Soziale Kompetenz als Panazee?



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140 Sonderdruck aus: Zeitschrift für Musik-, Tanz- und Georg Kunsttherapie, Hörmann 13 (3), 140 145, Hogrefe-Verlag Göttingen 2002 Soziale Kompetenz als Panazee? Georg Hörmann Zusammenfassung. Kaum ein Thema findet allgemein so viel Aufmerksamkeit wie die Diskussion um soziale Kompetenz als Schlüsselqualifikation im Bildungs-, Sozial- und Gesundheitswesen. Anhand zweier Beispiele, einem bekannten Gruppentraining sozialer Kompetenzen (GSK) und einer umfangreichen Studie im Rahmen eines Projektverbundes Kompetenzentwicklung für den wirtschaftlichen Wandel Strukturveränderungen betrieblicher Weiterbildung wird die Frage erörtert, wie einerseits soziale Kompetenz verstanden bzw. praktisch eingeübt werden soll und andererseits der Beitrag von Kompetenzfacetten empirisch fundiert ist. Schlüsselwörter: Soziale Kompetenz, Kompetenzfacetten, Gruppentraining, Assertive Training Social competence as a panacea? Abstract. Hardly any subject receives more attention than the discussion of social competence as a key qualification in the areas of education, the social system, and the health system. The topic is discussed on the basis of two examples, a well known group training program in social competence (GSK) and a comprehensive study undertaken as part of a joint project Development of competences for economic change structural changes in continuing vocational training. The discussion centers on how social competence can be understood and trained practically, and how empirically well founded the various facets of competence are. Key words: Social competence, facets of competence, group training, assertive training Jeder musikalisch Tätige, der im Orchester, im Ensemble oder einer Band musiziert, im Chor singt oder in der musiktherapeutischen Gruppenimprovisation spielt, kennt nicht nur das befriedigende Gefühl gemeinsamen Tuns, sondern weiß auch um die Voraussetzungen für ein entsprechendes Gelingen solchen Handelns, das man mit dem neumodischen Schlagwort soziale Kompetenz charakterisiert. Doch was bedeutet soziale Kompetenz, wie kann man sie trainieren und welche Rolle spielt sie nicht nur im privaten Bereich, sondern auch im Arbeitsleben? Zwei Bücher, einmal die vierte, völlig neu bearbeitete Auflage des Buches von Hinsch, R. & Pfingsten, U. (2002). Gruppentraining sozialer Kompetenzen (GSK). Weinheim: Beltz Psychologie Verlags Union (314 S., ISBN: 3-621-27501-0; 49,90 ) sowie das Buch der Arbeitsgruppe von Frieling, E., Kauffeld, S., Grote, S. & Bernhard, H. (2000). Flexibilität und Kompetenz: Schaffen flexible Unternehmen kompetente und flexible Mitarbeiter? Münster: Waxmann Verlag (304 S., ISBN 3-8309-1019-3; 25,50 ) geben Anlass, einem auch in künstlerischen Therapien wichtigen Element Aufmerksamkeit zu schenken, um den Ertrag der grundlegenden Überlegungen für die künstlerische und therapeutische Praxis nutzbar machen zu können. Das zunächst vorgestellte Gruppentraining sozialer Kompetenzen (GSK) wurde zum ersten Mal 1983 publiziert, nach überarbeiteten Auflage 1991 und 1998 liegt jetzt die nach Verlagsankündigung 4., völlig neu bearbeitete Auflage 2002 mit 7 Abbildungen und 21 Arbeitsblättern (AB) samt CD-Rom vor. Da folglich das grundlegende Konzept seit langem bekannt und vielfältig praktisch erprobt ist, sollen weniger dessen Grundzüge als der Anspruch einer völlig neu bearbeiteten Version erörtert werden. Neben der formalen und bibliographischen Aktualisierung durch neuere Literaturangaben, Forschungsbefunde und Erfahrungen seien daher lediglich einige grundsätzliche Aspekte zur Frage der Kontinuität oder Weiterentwicklung aufgegriffen. Selbstverständlich sollen deshalb zahlreiche formale Neuerungen sowie einige inhaltliche Änderungen und Aktualisierungen (Vorwort S. XI) nicht unerwähnt bleiben. Teil I (Theoretischer Hintergrund) mit den Kapiteln 1: Soziale Kompetenzen und Kompetenzprobleme (S. 3 11), 2 Erklärungsansätze (S. 13 63) und 3 Interventionen (S. 65 126) und Teil II (Praktisches Vorgehen) mit den Kapiteln 4 Manual zum Gruppentraining sozialer Kompetenzen (GSK) (S. 129 184), 5 Ergänzende Hinweise und Materialien (S. 185 226) und 6 Maßnahmen zur Erfolgskontrolle (S. 205 225) sind bis auf mehr oder weniger umfängliche Aktualisierungen weitgehend beibehalten worden, lediglich im Kapitel 7 Anwendungsbeispiele (S. 227 288) wurden die Beispiele im klinischen und nichtklinischen Bereich wesentlich umgestaltet und erweitert. Entsprechend der Ausweitung des Anwendungsbereichs wurde zum Austausch von Erfahrungen und modifizierten Arbeitspapieren ferner die Internetadresse http://www.gsk-training.de eingerichtet. Neben der Förderung des Austausches erweist sich auch hilfreich die beigefügte CD-Rom mit sämtlichen Arbeitspapieren, Fragebögen und drei Beispielen eines projektiven Videofilms (vgl. S. 190f.) samt Konterfei der Autoren. Im Vorwort wird von Problemen im sozialen Verhalten berichtet, welche Klientinnen und Klienten vor allem damit haben, im ganz alltäglichen Kontakt mit den Mit- DOI: 10.1026//0933-6885.13.3.140

Soziale Kompetenz als Panazee? 141 menschen ihre eigenen Gefühle, Wünsche, Forderungen und Bedürfnisse einzubringen und für sich selbst befriedigend zu verwirklichen. Trotz des Hinweises auf die der sog. Humanistischen Psychologie entstammenden Tradition optimaler Selbstverwirklichung oder komplementärem Bezug auf die spätestens seit postmoderner Debatte infragegestellte große Erzählung Emanzipation wird indes sogleich klargestellt: Die Ablösung von einem reinen Durchsetzungstraining in Richtung eines Trainings allgemeinerer sozialer Kompetenzen sollte nicht nur vom Begriff her, sondern auch auf der inhaltlichen und strukturellen Ebene vollzogen werden (S. XI). Die Gefahr, einen bloßen Etikettenschwindel zu betreiben, wird mit der Behauptung begegnet, dass sich mit den in älterer psychologischer Literatur verwendeten Begriffen wie Selbstbewusstsein, Selbstsicherheit, Durchsetzungsvermögen (Assertiveness) und Kontaktfähigkeit mit der Wahl des Begriffes von sozialen Kompetenzen mehr als eine modische Neubenennung alter Themen (S. 3) verberge. In der Tat grassieren Soziale Kompetenz, Schlüsselqualifikationen bzw. wie unter Anwendungsbeispielen im nichtklinischen Bereich votiert wird überfachliche Qualifikationen und veränderte gesellschaftliche Strukturen (Individualisierung) im beruflichen Bereich (vgl. S. 274), Gruppen- und Teamarbeit als Schlagworte im sozialwissenschaftlichen Jargon, ohne dass vielfach die Inhalte wohlklingender Programmatiken geprüft werden. Bestand etwa zur Zeit der Hochblüte der Gruppendynamik und der Sensitivity- Bewegung die Gefahr, dass die Gruppe lediglich als Forum zur Selbstverwirklichung verkannt oder als gesellschaftliches Allheilmittel (vgl. Hörmann 1993) überzeichnet wurde, ist es in neuerer Zeit der Trend, mit schlagwortartigen oder wohlklingenden Begriffen fragwürdige Tendenzen zu verschleiern. Als Beispiel möge etwa das auch in der neusten Auflage des bekannten und weitverbreiteten Gruppentraining sozialer Kompetenzen (GSK) beibehaltene Grundkonzept dienen. Als Soziale Kompetenz wird dort weiterhin verstanden die Verfügbarkeit und Anwendung von kognitiven, emotionalen und motorischen Verhaltensweisen, die in bestimmten sozialen Situationen zu einem langfristig günstigen Verhältnis von positiven und negativen Konsequenzen für den Handelnden führen (S. 5, 82). Mit der klaren Perspektive für den Handelnden wird, abgesehen von der Konzeptualisierung des Gruppentrainings im klinischen Sektor, der unverrückbare individualpsychologische Bezugspunkt ganz in der Tradition der Assertiveness fixiert. Kompetenz enttarnt sich unverblümt in ihrer fortgeschrittenen soziopsychologischen Variante als Individualkompetenz zur optimalen, effektiven und ökonomischen Instrumentalisierung oder Kompensation der Unterstützung durch das umgebende soziale Netzwerk oder in Lebenslagen, die besonders ausgeprägte Fähigkeiten im sozialen Bereich erfordern (z.b. Arbeitslosigkeit, chronischen Krankheiten, Situation von Frauen/Mädchen (S. 261). Auch bei der Betonung von sozialen Kompetenzen als Ressourcen, wonach soziale Kompetenztrainings erheblich mehr zu sein (beanspruchen) als eine spezielle psychotherapeutische Behandlungsmethode für Patienten mit den psychiatrischen Diagnosen soziale Phobie oder ängstliche (vermeidende) Persönlichkeitsstörung (S. 11) bleibt immerhin löblich, dass gegenüber älteren Selbstbehauptungstrainings (assertive training) immerhin eine klare Abgrenzung zwischen selbstsicherem und aggressivem Verhalten vorgenommen wird. Allerdings kann wohl kaum darüber hinweggetäuscht werden, dass die Erweiterung um den lerntheoretischen Ansatz der Social-Skill-Trainings, kognitive Ansätze und Problemlösungstrainings und Prozessmodelle (S. 65ff.) die grundlegende psychopathologische Orientierung bzw. Klientelisierung jemals in Frage gestellt zu haben scheint, wie nicht zuletzt an der unverblümten Aufzählung verdienstvoller Ansätze für verschiedene Klientengruppen (S. 75ff.; 227ff.) überdeutlich wird. Geradezu verräterisch wirkt gleich der wuchtige Einstieg mit dem Blick auf die atomisierten Menschen, die nicht nur als autonome Künstler im Sozialraum fungieren, sondern ganz im Sinne der MASLOWschen Bedürfnishierarchie soziale Beziehungen auf dem Weg zur Selbstverwirklichung eingehen und wohlgemerkt in Parenthese (mit-) gestalten: Die psychische Gesundheit, Lebensqualität und Selbstverwirklichung von Menschen ist in vielerlei Hinsicht davon abhängig, inwieweit sie fähig sind, mit ihren Mitmenschen in Kontakt zu treten und die entstehenden sozialen Interaktionen bedürfnisgerecht und zielführend (mit-) zugestalten (S. 3). Entsprechend dem kognitiv-verhaltensmodifikatorischen Ansatz wird das Konstrukt Sozialer Kompetenzen an drei Situationstypen operationalisiert, nämlich dem Typ Recht durchsetzen (Typ R), Beziehungen (Typ B) und um Sympathie werben (Typ S). Beim Typ R liegt das Ziel des Verhaltens vorrangig in der Erfüllung eigener Forderungen... Soziale Kompetenz in diesen Situationen misst sich an der Effektivität dieses Verhaltens hinsichtlich der Durchsetzung dieses Rechts. In der Regel spielt die Frage, ob der andere aufgrund meines Verhaltens in seinen Gefühlen verletzt ist oder ob ich dem anderen mehr oder weniger sympathisch bin, keine oder nur eine geringe Rolle (S. 85). In Erweiterung dieses Schwerpunkts traditioneller Selbstsicherheitstrainings, die sich vorwiegend oder ausschließlich mit dieser Art von Situationen (befassen) (S. 85), geht es beim Typ B nicht darum, legitime Forderungen durchzusetzen, sondern Beziehungen zum Lebenspartner und zu Freunden liefern Beispiele solcher Situationen. Gegenüber diesen Personen habe ich zwar oft Forderungen, verfüge im Allgemeinen aber über keine rechtliche Legitimation, mit deren Hilfe ich diese Forderungen durchsetzen könnte (S. 85). Noch deutlicher wird die Sprache dann schließlich beim Typ S, bei denen zwar keine rechtliche Legitimation für die eigenen Forderungen vorhanden ist, das Ziel aber dennoch vorrangig in der Erfüllung dieser Forderungen besteht (S. 86). Weiter heißt es, dass zu diesem Typ zwei Arten von Situationen gehören: a) Es gibt Situationen, in denen eigene Forderungen nur dadurch erfüllt werden können, dass der andere auf sein Recht verzichtet. Ich agiere in diesen Situationen also nicht nur ohne, sondern in gewisser Weise sogar gegen eine rechtliche Legitimation. Ein typisches Beispiel wäre:

142 Georg Hörmann Ich versuche, einen Beamten zu einer bevorzugten Abfertigung zu bewegen. b) Bei der zweiten Art von Situationen besteht das Ziel darin, zu dem anderen (kurzfristig) eine möglichst gute Beziehung herzustellen. Ein Beispiel wäre die Kontaktaufnahme zu anderen Personen oder auch das Verhalten eines erfolgreichen Verkäufers. Abschließend heißt es dann: Beide Arten von Situationen haben gemeinsam, dass eine im Sinne des Ziels erfolgreiche Bewältigung dadurch erreicht wird, dass der Interaktionspartner mich möglichst sympathisch findet. Je mehr ich es in solchen Situationen schaffe, bei dem anderen das Bild eines netten, sympathischen Menschen entstehen zu lassen, desto eher werde ich mit dem konkreten Anliegen zum Erfolg kommen. In solchen Situationen ist es wichtig, dass man den anderen verstärkt, sein Interesse bekundet, nachfragt, Komplimente macht usw.... Eine große Bedeutung hat auch die flexible Anpassung an die situationalen Bedingungen. Während es in Situationen vom Typ R und B möglich und sinnvoll ist, eine relativ fest umrissene durchgängige Strategie zu verfolgen, steht hier das flexible Reagieren auf das Verhalten des anderen und auf die situativen Bedingungen im Vordergrund (S. 86). Nicht umsonst heißt es bei der Abgrenzung des Konzepts der sozialen Kompetenz im Unterschied zu altmodischeren Vorläufern und vielen anderen Ansätzen: Auf ein Bestimmungsstück, das auf die gesellschaftliche Akzeptanz des Verhaltens rekurriert, haben wir bewusst verzichtet (S. 82). Zu noch verwogener Kühnheit versteigen sich die Autoren in dem Bekenntnis: Wir halten jedoch Versuche, den ethischen Aspekt sozialen Verhaltens in die Definition sozialer Kompetenz zu integrieren, für überflüssig, wenn nicht gar problematisch, weil dadurch z.b. Verhaltensweisen, die man unter dem Begriff,Zivilcourage fasst, eventuell nicht als sozial kompetent definiert würden (S. 83). Wenn man umstandslos einräumen muss, dass die Problematik... in der Feststellung (liegt), was als sozial verantwortlich gelten kann, werden die Nachwehen skrupelloser Selbstverwirklichung des von gesellschaftlichen Fesseln befreiten Individuums ersichtlich in der zynischen Rationalisierung, ausgerechnet gerade die relative Unabhängigkeit von kurzfristigen Verstärkungen durch die soziale Umwelt für ein wesentliches Charakteristikum sozialer Kompetenz zu halten. Es bleibt konsequent, langfristig günstiges Verhältnis von positiven und negativen Konsequenzen für den Handelnden zum Maßstab subjektiver Beliebigkeit zu erheben in der Maxime: In Fortführung der Diskussion um eine angemessene Definition könnte man jetzt Verhaltensweisen als kompetent bezeichnen, die eine optimale Zielerreichung bewirken (S. 83). Nicht erst die Herkunft eines solchen fälschlicherweise etikettierten Gruppentrainings Sozialer Kompetenzen aus der Tradition von Selbstbehauptungstrainings (Assertiveness Trainings) einer antiautoritären Ära und der Entwicklung von Selbstsicherheitstrainings bei klinischen Klientelen (S. 75ff., 231ff., vgl. Fiedler, 1996) hätte hellhörig werden lassen müssen, sondern die unverhohlene Einladung zur Beamtenbestechung, wendigem und skrupellosem Eindruckschinden zur Erlangung persönlicher Vorteile und zur Durchsetzung der eigenen Interessen gegen eine rechtliche Legitimation. Das wohlklingende Etikett Gruppentraining sozialer Kompetenz dient also bestenfalls dazu, die Funktionalität eines solchen Trainings für eine technokratische Optimierung zur Verbesserung der Selbstbehauptung im sozialen Kontext im Sinne wirkungsvoller, vorteilhafter und glaubwürdiger Selbstdarstellung (Impression Management) von Politikern oder Verkäufern (vgl. Laux & Schütz, 1966) mittels beschönigender, überzogener oder täuschender Eindruckslenkung ( berufliche Einübung in perfekte Verkäufertaktiken, vgl. das bereits erwähnte gepriesene Modellverhalten eines erfolgreichen Verkäufers S. 86) zu erreichen. Es erstaunt daher nicht, dass eine Diplom- Pädagogin an der Universität Bamberg (hier wurde dieses Training entwickelt) bei achtjähriger Durchführung entsprechender Veranstaltungen ihre Erfahrungen per Dienstpost als männermordende Kurschattenkönigin dem Gedankengebäude moderner Frauen zuschreibt und ihre Erkältung ausgerechnet nach einer Tagung der Gesellschaft für Gruppenarbeit in der Erziehung (GGE) rechtfertigt mit dem Hinweis: Kurzer Rock und bewundernde Blicke haben eben ihren Preis und letztlich ihre Karriere statt mit fachlicher Qualifikation mittels der routinierten Inszenierung der Typen R, B und S erfolgreich durchzusetzen versucht hat. Als gleichsinniges Pendant für die Vermutung einer nicht weniger erfolgreichen Absolventin solcherart Sozialer Kompetenz-Trainings findet sich aus dem Textwettbewerb von Career-Service der Hochschulen und der Tageszeitung Westfälische Nachrichten der Hinweis auf die nicht weniger bravouröse Karriere eines Studiums der Diplom-Pädagogik nach zuvor vertrödelter Boheme-Existenz mit folgendem Erfolgsrezept: Ich legte meine schon längst überfällig werdenden Öko-Klamotten ab, zog mir hochhackige Schuhe an, um mit erhobenem Haupt durch die Uni marschieren zu können und begann damit, aktiv an den Seminaren teilzunehmen. Schon bald wurden einige meiner Professoren auf mich aufmerksam, und ich bekam das erste Angebot, ein Seminar zu leiten, was mich noch mehr motivierte (WN vom 1. 08. 2002). Unabhängig von einer in letzter Konsequenz zur Karikatur verkommenen selbstsicheren, assertiven Sozialkompetenz und der gleichfalls vom universitären Alltag längst überholten oder untypischen, zuweilen höchstens noch von Altvorderen wehmütig nachgetrauerten residualen Relikte eingeschüchterter Studentinnen vor der Autorität professoraler Türschilder in den drei Beispielen eines auf der mitgelieferten CD-Rom gezeigten projektiven Videofilms zeigen indes neuere Studien, dass kein Thema im Bereich der Personal- und Organisationsentwicklung soviel überschätzt und ohne empirische Fundierung als blinder Glaubenssatz verbreitet wird wie die angebliche Bedeutung von Sozialkompetenz. Effektive

Soziale Kompetenz als Panazee? 143 Gruppen unterscheiden sich von Jammerzirkeln in allen Kompetenzfacetten, nämlich in der Fach-, in der Methoden- und in der Selbstkompetenz, jedoch kaum in der Sozialkompetenz (Frieling u.a., 2000, S. 280). Dieses Ergebnis einer groß angelegten zweiphasigen empirischen Studie im Rahmen des Projektverbundes Kompetenzentwicklung für den wirtschaftlichen Wandel Strukturveränderungen betrieblicher Weiterbildung bei 140 Unternehmen und 432 MitarbeiterInnen aus 20 Betrieben, welches per Fragebogenerhebungen und mittels 60 Gruppendiskussionen mit Videoaufzeichnungen und aufwendigen Auswertungen von Fragebogendaten, Trainingsprotokollen sowie der Entwicklung eines eigenen Erhebungsinstruments, nämlich dem Kasseler-Kompetenz-Raster (KKR) zur Messung beruflicher Handlungskompetenz gewonnen wurde, stellt einen wichtigen Teilbeitrag zur Messung der unterschiedliche Kompetenzfacetten der Fach-, Methoden-, Sozial- und Selbstkompetenz dar. Unter Fachkompetenz werden Aspekte wie Differenziertheit und Vernetztheit der Problembearbeitung und Lösungen, Organisationsabläufe und Wissensmanagement operationalisiert. Unter Methodenkompetenz werde positive versus negative Äußerungen zur Strukturierung gefasst. Unter Sozialkompetenz werden positiv oder negativ wertende Äußerungen gegenüber Personen oder ihren Handlungen verstanden. Schließlich umfasst Selbstkompetenz positive oder negative Äußerungen zur Mitwirkung. Was etwa im GSK als soziale Kompetenz eingeführt wird, nämlich die Fähigkeit von Menschen, mit ihren Mitmenschen in Kontakt zu treten und die entstehenden sozialen Interaktionen bedürfnisgerecht und zielführend (mit-) zugestalten (GSK, S. 3), ist angemessener als Selbstkompetenz zu bezeichnen. Gegenüber hochgesteckten Erwartungen, Sozialkompetenz sei nicht als Ergänzung zu fachlichem Können zu verstehen, sondern könne dieses gar ersetzen, sind die Ergebnisse zu der Frage Sozialkompetenz als der Schlüssel zur erfolgreichen Bewältigung von Optimierungsaufgaben? so der Beitrag von Kauffeld und Grote (in Frieling u.a., 2001, S. 49ff.) unmissverständlich: Wenn man an guten Lösungen interessiert ist, ist es nicht nötig, besonders nett zueinander zu sein. Es sollte jedoch vermieden werden, sich über andere sozial abwertend zu äußern. Die Beschäftigung mit Lob, Zustimmung, Gefühlsäußerung und Abwertung bei der Bewältigung einer Optimierungsaufgabe birgt die Gefahr einer wenig effizienten Kaffeerunde (S. 66). Die Bedeutung der unterschiedlichen Kompetenzfacetten für die Bewältigung von Optimierungsaufgaben wird folgendermaßen zusammengefasst: 1. Die hohe Bedeutung der Fachkompetenz im Problemlöseprozess ist unstrittig. Die Identifizierung von Problemen im Arbeitsprozess, die Ursachensuche und das Finden innovativer geeigneter Lösungen setzen umfassende Fachkompetenzen voraus. Die Äußerung von Lösungen und ihre Vernetzung sind unabdingbar. Fachkompetenz ist nicht durch andere Facetten, wie die Sozialkompetenz, kompensierbar. 2. Gleichzeitig ist ein gewisses Maß an Veränderungsinteresse Voraussetzung, um zu guten Lösungen zu kommen. Kein Interesse an Veränderungen, Jammern, das Verstricken in Allgemeinplätze, die Suche nach Schuldigen und die Betonung autoritärer Elemente machen eine effiziente Diskussion zunichte. Die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung sprechen für eine zentrale Rolle der Selbstkompetenz. 3. Mit Hilfe der Methodenkompetenz wird organisationales Wissen für den Problemlöseprozess passfähig gemacht, d.h. Äußerungen zur Strukturierung helfen vor allem, das Verlieren in Details und Beispielen zu verhindern und das Jammern zu unterbinden.... Der enge Bezug zur Fachkompetenz ist evident. Zudem wird der Problemlöseprozess unterstützt, da z.b. mittels Priorisierungsmethoden der Blick der Mitarbeiter auf machbare Veränderungen gelenkt wird. Dies hat Auswirkungen auf die Bereitschaft sich zu engagieren; insofern zeigen sich Überschneidungen zur Selbstkompetenz. 4. Die Bedeutung der beiden Elemente, die aktuell am intensivsten im betrieblichen Kontext diskutiert werden, die Sozialkompetenz und das Wissensmanagement, gilt es aufgrund der vorliegenden Studie am ehesten zu relativieren: Die geringsten Unterschiede zwischen effektiven und uneffektiven Problemlösegruppen zeigen sich über die Facetten hinweg im Bereich der Sozialkompetenz. Anders formuliert ist sie der am wenigsten geeignete Prädiktor für die Güte der Gruppenlösungen. Soziale Kompetenzen, interpretiert als Kontaktsicherheit, befähigen im Kontext der Gruppendiskussion nicht zum Generieren von (guten) Lösungen. Vielmehr bergen negativ sowie positiv wertende Äußerungen gegenüber Personen die Gefahr, eine Sitzung zur kontinuierlichen Verbesserung in ein Kaffeekränzchen zu verwandeln. Der Schlüssel zur erfolgreichen Bewältigung von Optimierungsaufgaben liegt so am wenigsten in der Sozialkompetenz. Vielmehr muss es das Ziel sein, durch die Methodenkompetenz die Fach- und Selbstkompetenz zum Tragen kommen zu lassen und negative Aspekte der Sozialkompetenz, wie das Lästern über Abwesende zu unterbinden (S. 72f.). Solche Anregungen zur Versachlichung der Diskussion (S. 73) und die Warnung vor dem weitverbreiteten Vorurteil..., die soziale Kompetenz im Sinne einer Kontaktsicherheit würde einen wesentlichen Beitrag zur Problemlösung in Gruppen beitragen (S. 16) und daraus resultierenden geschäftstüchtigen Werbestrategen, die sog. Kompetenzseminare nach dem Motto verkaufen: Gut ist was teuer ist, oder: Je diffuser umso wirksamer (ebda. 9) ebenso wie das Pochen auf unabdingbarer Fachkompetenz vermag hoffentlich auch in der psychosozialen Szene dazu beitragen, mit mehr Sachkunde sich von überfälligem Ideologieballast (S. 17) zu befreien und zielorientiert zu handeln. Wenn daher eine missverstandene soziale Kompetenz nicht dazu dienen soll, die Gesellschaft der Ichlinge (Keupp, 2000) zu verbreiten und praktisch einzuüben, sondern auch gegenüber Verfälschungen und Verzerrungen zu bewahren, gilt es, soziale Kompetenz nicht allein mit TYP R / B / S zur Durchsetzung eigener Rechte miß-

144 Georg Hörmann zuverstehen, sondern beispielsweise als Möglichkeit, die Situationen des Anderen (uneigennützig) zu erfassen und darauf einzugehen, Sensibilität zu entwickeln, Zurückhaltung und Geduld zu lernen, Andere nicht unter Druck zu setzen, andere Sichtweisen/Standpunkte einzunehmen und zu tolerieren, Kooperationsformen sowie gemeinschaftliche Entscheidungen herbeizuführen und zu akzeptieren etc. Wie meilenweit jedoch eine solche Vorstellung sozialer Kompetenz den Propagandisten des GSK fernliegt, belegen nicht zuletzt deren unverändert aus früheren Auflagen kolportierten exemplarischen Beispiele aus den praktischen Übungen zu den Situationstypen, bei denen die Frage, ob die drei Situationstypen Eigenschaften von Situationen widerspiegeln oder ob nicht vielmehr die Priorität der Ziele das wesentliche Kriterium für eine Differenzierung darstellt, am ehesten pragmatisch in der Weise zu entscheiden sein soll, dass den Klienten soziale Kompetenzen vermittelt werden, mit deren Hilfe sie in verschiedenartigen Situationen ihre Ziele in optimaler Weise verwirklichen können (S. 86f.). Bei den Beispielen zum Diskriminationstraining zwischen selbstsicherem, aggressiven und unsicheren Verhalten findet sich etwa folgende Situation: 1. An der Tankstelle, an der Sie häufig tanken, hat einer der Tankwarte vergessen, die Verschlusskappe wieder auf ihren Tank zu schrauben. Sie bemerken das, fahren zurück und forschen nach, indem Sie sagen. Ohne sich auf die albernen Alternativen von Reaktionen einzulassen, ist das ganz abgesehen von der antiquierten Lebensferne deplazierte Beispiel wohl weniger geeignet zur Illustration von Dienstleistungserwartung als der Perpetuierung von Dienstbotenmentalität. Nicht weniger realitätsfern und fatal ist die folgende Situation der als um Sympathie werben getarnten, nach Schwierigkeitsgrad einzuschätzenden Werbung zur eigenen Vorteilsgewinnung und sympathischen, weil asozialen Aufforderung zur Beamtenbestechlichkeit: 1. Sie sind in der Stadt einkaufen. Als Sie zu Ihrem im Parkverbot geparkten Auto zurückkehren, sehen Sie, dass eine Politesse gerade dabei ist, eine Verwarnung zu schreiben. Versuchen Sie, die Politesse zu einer Rücknahme oder wenigstens zu einer Strafminderung zu bewegen (S. 176). Dass die soziale Kompetenz, selbstverständlich wiederum ohne jegliches Gespür für soziale Situationen, sogar soweit gehen soll, Obdachlosen das Terrain streitig zu machen, belegt die folgende Hausaufgabe Nr. 6: Sprechen Sie auf der Straße eine der Vorübergehenden an und lassen Sie sich drei Groschen (zum telefonieren) schenken. Bringen sie zunächst Ihr Anliegen vor und benutzen Sie das Wort schenken. Sollte der andere nachfragen, begründen Sie ihr Anliegen damit, dass Sie Ihre Geldbörse vergessen hätten (S. 180). Abgesehen von der nicht behobenen Verwechslung von Groß- und Kleinschreibung in vielfach benutzen Arbeitsblättern, z.b. AB 3, Situation 2: Eine Ehefrau sagt zu Ihrem Mann (was soll die Ehefrau mit dem Mann der prospektiven Leserin?) oder Nr. 9 (S. 154f.) oder unklaren Aussagen wie S. 153 eine Berufsausbildung beenden (im doppeldeutigen Verständnis Sinn von aufhören oder zu Ende bringen) scheinen sich die Autoren im Großeltern-Klischee festgebissen zu haben mit folgender Dozierung des Beispiels eine Situation unterschiedliche Konsequenzen: Situation: Ein Mann ärgert sich über seine Frau, weil sie das Essen nicht rechtzeitig genug vorbereitet hat. Folgende Möglichkeiten sind denkbar: Typ R. Der Mann betrachtet diese Situation als eine vom Typ R (nach unserem Eindruck ein häufiger Fall) und verhält sich dementsprechend (setzt also die für diesen Typ empfohlenen Techniken ein). Die Reaktion der Frau kann jetzt darin bestehen, dass sie um Entschuldigung bittet wenn sie daran gewöhnt ist, sich unterzuordnen), sie kann auch in einer zornigen Reaktion bestehen. Auf jeden Fall wird sich die Frau wahrscheinlich ärgern gleichgültig ob sie das offen äußert oder nicht und die Beziehung wird durch diese Spannung belastet werden. Typ B: Der Mann betrachtet diese Situation als eine vom Typ B und teilt seiner Frau sein Gefühl des Ärgers mit. Die Konsequenz wird eher als bei Möglichkeit eins darin bestehen, dass die Frau entweder ihren Fehler einsieht oder dass beide Partner konstruktiv nach einer Lösung suchen, die solche Vorkommnisse in Zukunft vermeiden hilft. Typ S. Der Mann entscheidet sich für Typ S, wird aus diesem Grunde vielleicht nichts sagen oder einige vorsichtige Andeutungen machen. Die Konsequenz wird wahrscheinlich sein, dass beide höflich über den Vorfall hinweggehen, sich aber innerlich ärgern (S. 182f.). Die tiefschürfende Belehrung endet in der Zusammenfassung: Für Männer insbesondere für ältere ist es z.b. relativ typisch, dass sie zu viele Situationen überwiegend als solche vom Typ R einstufen. Ebenso gibt es Menschen, die Situationen überwiegend als solche vom Typ im Sympathie werben betrachten. Sie sind dann schlecht in der Lage, eine tiefergehende Beziehung aufzubauen (S. 183). Angesichts solch tiefgründiger Grundsatzüberlegungen schließt sich der Kreis zu dem bereits früher getätigten GSK-Fundamentaltheorem: Situationen, in denen ein mehr oder weniger großes Ausmaß an sozialer Kompetenz zum Tragen kommt, zeichnen sich immer dadurch aus, dass man an den oder die Interaktionspartner Forderungen hat (bzw. mit Forderungen konfrontiert wird). Insofern liegt oberflächlich betrachtet das Ziel des Handelnden klar auf der Hand: Er möchte seine Forderungen erfüllt bekommen. Da jedoch aufgrund der Unterschiedlichkeit der Ziele nicht alle zugleich erreicht werden können, ist man in einer konkreten Situation... daher ge-

Soziale Kompetenz als Panazee? 145 zwungen, sich für die Priorität eines dieser Ziele zu entscheiden. Akzeptiert man die Annahme, dass bestimmte Verhaltensweisen für die Erreichung eines bestimmten Zieles optimal sind, bietet sich eine Differenzierung nach der Priorität der Ziele an. Wir gehen also davon aus, dass es Klassen von Situationen gibt, die durch das Vorherrschen bestimmter Ziele charakterisiert werden können (S. 85), als da wären die bereits herausdestillierten Typen R, B und S! Es ist tröstlich, dass bei soviel hausbackenem Schwadronieren über zentrale Situationstypen zumindest in der Weiterentwicklung im nichtklinischen Bereich für nichttherapeutische Zielgruppen eine Näherung an soziale Kompetenz durch die Erweiterung unter beruflicher Perspektive etwa um Beispielsituationen feste Vereinbarung oder Regeln/Vereinbarungen in das unvermutete Visier geraten (S. 263f.; 274ff.). Insgesamt bleibt so zu hoffen, dass das didaktisch gut strukturierte und praxiserprobte Manual Anregungen zur Neukonzipierung eines Gruppentrainings Sozialer Kompetenz vermittelt, welches in der Tat eine modische Neubenennung alter Themen darstellen darf, sofern diese nicht auf Irrungen und Wirrungen eines unaufgeklärten psychologischen Zeitgeistes beschränkt bleiben, sondern die Schätze gemeinsamen künstlerischen Tuns für den Transfer in den Alltag nutzbar machen. Literatur Fiedler, P. (1996). Verhaltenstherapie in und mit Gruppen. Weinheim: Beltz. Frieling, E. et al. (2000). Flexibilität und Kompetenz: Schaffen flexibel Unternehmen kompetente und flexible Mitarbeiter? Münster: Waxmann. Hinsch, R. & Pfingsten, U. (2002). Gruppentraining sozialer Kompetenzen (GSK). Weinheim: PVU. Hörmann, G. (1993). Gruppenkonzepte Überblick über Hauptströmungen und Entwicklungstendenzen. In H. Gudjons (Hrsg.), Handbuch Gruppenunterricht. Weinheim: Beltz. Keupp, H. (2000). Eine Gesellschaft der Ichlinge? München: SOS. Laux, L. & Schütz, A. (1996). Wir, die wir gut sind. München: dtv. Prof. Dr. mult. Georg Hörmann Otto-Friedrich-Universität Bamberg Lehrstuhl Pädagogik Markusplatz 3 D-96047 Bamberg E-Mail: georg. hoermann@ppp.uni-bamberg.de