Alfred Brust (1891-1934) 1891 bis 1914 am 15. Juni 1891 in Insterburg/Ostpreußen geboren Besuch der Realschule in Tilsit (Klassenlehrer war der litauische Philosoph und Schriftsteller Vydúnas) um die Jahrhundertwende entstehen erste Gedichte bis 1910: Kaufmannslehre in Tilsit 1910: Uraufführung der ersten Einakter am Stadttheater in Tilsit (unter Sioli) Volontariat an der "Tilsiter Zeitung" 1912: in der Redaktion des "Annaberger Wochenblatts" (Freundschaft zum Komponisten Peter Gast) 1914: Feuilletonist für das "Berliner Tageblatt", die "Stettiner Abendpost", den "Zeitgeist" und den "Weltspiegel" 1914: Heirat
1914 bis 1923 ab 1915: Kriegsdienst an der Ostfront, unter anderem in der Presseabteilung (Buchprüfungsamt) des Oberbefehlshabers Ost; hier Bekanntschaft mit Richard Dehmel, Karl Schmidt-Rottluff, Herbert Eulenberg, Magnus Zeller, Sammy Gronemann, Hermann Struck und Arnold Zweig 1918: Delegierter des Rigaer Soldatenrates 1918: Kontakt zur expressionistischen Architektengruppe "Gläsernen Kette" um Bruno Taut; Brusts Beiträge erscheinen unter dem Pseudonym Cor.(datus) während und kurz nach dem Krieg entstehen wichtigsten Dramen um 1923 wendet sich Brust der Prosa zu Umzug von Heydekrug/Silute nach Cranz an der Kurischen Nehrung (s. Abb.) 1923: Kurzgeschichtenband "Himmelsstraßen" (Brusts letzte Veröffentlichung im Kurt Wolff Verlag)
1923 bis 1934 1926 erscheint der Roman "Die verlorene Erde" 1929 erhält er für diesen Roman den Kleist-Preis 1929 erscheint Brusts einziger Lyrikband"Ichbin" 1931 zieht Brusts zehnköpfige Familie nach Königsberg am 18. September 1934 verstirbt der Dichter infolge einer Lungentuberkulose
Hubert Orłowski über Die verlorene Erde www.kunstprojekt-goetzen.de Die Handlung des Romans ist dekonstruktivistisch verworren und spielt im litauisch-pruzzischen Grenzland auf mehreren Zeitebenen, vor allem aber in der Ordensritterzeit sowie in der Zeit der katholischen Konterreformation in Litauen. Das Ausrotten pruzzischer Stämme wechselt ab mit Szenen antisemitischer Aktionen rund um das Wilnaer Getto des 18. Jahrhunderts. Die mythisch überhöhte Hauptgestalt des Grafen [ ] ist ausgestattet worden mit Episoden aus der recht seltsamen Vita des Grafen Walenty Potocki.
Als Spross der weltbekannten polnischen Großadelsfamilie, trat er zum Judentum über und wurde von der jüdischen Gemeinde in Wilna als Proselyt, als Ger Zedek, also als der gerechte Fremde, hochverehrt. In dieser sozialen Rolle als Konvertit, wurde er dann allerdings vor der Wilnaer Stanislauskathedrale 1749 von der aufgehetzten Menge getötet. Die Geschichte wie es Janusz Tazbir, ein exzellenter Kenner der polnischen Kontrreformationsepoche bewies ist von Ignazy Jozef Kraszewski [ ] erfunden worden. Auch The story of the Vilnian righteous proselyt count Valentin Potocky (1990) von Valentin Karpinowitz [ ] hebt das Einzigartige an der Lebenstrajektorie des polnischen Aristokraten hervor.
Ein Auszug aus dem Roman Die verlorene Erde Frau Malvine führte die Männer am Nachmittag des jüdischen Festtages durch die Stadt. Trotzdem die Judenschaft doch nur ein Teil der Einwohnerzahl Wilnas war, so wirkte sich dennoch dieser Festtag wie ein allgemeiner Feiertag aus. Fast alle Geschäfte waren geschlossen, und auf den Straßen herrschte nur wenig Verkehr. Ohne Zweifel war es den Katholiken daran gelegen, die über allem ruhende Weihe des Tages zu stören. Man versuchte es durch Albernheiten und Gehässigkeiten, durch schlechte Witze und herrisches Auftreten mit der Reitpeitsche ja sogar durch Musikaufzüge, die bis in die Ghettogassen vorstießen.
Hingegen mußten an den Festtagen der Katholiken, die keinesfalls offiziell waren, alle Läden geschlossen sein. Jeder Jude war bemüht, die ewige Pogromstimmung an solchen Tagen nicht noch zu reizen. Die Weißrussen und Tataren, gleichsam der seelische Adel der gemischten Bevölkerung, kümmerte sich um diese Dinge nicht. Und auch die katholischen Litauer standen den gegenseitigen religiösen Anfeindungen mit Zurückhaltung gegenüber. Nur die Polen in ihrer Unselbständigkeit ein willfähriges Werkzeug fanatischer Priester und ewig gekränkter Nationalisten, suchten überall Reibung: ein unruhiges,unglückliches, verlorenes Volk.
Es war kaum ein Jude zu sehen, der einzeln und allein über die straßen ging. Sie waren truppweise beisammen und strebten der Wilia zu, um noch am Wasser des Flusses ein Gebet zu verrichten. A. Brust. Die verlorene Erde. Berlin: Horen Verlag, 1926, S.361-362.
Ernst Alker (1977) über Alfred Brust: Das geistig aufgeschlossene Pressequartier des deutschen Kommandos Ober-Ost in Wilna während des I. Weltkriegs hatte den Soldaten Brust vertraut gemacht mit der Vorstellungswelt der Ostjuden, seine dichterischen Diktionsformen dem angenähert, was die Kunst Marc Chagalls zum Ausdruck bringt. In: Profile und Gestalten der deutschen Literatur nach 1914, Stuttgart, 1977, S. 852.