SPD und Parti Socialiste das Ende einer Ära? Fabien Perrier und Anja Röcke 1



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SPD und Parti Socialiste das Ende einer Ära? Fabien Perrier und Anja Röcke 1 Stehen die deutsche und die französische gemäßigte Linke am Ende einer langen politischen Laufbahn? Die jüngsten Wahlergebnisse legen diesen Schluss nahe. Auf der deutschen Seite hat die SPD bei der letzten Bundestagswahl im September 2009 deutliche Verluste hinnehmen müssen. Mit einem Stimmenanteil von 23 Prozent (minus 11,2 Prozentpunkte im Vergleich zur letzten Bundestagswahl) hat die Partei einen historischen Tiefpunkt erreicht. In der Osthälfte der Republik liegt sie sogar nur an dritter Stelle hinter den Christdemokraten (CDU) und der Partei Die Linke. Parteichef Sigmar Gabriel hat seiner Partei nach den verlorenen Wahlen einen katastrophalen Zustand 2 attestiert. In Frankreich sagen Meinungsumfragen dem Parti Socialiste (PS) keine bessere Zukunft voraus, im Gegenteil. Die Identitätskrise der Partei ist spätestens seit der Präsidentschaftswahl im Jahr 2002 manifest geworden, als sich in der ersten Runde Jean-Marie Le Pen gegen Lionel Jospin durchsetzte und neben Jacques Chirac die Stichwahl erreichte. Laut der Umfrage Politoscope Opinionway der Zeitungen Le Figaro/LCI vom ersten Oktober 2009 würden 19 Prozent der Wahlberechtigten, wenn am nächsten Sonntag Regionalwahlen wären (März 2010), ihre Stimme dem PS geben, 16 Prozent der grünen Partei (Verts-Europe Ecologie), während die konservative UMP mit 32 Prozent stärkste Partei bliebe. Die kleinen Parteien gingen gestärkt aus der Wahl hervor: Die Linksfront (KPF und Linkspartei von Jean-Luc Mélenchon) käme auf 8 Prozent, die Liberalen (Modem) von François Bayrou auf 7 Prozent und die Neue antikapitalistische Partei von Olivier Besancenot auf 5 Prozent der Stimmen. Auch wenn derartige Umfrageergebnisse mit Vorsicht zu behandeln sind, ist unbestreitbar, dass die französischen Sozialisten allen Grund haben, sich um ihre Zukunft Sorgen zu machen. Auf beiden Seiten des Rheins hat die gemäßigte Linke bereits bei den Wahlen zum Europäischen Parlament im Juni 2009 einen Rückgang der Stimmenzahl hinnehmen müssen. Mit 16,48 Prozent der Stimmen fiel der Anteil des PS auf einen historischen Tiefstand 2004 hatte er noch 28,9 Prozent der Stimmen erreicht; die SPD rutschte von 21,5 Prozent auf 20,8 Prozent der Stimmen. In den anderen Mitgliedsländern der EU sieht die Lage kaum besser aus. Fast alle Regierungen der 27 Mitgliedstaaten der EU entstammen dem rechten Flügel des politischen 1 Fabien Perrier ist Journalist bei der Zeitung L Humanité. Anja Röcke ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Humboldt-Universität zu Berlin. Der Text gibt ausschließlich die persönliche Meinung der Autoren wieder. 2 Sigmar Gabriel in einem Brief an die Parteibasis im Oktober 2009. 1

Parteienspektrums und die europäische sozialistische Partei hat sogar ihren Namen ändern müssen ( Fraktion der Progressiven Allianz der Sozialdemokraten im Europäischen Parlament ), um neue Abgeordnete der gemäßigten Linken zu integrieren. Kurzum, die jüngsten Entwicklungen der deutschen Sozialdemokraten und französischen Sozialisten deuten auf einen langsamen Todeskampf hin. Während in Deutschland ein Großteil der Bevölkerung nur mehr Hartz IV und Rente mit 67 mit der SPD assoziiert, mögen französische Bürger grundsätzliche Schwierigkeiten haben, einen bestimmten Inhalt mit dem PS zu verbinden, der von internen Lagerkämpfen zerrissen wird. Befinden wir uns daher am Ende einer politischen Ära? Sucht man nach den Gründen für die skizzierten Entwicklungen, so sticht auf beiden Seiten des Rheins als erstes der Vertrauensverlust der kleinen Leute, der unteren Angestellten und Arbeiter also, gegenüber der gemäßigten Linken ins Auge. Während die von der SPD Enttäuschten massiv zur neuen Linkspartei (und zur Gruppe der Nichtwähler) gewechselt sind, hat der PS viele Stimmen an die kleineren radikal linken Parteien und die Grünen (sowie die Nichtwähler) verloren. Darüber hinaus haben einzelne bekannte Mitglieder sich von ihrer Partei gelöst und eigene Gruppierungen aufgebaut. Jean-Luc Mélenchon gründete im November 2008 die Linke Partei, die WASG (Arbeit und Gerechtigkeit die Wahlalternative) wurde bereits 2005 von Gewerkschaftern und regierungskritischen SPD-Mitgliedern, darunter Oskar Lafontaine, ins Leben gerufen. Lafontaine übernahm zusammen mit Lothar Bisky den Vorsitz der neuen Partei Die Linke, die im Juni 2007 durch die Fusion von WASG und der Linkspartei.PDS entstand. Die Parteien links von der Mitte werden demnach auf beiden Seiten des Rheins zahlreicher. Offen ist jedoch, ob das linke Lager dadurch insgesamt stärker wird oder eher das Gegenteil der Fall ist. Als zweiten Grund für die Schwäche der gemäßigten Linken in Deutschland und Frankreich lässt sich die tiefgehende Identitätskrise nennen, in die SPD und PS wie viele andere Parteien des linken Parteispektrums seit dem Fall des Eisernen Vorhangs in den westlichen Demokratien gestürzt sind. Die SPD hat unter Gerhard Schröder mit der Agenda 2010 eine neo-liberale Wende vollzogen und sieht sich trotz der versuchten Rückbesinnung auf linke Werte unter dem neuen Parteivorsitzenden Siegmar Gabriel vor die schwierige Herausforderung gestellt, zwischen Grünen und Linkspartei ein neues politisches Programm zu definieren. Lionel Jospin hat in Frankreich im Bereich der Arbeits- und Sozialpolitik zumindest teilweise eine linke Politik betrieben (z.b. ein Arbeitsbeschaffungsprogramm für Jugendliche, 35-Stundenwoche), aber ebenso wie Schröder weit reichenden Privatisierungsprogrammen auf europäischer Ebene 2

zugestimmt (siehe z.b. die Unterschrift unter die Beschlüsse des Europäischen Rates in Lissabon, März 2000). Mit dem Ziel, die Union bis 2010 zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum in der Welt zu machen einem Wirtschaftsraum, der fähig ist, ein dauerhaftes Wachstum mit mehr und besseren Arbeitsplätzen und einem größeren sozialen Zusammenhalt zu erzielen 3 werden die Kommission, der Rat und die Mitgliedstaaten in der Lissabon-Strategie unter anderem dazu aufgefordert, die Liberalisierung der Bereiche Telekommunikation und Energie zu beschleunigen. Das liberale Modell ist zum europäischen Modell geworden und die gemäßigte Linke hat diese Entwicklung mitgetragen. Ist aber ökonomischer Liberalismus mit einer linken Position vereinbar? Dies ist letzten Endes eine der zentralen politischen Fragen, die sich spätestens seit der Lissabon-Strategie für die gemäßigte Linke stellt. Im Gegensatz zu Frankreich, wo der PS an der ideologischen Dominanz der vereinigten Rechten und ihrem Sicherheitsdiskurs gescheitert ist, wurde die SPD durch die Fundamentalopposition der Linken und deren radikale Kritik der Agenda 2010 geschwächt. Während der Großteil linker Wähler in Frankreich die Allianz von PS und Linksfront zu akzeptieren scheint, spaltet diese Frage in Deutschland die Wählerschaft ebenso wie die Gruppe der Parteimitglieder. Besonders deutlich wurde diese Spaltung bei der gescheiterten Wahl von Andrea Ypsilanti zur Ministerpräsidentin von Hessen (2008). Keine Kooperation mit der Linken bedeutet in Deutschland aber in Zukunft vermutlich entweder eine große Koalition mit der CDU oder aber eine Existenz auf den Bänken der Opposition. In Frankreich hat Nicolas Sarkozy, der seit seinem Wahlkampf auf den Slogan Mehr arbeiten um mehr zu verdienen gesetzt hat, eine Doppelstrategie verfolgt: die Öffnung seiner Regierung gegenüber Persönlichkeiten des PS (Bernard Kouchner, Eric Besson) sowie die Übernahme linker Themen, insbesondere im Bereich der Wirtschaft (z.b. die Forderung nach Keynsianischen Konzepten). In beiden Ländern stehen heute jedoch Steuersenkungen, der Verkauf von Staatseigentum oder die Öffnung öffentlicher Unternehmen gegenüber privatem Kapital auf der Tagesordnung. Die gemäßigte Linke, die die Prinzipien von Lissabon unterschrieben hat, tut sich schwer, eine politisch-ökonomische Alternative zur Regierungspolitik zu entwickeln. Ihre Stimme aus der Opposition heraus wirkt schwach und aufgrund vergangener marktliberaler Entscheidungen nur bedingt glaubwürdig. Darüber hinaus liegt die mangelnde Oppositionskraft von PS und SPD auch in der Tatsache begründet, dass zu Zeiten einer unleugbaren Personalisierung der Politik (in Frankreich wird auch von einer people-isation gesprochen) kaum eine charismatische Figur hervorsticht. Es gibt keine politische Persönlichkeit, die es mit der Beliebtheit einer Angela Merkel oder dem 3 Lissabon-Strategie der Europäischen Union, verabschiedet im März 2000. 3

politischen Charisma eines Nicolas Sarkozy aufnehmen könnte. Darüber hinaus sticht insbesondere der PS dadurch hervor, dass der Kampf um Ämter und Stellen häufig vor der inhaltlichen Debatte zu stehen scheint. Haben PS und SPD zwanzig Jahre nach dem Fall der Mauer entschieden, auf eine linke Politik zu verzichten? Sind sie noch links oder hat sich die Bedeutung linker Politik verändert? Die europäische wie internationale Finanzpolitik haben ohne Zweifel die Werte der gemäßigten Linken beeinflusst, wie die vergangenen Regierungsjahre von PS und SPD zeigen. Bisher haben beide Parteien die globale Finanzkrise nicht für eine umfassende programmatische Umorientierung genutzt. Nach den Jahren der großen Koalition in Deutschland und der Integration von Mitgliedern des PS in Sarkozys Regierung werden zudem die politischen Trennlinien immer undeutlicher. Auch wenn in die politische Landschaft in Deutschland mehr Bewegung gekommen ist (die Durchsetzung der Linken auf nationaler Ebene sowie die Entwicklung der Grünen hin zur politischen Mitte; siehe die erste Jamaika-Koalition aus Grünen, Liberalen und CDU im Saarland), sieht sich die politische Klasse in beiden Ländern mit einer tiefgehenden Legitimationskrise konfrontiert. Auf beiden Seiten des Rheins ist das Vertrauen der Bürger in die politische Elite in den letzten Jahren kontinuierlich gesunken. Darüber hinaus charakterisieren schrumpfende Mitgliederzahlen von Parteien, die steigende Zahl von Wechselwählern und die sinkende Wahlbeteiligung die politische Landschaft in Deutschland wie Frankreich. Eine der zentralen Fragen, die sich PS und SPD sowie alle anderen Parteien jenseits der parteiinternen Machtkämpfe und Identitätsfragen stellen müssen, ist daher folgende: Wie können diejenigen Wahlberechtigten wieder erreicht werden, die von der Politik nichts mehr erwarten? In Frankreich wie in Deutschland steht die gemäßigte Linke vor der Aufgabe, ein breites Oppositionsbündnis gegen das konservative Regierungsbündnis zu schmieden und sich verstärkt um die Jung- und Nichtwähler zu kümmern. Insbesondere in Deutschland stellt sich zudem die Frage, ob die SPD noch eine Volkspartei ist bzw. dies jemals wieder werden wird. Ohne einen verstärkten Dialog mit der Parteibasis sowie den Versuch, politikferne Schichten zu erreichen, wird die Zukunft von beiden Parteien, SPD und PS, finster aussehen. Und der politische Kampf für einen Wechsel an der Regierungsspitze stellt noch keine Antwort auf die zentralen Herausforderungen dar, mit denen die gemäßigte Linke wie das linke Lager insgesamt konfrontiert sind. Wir sind daher davon überzeugt, dass die gemäßigte Linke in Deutschland und Frankreich, insbesondere in Zeiten der globalen Finanzkrise, nur durch die Formulierung innovativer und sozial gerechter ( linker ) Antworten auf die brennenden Fragen der 4

Wirtschafts- und Arbeitsmarkt-, Sozial- und Bildungspolitik aus ihrer aktuellen Versenkung auferstehen kann. Es reicht nicht aus, soziale Errungenschaften gegen privatwirtschaftliche Interessen zu verteidigen, sondern es geht um die Erfindung einer neuen politischen und sozialen Programmatik. Diese Programmatik muss die Rolle des Sozialstaates, die zukünftigen Bildungsund sozialen Aufstiegschancen der breiten Bevölkerung ebenso thematisieren wie die Herausforderungen des globalen Klimawandels. Werden die aktuelle Wirtschaftskrise sowie die Klimapolitik in Folge der Klimakonferenz von Kopenhagen einen Innovationsmotor für die gemäßigte Linke in Deutschland, Frankreich darstellen und damit den Beginn einer neuen politischen Ära markieren? 5