Ausgewählte Gebiete des Bundesverwaltungsrechts Prüfung vom 9. Januar 2012 Prof. Dr. Tobias Jaag / Prof. Dr. Isabelle Häner / Prof. Dr. August Mächler Dauer: 120 Minuten Vorbemerkungen: - Kontrollieren Sie bitte sowohl bei Erhalt als auch bei Abgabe der Prüfung die Anzahl der Aufgabenblätter. Die Prüfung umfasst sechs Seiten (inkl. Deckblatt). - Bei der Bewertung kommt den Aufgaben unterschiedliches Gewicht zu. Die Punkte verteilen sich wie folgt auf die einzelnen Aufgaben (ohne Zusatzpunkte): Aufgabe 1 28 Punkte (ca. 36 %) Aufgabe 2 23 Punkte (ca. 30 %) Aufgabe 3 26 Punkte (ca. 34 %) Total 77 Punkte (100%) Teilen Sie die zur Verfügung stehende Zeit entsprechend ein. - Sehr gute Überlegungen werden mit Zusatzpunkten honoriert. Erforderliche Hilfsmittel: - HÄNNI/BELSER/WALDMANN, Texto Gesetzesausgabe Öff. Recht I, Basel 2010, und JAAG/HÄNNI, Texto Gesetzesausgabe Öff. Recht II, Basel 2010 oder - BIAGGINI/EHRENZELLER, Studienausgabe Öffentliches Recht, 5. Aufl. Zürich etc. 2011, und JAAG/HÄNNI, Texto Gesetzesausgabe Öff. Recht II, Basel 2010 Wir wünschen Ihnen viel Erfolg! 1
Aufgabe 1 A. hat im Rahmen ihres Architekturstudiums an der ETH Zürich eine Masterarbeit bei Professor X verfasst, welche sie im Mai 2010 abschloss. Im November 2010 erhielt sie dafür die Note 5. Gleichzeitig wurde ihr eröffnet, dass sie ihr Masterstudium mit dem Notendurchschnitt 5.65 bestanden und somit den Titel MSc ETH Arch erlangt habe. A. ist mit der Benotung ihrer Masterarbeit aber nicht zufrieden, da sie mit einer höheren Note das Prädikat mit Auszeichnung erreicht hätte. Sie ist der Ansicht, dass die Kritik des Professors, sie habe einschlägige Aspekte in ihrer Arbeit nicht berücksichtigt, nicht zutreffe. Zudem habe er gegen Treu und Glauben verstossen, indem er sie anlässlich der Vorbesprechung nicht auf diese Aspekte hingewiesen habe. Da der Arbeitsmarkt für Studienabgänger hart umkämpft ist, erachtet sie das Prädikat mit Auszeichnung als einen wichtigen Vorteil bei der Stellensuche. Deshalb möchte A. den Entscheid der ETH auf dem Rechtsweg überprüfen lassen. Sie verlangt, dass die Note ihrer Masterarbeit auf 6, mindestens aber auf 5.5 festzusetzen und gegebenenfalls ein Gutachten von einer unbefangenen Fachperson einzuholen sei. Fragen 1. Welchen Rechtsweg kann A beschreiten? Skizzieren Sie summarisch den Instanzenzug. (7.5 Punkte) 2. Wie wird die Rechtsmittelinstanz wohl materiell entscheiden? (15.5 Punkte) 3. Nehmen Sie unabhängig von Ihrer materiellen Einschätzung an, A. sei Jusstudentin an der Universität Zürich. Sie hat den kantonalen Instanzenzug ausgeschöpft und möchte ein Urteil des Zürcher Verwaltungsgerichts anfechten. Bestehen Unterschiede im Vergleich zu 1. und/oder 2.? Wenn ja, welche? (5 Punkte) Aufgabe 2 Der Jugend TV-Sender Z verlangte bei der Cablecom GmbH, dass diese ihr Fernsehprogramm auf ihr Kabelnetz sowohl im analogen wie im digitalen Bereich aufschalte. Dies lehnte die Cablecom ab mit der Begründung, dass die gesetzlichen Anforderungen an die besondere Qualität des Fernsehprogrammes nicht gegeben seien. Zudem sei es ihr auch nicht zumutbar, das Programm aufzuschalten, weil sie in der Folge einem der anderen zahlenden TV-Sender, z.b. BR 3, den Vertrag kündigen müsse. Daraufhin stellte der Jugend TV-Sender Z ein Gesuch an das Bundes- 2
amt für Kommunikation (BAKOM), es sei die Cablecom zu verpflichten, den Jugend- TV-Sender Z analog und digital zu verbreiten. Das BAKOM hiess das Gesuch des Jugend TV-Senders Z gut, woraufhin Cablecom Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht erhob. Zwischenzeitlich waren die Parteien einig geworden, dass der Jugend-TV Sender gegen Entschädigung digital verbreitet werde. Vor Bundesverwaltungsgericht vertraten die Parteien je die folgenden Standpunkte: Cablecom: Die Beschwerdeführerin beantragte, es sei auf die Beschwerde insoweit nicht einzutreten, als es um die digitale Verbreitung des Programmes gehe, weil sich in dieser Hinsicht die Parteien ja einig geworden seien. In Bezug auf die besondere Qualität führte sie aus, die von der Beschwerdegegnerin gebotenen Musikinhalte und -formate seien bereits in bestehenden Radio- und TV-Programmen zu finden, insbesondere auch die schweizerische Musikszene. Sodann sei die Aufschaltverpflichtung, welche zu einer unentgeltlichen Verbreitung führe (was zutrifft), auch nicht zumutbar, namentlich wenn sie anderen Programmveranstaltern kündigen müsse. Dies verstosse gegen die Wirtschaftsfreiheit. Jugend TV-Sender Z: Die Beschwerdegegnerin beruft sich auf die Medienfreiheit und macht geltend, sie erreiche den für die Aufschaltverpflichtung hohen Qualitätsstandard ohne weiteres. Man müsse auf das aktuelle Programm abstellen. Dieses sei sehr vielfältig und widme sich sehr mannigfaltig einem Teil der Musikkultur. Es fänden sich darauf Interviews mit Musikern und Live-Konzerte, Schweizer Musik News, Musiksendungen zu einem bestimmten Thema, eine Chartsendung oder Reportagen und Dokumentationen über eine bestimmte Band. Ein Programm mit einem derart ausgeprägten Schwerpunkt auf Musik für ein jugendliches bzw. junges Zielpublikum und einer Plattform für die Schweizer Musikszene sei im übrigen Fernsehangebot nicht enthalten. Die Kündigung eines Vertrages, insbesondere mit BR 3, sei ohne weiteres zumutbar, weil sich nur ein Prozent der Kundschaft von Cablecom für dieses Programm interessiere. Fragen 1. Ist die Cablecom zur Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht legitimiert? (3 Punkte) 2. Wie entscheidet das Bundesverwaltungsgericht? (10 Punkte) 3. Falls die Cablecom vor Bundesverwaltungsgericht obsiegt: Welche Möglichkeiten hat der Jugend-TV Sender Z ausserhalb von Rechtsmittelverfahren, um sein Ziel allenfalls trotzdem zu erreichen? Was würden Sie dem Jugend-TV Sender Z raten? (10 Punkte) 3
Aufgabe 3 Der Markt für von Privaten erbrachte Sicherheitsdienstleistungen hat sich in den letzten Jahren stark entwickelt. Ende 2010 gab es rund zwanzig Sicherheitsunternehmen, die von der Schweiz aus im Ausland operierten. Gesetzliche Regelungen der Kantone soweit solche überhaupt bestehen gelten nur für Sicherheitsunternehmen, die im Inland tätig sind. Anfangs September 2011 hat das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement bei den Kantonen und interessierten Organisationen den Entwurf zu einem Bundesgesetz über die im Ausland erbrachten privaten Sicherheitsdienstleistungen (BAPS) in die Vernehmlassung gegeben. Dem Gesetzesentwurf können namentlich folgende Bestimmungen entnommen werden: Art. 1 Zweck Das Gesetz trägt dazu bei: a. die innere und äussere Sicherheit der Schweiz zu gewährleisten; b. die aussenpolitischen Ziele der Schweiz umzusetzen; c. die schweizerische Neutralität zu wahren; d. die Einhaltung des Völkerrechts, insbesondere der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts, zu garantieren. Art. 2 Geltungsbereich Dieses Gesetz gilt für alle natürlichen und juristischen Personen und Personengesellschaften (Personen und Unternehmen), die: a. von der Schweiz aus private Sicherheitsdienstleistungen im Ausland erbringen; b. Es gilt zudem für Bundesbehörden, die einem Sicherheitsunternehmen die Wahrnehmung von Schutzaufgaben im Ausland übertragen oder die ein solches Unternehmen beiziehen. Art. 4 Begriffe In diesem Gesetz bedeuten: a. Sicherheitsdienstleistung insbesondere folgende Tätigkeiten: 1. Personenschutz, 2. Bewachung oder Überwachung von Liegenschaften, 3. Schutz von materiellen und immateriellen Werten und von deren Transfer, 4. Schutz von Daten und deren Bearbeitung, 5. Betrieb von Alarm-, Einsatz- und Sicherheitszentralen, 6. Ordnungsdienst bei Anlässen, 7. Kontrolle, Festhalten oder Durchsuchung von Personen, Durchsuchung von Räumen oder Behältnissen sowie Beschlagnahme von Gegenständen, 8. Bewachung, Betreuung, Transport und Verhör von Gefangenen sowie Betrieb von Gefängnissen, 9. operationelle oder logistische Unterstützung von Streit- und Sicherheitskräften, soweit diese nicht im Rahmen einer unmittelbaren Teilnahme an Feindseligkeiten gemäss Artikel 6 Absatz 1 erfolgt, 10. Betrieb und Wartung von Waffensystemen, 11. Beratung oder Ausbildung von Angehörigen von Streit- oder Sicherheitskräften, 12. Nachrichtendienstliche Tätigkeiten, Spionage und Spionageabwehr; b. 4
Art. 6 Unmittelbare Teilnahme an Feindseligkeiten Es ist verboten, unmittelbar an Feindseligkeiten teilzunehmen. Art. 7 Verletzung von Menschenrechten Es ist verboten: a. von der Schweiz aus private Sicherheitsdienstleistungen oder damit zusammenhängende Dienstleistungen zu erbringen, die mit schweren Menschenrechtsverletzungen verbunden sind; b. Art. 8 Pflicht zur Einhaltung des internationalen Verhaltenskodex für private Sicherheitsdienstleister Personen oder Unternehmen nach Artikel 2 Absatz 1 sind verpflichtet, die Bestimmungen des internationalen Verhaltenskodex für private Sicherheitsdienstleister in seiner Fassung vom 9. November 2010 (Verhaltenskodex) einzuhalten. Art. 9 Meldepflicht Eine Person oder ein Unternehmen, die oder das beabsichtigt, eine Tätigkeit nach Artikel 2 Absatz 1 auszuüben, ist verpflichtet, diese vorgängig der zuständigen Behörde zu melden. Die Person oder das Unternehmen unterlässt die Aufnahme der gemeldeten Tätigkeit, bis sie oder es von der zuständigen Behörde eine Mitteilung oder einen Entscheid erhalten hat. Art. 10 Mitteilung der Behörde Innert vierzehn Tagen nach Eingang der Meldung teilt die zuständige Behörde der betroffenen Person oder dem betroffenen Unternehmen mit: a. ob die gemeldete Tätigkeit im gegenwärtigen Zeitpunkt Anlass zur Einleitung eines Prüfverfahrens gibt; oder b. ob die gemeldete Tätigkeit gestützt auf die Artikel 6 oder 7 verboten ist. Art. 13 Ausnahmebewilligung Der Bundesrat kann Tätigkeiten, die im Widerspruch zu den in Artikel 1 genannten Zwecken stehen, ausnahmsweise bewilligen, wenn ein überwiegendes öffentliches Interesse besteht. Die zuständige Behörde unterbreitet dem Bundesrat den zu beurteilenden Fall. Der Bundesrat legt die erforderlichen Kontrollmassnahmen fest. Der Verhaltenskodex für private Sicherheitsdienstleister nach Art. 8 E-BAPS verpflichtet Personen und Unternehmen namentlich auf ein Verbot von Offensivhandlungen und auf die Begrenzung der Anwendung tödlicher Gewalt auf Fälle der Selbstverteidigung und der Verteidigung des Lebens Dritter. Darüber hinaus enthält der Verhaltenskodex für private Sicherheitsdienstleister die Verpflichtung, bei ihrer Tätigkeit die Menschenrechte zu respektieren und das humanitäre Völkerrecht zu beachten. Diese Pflichten bestehen unabhängig von den nationalen Gesetzen und der Rechtslage in den betroffenen Staaten. 5
Fragen 1. Auf welche Kompetenzen des Bundes kann ein solches Bundesgesetz über die im Ausland erbrachten privaten Sicherheitsdienstleistungen abgestützt werden? Nennen und begründen Sie wenigstens zwei Grundlagen. (4 Punkte) 2. Sind die vorgeschriebenen Melde- und Verhaltenspflichten sowie die Verbote mit den Grundrechten der Bundesverfassung vereinbar? (12 Punkte) 3. Kann ein Beschluss des Bundesrates, der gestützt auf Art. 13 E-BAPS zum Gesuch um Erteilung einer Ausnahmebewilligung ergeht, gerichtlich überprüft werden? Sie können Ihre Beurteilung auf das Anfechtungsobjekt, inkl. den Bundesrat als Vorinstanz, beschränken. (10 Punkte) 6