Der erste Johannesbrief



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Transkript:

Der erste Johannesbrief Das Schreiben ist ohne Namen überliefert. Der Verfasser setzt die Tradition des Joh-Ev fort. Er gehört der johanneischen Schule an. In seiner Gemeinde dürfte es einen Streit um das rechte Verständnis der gemeinsamen Tradition gegeben haben. Das Joh-Ev ist von allen anerkannt. Darum möchte der Verfasser der Briefe den Eindruck erwecken, dass er auch der Verfasser des Joh-Ev ist. Über die Empfänger gibt uns der 1 Joh keine direkte Auskunft. Die Leser sind von Irrlehren bedroht. Sie werden aufgerufen zur Bruderliebe und ermahnt, die Irrlehre abzuwehren. Der Brief ist bereits in der ersten Hälfte des 2. Jhds. bezeugt; er dürfte also um 100 n. Chr. entstanden sein, und zwar in Syrien oder im westlichen Kleinasien. Dem Schreiben fehlen alle Züge eines Briefes wie: Absender, Empfänger, Ortsangaben, Absicht, Grüße. Es handelt sich darum bei diesem Schriftstück viel eher um ein theologisches Mahnschreiben, das für die ganze Christenheit bestimmt ist. Der Verfasser richtet sich 22mal an seine Leser. Das Schreiben ist kein Rundbrief, keine religiöse Abhandlung, keine geschriebene Predigt, keine Schriftauslegung. Aus dem AT wird keine Schriftstelle wörtlich angeführt. Man kann den 1 Joh vielleicht am besten eine Kampfschrift gegen Irrlehrer nennen, die sich an die Rechtgläubigen richtet. Das Schreiben will aufklären und den Irrtum widerlegen. So haben die einzelnen kirchlichen Gemeinden ein Schreiben in der Hand, das die irrigen Ansichten entlarvt und die Werbung der Irrlehrer abwehrt. Der Verfasser ruft seine Leser auf, sich an die Überlieferung zu erinnern und sich daran zu halten. Die Gegner haben sich bereits teilweise von der Gemeinde getrennt (2,19), werben aber noch immer unter den Gläubigen. Sie vertreten gnostisches Gedankengut. Die Gnosis ist eine Geheimlehre in verschiedensten Ausformungen. Die Gnostiker wollen durch philosophische Erkenntnisse zur Gotteserkenntnis gelangen. Das ist mit dem christlichen Offenbarungsbegriff nicht vereinbar. Merksatz: Der erste Johannesbrief ist eine Aufforderung an die Gläubigen, sich durch Irrlehrer nicht vom wahren Glauben abbringen zu lassen. Darum stellt er den irrigen Glaubensmeinungen den richtigen Glauben gegenüber. a) Der Aufbau Briefanfang (1,1-4): Vorrede: Das Wort des Lebens 1. Hauptteil: Das Leben in der Gemeinschaft mit Gott (1,5-2,17) 1,5-7 Das Wesen Gottes 1,8-2,2 Christ und Sünde 2,3-6 Wahre Gotteserkenntnis 2,7-11 Das neue Gebot 2,12-17 Christ und Welt 2. Hauptteil: Die Bewährung des Glaubens (2,18-3,24) 2,18-27 Das Auftreten von Irrlehrern 2,28f Mahnung zur Treue 3,1-10 Das Geschenk der Kindschaft Gottes 3,11-18 Aufruf zur Bruderliebe 3,19-24 Die Zuversicht der Kinder Gottes 3. Hauptteil: Der Glaube als Weg zum Leben (4,1-5,12) 4,1-6 Über die Unterscheidung der Geister 4,7-16a Die Vollendung des Glaubens in der Liebe

4,16b-21 Furcht und Liebe 5,1-8 Der Glaube als Sieg über die Welt 5,9-12 Das Zeugnis Gottes Schluss(mahnung): Sünde und ewiges Leben (5,13-21) Der 1 Joh beginnt mit einer Vorrede (1,1-4), die eine auffallende Ähnlichkeit zu Joh 1,1-18, dem Prolog des Joh-Ev, aufweist. Der Verfasser will zeigen, dass er Zeuge des Jesusgeschehens ist. Der erste Hauptteil (1,5-2,17) geht aus von Gott, der Licht und Heil ist. Er hat sich geoffenbart. Die Gläubigen leben in seinem Licht. In dieser Wirklichkeit werden die Lebensentscheidungen der Menschen getroffen. Die Wahrheit erkennen, heißt die Wahrheit tun; d. h. bekennen, dass Jesus der Christus ist, der die göttliche Wirklichkeit offenbart, und danach leben. Von daher ist gesagt, was Sünde (V. 8) ist: die Ablehnung der Botschaft und des Glaubensbekenntnisses die Ablehnung der Sündenvergebung die Verweigerung der Liebe der Widerspruch zur verkündeten Wirklichkeit. Der Christ steht dazu, dass er Sünder ist (im Gegensatz zum Gnostiker). Er weiß, dass Gott verzeiht, weil die Christen einen Beistand haben: Jesus Christus, den Gerechten (2,1). Wahre Gotteserkenntnis ist nicht die der Gnosis, sondern ein Leben im gläubigen Erkennen und Handeln nach Gottes Geboten - ein Leben, wie Jesus es vorgelebt hat (2,3-6). Das neue Gebot (2,7-11) mutet den Gläubigen zu, Gotteserkenntnis und Einsatz für das Wohlergehen der Brüder (= die, welche in der Gemeinde geblieben sind) zu verbinden. Die Gefahr, entweder in der rein persönlichen Beschauung oder aber in der tätigen Bruderliebe aufzugehen, ist damit aufgezeigt. Jesus mutet uns die Verbindung der beiden zu. Mit den Anfechtungen der Welt kann der Christ nur dann umgehen, wenn er an Gottes Wort glaubt. Welt - Böses - Fleisch meint alles, was dem Willen Gottes widerspricht. Im 1 Joh ist es alles, was die Liebe zum Nächsten missachtet und verkehrt. Dies ist vor allem die rein materialistische Einstufung und Behandlung des Mitmenschen. Der 2. Hauptteil (2,18-3,24) spricht von der Bewährung im Glauben. Der Verfasser setzt in 2,18-27 die Gegner mit den Antichristen gleich, die in der Endzeit auftreten werden. Die Christen aber bleiben treu in der Gemeinschaft mit Gott; sie sind gesalbt mit Öl. Dies verweist wahrscheinlich auf die Taufe und dürfte dem Empfang des Geistes gleichgesetzt worden sein. Die Verse 28-29 mahnen, in Jesus Christus (2,1) zu bleiben. Er wird nicht hart richten, sondern Versöhnung und Güte bringen, denn er ist gerecht und jeder, der die Gerechtigkeit Jesu ausübt, stammt von Gott und ist Kind Gottes. 3,1-10 (Geschenk der Kindschaft Gottes) ist ein Höhepunkt des Briefes. Der Verfasser nennt hier die Gläubigen Kinder Gottes, unterscheidet aber zwischen der Gotteskindschaft der Christen und der Gottessohnschaft Jesu. Die Kinder Gottes stammen von Gott. Sie sind aus Gott geboren (so das griechische Wort in 2,29) und von Gott zu Teilhabern seines Lebens gemacht. Diese Gotteskindschaft ist geschenkt - wahrscheinlich meint der Verfasser: im Taufgeschehen. Das Leben der Gotteskinder sagt der Sünde den Kampf an. Sie folgen Jesus nach im Tun dessen, was er als der Gerechte vorgelebt hat. Im Gegensatz zu den Gotteskindern spricht Vers 8 von Kindern des Teufels: Diese stehen unter teuflischem Einfluss, sind teuflisch und sündigen wie er. Die Einheitsübersetzung verwendet für das Zeitwort in 2,29 (stammt von Gott) und in 3,8 (stammt vom Teufel) ein und dasselbe Wort. Der Teufel (d. h. Tun wie er) schenkt aber nicht Leben, sondern bringt Tod. Für den Verfasser sind die unruhestiftenden Gegner in der Gemeinde Teufel (= solche, die alles durcheinanderbringen). Erkennbar sind diese Kinder daran, dass die Bruderliebe fehlt. Aus der Gotteskindschaft erwächst der Auftrag zur Bruderliebe (3,11-18).

Liebe ist der Inhalt der Botschaft, den die Christen vom Beginn der christlichen Verkündigung an gehört haben. Als negatives Beispiel der Bruderliebe werden Kain und Abel (Gen 4) eingeführt. So wie Kain sich zu Abel verhielt, so verhält sich die Welt zur christlichen Gemeinde. Die Welt hasst die christliche Gemeinde. Diesem Hass begegnen die Christen bei denen, die sich von ihnen abgespalten haben. Aber nur im liebenden Miteinander wird die Gemeinde dem Anspruch Jesu gerecht. Im Christentum kommt es auf die Liebe in Tat und Wahrheit an (3,18). Aus dem Gesagten ergibt sich die Zuversicht der Kinder Gottes (3,19-24): Gott ist mit den Gläubigen, auch wenn sie vielleicht gesündigt haben. Gott weiß besser, wie es um uns steht. Er verzeiht uns, wenn wir unsere Sünden bekennen, weil er treu ist und Jesus für uns Fürsprache einlegt. Das Gebot, dem Namen Jesus Christus zu glauben und einander zu lieben (V. 23), und der Hinweis auf den Geist, den Gott uns gegeben hat (V. 24), bringt uns zum nächsten Kapitel. Anregung: Wo und wie stellt sich heute die Frage nach persönlicher Beschauung und/oder tätiger Liebe zu den Mitgläubigen? Wo ist heute geschwisterliche Liebe erfahrbar? Der dritte Hauptteil (4,1-5,12) zeigt auf, dass der Glaube als Bekenntnis und die Bruderliebe der Maßstab für das echte Christsein sind. Den Gläubigen wird die Unterscheidung der Geister anbefohlen. Jeder Geist, der die Menschwerdung Jesu Christi bekennt, kommt von Gott; alle anderen sind falsche Propheten. Es geht bei der Entscheidung für diesen oder jenen Geist um ein Entweder - Oder, um Heil oder Unheil (4,1-6). Die falschen Propheten, das sind die Gegner der wahren Lehre, haben die Gemeinde wohl verlassen, dürften aber noch immer in der Gemeinde werben. Sie verehren den himmlischen Christus auf eine Art und Weise, die den irdischen Jesus zunichte macht. Damit wird 4,2 zum Maßstab der Rechtgläubigkeit. 4,5f nimmt Gedanken von Joh 8,47 auf: Der Geist der Wahrheit ist am Hören auf die Botschaft der Menschwerdung zu erkennen, am Nicht-Hören erkennt man den Geist der Täuschung. 4,7-16a spricht von einer umfassenden Bewegung der Liebe Gottes, in die die Menschen hineingenommen sind. Dies wurde offenbar in der Menschwerdung seines Sohnes, um unsere Sünden zu sühnen (V. 9f). Die Christen folgen Jesus, indem sie das Leben füreinander geben. Die Bruderliebe, die von Gott ausgeht und in den Menschen wirkt, ist die wahre Gotteserkenntnis (V. 12). Der Kreis um den Verfasser bezeugt, dass Gott seinen Sohn als Retter der Welt gesandt hat. Daran haben sie die Liebe Gottes erkannt. Sie haben geglaubt, dass damit die Liebe Gottes in ihrem Leben wirksam ist. 4,16b-21 nimmt zunächst die Kernaussage von Vers 8 auf: Gott ist Liebe. Diese Liebe macht die Menschen zu Liebenden. Dieses Wissen lässt die Christen voll Zuversicht dem Tag des Gerichts (= dem Kommen Christi) entgegensehen; denn wer von der Liebe Gottes ergriffen ist, der kann sich vor Gott nicht fürchten. Vers 20 nimmt den Gedanken von Vers 12 auf. Dem Geheimnis Gottes kommt man auf dem Weg der Liebe näher. Dann ist es aber unmöglich, den Bruder (= die Gemeindemitglieder) nicht zu lieben. Wer seinen Bruder hasst, der liebt Gott nicht; ja, er unterbricht den Strom der Liebe, der von Gott ausgeht und alle erreichen will. 4,21 und 5,1 gehen zum Ausgangspunkt der Gedanken in 3,23f zurück: Der Christ ist ein Glaubender und ein Liebender. Liebe zu Gott und das Halten seiner Gebote fallen zusammen. Darum sind seine Gebote nicht schwer. 5,4b ist die Einleitung zu 5,5-12, in dem der Verfasser über den Glauben und das Zeugnis Gottes für seinen Sohn Jesus Christus nachdenkt. Jesus, der für uns gestorben ist, ist Mittler des Heils. Die Gegner dürften nur die Taufe (= Wasser) als Kommen Jesu angenommen haben. Dagegen wird hier auf den Kreuzestod Jesu (= Wasser und Blut) verwiesen. Der Geist bezeugt den Kreuzestod Jesu. 5,7f ist nicht in allen Handschriften vorhanden. Darin wird von einem dreifachen Zeugnis (dies ist wichtig für die Glaubwürdigkeit) gesprochen. Der Tod Jesu wird als das endzeitli-

che Heilsereignis gedeutet. Schließlich legt Gott selbst Zeugnis ab für seinen Sohn und seine Stellung als Heilsmittler. Wer nicht an die drei Zeugen und an das Zeugnis Gottes für den gekreuzigten Sohn glaubt, hat Gott zum Lügner gemacht. Das Zeugnis Gottes für seinen Sohn stellt jedoch nicht nur Tatsachen fest, sondern offenbart, dass das Heil zugänglich ist für alle, die an den Sohn glauben (5,9-12). 5,13-21 bringt Schlussermahnungen. Die Christen sollen im Namen Jesu zuversichtlich bitten. Bei einer Sünde, die zum Tode führt, dürfte es sich um die Entscheidung der Abtrünnigen handeln, die den wahren Glauben leugnen und sich von der Gemeinde losgesagt haben. Für sie soll man nicht beten. Daneben gibt es Sünden, die nicht zum Tod führen. Es kann nicht mehr gesagt werden, welche Sünden hier gemeint sind; wohl dürften es schwerwiegende Sünden sein. Die Verse 18-20 beginnen jeweils mit: Wir wissen. Die Getauften gehören der Welt Gottes an. Wenn es auch Böses gibt, durch die Taufe dürfen wir in Jesus Christus aus seiner Lebensfülle schöpfen. Den Schluss bildet eine Warnung, sich vor den Götzen zu hüten. Gemeint ist wahrscheinlich, dass die Christen nicht auf die falschen Verkündiger hören sollen. Sonst werden sie vom wahren Glauben in Wort und Tat abfallen und den Götzen der Welt verfallen. Anregung: Welche Haltungen sollten heute geprüft werden im Sinn von 4,1? Wo wird in unserer Verkündigung die Göttlichkeit bzw. die Menschlichkeit Jesu vernachlässigt? b) Die Zurückweisung der Irrlehrer und die Bruderliebe Die Irrlehrer, gegen die sich der 1 Joh wendet, sind aller Wahrscheinlichkeit nach Gnostiker. Sie deuten das Wesen des Menschen vom göttlichen Ursprung her und setzen sein Wesen mit dem göttlichen Sein gleich. Dies führt zu einer Abwertung von allem Materiellen. Für diese Gnostiker ist nur eine reine Gottesschau und Gotteserkenntnis wichtig. Ein solches Christentum leugnet den Offenbarungscharakter und ist zur reinen, vom Menschen ausgehenden Philosophie geworden. Es besteht außerdem die Gefahr, die Mitchristen (= die Brüder) aus den Augen zu verlieren. Der Verfasser muss die Leser daran erinnern, dass es im Christentum wesentlich um das Tun der Wahrheit geht (1,6f). Daraus ergeben sich folgende Vorwürfe den Gegnern gegenüber: Sie rühmen sich, Gott erkannt zu haben, halten sich aber nicht an seine Gebote (2,4). Sie behaupten: Sünde haben wir nicht (vgl. 1,8). Die Gegner meinen also, dass sich aus der Wesensgleichheit des Menschen mit Gott ergibt, dass der Mensch nicht sündigen kann. In 3,6.9 wird dieses falsche Verständnis angesprochen. Sie behaupten, Gott zu lieben, hassen aber den Bruder; es fehlt ihnen überhaupt an der Bruderliebe (4,20). Der wichtigste Streitpunkt mit den Irrlehrern liegt in der Christologie (= Lehre von Jesus Christus). Sie geben u. a. folgenden Glaubenssätzen einen anderen Stellenwert: Jesus ist der Christus (2,22) Jesus ist der Sohn Gottes (2,23) Jesus Christus ist ins Fleisch gekommen (d. h. er ist Mensch geworden; 4,2) Jesus Christus kam durch Wasser und Blut (5,6). Sie leugnen diese Glaubenssätze nicht, sondern verlagern das Gewicht. Das ewige Vorhersein (= Präexistenz) und die göttliche Herrlichkeit des menschgewordenen Gottessohnes werden hervorgehoben. Das irdische Leben Jesu, sein Leiden und Sterben wird dadurch für das Heil mehr oder weniger bedeutungslos. Das Menschliche wird vom Göttlichen überstrahlt. Alle, die an Jesu göttlichen Ursprung glauben, haben Anteil an diesem Leben. Das irdische Leben und das Sterben Jesu ist damit nicht mehr heilsnotwendig. Als Belegstellen für diese Aussagen werden Joh 13,1-3.31-33; 16,28; 17,1-5.24 herangezogen.

In 1 Joh 1,7-9; 2,2; 3,5.16; 4,9f; 5,6-8 wird dagegen aufgezeigt, dass Jesu Leben, Leiden und Sterben sehr wohl heilsnotwendig ist. Die Irrlehrer, gegen die sich 1 Joh richtet, leugnen also nicht die Menschwerdung, als ob Jesus nur einen Scheinleib gehabt hätte (= Doketismus). Sie leugnen nicht die Wirklichkeit, sondern den Heilssinn des menschlichen Lebens und Sterbens Jesu. Das Joh-Ev legt auf die Göttlichkeit Jesu und sein ewiges Vorhersein (= Präexistenz) großen Nachdruck; das Erdendasein Jesu ist durchstrahlt von seiner göttlichen Hoheit. Die Johannesbriefe übernehmen dies, stellen aber neben die Göttlichkeit die Menschlichkeit und Sterblichkeit Jesu (vgl. 1,7; 5,5-8). Die Irrlehrer haben das Menschsein Jesu ganz in den Hintergrund gedrängt. Der Geist spielt im Joh-Ev eine besondere Rolle, er ist der Paraklet (= der Helfer, Tröster, Beistand), eine göttliche Person (16,4b-15). In 1 Joh wird Jesus Paraklet genannt (2,1); vom Geist wird wenig gesprochen. Wahrscheinlich haben die Irrlehrer mit dem Hinweis auf den Geist ihre Lehre rechtfertigen wollen (4,1-6). Im Joh-Ev wird oft betont, dass die Endzeit (= das Eschaton) in der Gegenwart angebrochen ist; die Erwartung der Endzeit am Ende der Zeiten ist demgegenüber zweitrangig. Der 1 Joh spricht dagegen eher von einer Eschatologie am Ende der Zeit. Wahrscheinlich haben die Irrlehrer verkündet, dass die letzte Stunde angebrochen (2,18.22) und das endgültige Kommen Christi ganz nahegekommen (2,28) sei. Die Bruderliebe wird in den Briefen wesentlich stärker betont als im Joh-Ev. Das Joh-Ev setzt sich mit dem Judentum auseinander; in den Briefen fehlt dies. An die Stelle der Juden als Gegner treten die Irrlehrer. Der Gegensatz heißt im Joh-Ev Glaube - Unglaube, in den Johannesbriefen Glaube - Irrglaube. Die Irrlehrer sind aus unserer Mitte gekommen, aber sie gehörten nicht zu uns; denn wenn sie zu uns gehört hätten, wären sie bei uns geblieben (2,19). Wenn man die theologischen Gedanken des 1 Joh zusammenfasst, dann sind zwei Themenkreise zu erkennen, die sich gegen Aussagen der Irrlehrer richten: Rechter Glaube an Jesus Christus Ein Leben in der Bruderliebe (2,4.7-11; 3,23) Das Nachdenken des 1 Joh mündet in die Aussage: Gott ist Liebe (4,16). Der Glaube an die Liebe Gottes gibt dem Christen Zuversicht. Der Hass der Welt wird nicht über ihn siegen - der Liebende bleibt. Er kann den Bruder und die Schwester so lieben, wie Gott sie gemeint und angenommen hat. Die christliche Gemeinde ist dann ein Ort, wo es keine Angst mehr gibt, sondern Gemeinschaft, Angenommensein, Liehe. Voraussetzung und Grundlage ist die Liebe Gottes: Nicht darin besteht die Liebe, dass wir Gott geliebt haben, sondern dass er uns geliebt und seinen Sohn als Sühne für unsere Sünden gesandt hat (4,10). Daraus folgt die Bruderliebe: Liebe Brüder, wenn uns Gott so geliebt hat, müssen auch wir einander lieben (4,11). Und: Wir erkennen, dass wir die Kinder Gottes lieben, wenn wir Gott lieben und seine Gebote erfüllen (5,2). Aus: Linzer Fernkurse, Neues Testament II, 6. Aussendung