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EMILE DURKHEIM Ein Klassiker der Soziologie Biographie Emile Durkeim wird am 15. April 1858 im lothringischen Epinal geboren. Schon früh gilt als ausgemacht, dass Emil in die Fussstapfen seines Vaters treten soll und auch einmal Rabbiner werden soll. Er verliert sehr früh seinen Vaterund erlebt eine eher freudlose und strenge Jugend. Emile wird, wie alle bagabten Kinder in Frankreich, zum Studuim nach Paris geschickt. Dort besucht er das berühmte Gymnasium Louis-le-Grand und bereitet sich auf den Eintritt in die Ecole Normale Supérieure vor. Erst beim dritten Anlauf wird er schliesslich 1879 aufgenommen. Schon bald erhält er den Spitznamen Metaphysiker", weil er bei Diskussionen zu artistischer Argumentationskunst greift, um andere zu überzeugen. Während seines Studiums gilt er als kühl, zurückhaltend und introvertiert, Freunde - darunter der spätere Sozialistenführer Jean Jaurès - hat er nur wenige. 1882 besteht Durkheim die Prüfung zum Agrégé de Philosphie und wird zum Professor in Sens und Saint-Quentin ernannt. 1885/1886 erhält er ein Stipendium für ein Studium in Deutschland und bildet sich in Berlin und Leipzig weiter. Nach Durkheims Rückkehr veröffentlicht er in der Revue Philosophique drei Aufsätze, die ihn rasch die nötige Bekanntheit verleihen. 1887 wird er zum Professor für Pädagogik und Soziologie an der Universität Bordeaux ernannt. Noch im gleichen Jahr heiratet Emile Durkheim Louise Dreyfus, mit der er zwei Kiinder hat. In der Zeit in Bordeaux verfasst Durkheim drei seiner grossen Werke: De la Division du travail social (1893), Les Règles de la méthode sociologique (1895) und Le Suicide (1897). Er gründet auch eine Zeitschrift, die Année Sociologique, deren zwölf Jahrgänge noch heute gerne gelesen werden. 1902 übernimmt Durkheim den Lehrstuhl für Pädagogik an der Sorbonne in Paris. Gleichzeitig lehrt er Soziologie und ist akademisch sowie politisch sehr aktiv - wobei er zwangsläufig seine wissenschaftliche Produktivität vernachlässigt. Doch 1912 veröffentlicht er sein Standardwerk, Les élémentaires de la vie religieuse, wo eine deutliche Vertiefung seiner Grundidee zu erkennen ist. Als der 1. Weltkieg ausbricht und Durkheim sein einziger Sohn an der Front veliert, schreibt er zwei Bücher. Dieses tragische Ereignis ist ein tiefer Einschnitt in das Leben Durkheims, von dem er sich nicht mehr richtig erholen kann. Emile Durkheim stirbt am 15. November 1917 in Paris. Hauptwerke Das Verhältnis von Autor und Werk gilt als ziemlich komplex und kompliziert. Im Fall von Durkheim kann man sagen, dass der Autor hinter seinem Werk verschwindet, und dass das Werk seine Persönlichkeit darstellt. Zu Emile Durkheims wichtigsten Lehren gehören folgende drei Werke: De la Division du travail social, Le Suicide und Les Formes élémentaires de la vie religieuse.
De la Division du travail social (1893) De la Division du travail social ist Durkheims zweite französische Dissertation. Es ist eine Studie zur Organisation höherer Gesellschaften", wie der Untertitel verlauten lässt. Er setzt somit das methodologische Programm in eine konkrete Untersuchung um. Sein Ziel ist es, die Struktur und Dynamik der modernen Gesellschaft zu konzeptualisieren. Nach Durkheim ist die soziale Differenzierung ein Strukturprinzip der modernen Gesellschaft, das sowohl in der Wirtschaft als auch in allen übrigen Lebensbereichen aufzufinden ist. An der Arbeitsteilung interessiert ihn einerseits die Systemintegration, genauer das harmonische Zusammenwirken von Institution und ihrer Interpendenz, und andererseits die Sozialintegration, d. h. die Eingliederung des einzelnen in die Gesellschaft. Die Arbeitsteilung ist der Grund für die Abhängigkeit des Individuums von der Gesellschaft und gleichzeitig die Lösung für mehr Persönlichkeit und Solidarität beim Individuum. Durkheim folgt stets seiner strengen Programmatik: Das Werk ist in drei Teile gegliedert, wobei er im ersten Teil die funktionale Wirkungsweise beschreibt, im zweiten eine kausal-genetische Erklärungsskizze darlegt und im letzten Teil die anomalen Folgen der Arbeitsteilung beurteilt. Die Frage nach erhöhter Solidarität versucht Durkheim mit der Klassifikation von Gesellschaften zu beantworten und stellt somit archaische und moderne Gesellschaft gegenüber: Die archaische Gesellschaften bestehen aus kleinen, segmentär differenzierten Einheiten, in denen ein starkes Kollektivbewusstsein herrscht. Dieses erzeugt eine mechanische Solidarität", eine Solidarität aus Ähnlichkeit, die den Einzelnen direkt in die Gesellschaft integriert. Wenn eine reines Kollektivbewusstsein herrscht, kann man sagen, dass das Maximum an Solidarität erreicht ist. In diesem Moment ist aber die Individualität auf einem Nullpunkt angelangt. Je simpler die soziale Struktur, je wichtiger die Religion und je kleiner die Individualisierung in einer Gesellschaft, desto mächtiger ist also das Kollektivbewusstsein. Die modernen Gesellschaften hingegen bestehen aus grossen, funktional differenzierten Einheiten, in denen die Arbeitsteilung ein Netz von Interpendenzen schafft. Es ist somit die organische Solidarität" - eine Solidarität aus funktionalen Unterschieden - die den Einzelnen indirekt an die Gesellschaft bindet, indem sie ihn in seinen beruflichen Tätigkeitsbereich integriert. Durch die Differenzierung und Spezialisierung verschiedener Fähigkeiten wird also die individuelle Persönlichkeit gefördert. Je mehr Individualität also herrscht, desto schwächer wird die Integration durch ein einheitliches Kollektivbewusstsein. Wie entstand Arbeitsteilung? Nach Durkheim sind die Ursachen der Arbeitsteilung im sozialen Milieu zu suchen: Es sind sozialökologische Faktoren wie Bevölkerungswachstum und Urbanisierung, die zu einem verschärften Überlebenskampf führen. Dieser wiederum kann einerseits zu Differenzierung, andrerseits auch zu verschärftem Wettbewerb führen. Durkheim unterscheidet drei Formen der Arbeitsteilung, die für den Zusammenhang von Differenzierung und organischer Solidarität sehr auffschlussreich sind: 1. Anomische Arbeitsteilung: Entstehen durch eine rasche Entwicklung neuer Organe und Funktionen, ohne dass sich Regeln der Kooperation und soziale Bindungen gefestigt haben. 2. Erzwungene Arbeitsteilung: Hier geht es um die Ungerechtigkeit der bestehenden Regeln (Bsp.: Klassenkämpfe, ungerechte Verträge). 3. Mangelhafte innerorganisatorische Arbeitsteilung Nach Durkheim ist die gegenwärtige Gesellschaft durch die Anomie gekennzeichnet. Er ist der Meinung, dass sich mit der Zeit die notwendigen Regeln herausbilden
werden, die die Arbeitsteilung zum Ursprung organischer Solidarität und sozialer Integration machen. Doch die genauen Zusammenhänge dieser umfangreichen Studie bleiben am Ende undeutlich. So vermag es Durkheim nicht, drei grundlegende Probleme zu lösen: * Schicksal des Kollektivbewusstseins: Löst sich das Kollektivbewusstsein mit der sozialen Differenzierung auf oder befindet es sich nur in einem Gestaltwandel? * Natur der orgamischen Solidarität: Wie muss man sich eine differenzierte Solidarität vorstellen? * Träger der organischen Solidarität: Wer verwirklicht eigentlich wie diese moderne Form der Solidarität? Le Suicide (1897) Le Suicide ist eine weitere Studie Durkheims über den Charakter und Zustand der modernen Gesellschaft. Er spricht zwar nicht mehr vom Kollektivbewusstsein oder von mechanischer und organischer Solidarität, aber von Kollektivvorstellungen. Wieder hält er sich an seine strenge Programmatik und teilt sein Werk in drei Teile auf: Im ersten Teil beschäftigt er sich mit verschiedenen Ansätzen nichtsozialer Natur, im zweiten erklärt er seine Theorie und im dritten Teil zieht er die praktischen Schlussfolgerungen. Auch hier kommt Durkheims Soziologie erneut zur Geltung, denn Selbstmord gilt als eine private und individuelle Entscheidung schlechthin. Wird ein gesellschaftlicher Grund nachgewiesen, so ist es ein weiterer Beweis, dass Soziales existiert und Soziologie als Wissenschaft notwendig ist. Durkheim definiert Selbstmord als jeden Todesfall, der direkt oder indirekt auf eine Handlung oder Unterlassung zurückzuführen ist, die vom Opfer selbst begangen wurde, wobei es das Ergebnis seines Verhaltens im voraus kannte." (1973, S.72) Diese Definition verzichtet auf Selbstmordmotive und hält dadurch den Anschluss an das Datenmaterial offen. Dazu wird deutlich, dass Durkheim nicht die einzelnen Selbstmorde, sondern die Selbstmordraten als Indikatoren für Kollektivzustände und als Phänomen an sich interessieren. Im ersten Teil prüft Durkheim, inwiefern nicht-soziale Faktoren wie Rasse, Klima, Nachahmung, Geistesgestörtheit etc. die Selbstmordraten beeinflussen. Er kommt zum Schluss, dass ein Zusammenhang zwischen den nicht-sozialen Faktoren und der Selbstmordrate insignifikant ist. Im zweiten Teil stellt er eine Typologie auf, welche die verschiedenen Selbstmordtypen nach ihren Ursachen einordnet. Durkheim unterscheidet hier Egoismus, Altruismus, Anomie und Fatalismus. Diese zwei Gegesatzpaare ordnet er folgendermassen ein: Egoismus und Altruismus beziehen sich auf den Inhalt von Regeln - ein Extrem kann einerseits zu exzessivem Indivdualismus, andereseits zu exzessivem Kollektivismus führen. Anomie und Fatalismus beschreiben Regelzustände - Bei der Anomie fehlen die Regeln, beim Fatalismus herrscht Überreglementierung. Durkheim unterscheidet folgende drei verschiedene Selbstmordtypen: 1. Egoistischer Selbstmord: Die Korrelation zwischen der Selbstmordrate und den integrierenden sozialen Bereichen, nämlich der Religion und der Familie (Ehe und Verhältnis zw. Eltern und Kinder), wird analysiert. Die betroffenen Personen denken in diesem Fall nur an sich und sind nicht in einem Gesellschaftsverband integriert (Bsp: höhere Rate bei zunehmendem Alter; mehr Protestanten als Katholiken...).
2. Altruistischer Selbstmord: Diese Art von Selbstmord spielt für moderne Gesellschaften keine weitere Rolle; sie kommt häufig in primitiven Gesellschaften und in den Armeen mod. Gesellschaften vor. Der einzelne geht ganz in der Gruppe unter und tötet sich in Befolgung einer inneren sozialen Imperative (Bsp: Witwe, die sich verbrennen lässt; Kapitän der sich mit Schiff versinken lässt). 3. Anomie: Dieser Typus von Selbstmord ist besonders charakteristisch für die moderne Gesellschaft. Durkheim analysiert hier die Wechselbeziehung zwischen der Häufigkeit der Selbstmorde und den Konjunkturzyklen. So stellt sich heraus, dass die Selbstmordrate nicht nur während wirtschaftlichen Krisenzeiten, sondern auch bei plötzlichem Wohlstand ansteigt. Abschliesend ist zu sagen, dass Durkheim die empirische Entwicklung der Selbstmordrate von Egoismus und Altruismus als pathologische Entwicklung deutet. Durkheims Interpretation erweist sich als eher problematisch, denn er hat die sozialen Faktoren zu stark konkretisiert und den Begriff Selbstmordströmungen" nicht eindeutig definiert. Les Formes élémentaires de la vie religieuse Les Formes élémentaires de la vie religieuse ist das bedeutsamste und originellste Werk Durkheims. Er versucht, darin eine Analyse und Erklärung der einfachsten und primitivsten Religionen vorzunehmen. Durkheim konzentriert sich auf die Grundvorstellungen und rituellen Handlungen von Religion. Sein Ziel ist es, mit der Untersuchung der primitiven Religionsformen eine Theorie der höheren Religionen aufzustellen. Ausserdem geht er davon aus, dass Religionen Denksysteme sind, in denen sich der Ursprung der Begriffe und die Fähigkeit zur logischen sowie sozialen Klassifikation untersuchen lassen. In dieser Untersuchung hält sich Durkheim am Totemismus der australischen Ureinwohner fest und ist überzeugt, die primitivste Religion mit all ihren Elementen aufgedeckt zu haben. In der religiösen Erfahrung ist einerseits das Bedürfnis nach Gemeinschaft, Sinn und Idealisierung enthalten, andererseits aber enthält auch schon die primitivste Form von Religion eine Kosmologie und Begriffe als kollektiver Darstellungen. Durkheim glaubt also, die Entstehung begrifflicher Ordnung sei der Gesellschaftsform zu verdanken, und die Einteilung der Dinge würde nur die Einteilung der Menschen wiederherstellen. Diese These kann auf zwei verschieden Arten verstanden werden, wobei Durkheim zwei Seiten von Wahrheitsansprüchen unterscheidet: 1. Die kollektive Seite, die Verbindung zwischen denkenden Menschen, und 2. Die objektive Seite, den Zusammenhang mit der Natur der der Dinge Durkheim beschreibt den Weg von den australischen Ureinwohner zum modernen Menschen, die begriffliche Evolution, wie folgt: Der Begriff, der ursünglich für wahr gehalten wurde, weil er kollektiv ist, neigt dazu, nur unter der Bedingung kollektiv zu werden, dass er für wahr gehalten wird. Wir verlangen seine Richtigkeit, ehe wir ihm unser Vertrauen schenken." (1981, S.585) Am Schluss kommt Durkheim auf die moralische Krise zurück und stellt eine Übergangsphase moralischer Mediokrität fest. Er sagt, dass dieser Zustand der
Unsicherheit nicht ewig dauern kann und somit auch wieder neue Formen und Ideen zum Antrieb der Menschheit entstehen werden. Quellenangabe * Kaesler, Dirk (Hrsg.): Klassiker der Soziologie. München 1999. * Aron, Raymond: Hauptströmungen des soziologischen Denkens. Köln 1971 * Unterrichtsstoff Anne Engel Schriftliche Arbeit, Mai 2001 annegelo@hotmail.com Proseminar Soziologie 1 1