Armut ist ungerecht Helga Rütten Leiterin Caritas-Zentrum Esslingen
Gliederung 1. Definitionen von Armut 2. Armutszahlen und Armutsrisiken 3. Kinderarmutsstudie: Die Menschen hinter den Zahlen 4.Kinderstiftung Esslingen-Nürtingen 5.Chancenschenker
Definitionen von Armut Absolute Armut bezeichnet einen Mangel an lebensnotwendigen Gütern (< 1,25 US Dollar pro Tag laut UN). Relative Armut: Arm sind Einzelpersonen, Familien oder Gruppen, die über so geringe (materielle, kulturelle und soziale) Mittel verfügen, dass sie von der Lebensweise ausgeschlossen sind, die in dem Mitgliedsstaat, in dem sie leben, als Minimum annehmbar ist. (Rat der EU) Armut ist die Ungleichheit von Lebensbedingungen und die Ausgrenzung von einem gesellschaftlich akzeptierten Lebensstandard. (Vgl. Böhnke 2002)
Sozialwissenschaftlicher Armutsbegriff Armut ist abhängig vom Wohlstand einer Gesellschaft und den dort herrschenden Lebensumständen sowie Wertvorstellungen. Ein verhältnismäßig armer Mensch in einem reichen Land steht unter einem höheren Konsumdruck. Die paradoxe Erscheinung, dass es in reichen Ländern Hunger gibt, hängt damit zusammen, dass konkurrierende Anforderungen an das Haushaltsbudget gestellt werden: einerseits die Bedürfnisse des Leibes, andererseits das Bedürfnis, sozial mithalten zu können. (Vgl. Sen 2000)
Einkommensarmut Verfügt eine Person über weniger als 60 % des mittleren Einkommens der Gesellschaft in der sie lebt, gilt sie als arm. zugrunde gelegte Definition von Einkommensarmut nach der Kinderarmutsstudie des Caritasverbandes der Diözese Rottenburg-Stuttgart 2009
Armutszahlen im Landkreis Esslingen In Esslingen lebten im Dezember 2012 19.331 Personen von ALG II. 5.407 davon waren Kinder unter 15 Jahre.
Armutsgrenze in Deutschland Es gibt 4 führende Institute für statistische Haushaltsbefragungen in Deutschland: EU-SILC Leben in Europa (europaweit) SOEP Das sozioökonomische Panel (Deutschland) EVS Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (Deutschland) Mikrozensus (Deutschland, Teilnahme verpflichtend) Alle setzen die Armutsschwelle bei 60 % des Medians des Nettoäquivalenzeinkommens an. Die aktuelle Armutsschwelle schwankt zwischen 801 (Mikrozensus) und 929 (EU-SILC)!
Kinderregelsätze 2014 Kinderregelsatz für Kinder 0-6 Jahre: 229 / Monat Darin enthalten u.a.: 85,11 Nahrungsmittel und Getränke > 2,84 33,74 Bekleidung und Schuhe > 1,12 6,59 Gesundheitspflege > 0,22 1,06 Bildung > 0,03 Quelle: Regelbedarfsermittlung, i.d.f.v 2011, Anpassung 2014 gemäß 7 Fortschreibung der regelbedarfs-relevantenverbrauchsausgaben
Säuglingssterblichkeit Zeitraum Bremen (Stadt) Wohlhabendes Viertel Arbeiterviertel Großsiedlungen 2000-2004 5,0 3,6 4,5 9,8 2005-2008 4,5 1,2 5,2 7,3 Zeitraum Bremen (Stadt) Bremerhaven (Stadt) 2007-2010 4,7 9,4 Armutsquote* 2010 29,3% 37,9% * Kinder unter 15 Jahren in SGB II in Bremen und Bremerhaven Quelle: Säuglingssterblichkeit pro 1.000 Lebendgeborene nach Quartierstyp, Gesundheitsamt Stadt Bremen; Senatorin für Arbeit, Frauen, Gesundheit, Jugend und Soziales, 2010, S. 56; **BIAJ-Kurzmitteilung v.27.04.12, eigen Darstellung
Armutsrisiken in Deutschland Verlust des Arbeitsplatzes Kinderreichtum (ab 3 Kinder) Trennung / Scheidung Suchterkrankung chronische Erkrankung / Pflegebedürftigkeit Migration Verschuldung
Armutsrisiko für Kinder: Alleinerziehende und ihre Kinder unter 3 Jahren haben ein Armutsrisiko von über 50 %! 60 50 40 30 20 Armutsrisiko in % 10 0 Familie mit 3 Kindern Familie mit 4 und mehr Kindern Alleinerziehende Alleinerziehende mit Kindern unter 3 Jahren Quelle: Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung 2010
Die Menschen hinter den Zahlen Studie über arme Kinder und ihre Familien in Baden- Württemberg im Auftrag des Caritasverbandes der Diözese Rottenburg-Stuttgart und des Diözesanrates von 2009. Kinderarmut wird aus sozialarbeitswissenschaftlicher Perspektive untersucht. Besonderheit: Persönliche Interviews mit betroffenen Kindern und deren Eltern. Quelle: Die Menschen hinter den Zahlen Arme Kinder und ihre Familien in Baden- Württemberg 2009
Ausprägungen von Kinderarmut Akute Armutsgefährdung Familien / Kinder in ALG II-Bezug bzw. deren Einkommen ohne staatliche Transferleistungen nicht zur Deckung des täglichen Bedarfs ausreicht (= Einkommensarmut). Manifeste Kinderarmut die permanente finanzielle Mangelsituation und Unterversorgung wirkt sich negativ auf die Lebenswelt der Kinder aus, Kinder sind in ihrer Entwicklung und Teilhabe wesentlich beeinträchtigt aufgrund mangelnder Ressourcen. Extreme Kinderarmut Zusätzliche soziale und wirtschaftliche Probleme verschärfen die Situation der Familien (z.b. Überschuldung, Drogenabhängigkeit, Langzeitarbeitslosigkeit, Misshandlungen, Obdachlosigkeit). Quelle: Die Menschen hinter den Zahlen Arme Kinder und ihre Familien in Baden- Württemberg 2009
Mehrdimensionales Armutsverständnis Einkommensindikator (orientiert an ALG II) Akute Armutsgefährdung Manifeste Armut Extreme Armut Mangel an fundamentalen Entwicklungs- und Teilhabechancen in fünf Dimensionen Körperliche Entwicklung und Gesundheit Kognitive Entwicklung, Bildung und Lernen Soziale Entwicklung, soziale Kompetenzen und soziale Netzwerke Kulturelle Entwicklung und Freizeitgestaltung Persönlichkeitsentwicklung, Selbstachtung und Selbstwert jeweils auf den 3 Bezugsebenen Kind, Familie und Sozialraum Quelle: Die Menschen hinter den Zahlen Arme Kinder und ihre Familien in Baden-Württemberg 2009
Körperliche Entwicklung und Gesundheit Hunger Übergewicht krankmachender Stress Sorgen, Existenzängste, psychische Probleme und Krankheiten Atemwegs- und Infektionskrankheiten Rauchen krankmachende Umwelten Quelle: Die Menschen hinter den Zahlen Arme Kinder und ihre Familien in Baden-Württemberg 2009
Kognitive Entwicklung, Bildung und Lernen fehlendes Interesse an kindlichen Bildungswegen fehlende familiäre Unterstützung und Ermutigung Stress, Streit, Scheitern Überforderung, Hilflosigkeit mangelnde Lernanreize elterliche Verantwortung für kindliche Lernprozesse wird abgegeben Quelle: Die Menschen hinter den Zahlen Arme Kinder und ihre Familien in Baden- Württemberg 2009
Soziale Entwicklung, soziale Kompetenzen und soziale Netzwerke Armutsspirale soziale Brennpunkte fehlender Wohnraum für soziale Kontakte fehlende informelle Unterstützung geschlossene familiäre Systeme negative familiäre Bewältigungsstrategien soziale Ausgrenzung / Exklusion Quelle: Die Menschen hinter den Zahlen Arme Kinder und ihre Familien in Baden- Württemberg 2009
Kulturelle Entwicklung und Freizeitgestaltung passive Nutzung elektronischer Medien, viel Fernsehen fehlender geeigneter Wohnraum Reizarmut einerseits, Reizüberflutung (elektronische Medien) andererseits Kultur hat keine Wertigkeit fehlende Regenerations- und Mußeräume Quelle: Die Menschen hinter den Zahlen Arme Kinder und ihre Familien in BadenWürttemberg 2009
Persönlichkeitsentwicklung Überforderung der Kinder und Eltern überzogene Strenge negative Peergroups negative Selbstbilder mangelnde Selbstachtung Angst vor schlechten Einflüssen Gleichgültigkeit und Resignation Sprachlosigkeit, was die eigene Person betrifft wenig Raum, die Persönlichkeit zu entfalten Quelle: Die Menschen hinter den Zahlen Arme Kinder und ihre Familien in Baden-Württemberg 2009
Aus: Richter, Antje (2000): Wie erleben und bewältigen Kinder Armut?
Aus: Richter, Antje (2000): Wie erleben und bewältigen Kinder Armut?
Konkrete Handlungsempfehlungen für die Soziale Arbeit Sozialraumorientierung Mütterförderung (Selbsthilfe, Treffpunkte) neue Formen der Solidarökonomie (Genossenschaften, Tauschringe) zusätzliche Erfahrungs- und Erholungsräume für Kinder Familienarbeit um zu einem gemeinsamen Familienleben zu befähigen enge Kooperation mit Schulen und kulturellen Einrichtungen Beratungs- und Bildungsangebote für Eltern eröffnen, die leicht zugänglich sind Personelle Ressourcen schaffen Quelle: Die Menschen hinter den Zahlen Arme Kinder und ihre Familien in BadenWürttemberg 2009
Konsequenzen der Studie Die Strategieentwicklung des Caritasverbandes wurde konkret durch die Kinderarmutsstudie beeinflusst. Ziel ist es Hilfestellungen zu bieten, die dafür Sorge tragen, dass Einkommensarmut der Erwachsenen nicht zu Armut an Entwicklungschancen für Kinder wird.
Aufbau der Kinderstiftung Kuratorium Regionalleitung Dekan 8 weitere Mitglieder fachlicher Beirat Geschäftsführung 30% Regionalleitung Öffentlichkeitsarbeit Fachleitung Soziale Hilfen Zentrumsmitarbeiter Spenden Zustiftungen Dekanat Stiftungsfond Caritas
Ziele Teilhabegerechtigkeit von Kindern wird durch Projekte und Einzelförderung verbessert Profilbildung : die Kinderstiftung ist im Landkreis als die Kinderstiftung bekannt Vermittlung von Werten: Nächstenliebe und Solidarität stiften, Bürgerschaftliches Engagement fördern Sozialpolitische Arbeit und Anwaltschaft: Aufmerksamkeit auf das Thema Kinderarmut lenken, Netzwerk der Hilfen Kooperationen außerhalb des sozialen Sektors aufbauen
Weshalb eine Stiftung? Instrument für nachhaltiges und langfristiges Engagement Kinderarmut verschwindet nicht Was macht die Caritas: Caritasregion legt 50.000 an Caritas finanziert 30% einer Vollkostenstelle für die Geschäftsführung bietet eine Plattform für Netzwerke, Ideen, gesellschaftliche Anerkennung,
Weshalb eine Stiftung? Unterstützung durch Caritas Stiftung + rechtsfähige Verwaltung durch treuhändische Verwaltung Einfaches Genehmigungsverfahren Einfache Anerkennung der Gemeinnützigkeit Keine Gründungskosten Niedrige Kosten für laufende Verwaltung Die Stiftungskuratorien können sich auf inhaltliche Arbeit konzentrieren
Gefördert werden 1. Hintergrund 2. Kinderstiftung Chancenschenker Einzelfallhilfen ( Kleidung, Schulmaterialien, ) Kindergruppen und Projekte in den Bereichen Musik, Sport, Nachhilfe, Erlebnis, Freizeit
Beispiele Inge Weber (39), alleinerziehend mit sechsjähriger Sohn lebt seit 2 Jahren von Hartz IV Geld reicht nicht für Schulausflug Familie mit vier Kindern Vater verdient 1500,- netto um aufs Gymnasium gehen zu können, braucht die Tochter Nachhilfe Mädchen möchte Geige lernen Eltern arbeitslos BuT reicht nicht aus Manuel (9), spielt Fußball Eltern arbeitslos Anschaffungen rund um den Verein schwierig
Chancenschenker Verbesserung von Teilhabechancen durch Patenschaften
Chancenschenker Individuelle Patenschaften mit Fokus auf Wunsch des Kindes Gemeinsam spielen, malen, lesen Begleitung zum Sport Besuchen der Bücherei, des Tiergartens, des Spielplatzes Unterstützung bei schulischen Problemen
Chancenschenker Durchführung von Gruppenangeboten Kunstprojekt im Kindergarten Gitarrengruppe Lesepatenschaften in Grundundschulen
Chancenschenker Aktionen Klavierkonzert für Kleinkinder Sommerfest Sportturnier
Chancenschenker Bildung Kunst Koordinationsstelle Chancenschenker Lesen sammelt Chancen und verschenkt Chancen Musik Soziales
Den Aufbruch wagen gemeinsam gegen Kinderarmut! Dekanat ES-NT bzw. kath. Einrichtungen/ Verbände Katholische Familienpflege Weitere Interessierte Einrichtungen, Unternehmen, Personen Caritas FNA Seelsorge für Familien mit behinderten Kindern Landesverband der kath. Kindertagesstätten Kath. Gesamtkirchengemeinde ES Kirchengemeinden und Sie?
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!