40 4

1 Einfluss- und Störgrößen Genetik Rasse Körpergewicht Ernährung Erbfaktoren können zu Abweichungen von Messgrößen gegenüber dem Bevölkerungsdurchschnitt führen. Bei Personen mit Blutgruppe 0 ist die Aktivität des von Willebrand-Faktors niedriger als bei solchen mit anderen Blutgruppen. Aktivitäten von nur 35 % der Norm (70-130 %) können bei diesen Personen noch als normal gelten. Vererbte Störungen der Hämoglobinsynthese können bei heterozygoten Merkmalsträgern (z.b. Thalassämien) mit lebenslang verminderten Erythrozytenindices (MCV, MCH) vergesellschaftet sein. Sie sind nicht therapierbar und bei heterozygoten Patienten im Allgemeinen auch nicht therapiebedürftig. Bei Afrikanern finden sich z.b. geringere Leukozyten- und höhere Vitamin B 12 -, Lipoprotein (a)-, CK- und -Amylase-Konzentrationen als bei Weißen. Mongoloide Rassen (Chinesen, Japaner) haben eine geringere Aktivität der Alkoholdehydrogenase verbunden mit einer gegenüber Weißen geringeren Alkoholtoleranz. Mit zunehmendem Körpergewicht steigen z.b. Cholesterol, Triglyceride, Harnsäure, Cortisol und Insulin an. Der Einfluss der Ernährung auf das Verhalten zahlreicher Analyte ist zu vielfältig, als dass sich hierfür einfache Regeln ableiten ließen. Mangelernährung, Fasten oder einseitige Ernährung können Laborwerte beeinflussen (siehe Tabelle 2). Bei selektiven Mangeldiäten wie Eiweißmangel sind insbesondere die Albumin- und Harnstoff-Konzentrationen vermindert, das Wachstumshormon (STH) aber erhöht. Bei langfristigen eiweißreichen Diäten nimmt die Konzentration von Albumin, GPT/ALT, GOT/AST und Ammoniak zu. Bei kohlenhydratreichen Diäten sind die Triglyceride erhöht, das Phosphat vermindert. Kurzfristige Konzentrationsänderungen von Analyten hängen von der Zusammensetzung der zuvor eingenommenen Mahlzeit ab. Fettreiche Mahlzeiten führen zu einer Erhöhung von Triglyceriden, alkalischer Phosphatase (AP), Lactatdehydrogenase (LDH) und freien Fettsäuren. Nach einer eiweißreichen Mahlzeit sind am nächsten Morgen noch Harnstoff, Harnsäure und Phosphat erhöht. Wichtig Patienten auf Einhaltung der Nahrungskarenz vor der Blutabnahme hinweisen. Rauchen Durch Rauchen bedingte Änderungen von Messgrößen sind wenig ausgeprägt. Akut erhöht werden nach Zigarettenrauchen CO-Hämoglobin (+15 %), Glukose und Cortisol (+40 % nach 10 Min.), Adrenalin und Aldosteron. Bei chronischen Rauchern steigt das C-reaktive Protein (CRP) und das Carcinoembryonale Antigen (CEA), auch für Hämoglobin (Hb), Erythrozyten und Leukozyten finden sich höhere, für angiotensin converting enzyme (ACE) und Prolaktin niedrigere Blutspiegel als bei Nichtrauchern. Kaffee Zwei Tassen Kaffee mit 200 mg Coffein bewirken einen Anstieg des Cortisols um etwa 40 %. Alkohol Die Zufuhr großer Alkoholmengen kann sich noch Stunden später in einer Erhöhung von Harnsäure und Lactat und einer Verminderung von Glukose bemerkbar machen. Chronischer Alkoholismus kann zu Erhöhungen der Enzyme -GT (etwa 80 % der Fälle), GPT/ALT (40 %) und GOT/AST (60 %), des MCV (60 %) und carbohydrate deficient transferrin (CDT) führen. Wichtig Keine Blutabnahme unmittelbar nach dem Rauchen sowie nach reichlichem Kaffee- oder Alkoholgenuss. 5

1 Einfluss- und Störgrößen Tabelle 3 Veränderungen von Messgrößen durch Drogen Drogen Messgrößen Amphetamine freie Fettsäuren Cannabis Chlorid, Harnstoff, Insulin, Kalium, Natrium Glukose, Harnsäure, Kreatinin Heroin Cholesterol, Kalium, Thyroxin (T4) Morphin GPT/ALT, Amylase, alkalische Phosphatase, Bilirubin, Gastrin, Lipase, Prolaktin, TSH Insulin, Norepinephrin Tabelle 4 Beispiele für Messgrößen mit circadianem Rhythmus Analyte Uhrzeit Abweichung Maximum Minimum (% des Tagesmittels) Morgen -CrossLaps-CTX 0-4 10-16 15-25 Renin 0-6 10-12 120-140 Aldosteron 2-4 12-14 60-80 Phosphor 2-4 8-12 30-40 Testosteron 2-4 20-24 30-50 Prolaktin 5-7 10-12 80-100 Cortisol 5-8 21-3 180-200 Pyridinium-Crosslinks 5-8 17-20 15-25 ACTH 6-10 0-4 150-200 Hämoglobin 6-18 22-24 8-15 T 4 8-12 23-3 10-20 Adrenalin 9-12 2-5 30-50 Noradrenalin 9-12 2-5 50-120 Mittag Homovanillinsäure 14-16 2-5 30-40 Kalium 14-16 23-1 5-10 Vanillinmandelsäure 14-16 2-5 30-40 Eisen 14-18 2-4 50-70 Abend TSH 20-2 7-13 5-15 STH 21-23 1-21 300-400 6

1 Einfluss- und Störgrößen Drogen Circadiane Rhythmen Bei Drogenmissbrauch werden ebenfalls veränderte Serum- oder Plasmakonzentrationen verschiedener Analyte beobachtet (siehe Tabelle 3). Circadian, eine Wortbildung aus dem lateinischen circa (um, herum) und dies (Tag), bedeutet Tagesrhythmus. Der Begriff definiert biologische Prozesse mit einer 24 Stunden-Periodizität (sog. innere biologische Uhr). Analyte mit circadianen Rhythmen sind zahlreich (Probenverzeichnis zu Rate ziehen), einige Beispiele sind in Tabelle 4 aufgeführt. Wichtig Optimalen Zeitpunkt der Probennahme zur Messung von Analyten mit circadianem Rhythmus dem Probenverzeichnis entnehmen. Bei Tagesprofilen (z.b. Cortisol) Uhrzeit der Blutentnahme auf Probenröhrchen und Anforderungsschein angeben. Saisonale Schwankungen, Biorhythmen Jahreszeitliche Schwankungen beeinflussen Laborwerte. In einigen Studien wurden für TSH die niedrigsten Werte im Frühjahr, die höchsten im Sommer gemessen, was jedoch nicht allgemein bestätigt werden konnte. Für T3 fanden sich die niedrigsten Werte im Sommer, bei Kindern lagen die höchsten Werte für T4 und T3 im Herbst. Lange bekannt sind saisonale Schwankungen von Vitamin D mit höchsten Werten im Sommer und Minima im Winter. Ein Beispiel für einen Biorhythmus ist die Abhängigkeit der Fertilitätshormone vom Menstruationszyklus. Diagnostische Verschiedene diagnostische Eingriffe können sich ebenfalls auf die Konzentrationen bestimmter Messwerte Maßnahmen auswirken (siehe Tabelle 5). Medikamente Viele Medikamente beeinflussen die Messwerte zahlreicher Analyte. Hinweise finden sich in Tabelle 6. Wichtig Relevante Medikamente vermerken. Die Einnahme von Hormonen und Vitaminen wird von den Patienten oft nicht als Medikamenteneinnahme gewertet. Keine Vitaminbestimmungen nach Vitamingaben. Schwangerschaft In der Schwangerschaft nimmt das Plasmavolumen um etwa 50 % zu. Die Folge ist ein Abfall der Erythrozyten-Konzentration, des Hämoglobins, Hämatokrits und des Gesamteiweißes (Albumin). Schwangerschaftshormone und andere Analyte (Tabelle 7) können im Verlauf der Gravidität erhebliche Konzentrationsveränderungen durchlaufen (z.b. Östriol, -HCG, Prolaktin, 1 -Fetoprotein, Oxytocinase). Ovulationshemmer signalisieren dem Organismus eine Gravidität und können so ebenfalls zu Verschiebungen der Laborwerte führen. Wichtig Schwangerschaftswoche angeben. Einnahme von Ovulationshemmern angeben. 7

1 Einfluss- und Störgrößen Tabelle 5 Beispiele für die Beeinflussung von Analyten durch diagnostische Maßnahmen Diagnostische Maßnahme Analyte Prostatapalpation Prostataspezifisches Antigen (PSA) Glukosebelastung Kalium, Phosphor, Magnesium Intramuskuläre Injektion, Muskelbiopsie CK, Myoglobin Operationen C-reaktives Protein, Blutsenkung Medikamente Enzyme (-GT, u.a.) Abbildung 1 Hämokonzentration durch Übertritt von Blutflüssigkeit aus dem intravasalen in den extravasalen (interstitiellen) Raum. Wasser und kleine Moleküle verlassen die Gefäße, hochmolekulare Eiweiße und an Eiweiß gebundene Moleküle werden intravasal konzentriert. Dadurch kann die Konzentration primär niedermolekularer, ultrafiltrierbarer Substanzen wie z.b. Calcium bei einer Hämokonzentration ebenfalls ansteigen. Solche Prozesse kommen bei körperlicher Arbeit, bei Übergang vom Liegen ins Sitzen und bei Venenstauung vor. 8

1 Einfluss- und Störgrößen Körperliche Arbeit Stress Körperlage Körperliche Aktivität führt durch eine Erhöhung des Filtrationsdrucks in den Kapillaren zu einer Flüssigkeitsverschiebung von den Gefäßen (intravasaler Raum) in das Zwischengewebe (interstitieller Raum). Durch den Wasserabstrom aus den Gefäßen kommt es zu einer Konzentrierung von Blutkörperchen (Erythrozyten, Leukozyten, Thrombozyten), großen Eiweißmolekülen (Immunglobuline, Albumin, 2 -Makroglobulin) und von Molekülen, die an Proteine gebunden sind, wie z.b. Calcium (Calciumbindendes Protein), Eisen (Transferrin) oder Kupfer (Coeruloplasmin), Cholesterol und Triglyceride (Apolipoproteine) (siehe Abbildung 1). Nach mehrstündiger Aktivität tritt, besonders bei untrainierten Personen, noch eine aktivitätsbedingte Schädigung der Muskelzellen ein, die zum Anstieg von Muskelenzymen wie Kreatinkinase (CK), Transaminasen (GOT/AST) und LDH führen kann. Stress bewirkt u.a. eine Ausschüttung von ACTH, Adrenalin, Angiotensin, Cortisol, Noradrenalin, Prolaktin, Renin, STH, TSH, die wiederum andere Messgrößen beeinflussen. Etwa 8 % des Körperwassers (250 ml beim Erwachsenen) werden beim Übergang vom Liegen zum Sitzen infolge des erhöhten hydrostatischen Drucks aus den Kapillaren in das Zwischengewebe verlagert. Das führt, wie oben beschrieben, zu einer Konzentration von Blutzellen, Eiweißen und an Eiweiß gebundenen Substanzen von 3 % bis zu über 10 %, was insbesondere bei Patienten mit Ödemen relevant werden kann. Betroffen sind in absteigender Reihenfolge vor allem Erythrozyten Gesamteiweiß Hämoglobin Calcium Hämatokrit Phosphor Leukozyten LDH Cholesterol Glukose Wichtig Blutentnahme im Ruhezustand. Stress vermeiden. Vor der Blutentnahme 5-10 Min. ruhig sitzen. Blutentnahme immer im Sitzen oder im Liegen. Venöse Stauung Die Stauung der Venen bei der Blutentnahme führt infolge des hydrostatisch bedingten Wasserverlusts durch die Kapillaren in den abhängigen Gefäßgebieten zu Konzentrationsänderungen der oben aufgeführten Messgrößen in ähnlicher Weise wie eine Änderung der Körperlage. Kurze Stauzeiten (<30 Sek.) können zwar wegen der nur geringen Veränderungen vernachlässigt werden, bei längeren Stauzeiten treten aber doch deutliche Konzentrationsänderungen ein. Wichtig Langes Stauen bei der Blutabnahme vermeiden. 9

1 Einfluss- und Störgrößen Tabelle 6 Beeinflussung der Konzentration von Analyten durch Medikamente. Bitte beachten: das Ausmaß und die Art der Konzentrationsänderungen sind teilweise auch methodenabhängig. Messgrößen Arzneimittel Alkalische Phosphatase Allopurinol, Carbamazepin, Erythromycin, Goldsalze, Methotrexat, Methyldopa, Phenobarbital, Phenytoin, Primidon, Valproinsäure Clofibrat, orale Kontrazeptiva Bilirubin Levodopa, Nicotinsäure, Rifampizin, Theophyllin Clofibrat, Phenobarbital Calcium Androgene, Östrogene, Thiazide, Vitamin-D-Präparate Antiepileptika, Diuretika (Furosemid) Cholesterol Ascorbinsäure, Cholestyramin, Clofibrat, Cortison, Kanamycin, Levodopa, Neomycin, Noramidopyrin, Methyldopa Eisen Kortikoide, orale Kontrazeptiva (Östrogen-Gestagen-Therapie) -GT Anabole Steroide, Carbaminsäurederivate, Cyclophosphamide, Iproniazid, Östrogene, orale Kontrazeptiva, Phenobarbital, Phenothiazine, Phenytoin, Streptokinase, Testosteron, Xenobiotika Clofibrat, Methyldopa Glukose Glucokortikoide GOT/AST Acetylsalicylsäure, Amiodaron, anabole Steroide, Carbaminsäurederivate, Cyclophosphamide, Östrogene, orale Kontrazeptiva, Phenothiazine, Streptokinase, Valproinsäure GPT/ALT Acetylsalicylsäure, Amiodaron, anabole Steroide, Carbaminsäurederivate, Clofibrat, Cyclophosphamide, Erythromycin, Methyldopa, Östrogene, orale Kontrazeptiva, Phenothiazine, Phenytoin, Streptokinase, Testosteron, Valproinsäure Harnsäure Cyclosporin, Diethylstilbestrol, Ethacrynsäure, Furosemid, Levodopa, Omeprazol, Salicylate (<3 g Tag), Triamteren, Zytostatika Harnsäure Allopurinol, Clofibrat, Kortikoide, Cumarine, Salicylate (>3 g Tag), Urikosurika Harnstoff Clofibrat, Furosemid, Gentamycin, Kanamycin, Lithium, Neomycin, Streptomycin, Zytostatika 10

1 Einfluss- und Störgrößen Tabelle 6 Fortsetzung Messgrößen Arzneimittel Kalium Anabole Steroide, Cortison, Ibuprofen, Indometacin, Penicilline, Propranolol, Spironolacton, Triamteren, Trimethoprim/Sulfamethoxazol Carbamazepin, Ethacrynsäure, Furosemid, Insulin, Laxantien, Thiazide Kreatinkinase (CK) Clofibrat, Lithium, Theophyllin, Neuroleptika Kreatinin Acetylsalicylsäure, Cyclosporin, Clofibrat, Gentamicin, Kanamycin, Methyldopa, Streptomycin Phenobarbital, Glucokortikoide Kupfer Orale Kontrazeptiva (Östrogen-Gestagen-Therapie) Natrium Anabole Steroide, Androgene, Cortison, Glucokortikoide, Lithiumsalze Partielle Thromboplastinzeit Heparin Thromboplastinzeit (Quick) Penicillin Antibiotika, Carbamazepin, Clofibrat, Ethacrynsäure, Furosemid, Indometacin, Thiazide, Trimethoprim/Sulfamethoxazol Barbiturate Transferrin Orale Kontrazeptiva (Östrogen-Gestagen-Therapie) Triglyceride Östrogene, Orale Kontrazeptiva Ascorbinsäure, Cholestyramin, Cortison, Gentamycin, Kanamycin, Levodopa, Neomycin, Streptomycin 11

1 Einfluss- und Störgrößen Tabelle 7 Zu- oder Abnahme von Messgrößen während der Schwangerschaft in % Analyte Zunahme/Abnahme [%] Leucinarylamidase + 400 Triglyceride + 100 Kupfer + 63 Cholesterol + 58 Leukozyten + 50 Alkalische Phosphatase + 42 Calcium - 4 Erythrozyten - 8 Hämoglobin - 8 Hämatokrit - 8 Gesamteiweiß - 12 Eisen - 18 Cholinesterase - 21 12

1 Einfluss- und Störgrößen Beispiele für Störgrößen Störgrößen können im Gefolge von Fehlern bei der Probengewinnung und durch Verunreinigungen der Probe auftreten. Auch eine anomale Beschaffenheit der Probe selbst, die sich bei dem Patienten nicht bemerkbar machen muss, kann zu Messfehlern führen. Medikamente können ebenfalls als Störgrößen wirken. Probennahme Hämolyse (siehe Seite 31) Blutbeimengungen zu Liquor oder Urin Kontaminationen Zink durch Talkum von Handschuhen, Gummistopfen, Katheter Schwermetalle Scheren, Pinzetten Eisen, Phosphat Spülmittel, Detergenzien EDTA, Citrat Zusatz von Antikoagulanzien Na-Fluorid Zusatz von Glykolysehemmern Glukose, Elektrolyte aus Infusionslösungen Anomale Hyperbilirubinämie stört die Photometrie Eigenschaften Lipämie stört Photometrie und RIA-Analysen der Probe Kälteagglutinine stören Blutbild-Bestimmungen Thrombozytenantikörper Kryoglobuline Autoantikörper gegen Hormone führen zur EDTA-induzierten Pseudothrombopenie bewirken Pseudoleukozytose stören Hormonbestimmungen 13

2 Proben- und Untersuchungsauftrag Labormedizinische Untersuchungen sind ärztliche Leistungen, die nicht nur die Analyse beinhalten sondern auch die medizinische Interpretation der Analysenergebnisse. Wichtig sind daher klinische Angaben. Wichtig Klinische Informationen für die Interpretation von Befunden: Fragestellung, Verdachtsdiagnose, sonstige Untersuchungsanlässe (z.b. Sporttauglichkeit). Im Folgenden findet sich eine Auflistung der unverzichtbaren, obligaten Angaben, sonstiger wichtiger Angaben und immer wieder auftretenden Umstände, die dem Labor die Arbeit erheblich erschweren. Obligate Angaben Einsender Untersuchungsauftrag Patientenname, Vorname, Geburtsdatum, Geschlecht auf Anforderungsschein und auf Untersuchungsmaterial (Probenröhrchen), nicht auf Umröhrchen (Versandgefäß) Datum, Entnahmezeit der Probe Spezielle Kennzeichnung der Probe bei Notfalluntersuchungen Zusatzinformationen bei besonderen Analysen Entnahmestelle der Probe bei Lokalisationstesten Entnahmezeiten bei Funktionstesten Körpergröße und Körpergewicht Urin: Volumen, Sammelperiode, Zusätze Mikrobiologie: Materialgewinnung und Entnahmeort, Gabe von Medikamenten und Antibiotika Humangenetik, Zytogenetik: Indikationen, Fragestellungen und Verdachtsdiagnose Richtig! Patientenname auf Probengefäß Sonstige Angaben Kennzeichnung infektiösen Materials auf Probe und auf Anforderungsschein Adresse des Patienten Kostenträger Angabe der Analysenpriorität bei geringem Probenvolumen, Stufendiagnostik Falsch! nicht auf Umröhrchen 14

2 Proben- und Untersuchungsauftrag Häufige Fehler Probe fehlt Anforderungsschein, Markierungskarte fehlt Patientenname fehlt auf Probenröhrchen auf Anforderungsschein Entnahmezeit, -datum, -ort der Probe fehlen insbesondere bei Funktions- und Lokalisationstesten Materialangabe fehlt Zugeklebtes Probenröhrchen Füllstand und Röhrcheninhalt nicht mehr überprüfbar Probenröhrchen und Etikett sichtbar kontaminiert zu wenig Probenmaterial falsches Probenmaterial falsche Zusätze im Probenmaterial falsches Proben/Zusatz-Verhältnis (Gerinnung siehe unten) ungenügend durchmischte Proben überaltertes Material falsche Lagertemperatur tiefgefrorenes Vollblut, Heparin-, EDTA-, Citrat-Blut wiederholt aufgetautes und tiefgefrorenes Material tiefgefrorene Proben für die Mikrobiologie zu früh zentrifugiert Nachgerinnung im Überstand, Gerinnsel- oder Gelbildung zu spät zentrifugiert Elektrolytverschiebungen aus Blutzellen (siehe Seite 22) zu spät abgesert (wie oben) falsche Patientenvorbereitung circadiane Rhythmen nicht beachtet hämolytische Proben lipämische Proben bitte so Untersuchungsmaterial und Anforderungsschein eines Patienten in einer Umhülle verringert die Gefahr von Verwechslungen und nicht so Wichtig Diese Fehler komplizieren ganz erheblich die Arbeit des Labors, sie führen zu Fehlbestimmungen, zu Missverständnissen und zu einer erheblichen Verzögerung des Befundes. 15

3 Untersuchungsmaterial Blut Blut, auch als flüssiges Organ bezeichnet, dient als Transportmittel für Gase (Sauerstoff [O 2 ] und Kohlendioxid [CO 2 ]), Nährstoffe, Wärme, Intermediär-und Abbauprodukte des Stoffwechsels, Abwehrstoffe (Immunglobuline), Hormone und Zellen (Erythrozyten, Leukozyten, Thrombozyten). Wir unterscheiden: Nativblut Das in den Gefäßen zirkulierende Blut. Es besteht aus einem korpuskulären Anteil, den Erythrozyten, Leukozyten und Thrombozyten und einem flüssigen Anteil, dem Blutplasma, einer klaren gelblichen Flüssigkeit mit einem Eiweißgehalt von 7-8 %. Vollblut Das venös, arteriell oder kapillär entnommene Blut. Unbehandeltes Vollblut beginnt sofort nach der Entnahme zu gerinnen. Das Blutgerinnsel, ein Netzwerk aus Fibrin mit Thrombozyten und Erythrozyten, kann durch Zentrifugieren sedimentiert werden. Der dabei erhaltene Überstand wird als Blutserum (Serum) bezeichnet. Serum Zellfreier Anteil des Vollblutes nach abgeschlossener Gerinnung. Serum ist frei von dem an der Gerinnselbildung beteiligten Fibrinogen bzw. dem daraus entstandenen Fibrin, enthält aber noch lösliche Gerinnungsfaktoren wie z.b. Prothrombin. Heparin-Blut / EDTA-Blut / Citrat-Blut Vollblut kann durch Zusatz von Antikoagulanzien (Gerinnungshemmern) ungerinnbar gemacht werden (siehe Antitkoagulanzien, siehe Seite 20). Nach Zentrifugieren des antikoagulierten Vollblutes erhält man im Überstand das Plasma, das noch (wieder aktivierbare) Gerinnungsfaktoren enthält. Plasma Zellfreier Anteil des mit Antikoagulanzien versetzten Vollblutes. Es wird nach Zentrifugieren von Heparin-, EDTA- und Citrat-Blut erhalten und kann noch Spuren von Zellanteilen (Thrombozyten) enthalten (siehe thrombozytenfreies Plasma, siehe Seite 69). Vollblut = Blutzellen + Gerinnungsfaktoren + Serum Serum = Vollblut - Blutzellen - Gerinnungsfaktoren Plasma = Vollblut - Blutzellen + Gerinnungsfaktoren NaF-Blut Mit dem Glykolysehemmer Na-Fluorid versetztes, ebenfalls ungerinnbares, aber leicht hämolysierbares, aus der Vene entnommenes Vollblut. Na-Fluorid hemmt den Glukoseabbau und die Lactatproduktion, ferner hemmt es die Homozysteinproduktion. Kapillarblut Durch Einstich in kapillarenreiches Gewebe (Fingerbeere, Ohrläppchen) entnommenes Blut (quasi arterielles Blut). 16

3 Untersuchungsmaterial Blut 3.1 Serum Blutentnahme Serum-Gewinnung mit Vollblut-Monovetten (ohne Trenngel) Vollblut-Monovette mit Gerinnungsaktivatoren, z.b. Kaolin-beschichteten Kunststoffgranulaten mit rauer Oberfläche aber ohne Trenngel. Nicht für die Bestimmung von Spurenelementen geeignet (siehe unten). Farbcode rot / weiß BD Sa BD = Becton Dickinson Sa = Sarstedt Aufarbeitung 30-60 Min. bei Raumtemperatur gerinnen lassen. Während der Gerinnung nicht kühlen! 10 Min. bei 3000 x g zentrifugieren (Ausschwingrotor, siehe Seite 69). Serum innerhalb einer Stunde vom Blutkuchen trennen (siehe Seite 22) und in Probenröhrchen überführen. Das vom Blutkuchen getrennte Serum kann jetzt gekühlt oder tiefgefroren (-20 C) gelagert werden. Wichtig Vor dem Zentrifugieren von Vollblut müssen Gerinnung und die Retraktion (Zusammenziehen, Schrumpfen) des Gerinnsels (Blutkuchens) vollständig abgelaufen sein. Der Vorgang ist in der Regel nach 30 Min. abgeschlossen. Wird Vollblut gekühlt (Kühlschrank), verzögert sich sowohl die Gerinnung als auch die Retraktion des Blutkuchens. Das über den inzwischen sedimentierten Erythrozyten (durch Schwerkraft oder zu frühes Zentrifugieren) stehende Serum kann nachgerinnen und gelieren. Die dabei gebildeten Fibringerinnsel können die Probennadeln von Analysenautomaten und Pipettierrobotern verstopfen. Die Probe muss in diesem Falle nochmals zentrifugiert werden. Blutentnahme Farbcode Serum-Gewinnung mit Vollblut-Monovetten (Neutralmonovette) (ohne Trenngel und Gerinnungsaktivatoren) Vollblut-Monovette ohne Gerinnungsaktivatoren. dunkelblau / weiß BD Sa Aufarbeitung 30-60 Min. bei Raumtemperatur gerinnen lassen. Während der Gerinnung nicht kühlen. Probenröhrchen nicht öffnen. Probenröhrchen unzentrifugiert bei Raumtemperatur versenden. 17

3 Untersuchungsmaterial Blut Abbildung 2 Minuten Nach vollständig abgelaufener Gerinnung wurde 1-10 Min. zentrifugiert. Das Gerinnsel schiebt sich unter das Trenngel (Pfeile). 0 = nicht zentrifugiertes Blut nach 30 Min. Gerinnung und Retraktion des Blutkuchens. 18

3 Untersuchungsmaterial Blut Verwendung Bestimmung von Spurenelementen Aluminium Mangan Selen Beryllium Molybdän Silber Cobalt Nickel Thallium Gold Palladium Zink Kupfer Prinzip Blutentnahme Farbcode Serum-Gewinnung mit Trenngel-Monovetten Das am Boden der Trenngel-Monovette sitzende Gel aus Polymethylacrylat oder anderen Materialien (auf Silikon-, Polyesterbasis) hat eine geringere Dichte als die bei der Gerinnung aggregierten Gerinnungproteine und Blutzellen, sodass sich das Gerinnsel beim Zentrifugieren unter das Gel schiebt (siehe Abbildung 2). Das leichtere Gel bildet eine dichte Trennschicht über dem Blutkuchen und verhindert den Kontakt von Serum mit Blutzellen. Vollblut-Monovette mit Trenngel und Gerinnungsaktivatoren. orange / braun BD Sa Aufarbeitung 30-60 Min. bei Raumtemperatur gerinnen lassen. Während der Gerinnung nicht kühlen! 10 Min. bei 3.000 x g zentrifugieren (Ausschwingrotor, siehe Seite 69). Um eine dichte Gelschicht zu gewährleisten, muss die Zentrifugalkraft (g) des Ausschwingrotors exakt eingehalten werden. Serum kann über dem Trenngel in der Monovette verbleiben und gekühlt (Kühlschrank) gelagert und transportiert werden. Tieffrieren (-20 C) von zentrifugierten Gelmonovetten vermeiden, Serum vor dem Tieffrieren in ein Sekundärgefäß überführen. Wichtig Trenngel auf Dichtigkeit überprüfen, es sollte keine Kanäle oder Risse enthalten. Materialgewinung für Kryoglobuline Die korrekte Bestimmung der Kryoglobuline setzt eine sorgfältig einzuhaltende Präanalytik voraus. Vollblut muss bei 37 C 30-60 Min. gerinnen (Brutschrank, Wasserbad), anschließend sofort noch warm zentrifugiert werden (10 Min., 2.000 x g), das Serum muss noch warm vom Blutkuchen getrennt und in Probenröhrchen überführt werden. Nicht gekühlt oder tiefgefroren versenden. Wegen der Test-spezifischen laborinternen Präanalytik (Rücklösung möglicher während des Transports gebildeter Präzipitate bei 37 C) muss für diesen Test eigenes Untersuchungsmaterial eingesandt werden. Die Bestimmung der Kryoglobuline ist nicht möglich, wenn in demselben Material noch andere insbesondere wärmeempfindliche Analyte gemessen werden sollen. 19

3 Untersuchungsmaterial Blut 3.2 Blut mit Gerinnungshemmern (Antikoagulanzien) Was sind Antikoagulanzien? Antikoagulanzien hemmen die Blutgerinnung durch die Bindung von Calcium-Ionen (EDTA, Citrat) oder durch ihre Antithrombin-Aktivität (Heparin, hemmt die Umwandlung von Fibrinogen in Fibrin durch das Enzym Thrombin). Zur Vermeidung der Gerinnung muss Vollblut unmittelbar nach der Blutentnahme mit den Antikoagulanzien versetzt und gemischt werden. In den Monovetten sind die Antikoagulanzien bereits vorgelegt, sodass die Vermischung schon während der Blutentnahme erfolgt. EDTA Ethylendiamintetraessigsäure (wasserfrei), 1.2-2.0 mg/ml Blut (4.1-6.8 mmol/l), Kationen sind Kalium (K + -EDTA) oder Natrium (Na + -EDTA). Citrat Tri-Natriumcitrat mit 0.100 bis 0.136 mol/l Zitronensäure. Für Gerinnungsanalysen wird eine 3.2 % (109 mmol/l) Citratlösung von der WHO und NCCLS empfohlen. Heparin Natrium-, Lithium- oder Ammoniumheparinat mit einem Molekulargewicht von 3 bis 39 kda, 10 bis 30 I.E./mL Blut. Heparin + Nativblut = Heparin-Blut > Heparin-Plasma Citrat + Nativblut = Citrat-Blut > Citrat-Plasma EDTA + Nativblut = EDTA-Blut > EDTA-Plasma Wichtig Auf richtiges Mischungsverhältnis von Blut und Antikoagulanzien achten. Blut in Röhrchen durch Schwenken gut durchmischen. Vollblut, Heparin-, Citrat-, EDTA-Blut dürfen nicht tiefgefroren werden, die Blutkörperchen platzen, es kommt zur Hämolyse. 20

3 Untersuchungsmaterial Blut 3.2.1 EDTA-Blut und EDTA-Plasma Blutentnahme Farbcode EDTA-Monovette lila / rot BD Sa Verwendung Blutbild, Differentialblutbild, Kälteagglutinine, Wärmeagglutinine (Blut) Blutsenkung Blutgruppe Coombs-Test Hb-Trennungen Molekulargenetik und Zytogenetik (FISH-Techniken) Verwendung (Plasma) Wichtig Hinweis z.b. Renin, ACTH, PTH EDTA hemmt z.b. calciumabhängige Enzyme, die Peptidhormone und andere Analyte inaktivieren. Molekulargenetische Untersuchungen mit DNA-Amplifikationsmethoden (PCR, Polymerase-Ketten- Reaktion) zum Nachweis von Infektionserregern oder von humangenetischen Erkrankungen können nur mit EDTA-, aber nicht mit Heparin-Bluten durchgeführt werden, da Heparin die PCR hemmt. EDTA-Plasma ist für zahlreiche klinisch-chemische Untersuchungen schlecht geeignet. K + -EDTA oder Na + -EDTA kontaminieren die Blutprobe mit Kationen (K +, Na + ) was eine Bestimmung dieser Elektrolyte unmöglich macht. EDTA stört die Bestimmung von Calcium und anderen Ionen durch deren Komplexierung und hemmt dadurch auch die Aktivität von Enzymen wie z.b. der alkalischen Phosphatase (Bindung von Zn 2+ ), sauren Phosphatase, -Amylase (Bindung von Ca 2+, Mg 2+ ). 3.2.2 Heparin-Blut und Heparin-Plasma Blutentnahme Farbcode Heparin-Monovetten (auch mit Trenngel für Heparin-Plasma) grün / orange / blau BD Sa Sa Verwendung (Blut) Untersuchungen, bei denen bereits eine leichte Hämolyse stören kann HLA-Typisierung Zytogenetik (siehe auch 6.3) Verwendung Klinisch-chemische Untersuchungen (Plasma) Wichtig Heparin-Blut ist nicht zur PCR-Diagnostik z.b. zum Nachweis von Hepatitis C-Virus-RNA (HCV-RNA) geeignet. 21

3 Untersuchungsmaterial Blut Tabelle 8 Beeinflussung von Quick-Wert und aptt durch das Mischungsverhältnis von Citrat und Blut Mischungsverhältnis Quick [%] aptt [Sek.] 1+9 100 38 1+8 98 39 1+7 94 41 1+6 89 44 1+5 80 53 1+4 68 65 1+2.5 15 >100 Abbildung 3 Die Natrium/Kalium-Pumpe in der Erythrozytenmembran pumpt gegen ein Konzentrationsgefälle K + in den Erythrozyten hinein und Na + aus dem Erythrozyten hinaus. Bei Versagen der Pumpe (hier dargestellt) diffundiert K + aus dem Erythrozyten in das Plasma, die K + -Konzentration wird falsch hoch gemessen (methodenunabhängiger Störfaktor). 22

3 Untersuchungsmaterial Blut 3.2.3 Citrat-Blut und Citrat-Plasma Blutentnahme Citrat-Monovetten Farbcode hellblau / grün für Mischungsverhältnis 9:1 Gerinnung schwarz / malvenfarben für Mischungsverhältnis 4:1 Blutsenkung Verwendung (Vollblut) Blutsenkungsreaktion Gewinnung von Thrombozyten BD Sa Verwendung (Plasma, Mischungsverhältnis 9:1) PTT Quick-Wert Thrombinzeit Fibrinogen Gerinnungsfaktoren Hemmkörper von Gerinnungsfaktoren Für Gerinnungsuntersuchungen wird eine Mischung im Verhältnis 1+9 (ein Teil Natriumcitrat und neun Teile Vollblut), für die Blutsenkungsreaktion im Verhältnis 1+ 4 (ein Teil Natriumcitrat und vier Teile Vollblut) verwendet. Korrektes Mischungsverhältnis einhalten (siehe Tabelle 8). Natrium- / Kalium-Pumpe Wieso Serum oder Plasma möglichst schnell von Blutkuchen oder Blutzellen trennen? In der Membran der Erythrozyten wirkt eine Natrium/Kalium-Pumpe (Na + /K + -Pumpe). Sie transportiert gegen einen Konzentrationsgradienten Kalium in die Erythrozyten hinein (die Konzentration von Kalium im Erythrozyten ist etwa 24fach höher als die im Serum) und pumpt im Gegenzug Natrium aus dem Erythrozyten in das Serum zurück, wo dessen Konzentration 14fach höher ist als in den Erythrozyten (siehe Abbildung 3). Die Na + /K + -Pumpe benötigt Glukose. Da die in den Blutproben enthaltenen Zellen außerhalb des Körpers noch weiter Glukose als Nährstoff verbrauchen, sinkt der Glukosespiegel, die Na + -/ K + -Pumpe versagt. Auch bei Kühlschranktemperaturen stellt die Pumpe ihre Funktion ein, die Konzentrationsgradienten werden nicht mehr aufrecht erhalten. Selbst bei einer noch intakten Erythrozytenmembran diffundieren jetzt die Kaliumionen aus den Erythrozyten in das Serum oder Plasma und führen so zu falsch hohen Kaliumwerten. Da hochmolekulare Moleküle auch bei einem Ausfall der Na + /K + -Pumpe die Erythrozytenmembran nicht durchdringen können, werden sie nur dann in das Serum/Plasma freigesetzt, wenn die Erythrozytenmembran wie im Falle einer Hämolyse zerstört wird (siehe Seite 31). Durch die Bestimmung der hochmolekularen LDH kann zwischen einer Membranschädigung und dem Ausfall der Pumpenfunktion unterschied werden. 23

3 Untersuchungsmaterial Blut Tabelle 9 Beispiele der Beeinflussung von Messgrößen durch Antikoagulanzien Heparin EDTA Citrat Alkalische Phosphatase (AP) Amylase () Calcium CK Eisen Fettsäuren, freie -GT Glukose GOT/AST Harnsäure Kupfer Lipase Magnesium Triglyceride Die Beeinflussung hängt von der jeweiligen Messmethode ab. Die Angaben sind daher nicht zu verallgemeinern. erniedrigte Werte, Material daher zur Bestimmung nicht empfohlen. 24

3 Untersuchungsmaterial Blut Unterschiede von Serum und Plasma Die Konzentrationen folgender Analyte, die bei dem Gerinnungsprozess aus Thrombozyten und Erythrozyten freigesetzt werden, sind im Serum gegenüber dem Plasma erhöht: Kalium Phosphor LDH saure Phosphatase Magnesium (Erythrozyten) GOT/AST Serotonin neuronenspezifische Enolase (Erythrozyten) Zink (Erythrozyten) NH 3 (aus Fibrinogen durch Faktor XIII) Wegen der im Gerinnsel gebundenen Fibrinanteile, die bei der Gewinnung von Serum abzentrifugiert werden, ist das Gesamteiweiß im Serum gegenüber dem Plasma vermindert. Vorteile von Plasma Wichtig Zeitgewinn Für die Bestimmung zahlreicher Messgrößen kann anstelle von Serum auch Heparin-Plasma verwendet werden (siehe Tabelle 9). Der Vorteil, insbesondere im Klinik-Labor liegt darin, dass die Gerinnung nicht abgewartet werden muss und sich die turn-around-zeit der Analysen verkürzt. Mehr Probenmaterial Es kann bei gleicher Ausgangsmenge an Blut 10-20 % mehr Plasma als Serum gewonnen werden. Keine Fehler durch Gerinnungseffekte Die Gerinnselbildung durch eine noch nach dem Zentrifugieren weiterlaufende Gerinnung, ebenso wie die eventuelle Verfälschung von Messwerten durch die gerinnungsbedingte leichte Hämolyse unterbleibt. Da Serum und Plasma mit dem Auge nicht voneinander zu unterscheiden sind, sollten bei der Versendung von Serum und Plasma in nicht farbkodierten Röhrchen diese entsprechend beschriftet werden. 25

3 Untersuchungsmaterial Blut 3.3 Na-Fluorid-Blut Blutentnahme Farbcode Na-Fluorid-Monovette grau / gelb BD Sa Verwendung (Plasma) Hinweis -Hydroxybutyrat Glukose Homozystein Lactat Pyruvat Na-Fluorid ist ein Stoffwechselgift, das die Glykolyse hemmt und damit die weitere Verstoffwechselung von Glukose durch vitale Zellen des Blutes. Es beeinflusst zahlreiche Analyte und kann daher nur für die obe angegebenen Untersuchungen verwendet werden. 3.4 Die Blutentnahme Allgemein empfohlene Entnahmezeit Wegen der sich im Tagesverlauf einstellenden Konzentrationsänderungen von Laborparametern durch Arbeit, Essen, Hormonwirkungen, circadiane Rhythmen wird empfohlen, die Blutentnahme zwischen 7.00 und 9.00 Uhr am nüchternen Patienten nach einer Nahrungskarenz von 12 bis 14 Std. und einer Alkoholkarenz von 24 Std. vorzunehmen. Wichtig Vor der Blutentnahme nicht joggen. Blutentnahme im Ruhezustand. Vor der Blutentnahme 5-10 Min. ruhig sitzen. Blutentnahme immer im Sitzen oder im Liegen. Ein leichtes fettarmes Frühstück hat in der Regel keine wesentliche Wirkung auf die Konzentration vieler Blutbestandteile. Wichtig Unbedingt einzuhalten ist die 12-stündige Nahrungskarenz bei Untersuchungen zur Fett-, Calcium- und Knochenstoffwechseldiagnostik. Mehrere Tage vor einem Glukosebelastungstest sollte eine kohlenhydratreiche Diät vermieden werden. Bei Bestimmung von Medikamentenspiegeln sollten die Messungen im Talspiegel vorgenommen werden, d.h. vor der nächsten oralen Einnahme oder i.v.-gabe, vor der Morgenmedikation. 26

3 Untersuchungsmaterial Blut 3.4.1 Technik der venösen Blutentnahme Geeignete Vene suchen, oberflächliche Venen der Ellenbeuge, des Unterarms oder Handrückens (siehe Abbildung 4). Öffnen und Schließen der Hand vermeiden (Kaliumanstieg). Staubinde 10 cm über der Punktionsstelle anlegen. Der Puls muss fühlbar bleiben, Staudruck <50 mm Hg, maximal 30 Sek. stauen. Bewerten und Abtasten von Lage, Verlauf und Beschaffenheit der Vene. Entstauen, desinfizieren (70 % Isopropanol, 70-80 % Ethanol). Stauen (<50 mm Hg). Entfernen der Schutzhülle über der Kanüle. Mit Daumen der freien Hand, durch Zug die Haut der Punktionsstelle in Stichrichtung ziehen und spannen. Patient auf den bevorstehenden Einstich aufmerksam machen. Mit der Kanüle in Richtung Vene stechen (Stichwinkel <30 ). Schliffseite der Kanüle nach oben richten (siehe Abbildung 5). Nicht tiefer einstechen als der Venendurchmesser. Mit Kolben nur so viel Unterdruck geben, dass das Blut frei ausläuft (Nadel bei Stopp des Blutflusses drehen). Entstauen, sobald Blut fließt. Nach Beendigung der Blutentnahme, Tupfer auf die Einstichstelle legen, Kanüle rasch zurückziehen und Tupfer sofort fest anpressen. Blutfluss durch Druck stoppen. Arm nicht beugen lassen (Wundschluss wird gestört), Patient kann gegebenfalls Tupfer selbst andrücken. Schnellverband anlegen. 3.4.2 Reihenfolge der Materialgewinnung bei der Blutentnahme Vor der Blutentnahme werden die benötigten Monovetten etc. in festgelegter Reihenfolge vorgerichtet und beschriftet/etikettiert. Zur Vermeidung von Kontaminationen wird zuerst das Blut in Röhrchen oder Monovetten ohne Zusätze, danach in solche mit Zusätzen (Citrat, Heparin, EDTA, Na-Fluorid) aufgefangen. Blut für Gerinnungsteste nie zuerst abnehmen, da die erste Blutportion zwangsläufig mit Gewebesaft kontaminiert ist. Zur Wahrung der Sterilität sollte das zuerst entnommene Blut für mikrobiologische Untersuchungen (Blutkulturen) verwendet werden. 27

3 Untersuchungsmaterial Blut Abbildung 4 5 4 3 6 2 1 3 Venen Arm und Hand (links) 1 2 3 4 5 6 Vena basilica Vena mediana cubiti (es handelt sich um die nicht blau durchscheinende dicke tiefergelegene Vene, die hier nur als Vorwölbung sichtbar ist) Vena cephalica, läuft an der Daumenseite Vena cephalica Vena basilica Rete venosum dorsale manus 28

3 Untersuchungsmaterial Blut Abbildung 5 3 1 2 5 4 Venöse Blutentnahme 1 2 3 4 5 Gestaute Vene mit Daumen fixieren und spannen. Einstichwinkel in die Vene von ca. 30. Schliffseite der Kanüle nach oben richten. Blut bei mäßigem Unterdruck entnehmen. Falsch: Einstichwinkel zu steil (Durchstechen der Vene möglich). Kontaminierung der Probe, da keine Handschuhe getragen werden. 29

3 Untersuchungsmaterial Blut Tabelle 10 Konzentrationsverhältnisse von Messgrößen in Erythrozyten und Serum Angegeben ist der Quotient der Konzentrationen Erythrozyten/Serum. Analyt Quotient Lactatdehydrogenase (LDH) 160 Saure Phosphatase 67 Kalium 24 Aspartat-Aminotransferase (GOT/AST) 20 Alanin-Aminotransferase (GPT/ALT) 5 Magnesium 2.5 30

3 Untersuchungsmaterial Blut Reihenfolge 1. Blutkulturen (Sterilität!) 2. Voll-Blut 3. Citratblut (Gerinnung!) 4. Heparinblut 5. EDTA-Blut (Calcium-Komplexierung) 6. Na-Fluoridblut (Glykolysehemmer) Die beschrifteten/etikettierten Röhrchen dem Patienten zur Namenskontrolle zeigen, sofern möglich. Wichtig für PCR-Untersuchungen Da schon minimale Kontaminationen der Proben zu falsch positiven Untersuchungsergebnissen führen können, bei der Blutabnahme immer frische Handschuhe tragen und Blut in Monovetten abnehmen. Bei Blutabnahmen an mehreren Patienten in Folge Handschuhe wechseln. 3.4.3 Störgrößen bei Blutabnahmen Hämolyse Unter Hämolyse versteht man die Zerstörung der Erythrozyten entweder innerhalb des Blutgefäßes (intravasale Hämolyse) oder nach bzw. bei der Blutabnahme im Probenröhrchen (extravasale Hämolyse). Eine intravasale Hämolyse kann durch zahlreiche Erkrankungen ausgelöst werden wie Hämoglobinanomalien, Kälte- und Wärmeagglutinine, toxische Schädigung der Erythrozyten etc. Eine Hämolyse kann ab Hämoglobinkonzentrationen von > 200 mg/l mit bloßem Auge erkannt werden. Die Bestimmung des Haptoglobins ermöglicht die Unterscheidung zwischen extra- und intravasaler Hämolyse. Bei sichtbarer intravasaler Hämolyse ist die Konzentration des Haptoglobins nieder bis nicht mehr messbar. Ursachen der Hämolyse Falsch erhöhte Messgrößen bei der Hämolyse Zu langes Stauen (intravasal) Starkes Ansaugen (extravasal) Aspiration von paravenösem Blut (durchstochene Vene) Forciertes Mischen oder Ausspritzen des Blutes Zu starkes Abkühlen oder Erwärmen (Zentrifuge) Verspätetes Zentrifugieren Unvollständiges Zentrifugieren Zu langes oder zu hochtouriges Zentrifugieren Die durch Hämolyse falsch erhöhten Messgrößen sind in Tabelle 10 angegeben. Es handelt sich um Analyte, deren Konzentration in den Erythrozyten höher ist als im Serum/Plasma. 31

3 Untersuchungsmaterial Blut Tabelle 11 Beeinflussung von Analyten durch Hämolyse, Lipämie und Bilirubin (ikterische Proben) Analyt Hämolyse Lipämie Bilirubin GPT/ALT + AP + Ammoniak + GOT/AST + Bilirubin + + Chlorid + Cortisol + Kreatinin + Eisen + Folsäure + Glutamatdehydrogenase + + Harnsäure + + Harnstoff + Kalium + + Kupfer + Lactatdehydrogenase + Magnesium + Phosphat, anorganisch + Saure Phosphatase + Thyreotropin + Thyroxin + Triglyceride + Triodthyronin + Zink + 32

3 Untersuchungsmaterial Blut Lipämie Eine Lipämie tritt, abgesehen von Fettstoffwechselerkrankungen, vorwiegend dann auf, wenn die Blutentnahme am nicht nüchternen Patienten erfolgt. Gestört werden immunologische Messmethoden, Gerinnungsanalysen, Elektrophoresen. Ikterus Eine erhöhte Bilirubin-Konzentration kann die Kreatinin-Bestimmung mit der Jaffé-Reaktion stören. Wichtig Stark hämolytische oder lipämische Proben sind für die Laboranalytik nur eingeschränkt verwendbar (siehe Tabelle 11), ikterische Proben sind meist krankheitsbedingt und müssen analysiert werden. Die Analysenergebnisse sollten nach Absinken des Bilirubinspiegels kontrolliert werden. Kontaminationen Kontaminationen entstehen durch Verschleppung von Fremdstoffen in die Probe oder durch Kontakt der Probe mit Fremdkörpern (siehe Seite 13). Auch bei der Blutentnahme aus intravenösen Kathetern können Messfehler auftreten wie z.b. falsche Gerinnungsresultate durch Heparin oder erhöhte Konzentrationen von Messgrößen, wenn die Analyte Bestandteile von Infusionslösungen (z. B. Elektrolyte, Glukose) sind. 3.5 Aufarbeitung und Lagerung der Blutproben Visuelle Beurteilung Lagerung Es ist auf störende Blutgerinnsel in EDTA- und Citrat-Vollblut-Proben zu achten, die unplausible Werte bei Blutbild- und Blutgerinnungsuntersuchungen ergeben. Serum und Plasma ist auf Hämolyse, Lipämie und Bilirubinämie zu beurteilen. Es sollte grundsätzlich darauf geachtet werden, dass die Probengefäße fest verschlossen sind, sofern keine Trenngel-Monovetten verwendet werden, Serum und Plasma sofort nach dem Zentrifugieren von den Blutkörperchen getrennt und dann kühl gestellt werden, Trenngelmonovetten mit Serum oder Heparin-Plasma sofort nach dem Zentrifugieren kühl gelagert werden (abgesehen von einigen Ausnahmen), wiederholtes Einfrieren und Auftauen der Proben vermieden wird, Proben für die Messung lichtempfindlicher Analyte wie z.b. Bilirubin, Vitamine, CK, Folsäure dunkel gelagert werden (Röhrchen mit Alufolie umwickeln). 33

3 Untersuchungsmaterial Blut Tabelle 12 Probenstabilität Lagerung bei Raumtemperatur Haltbarkeit Material Untersuchung bis 4 Std. Citrat-Plasma Quickwert PTT Thrombinzeit Fibrinogen Gerinnungsfaktoren Citrat-Blut Serum Heparin-Plasma Blutsenkung Bilirubin (dunkel) Folsäure (dunkel) bis 16 Std. EDTA-Blut Hämatologieautomaten Großes Blutbild (*B) Blutsenkung Differentialblutbild Ausstrich EDTA-Blut Thrombozyten Erythrozyten bis 24 Std. EDTA-Blut Kleines Blutbild Hämatokrit Leukozyten Retikulozyten (Ausstrich) Serum Heparin-Plasma Heparin-Blut Enzyme (*A) Metabolite: alle gängigen Leberund Nierenparameter (*A) Blutfette Elektrolyte Schilddrüsenhormone HLA-Typisierungen Immunphänotypisierungen Lymphozytendifferenzierungen bis 72 Std. EDTA-Blut Hämoglobin Blutgruppe Coombs-Test Hb-Elektrophorese Molekulargenetik bis 72 Std. Serum Steroidhormone Heparin-Plasma Tumormarker Immunglobuline (IgA, IgM, IgG) Infektionsserologie Autoantikörper (*A) Aktivitätseinbußen unter 10 % mit Ausnahmen von saurer Phosphatase, die nur angesäuert stabil ist und Triglyceriden, von denen durch endogene Lipasen Glycerin abgespalten wird (Messgröße bleibt unverändert, wenn die Bestimmungsmethode das Gesamtglycerin erfasst). (*B) Die für das große Blutbild angegebene Stabilität von 16 Std. bei Raumtemperatur gilt nicht für alle darin enthal tenen Parameter, sondern im wesentlichen für die vom Hämatologieautomaten gemessenen Zellzahlen und das Hämoglobin. Weitere, insbesondere zur Diagnose und Therapieüberwachung von Eisenmangelzuständen herangezogene Kenngrößen weisen eine deutlich geringere Lagerungsstabilität auf. Hierzu gehören zum Beispiel das mittlere Zellvolumen (MCV) und der Anteil der hypochromen Erythrozyten, die häufig bereits innerhalb 8 Std. nach Blutentnahme signifikant ansteigen (siehe Abbildung 6). 34