Der kartographische Imperativ: Warum wir Sprache brauchen, um das Gehirn zu verstehen. Martin Meyer Neuroplasticity and Learning in the Healthy Aging Brain University of Zurich, Switzerland Wir sind in der Lage Vorgänge im Gehirn unserer Mitmenschen mit unglaublicher Präzision zu beeinflussen...diese Fähigkeit wird Sprache genannt. Indem wir einfach mit dem Mund Geräusche erzeugen, können wir zuverlässig und präzise neue Gedankenkombinationen in der Geisterwelt anderer Menschen entstehen lassen. (Steven Pinker. Der Sprachinstinkt). 2 1
Das komplexe Phänomen Sprache Phoneme (auditorisch und motorisch) Phonemgruppen (auditorisch und motorisch) Phonologie (auditorisch und motorisch) Prosodie (auditorisch und visuell) Grapheme (visuell und motorisch) Graphemgruppen (visuell und motorisch) Lexikon (semantisch, visuell, auditorisch) Pragmatik Semantik Syntax (Grammatik) Syntax 3 Die Frauen küssen die Männer. Die Frau küsst die Männer. Die Frau küssen die Männer. Den Mann küsst die Frau. Mann beisst Hund. Das ist die Frau die der Hund den das Kind das der Mann geschimpft geschlagen gebissen hat. Das ist die Frau die der Hund den das Kind das der Mann geschimpft geschlagen gebissen hat. Die mumpfigen Wunzen hongern die apoldige Treka. 2
Semantik Milch trinken Kind Das Kind trinkt die Milch. Die Milch trinkt das Kind. Die Milch trinkt das Brot. Semantik Schröder mag Fisch. 3
Semantik Schröder mag Fisch. Schröder mag Kohl. 4
Semantik Schröder mag Fisch. Schröder mag Kohl. Schröder mag Fischer. 5
Semantik Schröder mag Fisch. Schröder mag Kohl. Schröder mag Fischer. Fischer mag Fisch. Fisch mag Fischer. Fischer mögen Fisch. Fischer mögen Fischer. Fischer mag Fischer. 6
Prosodie Hans raucht schon wieder! Hans raucht schon wieder? Peter verspricht Anna zu helfen. Peter verspricht Anna zu helfen. Peter verspricht Anna zu helfen. Friederici (2005), Trends in Cognitive Science EKP und Spracherwerb 7
Friederici & Meyer (2004), Brain Research Friederici & Meyer (2004), Brain Research Das Gehirn (er)kennt den Unterschied Das Gehirn (er)kennt den Unterschied 8
Insula das neue Sprachzentrum?? Dronkers (1996), Nature Deary et al. (2004), NeuroImage Diskrimination ultrakurzer Zeitintervalle Wise et al. (1999), Lancet Zempleni et al. (2010), NeuroImage Blasenkontrolle 9
The battle for Broca s region Syntaktischsemantische Integration Price (2000), J Anat Grodzinsky (2008), Trends in Cognitive Sciences Initiale Phrasenstruktur When neuroimaging is the answer, what is the question? 10
Brauchen wir das Gehirn, um Sprache zu verstehen? Brauchen wir Sprache, um das Gehirn zu verstehen? Ignoramus et Ignorabimus Welche denkbare Verbindung besteht zwischen bestimmten Bewegungen bestimmter Atome in meinem Gehirn einerseits, andererseits den für mich ursprünglichen, nicht weiter definierbaren, nicht wegzuleugnenden Tatsachen? Emil Heinrich du Bois-Reymond (1872) 11
Der kartographische Imperativ Der kartographische Imperativ 12
Post mortem Neuroanatomie Cytoarchitectonics by Korbinian Brodmann, 1909 K. Brodmann, 1909, Barth, Leipzig Frühe Hirnkarten 13
27 Das Wernicke-Lichtheim Modell (1884) Artikulation Sprachverarbeitung Das klassische Modell ist limitiert, weil a) Auf die Wortebene beschränkt b) Auf Performanz beschränkt (Artikulieren, Wiederholen, Verstehen) c) Anatomisch schlecht definiert d) Auf Läsionsdaten basierend 14
Hemisphärenasymmetrie und perzeptive Vokalisation Planum temporale rechts links Mensch Galaburda et al. (1978), Arch Neurol Menschenaffen Gannon et al. (1998), Science Die Evolution der Sprache Kommunikation bei Tieren Optische Signale Chemische Signale Mimik Gestik Vokalisation Melodische Klänge Paarung und Fortpflanzung Territorialverhalten Warnung vor Bedrohung Soziale Zwecke 30 15
Die Evolution der Sprache Sprache ist eine Art der Kommunikation, die alleine dem Menschen vorbehalten ist Pollack & de Waal (2007), PNAS Tiere kommunizieren (mittels optischer, chemischer und akustischer Signale) Sie haben aber keine Sprache Mit einer beschränkten Anzahl Regeln und Symbolen eine unendliche Anzahl Phrasen erzeugen Meyer (private diary) Farblose grüne Ideen schlafen zornig Konkrete und abstrakte Gedanken mitteilen Innenleben berichten Mitteilungsbedürfnis / Prosozialität Vergangenheits- und zukunftsorientiert Koshik ein koreanischer Elefant http://www.youtube.com/watch?v=vluz7e5gu2c Hoover ein amerikanischer Seehund http://auditoryneuroscience.com/content/hoover-talking-seal http://www.youtube.com/watch?v=prrmalrkc5u 16
Hauser, Chomsky, Fitch (2002), Science Faculty of Language in A Narrow Sense Metaanalyse über 128 bildgebende Studien Vigneau et al. 2011, NeuroImage 17
Die Sprache des Gehirns? Semantik Kontext Prosodie Phonologie Syntax Pragmatik The incommensurability problem (Poeppel 2012)? Localization of function might be better spelled out as localization of local computation (D. Poeppel 2012) 18
Von den Vibrationen am Ohr zu den Neuronen Laute Sprache Kontinuierliche varierende Schallereignisse mit spektrotemporalen Informationsmustern unterschiedlicher Komplexität müssen als SpracheMuster erkannt und in Kontakt mit den höheren sprachlichen Systemen gebracht werden,... so dass wir in der Lage sind, eine sprachliche Äusserung zu interpretieren. daeskeinegrenzenzwischengesprochenenwörterngibtistesumsoerstaunlicherdassdasge hirninderlageisteinzelnewörterausdemlautstromdergesprochenenwörterzuextrahieren undsiealsseparatelauteinheitenzuerkennensomitgibtesaufderakustischenebeneeigentli chkeineentsprechungzurlinguistischenebenederbeschreibungvongesprochenerersprac hedietatsachedasswirunsdiesesumstandsnichtbewusstsindlässtdiefähigleikeitdesgehir nsumsoerstaunlicherscheinen Spektrotemporale Information auf der daeskeinegrenzenzwischengesprochenenwörterngibtistesumsoerstaunliche sub-syllabischen, phonetischen rdassdasgehirninderlageisteinzelnewörterausdemlautstromdergesprochene nwörterzuextrahierenundsiealsseparateluteinheitenzuerkennensomitgibtesa und auf der ufderakustischenebeneeigentlichkeineentsprechungzurlinguistischenebene derbeschreibungvongesprochenerersprachedietatsachedasswirunsdiesesu supra-syllabischen, prosodischen mstandsnichtbewusstsindlässtdiefähigleikeitdesgehirnsumsoerstaunlichersc heinen Ebene bergen linguistische Information With courtesy of David Poeppel 19
Meyer, Z Neuropsy (2008) Hohe zeitliche Auflösung Langsame zeitliche Auflösung e.g. e.g. Prosodie, Rhythmus Phonetik LH RH Die Sprache des Gehirns 20
Oszillationen Die Dialekte des Gehirns Gross et al. (2013), PLOS Biology Sprache und Gehirn im Dialog 21
Luo & Poeppel (2007, Neuron) Endogene und evozierte Oszillationen während auditorischer Satzverarbeitung Langsame EEG-Frequenzen korrespondieren mit suprasegmentaler Sprachverarbeitung Giraud et al. (2007), Neuron Pena & Melloni (2012, J Cog Neurosci) Gamma- und Theta-Band Modulationen während auditiver Satzverarbeitung 22
Saberi & Perrot 1999, Nature Temporale Manipulation der zeitlichen Integrität Verhaltensdaten Meyer, Langer, Gmuer, Liem, Jäncke (in prep.) 23
Normaler Satz Verdrehter Satz Meyer, Langer, Gmuer, Liem, Jäncke (in prep.) So hört das Gehirn Sätze mit unterschiedlicher temporaler Integrität Monotoner Satz The fit between language and its underlying mechanism arose because language has evolved to fit the human brain, rather than reverse Charles Darwin 24
Lakatos et al. (2005, J Neurophysiol) Spontane Oszillationen im auditorischen Kortex von Makaken Die kleinen Unterschiede 25
Hunde sind seit 18 000 32 000 Jahren domestiziert und teilen die gleiche soziale Welt Vokalisationen sind jeweils gut bekannt Andics et al. (2014) Current Biology Rückschluss auf gemeinsame oder parallele Evolution von Präferenz für Vokalisationen In Hirnen von Menschen und Hunden seit oder vor der Trennung der Kladen vor 90-100 Millionen Jahren. 26
Andics et al. (2014) Current Biology Hirn und Hund Und (wie) geht es weiter??? We still have no idea regarding the underlying question of what special properties of the human brain allow it to support language, and what the distinctive properties (at the neuronal level) of the language areas (if such exist) are (Boeckx 2010: 157; cf. auch Willems/Varley 2010). When it comes to understanding how to relate genes and brain development, or brain circuitry and cognitive faculties, we are in the dark (Boeckx 2010; 150) 27
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!!! 28