RHETORISCH PHONETISCHE BESONDERHEITEN DER VORBEREITETEN MONOLOGISCHEN REDE (VORLESUNG)



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Transkript:

RHETORISCH PHONETISCHE BESONDERHEITEN DER VORBEREITETEN MONOLOGISCHEN REDE (VORLESUNG) Ruska Simeonova Sofioter Universität St. Kliment Ohridski Zusammenfassung Der Artikel stellt eine Pilotuntesuchung zur rhetorisch-phonetischen Problematik der Textart Vorlesung dar. Theoretisch wird auf Grundfragen aus der Textlinguistik, Rhetorik, Sprecherziehung mit Ausspracheschulung eingegangen. Die Ergebnisse einer konkreten Analyse in begrenztem Umfang markieren die grundlegenden normativ bedingten und für die mündliche Realisierung obligatorischen Besonderheiten einer Universitätsvorlesung. 1. Einleitung Reden ist Silber, Schweigen ist Gold, sagt ein bekanntes Sprichwort. Dem möchte man gern zustimmen. In Berufen aber, die wir öffentlich nennen, sollte man das Sprichwort umkehren, weil keiner von den Politikern, Journalisten, Schauspielern, ganz zu schweigen von den Lehrern kann um das Reden herumkommen. Hierzu könnte man erneut nach dem Volksmund zitieren, und zwar: Schweigen ist gut, Reden ist aber besser. In meinem Beitrag wird es um das Reden, um das Sprechen von Hochschullehrern gehen. Hochschullehrer haben bekanntlich Vorlesungen zu halten, Diskussionsbeiträge zu leisten. Manche Hochschullehrer versuchen es, mit dem Konzept in der Hand, ihre Vorlesungen frei zu sprechen. Sollten sie aber dabei reden, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist? Keineswegs! Vor ihnen schwebt ja die volksmündliche Sentenz: Wer angenehm redet, dem hört man überall zu, und wer möchte ihr nicht Folge leisten?! Also, man hat sich auf das freie Sprechen gründlich vorzubereiten, möchte man die Aufmerksamkeit des Auditoriums wach halten und das vorgetragene Material leichter nachvollziehbar machen. Das Vorlesen des Geschrie- Festschrift für Max Mangold, Phonus 6, IPUS, Saarbrücken, 2002, 289-298

290 Simeonova benen hat, wie die Erfahrung lehrt, nicht immer den gleichen Effekt, als wenn man über ein konkretes Thema frei spricht. Außerdem zeigt die Erfahrung, dass ein zur Veröffentlichung verfasster wissenschaftlicher Text anderen Aufbaugesetzmäßigkeiten unterliegt; das macht seine mündliche Realisierung vor Publikum (gelesen oder frei, d.h. auswendig gelernt gesprochen) recht umständlich. Wer so etwas wagen würde, würde sich eine höllische Vorarbeit aufbürden. Man müsste also eine bereits schriftlich verfasste Vorlesung neu umdenken, ja hie und da neu gestalten, möchte man sie anschließend mündlich vortragen. 2. Begriffsbestimmung der vorbereiteten monologischen Rede (Vorlesung): Der Begriff vorbereitete monologische Rede (Vorlesung) ließe sich u.e. näher bestimmen, indem man das Augenmerk auf dessen strukturelle, lexikalische und phonostilistische Besonderheiten richtet und sie im Gegensatz zu denen eines schriftlich verfassten und zum stillen Lesen bestimmten wissenschaftlichen Textes analysiert. Dabei müsste man sich auf bestimmte Postulate der Textlinguistik, der Rhetorik (der Sprechwirkungsforschung) und der phonetischen Basis der Sprecherziehung (Sprechschulung) stützen. 2.1. Begriffsbestimmung aus dem Blickwinkel der Textlinguistik Wie wird die Grundeinheit Text textlinguistisch definiert? Trotz der vielen Definitionsansätze gilt heute noch die Inhaltsbestimmung des Begriffes Text als unzufriedenstellend; auch die Mechanismen des Funktionierens von Texten in den gesellschaftlichen Kommunikation sind gegenwärtig noch ein ungelöstes, offenes Problem. Es scheint uns deswegen angebrachter nicht nach einer allgemeinen Definition des Textes zu trachten, sondern nach einigen für die Textsorteneinteilung relevanten Dimensionen, die eine bestimmte Variationsbreite zulassen, so wie wir sie bei Heinz Vater (Einführung in die Textlinguistik, 2001) vorfinden. Wir versprechen uns dadurch die spezifische Textsorte vorbereitete monologische Rede (Vorlesung) nach Dimension und Funktion näher bestimmen zu können. Was das Attribut wissenschaftlich angeht, das zu den Substantiven Text und Vorlesung auftritt, so ist es auch ein Problem für sich, denn die Wissenschaftlichkeit bzw. Nichtwissenschaftlichkeit eines Textes zu bestimmen scheint u.e. ein

Zur Rhetorik und Phonetik der monologischen Rede 291 vages, nicht leicht zu meisterndes Problem zu sein, wenn man auch bedenkt, dass die einzelnen Wissenschaften recht spezifische Textbesonderheiten aufweisen. Texte sind also nach Heinz Vater durch folgende Dimensionen (Merkmale) zu charakterisieren. Sie können: mündlich vs. schriftlich, einsätzig vs. mehrsätzig, monologisch vs. dialogisch, rein sprachlich vs. gemischt (andere Kommunikationsformen einschließend) sein. Nach den aufgezählten Merkmalen lässt sich unsere Vorlesung wie folgt in Anlehnung an H. Vater bestimmen: - Die Vorlesung ist eine schriftlich gesetzte und mündlich zu realisierende sprachwissenschaftliche Textart. - Sie ist mehrsätzig, wobei die Sätze inhaltlich, lexikalisch, grammatisch-strukturell und in ihrer phonetischen Gestaltung eng aufeinander bezogen sind. Kohärenz und Kohäsion oder beides sind die übergreifenden, für alle Texte im Zusammenhang geltenden Verflechtungszüge, d.h. auch für die Vorlesung. - Sie wird grundsätzlich monologisch konzipiert, der Monolog kann jedoch bei der mündlichen Realisierung in Dialog übergehen. - Es handelt sich um eine sprachliche Ausführung, je nach der wissenschaftlichen Richtung veranschaulicht durch Abbildungen, Tabellen, Audio- und Videomaterialien; bei einer frei gesprochenen Vorlesung sind auch extralinguistische Faktoren wie Mimik und Gestik des Vortragenden von Bedeutung. Auf weitere intertextuale Besonderheiten von Vorlesungstexten wird hier nicht eingegangen; sie seien als bekannt vorausgesetzt; manche von ihnen werden aber doch bei der konkreten Analyse angesprochen. Unsere Aufmerksamkeit richten wir nun auf die mögliche zweifache Realisierung einer Vorlesung: als gelesenes und als gesprochenes Wort, um uns anschließend auf den frei gesprochenen Vorlesungstext zu konzentrieren. Lesen und Sprechen sind bekanntlich zwei Grundtätigkeiten der sprachlichen Kommunikation. Sie zeichnen sich sowohl durch allgemeine als auch durch spezifische gesetzmäßige Besonderheiten aus. Diese Gesetzmäßigkeiten werden in der Forschung und Lehre der wissenschaftlichen Disziplinen Phonetik, Sprecherziehung (Sprechschulung) und Rhetorik (Sprechwirkungsforschung und -lehre) erarbeitet. Gerade diese Disziplinen werden jedoch in Lehre und Praxis des philologischen Studiums vernachlässigt, man dürfte sogar behaupten fast weltweit.

292 Simeonova 2.2. Begriffsbetimmung aus dem Blickwinkel der Rhetorik, Sprecherziehung und Phonetik Was ist Rhetorik? Das Wort kommt aus dem Altgriechischen und führt uns an die Wiege der antiken abendländischen Kultur zurück: Techné rhetoriké bedeutete die Kunst der Rede, zu reden, schönes Reden, Beredtsamkeit. Inhaltlich verstand man darunter vor etwa 2000 Jahren das Entwickeln der Fähigkeit, durch öffentliche Rede einen Standpunkt überzeugend zu vertreten und wirkungsvoll das Denken und Handeln der Hörenden zu beeinflussen. In unserem Fall sind wir nicht ausschließlich auf jenes schöne Reden angewiesen, das darauf abzielt, die Menschen so zu beeinflussen, dass man sie auch beherrschen kann. Das Ziel einer Vorlesung ist Wissen zu vermitteln. Dieses Wissen kommt jedoch viel besser an, wenn man den Text nicht monoton lesend herunterleiert, sondern entweder durch wirkungsvolles Lesen bzw. durch wirkungsvolles freies Sprechen das Interesse der Zuhörer erweckt und wach hält und so ihnen hilft, sich mit dem vermittelten Wissen leichter vertraut zu machen. Natürlich ist das Ausdrucksfeld der sprecherischen Äußerungen auch an die Individualität, an das Temperament des Sprechers, des Redners, gebunden. Vieles lässt sich aber auch durch Schulung erreichen. Nicht umsonst haben die alten Römer die Sentenz geprägt: Dichter werden geboren, Redner aber werden gemacht. Und in ihr steckt ein bestimmtes Quantum Wahrheit. Das rhetorische Ziel einer Vorlesung ist folglich das zu vermittelnde Wissen durch wirkungsvoll argumentierte Standpunkte und effektvolles Sprechen anziehender und interessanter zu gestalten und daher es leichter behaltbar und nachvollziehbar zu machen. - Die von der antiken Rhetorik aufgestellten Anweisungen, Regeln und Techniken, welche ein öffentlicher Redner hätte meistern müssen, haben bis heutzutage Geltung. Das rhetorische Repertoir eines Hochschullehrers, der auf wirksames, effektvolles Sprechen bedacht ist, ließe sich u. E. wie folgt zusammenfassend darstellen: - Klar und wirksam sprechen. Klar soll der Textinhalt sein, wirksam bezieht sich sowohl auf die schriftlich verfasste Textform als auch auf die wirksamen Sprachund Sprechmittel. - Den Zusammenhang immer vor Augen haben. Konzentration und Selbstkontrolle sind vom Sprechenden gefordert, damit er den roten Faden nicht verliert. Es wäre ratsam, bei einem unwillkommenen Gedankensprung während der Ausführung innezuhalten, ruhig durchzuatmen, bevor man sich weiter äußert.

Zur Rhetorik und Phonetik der monologischen Rede 293 - Sich kurz und prägnant äußern. Weitschweifigkeit ist kein guter Freund eines wissenschaftlichen Vortrags. Wer charakterologisch dazu neigt, soll sich durch Selbstdisziplin bändigen und sich streng an das Konzept der Vorlesung halten. Unter Prägnanz verstehen die Rhetoriker die wirksame Strukturierung des Textes eines Vortrags. Was wäre dabei nötig: - Bei einem längeren Vortrag, wie übrigens eine Universitätsvorlesung in der Regel ist, sollte man die einzelnen Teilbereiche deutlich werden lassen; neue Gesichtspunkte sind hervorzuheben, Wesentliches zusammenzufassen bzw. zu wiederholen; neue Aspekte können durch rhetorische Fragen eingeführt werden. - Sogar bei einem wissenschaftlichen Vortrag soll man auf Anschaulichkeit achten. - Deutlich und normgerecht sprechen. Alle Bemühungen um Klarheit, Eindeutigkeit,Prägnanz, Einfachheit und Kürze des Ausdrucks fruchten aber wenig, wenn man nicht deutlich und normgerecht spricht. Das gilt für die Muttersprachler in gleichem Maße wie für Fachleute, die in einer fremden Sprache vortragen. Es scheint mir angebracht, gerade zu diesem Punkt auf einige Grundprobleme der phonetisch-phonologischen Basis der Sprecherziehung einzugehen. Die Sprecherziehung (-schulung) zielt auf Optimierung der sprechsprachlichen Kommunikation ab. Neben den rhetorischen Geboten, die man beim Konzipieren und Realisieren eines Vortrages beachten muss, bilden Übungen zur Standardaussprache eine conditio sine qua non für Fachleute, die sich das öffentliche Sprechen zum Beruf gemacht haben. Wissensvermittlung durch normgerechte und wirkungsvolle Sprachverwendung sollte die Losung eines jeden Hochschullehrers lauten, wenn er auf seinen guten Ruf hält und sich für den reibungslosen geistig-sprachliche Nachvollzug der Rezipienten (Hörer, Studenten) verantwortlich fühlt. Die Übungen zur Standardaussprache sollten auf breiter Grundlage erfolgen. Korrekte Lautartikulation, Beachtung der Lautveränderungen an anfälligen Stellen im Syntagma (Assimilation, Reduktion), Akzentuierung und Segmentierung mit Pausensetzung im Redefluss, der ganze Komplex der Intonation wie melodische Führung, Stimmstärke und -höhe in ihrer variablen Modulation, Klangfarbe der Rede, gehören sowohl zum theoretischen als auch zum Übungsmaterial eines zukünftigen Lehrers und Sprecherziehers, eines zukünftigen öffentlichen Redners. So sind z. B. korrekte Akzentuierung und Segmentierung mit Pausensetzung im Redezusammenhamg wesentliche Merkmale zur Optimierung der Deutlichkeit. Ihre Nichtbeachtung kann das deutliche Sprechen beeinträchtigen, wobei der Sprecher Gefahr läuft missverstanden oder überhaupt nicht verstanden zu werden. Sprechtempo, Stimmstärke und Klangfarbe der Rede unterstützen ebenfalls die Deutlichkeit. Gleichzeitig sind sie auch emphatische Komponenten und durch sie kann der Sprecher suggerieren und emotional einwirken.

294 Simeonova Korrekte Melodieführung erhöht den Grad der Deutlichkeit und Verständlichkeit der Rede, kämpft gegen die Monotonität eines wissenschaftlichen Vortrags. Die Deutlichkeit des Sprechens ist nicht zuletzt eine Frage der Atemtechnik. Sinnpausen beim Sprechen sollen im Normalfall auch Pausen zum Atmen sein. 3. Rhetorisch-phonetische Besonderheiten einer Universitätsvorlesung. Pilotanalyse Punkt 2 auf unserem Beitragsplan umfasst die Bekanntmachung mit dem Material einer phonetisch-perzeptiv ausgerichteten und stichprobenartig ausgeführten Pilotanalyse, mit den Versuchspersonen und mit der Methodik der Untersuchung. Das Material besteht aus drei teils gesprochenen, teils gelesenen und aufs Tonband aufgezeichneten Universitätsvorlesungen aus dem Bereich der Phonetik. Es sind Gastvorlesungen, von führenden deutschen Phonetikern gehalten. Es ist nur die allererste Etappe der Untersuchung durchgeführt und ausgewertet worden. Sie besteht in der analytischen Gegenüberstellung von stichprobenartig aus den drei Vorlesungen ausgewählten frei gesprochenen Abschnitten. Die Abschnitte wurden transkribiert, die segmentalen Einheiten nach der phonetischen Umschrift der IPA. Für den suprasegmentalen Bereich wurden einige diakritische Zeichen zur Bezeichnung von Akzent, Pausensetzung und melodische Gestaltung in die phonetische Transkription eingeführt. Alle Vortragenden sprechen vor einem Auditorium von etva 30 bis 40 Mann. Die Hörer sind mehr oder weniger in Phonetik und Phonologie bewandert. Für die Vortragenden ist die Vorlesungssituation eine normale, routinemäßige. Deswegen können sie es sich erlauben, während der geplanten Ausführungen Klammern aufzumachen, um zusätzliche Erklärungen zu geben, neue Gedanken zu entwickeln, selbstständige Formulierungen anzubieten, andere diskutierend in Frage zu stellen. Alle drei VP arbeiten auch mit Anschauungsmaterialien, das ihnen eine zusätzliche Freiheit im Ausdruck und in der Bewegung erlaubt. Die so beschriebene Situation wirkt sich also entspannend auf Haltung und Benehmen des Sprechenden und demokratisierend auf die phonetische Gestaltung des Textes. Hyperkorrektheit, die sich rhythmisch gleichmäßig und etwas monoton auf den Sprechablauf auswirkt, beobachtet man kaum. Alle VP sprechen in der sog. Formstufe 1b (Meinhold, 1961), die für den Vortrag bei mittlerem Spannungsgrad charakteristisch ist und eine Variationsbreite von schwachen Formen (Assimilationen, Reduktionen) zulässt, mitunter auch in 2a, d.h. noch legerer.

Zur Rhetorik und Phonetik der monologischen Rede 295 3.1. Sprechbesonderheiten der einzelnen Versuchspersonen 3.1.1. Segmentale Besonderheiten VP 1: Hohe standardsprachliche Lautbildungspräzision, besonders am Syntagmaschluss vor Pause. Normgerechte Realisierung aller betonten Vokale. Ausgeprägte Aspiration der stimmlosen Verschlusslaute im Anlaut vor Vokal, vor [l], [r]. Konsonantisch-frikative Realisierung des [r] nach Kurzvokal vor Konsonant. VP 2: Standardsprachliche Artikulation; Syntagmaschluss markiert durch präzise Ausformung der letzten Silbe, die idiolektal spezifisch gedehnt wird. Keine besonders starke Aspiration von [p,t,k]. Vokalische Lösung des [r] auch nach Kurzvokal vor Konsonant. Leichte oberdeutsche Nuancen bei der Diphtongrealisierung. VP 3: Standardsprachliche Artikulation, Syntagmaschluss standardsprachlich ausgeformt. Aspiration von [p,t,k] keine auffällige. Das [r] auch nach Kurzvokal vor Konsonant vokalisch gelöst. Gespannte Vokale etwas heller klingend. 3.1.2. Schwache Formen (Assimilationen, Reduktionen) und Suprasegmentalia Die Realisierung von schwachen Formen an der sandhialen Naht im Redezusammenhang hängt eng mit dem individuellen Sprechtempo des Redners sowie mit der rhythmischen Verteilung von Lento- und Prestoformen zusammen. VP 1: Individuelles Sprechtempo normal: es hält sich in dem von G. Meinhold (1963) festgestellten Rahmen von etwa 360 Silben pro Minute.

296 Simeonova Rhythmisch abgewogene Abwechslung von Lento- (Satzakzentuierte Einheiten im Syntagma) und Prestoformen (Schwachformen, die in unbetonter Stellung vorkommen). Segmentierung und Pausensetzung normgerecht; Neigung jedoch zu Hesitationspausen, die durch stimmliche extralinguistische Bildungen wie eh, hm gefüllt worden sind. Das ist übrigens eine oft anzutreffende Erscheinung, wenn man im freien Sprechen nach treffenden Ausdrucken sucht, bzw. bei Gedankensprüngen. Natürliche, hie und da effektvolle Stimmführung. VP 2: Auffallend langsames Sprechtempo: etwa 300-310 Silben pro Minute. Kein auffallender Kontrast zwischen Lento- und Prestoformen: das Sprechtempo wird gleich gehalten; bei Lentoformen lässt sich eine Dehnung der letzten Silben beobachten, begleitet von Nasalierung des Vokals vor [n, Ν], ja sogar vor [m]. Segmentierung und Pausensetzung normgerecht. Neigung zu stummen Hesitationspausen. Rhythmus und Stimmführung eher monoton, dozierend. VP 3: Das individuelle Sprechtempo der VP 3 zeigt eine leichte Neigung zum Poltern, was heißen soll, dass der Redner die Phrase im normalen Sprechtempo beginnt, etwa in der Mitte oder gegen Ende des Syntagmas aber das Tempo beschleunigt, sodass zahlreiche Schwächungen auftreten; manche Wörter gegen Syntagmaschluss werden sogar bis nur auf eine Silbe komprimiert ausgesprochen. So ein schnelles und durch Lautschwächungen recht verdichtetes Sprechen könnte vor fremdem Publikum unter Umständen die Deutlichkeit und daher das Verstehen des Gesprochenen beeinträchtigen. Sonst versucht VP 3 alle Regeln der Sprechwirkungsforschung zu beachten, so dass die vor Muttersprachlern gehaltene Vorlesung ihr Sprechwirkungsziel erreicht. 3.2. Zusammenfassung der experimentellen Schlussfolgerungen - Das Experiment bestätigte die theoretischen Postulate textlinguistischer, rhetorischer und phonetisch-phonologischer Art, die für den freien mündlichen Vortrag einer Universitätsvorlesung gelten. - Durch die Ergebnisse der Pilotanalyse konnten die drei behandelten Vorlesungen in hohem Grade als Etalon für frei gesprochene Vorlesungen angesehen werden; dadurch wurde auch der Individualität des Vortragenden den gebührenden Nutzeffekt im Sprechwirkungsprozess zugesprochen.

Zur Rhetorik und Phonetik der monologischen Rede 297 - Die Arbeit an der zur Diskussion gestellten Problematik sollte durch breiter und tiefer angelegte Untersuchungen fortgesetzt werden. - Ausspracheschulung und wirkungsvolles Sprechen dürfen im philologischen Studium nicht vernachlässigt werden. 4. Schlußbemerkung Der vorliegende Beitrag hatte zum Ziel, das Interesse der Fachkollegen für die darin angesprochene Problematik zu wecken und die wesentlichen Vorteile hervorzuheben, die die Sprechwirkungsforschung und -lehre und die Ausspracheschulung für zukünftige Lehrer mit sich bringt. 5. Literatur Aderhold, E. (1963). Sprecherziehung des Schauspielers. Grundlagen und Methoden. Berlin. Brinker, K. (1988). Linguistische Textanalyse. Eine Einführung in Grundbegriffe und Methoden. Berlin. Galtung, J. (1985). Struktur, Kultur und intelektueller Stil. In: Wierlacher, A. (Hrsg.), Das Fremde und das Eigene. München, 151-193. Krech, E.-M. (1987). Vortragskunst. Leipzig. Oksaar, E. (1985). Sprachkultur und mündliche Kommunikation. In: Sprachkultur, Der Deutschunterricht. Jg. 37, 1. Hamburg, 6-20. Rehbock, H. (1980). Rhetorik. In: Lexikon der germanistischen Linguistik II; III. Kommunikatives Handeln. Tübingen, 293-304.! " # Rosengren, I. (1980). Texttheorie. In: Lexikon der germanistischen Linguistik II; III. Kommunikatives Handeln. Tübingen, 275-286., (2001).. 1, 6-12. Simeonova, R., Kostova-Dobreva, H & Grigorova, E. (2000). Gesprochenes Deutsch. Korrektiver Kurs für Fortgeschrittene. Sofia.. : Spillner, B. (1974). Linguistik und Literaturwissenschaft. Stilforschung, Rhetorik, Textlinguistik. Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz.

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