AG AMV Arbeitsgruppe Arzneimittelvereinbarung Gemeinsame Information der KVWL und der Verbände der Krankenkassen in Westfalen-Lippe Datum: Oktober 2014 Tapentadol weiterhin keine nachhaltige therapeutische Verbesserung belegt Die gemeinsame Arbeitsgruppe analysiert regelmäßig Verordnungen und Optimierungspotenziale bei patentgeschützten Arzneimitteln ohne eine Bewertung ihres (Mehr- )Nutzens im Vergleich zu bewährten Standardtherapeutika im Markt nach Änderung der gesetzlichen Grundlagen (1). Retardiertes Tapentadol 1 ist für die Behandlung starker, opioidpflichtiger chronischer Schmerzen seit 2010 in Deutschland zugelassen (u. a. 2). Darüber hinaus steht es unretardiert zur Behandlung akuter, mäßig starker bis starker opioidbedürftiger Schmerzen zur Verfügung (u. a. 3, 4). Die Therapie von Tumorschmerzen wurde ursprünglich in der Fachinformation nicht empfohlen. Seit Oktober 2013 wird in der Fachinformation von Palexia retard (2) unter Punkt 5.1 auch die Wirksamkeit bei chronischen tumorbedingten Schmerzen aufgeführt. Aufgrund relevanter inhaltlicher und methodischer Zweifel an der dieser Anpassung zugrunde liegenden, mittlerweile publizierten, Studie 2 sieht die gemeinsame Arbeitsgruppe keinen neuen Stellenwert von Tapentadol in der Behandlung tumorbedingter Schmerzen, insbesondere im Vergleich zur Standardtherapie mit Morphin. Auch bei nichttumorbedingten Schmerzen ergibt sich keine Datenlage, die eine andere Einschätzung als bereits 2012 erfolgt (5, 6) begründen würde. Fazit Eine nachhaltige therapeutische Verbesserung durch Tapentadol ist daher unverändert weder für die neu hinzugekommene Option der Behandlung tumorbedingter Schmerzen noch bei nichttumorbedingten Schmerzen zu erkennen. Vergleichende Studien zur Mehrzahl anderer bewährter Opioide liegen für tumorbedingte Schmerzen und solche anderer Genese weiterhin nicht vor. Angesichts dieser Datenlage und des Preisunterschiedes von mehr als 8,00 EUR je verordneter Tagesdosis in Westfalen-Lippe gegenüber generischem Morphin (Stand: Januar 2014) ist der nach wie vor deutliche Verordnungsanstieg von Tapentadol im Vergleich vom 1. Quartal 2013 zum 1. Quartal 2014 von ca. 26% aus der Sicht der gemeinsamen Arbeitsgruppe nicht begründbar. Nach wie vor sollte es analog den Empfehlungen der KBV lediglich als Reservetherapeutikum für Einzelfälle betrachtet werden (5). 1 z. B.: Palexia retard, Yantil retard 2 siehe Anlage: AG AMV Tapentadol bei Tumorschmerzen, Oktober 2014
Blatt 2 zum Schreiben der AG AMV vom Oktober 2014 Bitte beachten Sie, dass tapentadolhaltige Medikamente nicht als standardisierte Praxisbesonderheit in Westfalen-Lippe anerkannt sind. Die gemeinsame Arbeitsgruppe bittet Sie daher angesichts eines weiterhin nicht belegten therapeutischen Mehrnutzens, tapentadolhaltige Präparate nur zurückhaltend zu verordnen und insbesondere generisches Morphin als Standardtherapeutikum und Hydromorphon- sowie Oxycodon- Generika als Mittel der 2. Wahl in Erwägung zu ziehen (vgl. 6). Vielen Dank für Ihre Mithilfe. Mit freundlichen Grüßen für die gemeinsame Arbeitsgruppe Anlage Literaturverzeichnis (1) Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Einstellung der Nutzenbewertung von Arzneimitteln im Bestandsmarkt. BAnz AT 14.05.2014 B2. (https://www.g-ba.de/downloads/39-261- 1976/2014-03-17_35a_EinstellungBestandsmarkt_BAnz.pdf. Zugriff am 26.09.2014) (2) Fachinformation: Palexia retard (Stand Oktober 2013) (3) Fachinformation: Palexia 50 mg Filmtabletten (Stand Oktober 2013) (4) Fachinformation: Palexia 20 mg/ml Lösung zum Einnehmen (Stand November 2013) (5) Wirkstoff AKTUELL (3/2012):Tapentadol. KBV (http://www.kbv.de/media/sp/tapentadol.pdf; Zugriff am 22.09.14) (6) Optimierung der Pharmakotherapie Nr. 19: Analgetika / Opioide.AG AMV, April 2012. (http://www.kvwl.de/arzt/verordnung/arzneimittel/info/liste_opt.htm;zugriff am 22.09.14) Ansprechpartner Verbände der Krankenkassen Andreas Heeke, Tel. 0231 4193-10401/02 E-Mail: Andreas.Heeke@nw.aok.de Ansprechpartner KVWL Verordnungsmanagement, Tel.: 0231 9432-3941 E-Mail: Verordnungsmanagement@kvwl.de
AG AMV Arbeitsgruppe Arzneimittelvereinbarung Gemeinsame Information der KVWL und der Verbände der Krankenkassen in Westfalen-Lippe Datum: Oktober 2014 Tapentadol bei Tumorschmerzen Retardiertes Tapentadol 1 ist für die Behandlung starker, opioidpflichtiger chronischer Schmerzen seit 2010 zugelassen (1). Darüber hinaus steht es unretardiert zur Behandlung akuter, mäßig starker bis starker, opioidbedürftiger Schmerzen zur Verfügung (u. a. 2, 3). In dem im Oktober 2013 geänderten Text der Fachinformation für Palexia retard heißt es unter Punkt 5.1, dass die Wirksamkeit auch bei chronischen tumorbedingten Schmerzen verifiziert wurde (4). Grundlage dieser Anpassung war eine internationale, randomisierte, doppelblinde Phase-III Studie mit dem Hersteller als Sponsor, die im Juli 2014 publiziert wurde. Die im Folgenden kurz dargestellte Studie umfasste eine zweiwöchige Titrationsphase und vierwöchige Erhaltungstherapiephase (5) 2. Titrationsphase Bei Patienten mit fortbestehenden tumorbedingten Schmerzen 3 unter bisheriger analgetischer Therapie (ca. 85% Opioide) wurde in einer ersten 2:1 randomisierten Titrationsphase im Vergleich von retardiertem Tapentadol (338 Patienten) mit retardiertem Morphin (158 Patienten) für das Erreichen des zusammengesetzten Endpunktes 4 nach zwei Wochen Nichtunterlegenheit (76% vs 83%) festgestellt. Mangels Wirksamkeit beendeten jedoch numerisch mehr Patienten unter Tapentadol (3%) als unter Morphin (0%) die Titrationsphase vorzeitig. Erhaltungsphase In der anschließenden Erhaltungsphase wurden den Endpunkt der Titrationsphase erfüllende Patienten zwischen Tapentadol (106 Patienten) und Placebo (112 Patienten) diesmal im Verhältnis 1:1 erneut randomisiert. Das Endpunktkriterium erfüllende Patienten aus der Morphingruppe (109) wurden weiterbehandelt. Für den primären Endpunkt 5 der Studie wurde eine statistisch signifikante Überlegenheit für Tapentadol (61,9%) gegen Placebo (45,9%) festgestellt. Der Unterschied beruht überwiegend auf dem häufigeren Gebrauch einer Bedarfsschmerzmedikation oberhalb des Ansprechkriteriums (> 20mg Morphin) im Placeboarm. Gegenüber Morphin (68,8%) fand sich statistisch deskriptiv ein vergleichbares Ergebnis, ohne dass Nichtunterlegenheit geprüft wurde. Eine im Mittel höhere Bedarfsanalgesie benötigten in beiden Behandlungsphasen numerisch mehr Patienten im Tapentadolarm als unter Morphin. 1 z. B. Palexia retard, Yantil retard 2 Clinical Trials.gov Identifier: NCT00472303 3 5 auf einer numerischen Rating Skala von 0-10 4 Schmerzintensität 5 und 20 mg Morphin Bedarfsanalgesie pro Tag in den letzten 3 Tagen der zweiwöchigen komplettierten Titrationsphase 5 28 Tage Teilnahme an der Erhaltungsphase und Parameter des Titrationsendpunktes im Vergleich Tapentadol gegen Placebo
Blatt 2 zum Schreiben der AG AMV vom Oktober 2014 Unerwünschte Ereignisse Unerwünschte Ereignisse wurden in der Titrationsphase numerisch von etwas weniger Patienten unter Tapentadol (50%, (169/338)) als Morphin (63,9%, (101/158)) berichtet, wogegen in der Erhaltungsphase kein Unterschied bestand (62,2% vs 62,4%) und Ereignisse auch im Placeboarm mit 56,3% häufig waren. Nur in einer post hoc Analyse zu unerwünschten Ereignissen wird für die Inzidenz eines zusammengesetzten Endpunktes bestimmter unerwünschter Ereignisse 6 und verschiedener gastrointestinaler unerwünschter Ereignisse 7 in der Titrationsphase aber nicht in der Erhaltungsphase ein signifikanter Vorteil für Tapentadol gegen Morphin beschrieben. Methodische Qualität Es bestehen inhaltlich/methodisch begründbare Zweifel, dass die Studie über die im Zulassungstext der Fachinformation angegebene Verifizierung der Wirksamkeit gegenüber einer Scheintherapie zumindest in der Kurzzeitanwendung bei Tumorschmerzen hinaus geeignet ist, angesichts der kurzen Titrationsphase Nichtunterlegenheit gegenüber Morphin für die übliche Langzeitanwendung ausreichend zuverlässig zu belegen. Das deskriptive Ergebnis der Erhaltungsphase ist wegen der vorangegangenen Selektion ansprechender Patienten für diesen Vergleich nicht ausreichend belastbar. Die Relevanz des nur in einer post hoc Analyse beschriebenen Verträglichkeitsvorteils in der Titrationsphase für bestimmte unerwünschte Ereignisse ist zu hinterfragen. Die hierunter erfassten Symptome bilden sich teils nach der Eindosierung von Opioiden in vielen Fällen zurück. Sie führten auch nicht zu mehr Therapieabbrüchen unter Morphin. Fehlende Unterschiede in der Erhaltungsphase deuten zudem darauf hin, dass mögliche initiale Verträglichkeitsunterschiede für die übliche Langzeittherapie keine Bedeutung haben. Weitere Studien In einer vierwöchigen doppelverblindeten Phase-III Studie aus Japan/Korea wurde Nichtunterlegenheit für retardiertes Tapentadol gegenüber retardiertem Oxycodon in der Therapie tumorbedingter Schmerzen bei vergleichbarer Häufigkeit unerwünschter Ereignisse gezeigt. Ein geringer Vorteil in der Häufigkeit gastrointestinaler Ereignisse (55,45 vs 67,4%) wird berichtet (6). Dies ist vergleichbar Erkenntnissen aus Studien zu nicht tumorbedingten Schmerzen. In einer weiteren offenen Phase-III Studie aus Japan (7) fand sich bei mit Opioiden stabil eingestellten Patienten mit moderaten bis starken Tumorschmerzen nach randomisierter Umstellung auf Tapentadol oder Morphin nach einer Woche kein signifikanter Unterschied im Erhalt einer guten Schmerzkontrolle (84,0% vs 98%) bei einer etwas geringeren Rate gastrointestinaler unerwünschter Ereignisse (38,0% vs 54,0%). Die Studie ist weder geeignet Nichtunterlegenheit noch eine bessere Verträglichkeit in der Langzeitanwendung im Vergleich zur Standardtherapie mit Morphin zu belegen. Beurteilung Ein überzeugender therapeutischer Zusatznutzen für Tapentadol in der Schmerztherapie maligner Tumore gegenüber dem Standard Morphin ist somit nicht nachvollziehbar. Vergleichende Studien zur Mehrzahl anderer bewährter Opioide liegen weiterhin für tumorbedingte Schmerzen und solche anderer Genese nicht vor. 6 Behandlungsassoziierte unerwünschte Ereignisse ( 5%): Obstipation, Mundtrockenheit,Übelkeit, Erbrechen, Schwäche, Schwindel, Somnolenz 7 Übelkeit (12,4% vs 24,1%), Erbrechen (5,3% vs 15,8%), Mundtrockenheit (1,2% vs 6,3%)
Blatt 3 zum Schreiben der AG AMV vom Oktober 2014 Nichttumorbedingte Schmerzen Nach einem aktuellen systematischen Review weisen mittlerweile Ergebnisse aus vier prospektiv kontrollierten, randomisierten Studien teils methodisch eingeschränkter Aussagekraft bei Osteoarthritis bzw. unteren Rückenschmerzen auf eine ähnliche Wirksamkeit wie retardiertes Oxycodon bei etwas besserer gastrointestinaler Verträglichkeit hin (8). Dies entspricht den bereits 2012 vorliegenden Einschätzungen (9, 10). Fazit Eine nachhaltige therapeutische Verbesserung durch den neuen, teuren Wirkstoff ist daher unverändert weder für die hinzugekommene Option der Behandlung tumorbedingter Schmerzen noch nichttumorbedingter Schmerzen zu erkennen. Literatur (1) Fachinformation: Palexia retard (Stand August 2010) (2) Fachinformation: Palexia 20 mg/ml Lösung zum Einnehmen (Stand November 2013) (3) Fachinformation: Palexia 50 mg Filmtabletten (Stand Oktober 2013) (4) Fachinformation: Palexia retard (Stand Oktober 2013) (5) H.G. Kress et al.: Tapentadol Prolonged Release for Managing Moderate to Severe, Chronic Malignant Tumor-Related Pain; Pain Physician 17 (2014), S. 329 343 (6) K. Imanaka: Efficacy and safety of oral tapentadol extended release in Japanese and Korean patients with moderate to severe, chronic malignant tumor-related pain. Current Medical Research and Opinion 29 (October 2013), S. 1399-1409 (7) K. Imanaka: Ready conversion of patients with well-controlled, moderate to severe, chronic malignant tumor-related pain on other opioids to tapentadol extended release; Clinical Drug Investigation 34 (July 2014), S. 501-511 (8) M. Afilalo et al.: Efficacy of tapentadol ER for managing moderate to severe chronic pain; Pain Physician 16 (February 2013), S. 27-40 (9) Optimierung der Pharmakotherapie Nr. 19, April 2012; Eine Information nach 73 Abs. 8 SGB V durch die KVWL und die Verbände der KK in WL (10) KBV: Wirkstoff aktuell (3/2012):Tapentadol Ansprechpartner Verbände der Krankenkassen Andreas Heeke, Tel. 0231 4193-10401/02 E-Mail: Andreas.Heeke@nw.aok.de Ansprechpartner KVWL Verordnungsmanagement, Tel.: 0231 9432-3941 E-Mail: Verordnungsmanagement@kvwl.de