Studien bestätigen Zunahme



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Quelle: Dr. Raymund grative Kinderschmerztherapie an der Klinik Heidberg, Hamburg, über zeitgemäße Therapien des Kopfschmerzes. Studien bestätigen Zunahme Bereits jedes fünfte Vorschulkind kennt das Gefühl, wenn der Kopf dröhnt, schätzt. Und bis zum zwölften Lebensjahr haben neun von zehn Kindern erfahren, was Kopfweh heißt. Die Ursachen für die Zunahme der schon bei den Jüngsten sind nicht eindeutig geklärt, fasst zusammen. Triggerfaktoren können aber veränderte Lebensbedingungen mit Reizüberflutung durch Medien und Videospiele sein, ein Überangebot an Freizeitaktivitäten, einseitige und ungesunde Ernährung, Fastfood sowie zu wenig Bewegung. Eine neuere Studie aus den USA bestätigt, dass beispielsweise erhöhtes Körpergewicht die Entwicklung von wiederkehrenden begünstigt [2]. Forscher der Universität Greifswald befragten 3324 Schüler im Alter von 12 bis 15 Jahren an 20 Schulen in Vorpommern nach und damit verbundenen Einschränkungen [3]. Die epidemiologische Studie der Deutschen Migräne- und Kopfschmerz-Gesellschaft (DMKG) brachte zutage, dass rund Sandra ist ein typisches Beispiel: Sie ist elf Jahre alt, hat nur Einser und Zweier im Zeugnis, beschreibt ihr Familienleben als sehr harmonisch und hat Migräne. Der behandelnde Kinderarzt forscht nach und bekommt heraus: Sandras Schwester Sophie ist 13 Jahre alt, hat nur Einser im Zeugnis und die Eltern setzen Sandra unter Druck, wenn sie nur eine Zwei mit nach Hause bringt. Treten auf, verabreichen sie ihr sofort Schmerzmittel, damit sie in der Schule nichts verpasst. gehören bei Kindern und Jugendlichen beinahe schon zum Alltag und das vor kurzem eingeführte verkürzte Abitur (G8) scheint diesen Trend noch weiter zu verstärken. Immerhin sind Gymnasiasten ebenso wie Kinder aus sozial benachteiligten Familien häufiger von wiederkehrenden betroffen als ihre Altersgenossen [1]. Nicht nur Eltern beklagen den täglichen Schulstress, auch viele Pädiater berichten von zunehmenden psychosomatischen Beschwerden wie Spannungskopfschmerzen. Gründe genug, auf Kongressen immer wieder auf dieses Thema aufmerksam zu machen. Auf dem 33. Herbst- Seminar-Kongress des Bundesverbandes der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) im Oktober in Bad Orb berichtete Dr. Raymund, Kinderarzt und Leiter des Zentrums für Intevon Gerda Kneifel

14 Abbildungen 1+2: Kinderzeichnungen Quelle: Dr. Raymund 70 Prozent der Jugendlichen in den letzten drei Monaten vor der Befragung gehabt hatten; 4,4 Prozent klagten über häufige und schwere Schmerzen. Der im Jahr 2006 abgeschlossene Kinder- und Jugendgesundheitssurvey (KiGGS) kam für das gesamte Bundesgebiet zu einem noch alarmierenderen Ergebnis. Knapp 15 000 Kinder und Jugendliche wurden nach dem Auftreten von Schmerzen in den letzten vier Wochen befragt. Außer bei den Dreibis Sechsjährigen war dabei Kopfschmerz der am häufigsten genannte Schmerz, bei Jungen genauso wie bei Mädchen [4]. Die Prävalenz stieg mit zunehmendem Alter: Am seltensten betroffen waren mit immer noch 20 Prozent die drei- bis sechsjährigen Jungen, am häufigsten litten darunter mit 78 Prozent die 14- bis 17-jährigen Mädchen. Mädchen sind sowohl vor als auch während der Pubertät häufiger betroffen als Jungen. Da die Hälfte der Teenager mit Migräne im Erwachsenenalter noch immer an chronischen leiden wird [5], besteht großer Handlungsbedarf. Allerdings geht nach Einschätzung der Greifswalder Forscher nur jeder vierte Jugendliche wegen der Schmerzen zum Arzt. Medikamente dagegen nehmen die Hälfte aller Jungen und mehr als 60 Prozent der Mädchen. Dieser unkontrollierte Medikamentenverbrauch ist denn auch das, was uns vor allem zu denken gibt, betont Konstanze Fendrich vom Institut für Community Medicine der Universität Greifswald. Denn auch der sekundäre sogenannte Schmerzmittelkopfschmerz, der durch Medikamente ausgelöst wird, kann bereits bei Kindern und Jugendlichen auftreten. Ursachen des Kopfschmerzes Neben den oben genannten äußeren Triggerfaktoren spielen auch genetische Faktoren bei der Entstehung von idiopathischen eine Rolle, das haben Zwillingsstudien gezeigt [6]. Kopfschmerzpatienten reagieren auf bestimmte Trigger besonders empfindlich. Sie lösen bestimmte Vorgänge im Gehirn aus, wenn es sich nicht mehr ausreichend abschirmen kann. Zur Erklärung der Vorgänge im Gehirn bei Migräne ziehen Forscher in der Regel das Trigemino-vaskuläre Modell nach Moskowitz heran. Durch den auslösenden Triggerreiz wird nach diesem Modell über den Trigeminusnerven in den Hirnhautarterien eine sterile Entzündung ausgelöst. Dabei werden schmerzvermittelnde Stoffe wie Subtanz P oder CGRP (Calcitonin Gene-Related Peptide) freigesetzt, die den typischen Migräneschmerz ausmachen. Außerdem kommt es durch die Freisetzung von Serotonin zu einer Erweiterung der Blutgefäße und pulsierendem Schmerz. Triptane sind als spezifische Serotoninagonisten bei rechtzeitiger Gabe in der Lage, die Arterien wieder zu verengen, die Entzündung zu beenden und den Schmerz zu lindern. Migräne verläuft bei Kindern anders Spannungskopfschmerzen treten episodisch, das heißt an weniger als 15 Tagen im Monat auf. Die chronifizierte Form dagegen zeigt sich mindestens jeden zweiten Tag. Die Symptome gleichen denen von Erwachsenen: Der dumpfdrückende oder ziehende Schmerz ist nicht pulsierend und tritt meist auf beiden Seiten des Kopfes auf. Er wird bei körperlicher Tätigkeit nicht stärker. Übelkeit tritt nur gelegentlich begleitend auf. Dagegen verlaufen Migräneattacken bei Kindern anders als bei Erwachsenen. Kinder mit Migräne sind blass, hören mit ihrer Tätigkeit auf, möchten sich hinlegen und eventuell auch schlafen. Selbst während einer Attacke können sie einschlafen und wachen danach meist ohne Beschwerden auf. Der pulsierende Schmerz tritt nicht wie bei Erwachsenen auf einer Seite, sondern meist an beiden Kopfhälften und der Stirn auf. Die Dauer der Attacken ist mit durchschnittlich zwei Stunden deutlich

kürzer als bei erwachsenen Patienten. Die häufigsten Begleiterscheinungen bei Kindern sind laut der Deutschen Migräne- und Kopfschmerz- Gesellschaft (DMKG) Übelkeit und Erbrechen noch vor Licht- und Geräuschempfindlichkeit. Diese Symptome können im Übrigen auch in Verbindung mit Bauchschmerzen und Schwindelattacken und ohne auftreten. Eine solche Migräne-Vorstufe oder abdominelle Migräne führt einige Jahre später oft zur tatsächlichen Migräne. Auch neurologische Ausfälle, wie Flimmerskotome mit Gefühlsstörungen in Händen und Armen sowie Sprachstörungen sind bei Kindern und Jugendlichen zu beobachten. Kinder leiden zudem gelegentlich unter dem Alice-im-Wunderland-Syndrom, bei dem sie phantastische Bilder sehen. EEG nur selten nötig In den Kinderarzt-Praxen ist bei idiopathischen ein uneinheitliches Vorgehen zu beobachten. Es wird noch zu oft abgewiegelt oder dem Kind unterstellt, einen Gewinn aus der Situation ziehen zu wollen, fasst zusammen. Der große Trend geht hin zur neurologischen Ausschlussdiagnostik mit einem EEG sowie Kernspintomografie zum Ausschluss von Hirntumoren. Sonst passiert sehr oft gar nichts, was wiederum unkontrollierte Selbstmedikation und Schmerzchronifizierung begünstige. Für die Diagnose sind eine genaue Schmerzanamnese, die Abklärung familiärer Belastungen und möglicher Erziehungsprobleme sowie eine kinderneurologische Untersuchung wichtig. Neurologische Zeichen für Migräne sind Kribbelgefühle beispielsweise im Arm oder um den Mund herum und einseitige Flimmerskotome, die sich innerhalb von Minuten ausbreiten, präzisiert. Bildgebende Verfahren sind nur selten nötig. Indikationen für ein EEG sind Zuckungen oder zerebrale Anfälle. Eine Magnetresonanztomografie (MRT) ist nur dann notwendig, wenn Kinder jünger als drei Jahre sind, neurologische Ausfälle bei der Untersuchung bestehen, aber auch wenn Ängste vor einem Tumor sich nicht ausräumen lassen. Um die Schmerzintensität einstufen zu können, bieten sich verschiedene Schmerzskalen an, wobei die Smiley-Skala hierzulande am weitesten verbreitet und auch gut evaluiert ist. Entscheidend für die Behandlung ist letztendlich jedoch der Leidensdruck, wenn die häufig auftreten, regelmäßig Schmerzmittel genommen werden beziehungsweise die Schule nicht besucht werden kann oder andere soziale Aktivitäten darunter leiden. Drei-Stufen-Therapie Die Deutsche Gesellschaft zum Studium des Schmerzes e.v. (DGSS) in Boppard empfiehlt eine Stufentherapie (vgl. Abbildung 3). Zur Behandlung akuter Schmerzattacken sind zunächst Reizabschirmung, Hinlegen und Kühlung des Kopfes beziehungsweise Einmassieren beispielsweise von Pfefferminzöl die Mittel der Wahl. Spricht das Kind nicht darauf an, kommen in einer zweiten Stufe auch Schmerzmittel in Frage. Bei Migräne hat sich am besten Sumatriptan (Imigran ) bewährt, berichtet. Es handelt sich um ein Nasenspray, das seit 2003 zwar erst für Kinder ab zwölf Jahren zugelassen ist. Trotzdem hat es schon bei Kindern ab sechs Jahren sehr gute Ergebnisse erzielt. Seine Wirksamkeit liegt bei 75 Prozent, nach zwei Stunden sind 45 Prozent der Kinder schmerzfrei. Der einzige Nachteil ist der schlechte Geschmack, weshalb in einem Viertel der Anwendungen die Kinder das Präparat ablehnen. Alternativ können andere migränespezifische Triptane (zum Beispiel Zolmitriptan) verabreicht werden, die zunehmend Ergotamin ersetzen. Bei Spannungskopfschmerzen kommen zunächst einmal Paracetamol und Ibuprofen in Frage. Zur Vermeidung von Übelkeit kann vorab die Einnahme von Domperidon sinnvoll sein. In oraler Applikation ist auch Flupirtin hilfreich. Acetyl- Abbildung 3: Stufentherapie der DGSS Quelle: modifiziert nach Dr. Raymund 15

16 Der Kopfschmerzkalender für Kinder kann bezogen werden bei: Deutsche Schmerzhilfe e.v., Sietwende 20, 21720 Grünendeich Tel.: +49 (0)4142/ 81 04 34 Fax: +49 (0)4142/ 81 04 35 E-Mail: schmerzhilfe@ t-online.de salicylsäure sollte wegen des Risikos eines Reye- Syndroms insbesondere bei grippalen Infekten nicht gegeben werden. Sollten alle diese Mittel für den häuslichen Gebrauch nicht wirken, stehen die parenteral zu applizierende Lysin-Acetylsalicylsäure sowie Metamizol zur Verfügung. Darüber hinaus liegt Sumatriptan auch in einer subkutanen Darreichungsform vor. Leiden die Patienten trotz der Behandlung weiterhin unter drei oder mehr Attacken von Migräne beziehungsweise Spannungskopfschmerzen pro Monat, sollte Stufe drei der Kopfschmerztherapie eingeleitet werden, um prophylaktisch die Intervalle zwischen den Schmerzattacken zu verlängern. Diese Intervalltherapie dauert in der Regel drei bis sechs Monate. Medikamentös kann mit Flunarizin behandelt werden, das für kindliche Migräne sehr gut untersucht ist und bei 70 Prozent der Kinder eine Besserung der Symptome bewirkt, erläutert. Einzeldosen von fünf Milligramm am Abend reichen aus. Aber auch der Beta1-spezifische Blocker Metoprolol hat sich bei Kindern, die nicht unter Asthma leiden, als wirksam erwiesen. Valproinsäure und Topiramat können ebenfalls eingesetzt werden, wobei jedoch auf die bei diesen Substanzen häufigeren Nebenwirkungen geachtet werden muss. Psychologische Therapien Zunächst einmal ist es wichtig, die Kinder ernst zu nehmen, betont. Um darüber hinaus Häufigkeit und Intensität der Schmerzen einzuschätzen sowie eventuelle Auslöser ausfindig zu machen, hat sich der Kopfschmerzkalender bewährt. Kinder ab sieben Jahren können ihn eigenständig über vier bis sechs Wochen führen, wobei sich die Eltern beim Ausfüllen weitestgehend zurückhalten sollten, betont. Der Hamburger versucht in seiner Praxis, vor allem die Kinder ins Boot zu holen, sie aktiv in die Therapie einzubinden und ihnen zu zeigen, wie sie die Verantwortung für sich selbst übernehmen können. Natürlich gibt es immer wieder Kinder und Jugendliche, die nicht mitmachen wollen, aber in der Regel kann man gut mit ihnen arbeiten, berichtet der Hamburger Kinderarzt. Sandra beispielsweise würde er anbieten, ein Attest zu schreiben, wenn sie sich entschließen könnte, einen Tag pro Monat, an dem es ihr gut geht, nicht in die Schule zu gehen. Viele Migräne- Kinder können nicht Nein sagen und es ist Teil der Therapie, ihnen zu zeigen, wie das geht. Das Stop-Think-Go-Paradigma ist hierfür die Grundlage. Dieses Ampelsystem wurde vor rund 25 Jahren in den USA von dem Psychologen Donald Meichenbaum entwickelt und setzt sich aus den drei Farben Rot für einhalten, Gelb für planen und Grün für loslegen zusammen. Die Kinder lernen damit, rechtzeitig einen,boxenstopp einzulegen, ihr eigenes Verhalten und zu hohe Ansprüche an sich selbst zu reflektieren und Pausen durchzusetzen. So können sie eine Balance zwischen Stress und Ruhe erreichen. Eine Art Stresskalender, in dem Stressfaktoren identifiziert werden, kann dabei ebenfalls helfen. Progressive Muskelentspannung nach Jacobson hat sich ebenfalls als wirksam erwiesen. Mindestens 60 Prozent der Kinder reagieren langfristig darauf, so. Biofeedback ist nach Erfahrungen des Hamburgers als Entspannungsmethode allerdings noch effektiver. Diese Therapie hat die höchste Besserungsquote. Schon nach zwei bis drei Monaten erzielt sie gute Ergebnisse, weil sie den Unterschied zwischen Spannung und Entspannung noch besser differenziert als die progressive Muskelentspannung. Biofeedback bleibt aber in der Regel den Patienten vorbehalten, die therapieresistent sind, da die Methode sehr aufwändig ist und von den Krankenkassen oft nicht bezahlt wird. Die Transkutane Elektrische Nervenstimulation (TENS) funktioniert mit Hilfe von Plättchenelektroden, die sich die Kinder und Jugendlichen selbst in den Nackenbereich kleben und täglich 30 bis 40 Minuten damit massieren. Mit TENS können laut vier von fünf jungen Patienten mit Spannungskopfschmerzen die Schmerzattacken innerhalb von ein bis drei Monaten um die Hälfte reduzieren [7]. Ernährung und andere Alternativen Pestwurzextrakt (Petadolex ) hat sich mittlerweile in der Migräneprophylaxe etabliert. Es ist rezeptfrei erhältlich und für Schulkinder zugelassen. Allerdings ist bei Bestellungen über das Internet Vorsicht geboten, da hier nur zu oft unwirksame Extrakte verkauft werden. Pestwurz ist überwiegend gut verträglich. Sicherheitshalber wird aber nach einem Monat eine Kontrolle der Leberwerte empfohlen, gibt zu bedenken [8]. Treten neben starken und wiederholten auch gastrointestinale Beschwerden, Verhaltens- und Konzentrationsstörungen sowie chronisches Exzem oder

17 verboten Weißmehl, Kuhmilch, Quark, Hühnerei, Raffinadezucker, Schweinefleisch, Konservierungsstoffe, Schokolade, Farbstoffe (in Limonaden und Süßigkeiten), Glutamat (Chips), Aspartam, Käse Ernährungsempfehlungen erlaubt Vollkornbrot (Roggen, Dinkel), Joghurt, Butter, Biosahne (ohne Emulgator), Obst, Gemüse, Salat, Kartoffeln, Reis, Nudeln, Lamm- und Rindfleisch, Pute, Ente, Fisch Asthma auf, können dies Hinweise auf eine Nahrungsmittelintoleranz sein. Eine Umstellung der Ernährung erzielt laut bei diesen Patienten besonders gute Effekte. Es hat sich eine Reihe von Nahrungsmitteln als kopfschmerzfördernd erwiesen und ihre Vermeidung kann die Beschwerden bereits nach vier bis sechs Wochen verschwinden lassen oder zumindest deutlich reduzieren (vgl. Tabelle). Welches Kind auf welches Nahrungsmittel mit reagiert, lässt sich durch Absetzen der in der Tabelle genannten Nahrungsmittel und ihre stufenweise Wiedereinführung herausfinden. Dabei sollte allerdings ein Abstand von drei Tagen gewahrt werden, um einzelne Lebensmittel als Triggerfaktor sicher ausschließen zu können. Das Ziel der medikamentösen ebenso wie der nicht medikamentösen Therapie ist eine Schmerz-Dechronifizierung. Sind die Kinder wieder einigermaßen fit, dann haben sie auch Neue Leitlinien Neue Leitlinien zur Behandlung von stehen laut der Deutschen Migräne- und Kopfschmerz-Gesellschaft e.v. kurz vor dem Erscheinen, lagen aber bei Redaktionsschluss noch nicht vor. Sie werden voraussichtlich in der Zeitschrift Nervenheilkunde vorgestellt werden. Die DMKG hat sie gemeinsam mit der Deutschen Gesellschaft für Neuropädiatrie e.v. erarbeitet. Sie umfassen nicht nur eine Erweiterung der medikamentösen Behandlung um einige Triptane. Es werden in der Prophylaxe auch nicht medikamentöse Entspannungstherapien, die bei Kindern besonders gut anwendbar sind, stärker als bisher berücksichtigt. wieder die Wahl, wie sie mit dem Kopfschmerz umgehen, fasst zusammen. Dann können sie selbst entscheiden, welchen Triggerfaktoren sie sich aussetzen, wann sie es sich einmal gönnen, Süßigkeiten zu essen oder Computerspiele zu spielen. Weitere Informationen Idiopathische im Kindesalter (inkl. Dosierungen bei medikamentöser Therapie gegen Migräneattacken). Deutsche Migräne- und Kopfschmerz-Gesellschaft (DMKG): www.dmkg.de Broschüre Iss Dich gesund! Ernährungsempfehlungen bei Schmerzen, zu beziehen bei: Zentrum Integrative Kinderschmerztherapie, Delfin-Kids, Klinikum Nord-Heidberg, Tangstedter Landstraße 400, 22417 Hamburg Deutsche Gesellschaft zum Studium des Schmerzes e.v., Boppard: www.dgss.org Literatur 1. Bigal ME et al.: Migraine in adolescents: association with socioeconomic status and family history. Neurology. 2007 Jul 3; 69(1): 16-25 2. Bigal ME et al.: Body mass index and episodic headaches: a population-based study. Arch Intern Med. 2007 Oct; 167(18): 1964-1970 3. Fendrich K et al.: Headache prevalence among adolescents the German DMKG headache study. Cephalalgia. 2007 Apr; 27(4): 347-354 4. KiGGS, Kinder- und Jugendgesundheitssurvey, Schmerzen bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland ; www.kiggs.de/experten/down loads/basispubli kation/ellert_schmerzen.pdf 5. Bille B: A 40-year follow-up of school children with migraine. Cephalalgia. 1997 Jun; 17(4): 488-491 6. Svensson DA et al.: Genetic and environmental influences on recurrent headaches in eight to nine-yearold twins. Cephalalgia. 1999 Dec; 19(10): 866-872 7. R (Hrsg.): Transkutane Elektrische Nervenstimulation (TENS). Hippokrates Verlag, Stuttgart 1991 8. R et al: Migraine Prevention in Children and Adolescents. Results of an Open Study With a Special Butterbur Root Extract. Headache. 2005 Mar; 45(3): 196-203 Tabelle: Quelle: Dr. Raymund Quelle: Michelle